Gotteskrieger im Swimmingpool
Gotteskrieger im Swimmingpool
von Benjamin Dronten, Junge Welt, 11/12. April 2015
Strafverteidiger raten Angeklagten meist, vor Gericht zu schweigen. Sollen die Ankläger erst mal Beweise vorlegen. Im Fall des 21jährigen Ufuk C. sieht es anders aus. Der deutsch-türkische Doppelstaatler muss sich seit dieser Woche vor dem Oberlandesgericht (OLG) München dafür verantworten, dass er sich von der islamistischen Al-Nusra-Front als Kämpfer im syrischen Bürgerkrieg anwerben ließ. Er plauderte schon am ersten Verhandlungstag so offenherzig, dass es für Zuhörer streckenweise richtig amüsant wurde. Nicht so lustig dürfte ein Münchner Kontaktmann der Bürgerkriegsmiliz die Sache finden: Harun P. Auch der steht in München vor Gericht und kam mehrmals in Ufuks Erzählungen vor.
Kennengelernt hätten sich beide in der somalischen Moschee in München, gleich in seiner Nachbarschaft, erinnerte sich C. Er habe dort »falsche Freunde« getroffen, die ihn radikalisiert hätten. Dazu hätten auch diverse Internetvideos von Pierre Vogel oder dem Ex-Rapper »Deso Dogg« beigetragen. So habe er den Eindruck gewonnen, dass Muslime weltweit unterdrückt werden. Er habe »helfen« wollen.
Außerdem sei sein Leben etwas außer Kontrolle gewesen. Er habe lange Zeit unmäßig viel gekifft und getrunken. Mit seiner Mutter habe er sich über den Plan zerstritten, eine ältere Frau mit Kind zu heiraten. Die Hauptschule hatte er im zweiten Anlauf geschafft. Eine Bäckerlehre begann er nur. Finanziell ging es ihm trotzdem gut. Diverse Jobs hätten ihm 800 bis 900 Euro zum freien Verprassen gebracht. Bei den Eltern habe er nichts abliefern müssen.
Als er dann nach Syrien abreiste, ließ er auch den Ärger hinter sich, den die Polizei wegen des Marihuanas und eines Falschpark-Knöllchens mit seinem Motorrad gemacht hatte. Das mag als Fluchtmotiv einfältig klingen, könnte aber passen, denn das, was er zu seinen religiösen Motiven sagte, klang noch einfältiger.
Ob er wisse, was der höchste Feiertag der Muslime sei, fragte ihn der Richter. Ufuk C. kam nicht drauf und druckste herum. »Ramadan«, sagte er dann. Der sei doch aber kein Feiertag, sondern ein ganzer Monat, gab der Richter zu bedenken. »Richtig«, erinnerte sich Ufuk C. Auf die Frage »Und womit endet der Ramadan?« erklärte er: »Mit dem Monatsende«. Stöhnen auf der Zuschauerbank, wo sich diverse Cousins, Cousinen, Onkel und Tanten des Angeklagten versammelt hatten. »Bayram«, raunten sie. Ufuk, frisch rasiert, milchgesichtig und streng gescheitelt, schaute rüber und grinste, verstand aber nicht. »Bayram!«, raunte die Familie lauter. »Nicht vorsagen!« mahnte der Richter. »Bayram«, sagte Ufuk. Endlich.
Dann erzählte er, wie er über Antalya zunächst in die Türkei flog, wo er Harun P. aus der Münchner Moschee traf. Der habe über Schleichwege seinen Transport zum »Deutschen Haus« in Syrien organisiert, das so hieß, weil dort nur Islamisten aus Deutschland und Österreich untergebracht waren. Dort sei es entspannt zugegangen. Aber: »Im Swimmingpool war die Pumpe kaputt.« Darum hätten die Deutschen oft die Niederländer besucht. Bei denen sei der Pool in Ordnung gewesen.
Strenger ging es dann in einem Trainingscamp der Al-Nusra-Front zu. Ein »Bruder« aus Afghanistan habe sie schießen und »Militärtaktik« gelehrt. Der Religionslehrer sei ein »Jeside« gewesen. »Wie bitte?« fragte der Richter erstaunt. »Aus Jemen«, präzisierte Ufuk C. Als »kompliziert« schilderte er den Ablauf des Religionsunterrichts. Der Lehrer habe nur Arabisch gesprochen. »Kann ich nur schlecht«, sagte Ufuk C. Mitschüler übersetzten ins Englische, was die meisten Deutschen – wie Ufuk C. – aber auch nicht verstanden. Andere übersetzen aus dem Englischen ins Deutsche. Was da vom arabischen Original ankam, war kaum zu überprüfen. Nur die Sache mit den Jungfrauen und der milde Märtyrertod schienen dem Angeklagten sicher. »Ich wollte als Märtyrer sterben«, bekannte Ufuk C. Er habe fest geglaubt, dass im Märtyrerhimmel 72 Jungfrauen auf ihn warteten und dass ein Märtyrer beim Sterben kaum Schmerz erleide. »Das dauert nur eine Sekunde.« Was der Richter mit »Märtyrer, und durch« kommentierte. »Genau«, sagte Ufuk C. Sehr schnell habe er aber bemerkt, dass die Lage »kritisch wird«. Flugzeuge hätten »Fassbomben« auf ein Nachbargebäude geworfen. Gerüchte über eine Feindschaft zwischen »Islamischem Staat« und Al-Nusra-Front kamen auf. Die IS-Leute wollten die Al-Nusra-Leute töten, habe es geheißen. »Muslime gegen Muslime«, sagte Ufuk C. »Da kann man mal sehen, wie schnell man zum Ungläubigen wird«, kommentierte der Richter. »Genau«, bestätigte Ufuk C.
Er habe sich daher recht schnell in Richtung Türkei zur Heimreise abgesetzt. Im Sommer 2014 landete er wieder in München, wo er noch am Flughafen festgenommen wurde und seither in Untersuchungshaft sitzt. Bis zum 9. Juni sind weitere sechs Verhandlungstage angesetzt.