Gezielte Destabilisierung in Libyen
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04.03.2011 / Ansichten / Seite 8
In der Kriegsfalle
Libyen-Friedensplan abgelehnt
Von Werner Pirker
Ein vom libyschen Oberst Muammar Al-Ghaddafi und dem Präsidenten Venezuelas,
Hugo Chávez, vorgelegter Plan für ein Ende der Gewalt in Libyen ist von den
Aufständischen am Donnerstag umgehend abgelehnt worden. Sie haben sich somit
für eine Fortsetzung der Gewalt entschieden. Das Nein zu einer friedlichen
Lösung im libyschen Bürgerkrieg dürfte ihnen umso leichter gefallen sein,
als sie sich der vollen Unterstützung durch die westliche
Interventionsgemeinschaft sicher sein können. Zwar ist auch aus den
Weltordnungszentren ständig die Forderung nach einer Einstellung der Gewalt
in Libyen zu vernehmen, doch die bezieht sich ausschließlich auf Maßnahmen
bei der Aufstandsbekämpfung. Die Option einer friedlichen Lösung, wie sie
von den Hegemonialmächten angesichts der Volksaufstände in Tunesien und
Ägypten stets beschworen wurde, befindet sich im libyschen Fall außerhalb
ihres Vorstellungsvermögens.
Es stellt sich somit nur noch die Frage, ob der gewaltsame Sturz des
Ghaddafi-Regimes von den Aufständischen aus eigener Kraft vollzogen werden
kann, oder ob es dazu einer imperialistischen Militärintervention bedarf.
Kommt letzteres Szenario zum Zug, würde das den Charakter der gegenwärtigen
Auseinandersetzung schlagartig verändern. Noch handelt es sich um einen
nationalen Aufstand mit dem Ziel eines – auch von Washington und Brüssel
angestrebten – »Regime change«. Bei einem westlichen Eingreifen aber geriete
die Herrschaft Ghaddafis umgehend in die Rolle eines nationalen
Widerstandszentrums, dem sich auch Teile des Anti-Ghaddafi-Lagers
anschließen könnten. Deshalb schrecken die ohnedies schon in zwei glücklosen
Militärinterventionen verstrickten USA vor einem weiteren Kriegsabenteuer
vorerst noch zurück. Außerdem würde die von den arabischen Massen in den
Aufständen gegen ihre diktatorischen Regime an den Tag gelegte Zurückhaltung
gegenüber den imperialistischen Förderern der einheimischen Reaktion,
inklusive einer gewissen Bewunderung für das westliche Demokratiemodell, in
eine neue Welle des Antiimperialismus umschlagen.
Zunehmend Sorgen bereitet der US-Diplomatie auch, daß Libyen zu einem
gescheiterten Staat, zu einem, wie Außenministerin Clinton meinte,
»gigantischen Somalia« werden könnte. Mit Schrecken werden die
Antiterrorkrieger gewahr, daß der von ihnen unterstützte Aufstand einen
Toten, das von Ghaddafi in Libyen weitgehend ausgeschaltete
Al-Qaida-Netzwerk, zu neuem Leben erweckt hat. Es gäbe für den Westen
genügend Gründe, den Ghaddafi/Chávez-Friedensplan nicht ungelesen zu
verwerfen. Doch der von den USA und der EU an den Tag gelegte Aktionismus,
die Einstimmung der »internationalen Gemeinschaft« auf eine diplomatische
Totalblockade Libyens samt der Instrumentalisierung der internationalen
Strafgerichtsbarkeit zur imperialistischen Lynchjustiz machen einen
vernünftigen Ausweg aus der libyschen Krise nahezu unmöglich.