H. Spehl an Dieter E. Zimmer, Die Zeit, 28.8.1968 u. Antwort
H. Spehl an Dieter E. Zimer
Freiburg, 28. August 1968
Sehr geehrter Herr Zimmer: Wer hat denn nun eine friedliche Kooperation im nahöstlichen Raum ausgeschlossen?
Der Fall scheint klar. Nehmen Sie eines Ihrer Handbücher, und Sie bekommen die Antwort bereits im Inhaltsverzeichnis. Aber legen wir einen Augenblick die Handbücher, die Reiseführer, die Artikel der vierzehn-Tage-Besuchs-Journalisten beiseite. Lesen wir einmal etwas anderes:
It seems unfortunate that the Israeli leaders did not take more positive steps to settle the Arab-Israeli differences prior to recent military developments. It is also regrettable that provocative military actions occurred. It was admitted that the preponderance of them in the past has been on the part of Israel…
Although universal service of both men and women in the armed forces, using only the Hebrew language, has served as a unifying force, the excessive power of the military, developing in part because of the constant feeling of insecurity, could endanger continuance of civilian control which is a prerequisite of democratic government.
The growing magnitude of these pressures could lead to serious consequences.
At the time of the study mission’s visit to Israel, the extreme emotionalism and nationalism attendant on any discussion of the Arab-Israeli controversies were clearly in evidence. Israel was in a state of semimobilization and certain leaders, not restricted to the members of the Herut Party, were advocating a ‘preventive war’. (6)
So hat eine amerikanische Studienkommission Israel im Oktober 1955 gesehen. Der Bericht ist nicht einseitig. Es heißt darin auch: "The study mission was deeply impressed by the economic progress achieved in Israel during recent years". Aber die "betretene Reserve gegenüber der heutigen Politik" Israels, die Sie empfunden haben, hat man schon vor 13 Jahren empfunden. Sie haben Anhaltspunkte und Erklärungen gesucht, aber die können Sie nicht in Ihren Handbüchern finden. Und der arabischen Propaganda mag man nicht glauben, denn sie ist nicht nur einfach verlogen, sondern vor allem auch noch dumm. Man möchte gern wissen, wie Israel, dessen B e v ö l k e r u n g den Frieden herbeisehnt wie wohl jedes andere Volk der Welt, zu Führern kommt, die einen Präventivkrieg befürworten, zu einer Armee, die provozierende militärische Aktionen startet, zu Militärs, die übermäßige Macht haben. Ergab sich das aus der ständigen Unsicherheit? Es ergab sich z u m T e i l aus dem ständigen G e f ü h l der Unsicherheit. What about the other part, what about the feeling? Gibt es Hintergründe, gibt es eine Vorgeschichte? – Es gibt sie:
(Gewisse Kreise versuchen jetzt) den entschlafenen Bernadotte in einen Märtyrer zu verwandeln. Und wirklich, er ist ein Märtyrer. Der ‘Märtyrer’ Bernadotte ist es, der in unserem Land Blutvergießen verursachte, Blut von Babys, Frauen und Kindern. Der ‘Märtyrer’ Bernadotte ist es, der die hebräische Armee daran hinderte, Eroberungen zu machen und damit unwiderrufliche Tatsachen zu schaffen. Der ‘Märtyrer’ Bernadotte war es, der uns den Waffenstillstand aufzwang, und der uns langsam ausbluten ließ bis zur Agonie… Wir wenden uns nicht gegen die Regierung im Jischuw, wir werden uns nicht für einen Bruderkrieg hergeben… Aber wir warnen: Die Hand, die sich gegen uns erhebt, wird abgehackt werden… (7)
Das ist ein Beispiel dafür, wie sich die extremsten Splittergruppen eines Flügels der zionistischen Bewegung damals äußerten. Es handelt sich um die sogenannten ‘Revisionisten’, in Palästina als ‘Judenstaatspartei’ vertreten. Die Weltvereinigung der Zionisten-Revisionisten wurde 1925 vom Vater der ‘Jüdischen Legion’ des ersten Weltkriegs, Vladimir Jabotinsky, in Paris gegründet. Sie hatte in der Folgezeit einen schnell wachsenden und zeitweise sehr erheblichen Einfluß innerhalb der zionistischen Weltorganisation. Die Revisionisten, heute als Herut-Partei in Israel etabliert, verstanden und verstehen sich als erste – und während der 20er und 30er Jahre auch einzige – zionistische Partei, die die Proklamation des Judenstaates offen forderte,. Dagegen hätten die offiziellen zionistischen Führer (der Arbeiterparteien) damals eine klare und ehrliche Formulierung der wirklichen Ziele gescheut, und es aus taktischen Gründen vorgezogen, mit der bewußt vagen britischen Formulierung eines ‘Jewish National Home’ zu operieren und die zionistischen Ziele den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend zu formulieren. Das Programm des Revisionismus ist, meiner Meinung nach, eine ganz wichtige Quelle zum Verständnis vieler heutiger Vorgänge, und zwar nicht deshalb, weil die Revisionisten eine extreme Politik befürworteten, sondern vor allem deshalb, weil sie schon immer fast als einzige die zionistischen Ziele aussprachen. Diese Offenheit war und ist immer wieder der Hauptanlaß scharfer Gegnerschaft und Ablehnung. Selbstverständlich wird die Geschichte des Revisionismus in den gängigen westlichen (aber nicht in den hebräischen) Monographien über die Vorgeschichte des Staates Israel unterschlagen. Und selbstverständlich fehlt die Geschichte des Revisionismus in allen modernen Monographien über die zeitgeschichtlichen faschistischen Strömungen. Die folgende kurze Passage aus einer Ben Gurion-Biographie ist eine Seltenheit:
"Wenn sich der Zionismus durchsetzen soll", sagt Mussolini 1935 zu dem Rabbiner Prato, "müssen Sie unbedingt einen jüdischen Staat mit einer jüdischen Fahne und jüdischer Sprache haben. Es gibt jemanden, der das sehr klar erkannt hat – Ihr Faschist, Jabotinsky." (8)
Wer war dieser Vladimir Jabotinsky, den Ben Gurion "Vladimir Hitler" nannte, was wollte er? So sagt es Jabotinsky selber:
Das erste Ziel des Zionismus ist die Schaffung einer jüdischen Mehrheit in Palästina, westlich und östlich um Jordan. Das ist nicht das I e t z t e Endziel der zionistischen Bewegung, welche viel weitgehendere Ideale hat… "Wozu dieses Ziel laut proklamieren?" fragen diejenigen Träumer, die glauben, daß man aus dem Zionismus eine schweigende Konspiration machen kann. Sie täuschen sich. Das Verschweigen des Zweckes der Bewegung unsererseits ist, erstens, nutzlos, weil alle unsere Gegner unsere Ziele nicht nur verstehen, sondern oft auch übertreiben. Es ist zu spät, Kleinzionismus zu predigen, nachdem auch schon die Araber Herzls ‘Judenstaat’ und eine noch ‘gefährlichere’ zionistische Kundgebung, nämlich die Bibel, gelesen haben… (9)
Die Erschließung des Ostjordanlandes ist die erste und wichtigste (aller) Reformen. Transjordanien gehört zwar zum Mandatsgebiete, wurde aber nachträglich aus der Wirkung der zionistischen Klausel des Mandats ausgeschlossen. Das ist eine historische und praktische Ungerechtigkeit. Geschichtlich war das Ostjordanland (d.h. das heutige Transjordanien) immer ein Bestandteil des jüdischen Palästinas; es wurde von Juden kolonisiert noch vor der Eroberung des westlichen Palästinas. Vom praktischen Standpunkt der Masseneinwanderung ist das Ostjordanland vielleicht noch wichtiger als das Westjordanland. Es ist beinahe ebenso groß, hat aber zwei oder dreimal weniger Einwohner, besitzt besseren Boden und mehrere Ströme… (10)
Eine Agrarreform – die sich auf beide Ufer des Jordans erstrecken sollte – ist weiter die notwendigste praktische Grundlage einer wirklichen Massen-Kolonisation… Die einzige volle Lösung des Problems besteht in der Enteignung des gesamten brachliegenden Bodens durch den Staat und in der Schaffung einer Bodenreserve für landwirtschaftliche Ansiedlungen… Die enteignete Bodenreserve sollte natürlich Juden und palästinensischen Arabern unter gleichen Bedingungen zugänglich sein. Solche Bedingungen wären hauptsächlich zwei:
(a) Der Bewerber muß beweisen, daß er in Palästina kein anderes Stück Land besitzt und;
(b) Er muß – individuell oder kollektiv, aus eigenen Mitteln oder mit Hilfe einer Organisation, – das notwendige Minimalkapital für Bauten, Inventar, etc. besitzen.
Es ist keine Ungerechtigkeit den Arabern gegenüber, wenn unter diesen ganz vernünftigen Forderungen die überwiegende Mehrheit derjenigen Bewerber, die beide Bedingungen erfüllen, aus Juden bestehen wird… (11)
Die arabische Stimmung in Palästina ist gegen die Schaffung einer jüdischen Mehrheit im Lande. Gegen alles, was zu dieser Mehrheitsschaffung führt, werden die Araber noch lange kämpfen, manchmal energischer und manchmal lässiger; mitunter mit politischen, mitunter auch mit anderen Mitteln – bis zum Momente, wo die überwiegende Macht der Juden im Lande, die jüdische Mehrheit zur Tatsache geworden ist. Erst dann wird die wahre Versöhnung anfangen. Bei dem aufrichtigsten Wohlwollen dem arabischen Volke gegenüber, glauben wir jedoch fest, daß die Umwandlung Palästinas in einen Judenstaat ein Postulat des höchsten Rechtes ist, und daß daher jeder Widerstand dagegen ein Unrecht ist. Mit Unrecht kann man nicht paktieren, dem Unrechte kann man keine Konzessionen machen besonders in diesem Falle, in der Frage der Mehrheitsbildung, gibt es unsererseits auch keine Möglichkeit von Konzessionen. Das Unrecht kann man nur bekämpfen, mit friedlichen Mitteln solange es sich nicht in Gewalttaten ausdrückt, und mit anderen Mitteln, wenn es zur Gewalt greift. (12)
Um zum Ziel zu gelangen, bin ich bereit, mich mit dem Teufel zu verbinden. (13)
Im Moment der Friedensverhandlungen muß im Okkupations-Korps, das Palästina besetzen wird, ein jüdisches Kontingent sein. Und wenn beim Besetzen Palästinas Blut vergossen wird, muß auch jüdisches Blut vergossen werden… Bei sich weiß jeder gesunde Mensch, daß im Jahre 1916 ein Tropfen Blutes viel mehr wiegt als ein ganzes Faß guten Karmel-Weines und eine jüdische Schlachtfahne in Palästina deutlicher und verständlicher zur Welt sprechen könnte als alles übrige, was wir jetzt zu sagen imstande wären. (14)
Mit Blut und mit Schweiß werden wir eine Rasse schaffen stolz, großmütig und grausam. (15)
Und so weiter, und so weiter. Die Jünger Jabotinskys sind, wie das unter Fanatikern häufig zu beobachten ist, gelegentlich noch etwas extremer:
Der jüdische Pazifismus ist die größte historische Lüge. Selbst Moses sagte: "Keine Seele leben lassen!" Er war Maximalist. Der Prophet sagte: "Gelobt sei, der deine Kinder an einem Felsen zerschmettert". Auch die Rabbiner der späteren Geschlechter waren Maximalisten und sprachen äußerst strenge Urteile aus, wie wir aus dem Boykott über Spinoza ersehen können. Erst wenn Palästina unser sein wird, können wir uns erlauben, Pazifisten zu sein. (16)
In der letzten Unterrichtsstunde im ‘Betar’ war ich zufrieden. Ich fragte: "Welches ist der wahre Maßstab für g r o ß e Ereignisse?" Einer antwortete: "Die Menge des vergossenen Blutes". Da sagte ich: "Das ist die Antwort eines Betar!" Die Menge des Blutes – das ist der Maßstab für eine Revolution, und nicht die schönen Ideen, für die das Blut vergossen wird. (17)
Um die Stellung dieser beiden Fanatiker innerhalb der Revisionistischen Bewegung aufzuzeigen, und nebenbei auch deren kopierten Standarten- und Uniformenkult, zitiere ich Ihnen aus einem Bericht über die 5. Weltkonferenz der Zionisten-Revisionisten, die Ende August 1932in Wien abgehalten wurde:
Den Auftakt zur 5. Weltkonferenz bildete der Gang der Delegierten und Gäste der Konferenz, sowie der Wiener revisionistischen Ortsgruppe und des jüdischen Wehrsportvereins ‘Haganah’ zum Grabe Theodor Herzls. Über tausend Personen nahmen an dieser Ehrenbezeigung teil, die die Judenstaatsbewegung ihrem geistigen Vater erwies…
Am Abend desselben Tages fand in einem der größten Säle Wiens, dem Zirkus Renz, die Eröffnungssitzung der 5. Weltkonferenz statt. Der Zirkus, den an die 3 000 Menschen füllten, war festlich mit blau-weißen Fahnen und Girlanden und dem Bilde Herzls geschmückt. Betarim in Uniform mit Standarten flankierten die Rednertribüne, Mädchen, ebenfalls in der schmucken Uniform des Brith-Trumpeldor, verkauften Broschüren und Postkarten mit Bild und Unterschrift Jabotinskys.
In der Mitte des Saales saßen nach Landsmannschaften geordnet die Delegierten der Konferenz, etwa 200 an der Zahl, darunter die Führer der radikalen Gruppen im Revisionismus der Maximalisten: die palästinensischen Schriftsteller Abba Achimeir und Uri Zwi Grünberg u. der Führer der etwas gemäßigteren Aktivisten Wolfang v. Weisl. Unter stürmischem Klatschen und Hochrufen betrat der Präsident Jabotinsky, gefolgt von Grossmann, Stricker, der Exekutive und einem Instruktor des palästinensischen Betar den Saal. Alle Anwesenden erhoben sich bis der Präsident auf der Empore Platz genommen hatte…
Heute (26. August 1932) abends 8 Uhr wurde im Heim der Revisionistischen Ortsgruppe Wien die erste Weltkonferenz der revisionistischen Studenten mit dem Ziele der Schaffung eines Weltverbandes revisionistischer Hochschüler eröffnet. Nach der Eröffnungsrede, die durch stud. jur. Fränkel, Wien, gehalten wurde, ergriffen die Herren Jabotinsky, Meir Grossmann, Robert Stricker und Dr. Weisi das Wort… Dr. v. Weist rief die revisionistische Studentenschaft auf, die geistige Führung des Brith.-Trumpeldor zu übernehmen, dessen Organisation dazu geeignet sei, die Klassengegensätze zu überbrücken. Weist stand nicht an, die SA- und SS-Organisationen Hitlers als nachahmenswertes Beispiel der Klassenversöhnung anzusprechen. (18)
Und hier folgt, was Jabotinsky nach dieser Konferenz über die palästinensischen Maximalisten schrieb (die, nebenbei gesagt, gelegentlich nachts in jüdischen Orangenplantagen wie die Vandalen hausten – was tags darauf den Arabern zugeschoben wurde -, um zu provozieren, zu reizen und aufzustacheln):
Ausführlicher will ich nur über eine Gruppe sprechen, die der Aktivisten und Maximatisten. Der Kern dieses Flügels setzte sich aus palästinensischen Delegierten zusammen, aber ihm schlossen sich auch andere an. Ich zweifle nicht daran, daß unsere Begegnung mit ihnen auf der Konferenz manche Vorurteile zerstreut hat. Der palästinensische Aktivismus gehört zu unseren gesündesten Erscheinungen. Man soll nicht lachen und sich entrüsten, sondern abwarten und zusehen, wie sich die Sache entwickelt. Diese Geistesrichtung ist viel tiefer und gesünder als es von weitem schien; sie ist nicht aus einer abstrakten Theorie herausgeboren, sondern aus genauer Kenntnis der lokalen Bedingungen und einem starken Gefühl für die Wirklichkeit.
In Gesprächen mit den "Aktivisten und Maximalisten" aus Palästina hat sich Jabotinsky noch deutlicher ausgedrückt:
Ich bin gegen den ‘Monismus’ selbst für einen Tag. Jewserow (der Organisator der Levante-Ausstellung in Tel Aviv) beschäftigt sich mit Ausstellungen und er muß sich an die (Mandats-) Behörden wenden. Achimeir kämpft gegen sie; beide sind uns nötig, sowohl Bombenwerfer wie Ausstellungsveranstalter (folgt ein russischer Fluch). Wenn Euch dies nicht passt: der Revisionismus ist ein Imperium. In einem Staate gibt es auch Huren…
Jabotinsky wandte sich an mich und sagte: "Wir werden uns wiedersehen und feststellen, ob Achimeir Menschenblut zu trinken imstande ist, wie man mir geschrieben hat". (19)
Vladimir Jabotinsky hat für die Betar-Mitglieder eine Broschüre verfasst, die damals in vielen Sprachen verbreitet wurde. Es heist darin unter anderem:
Der Betar steht felsenfest auf dem legionistischen Standpunkt. Er verlangt von seinen Mitgliedern und der gesamten jüdischen Jugend, daß sie sich in der Technik der Handhabung von Waffen gründlich ausbilden und immer bereit stehen, persönlich jedem Ruf zu folgen, sei es zu Selbstschutz, sei es, wenn einmal die Zeit kommen sollte, zu einer neuen jüdischen Legion in Palästina. Der Betar ist der Ansicht, daß ein Pionier, der sich für diese Aufgabe nicht vorbereitet hat, ein schlechter Pionier ist und für Eretz Israel nicht taugt. Daher ist die ‘Hachscharah haganatith’, die wehrsportliche Ausbildung, für den Betar die erste und wichtigste aller Hachscharoth. Unsere Gegner nennen das "Militarismus". Man muß vor einem lateinischen Wort nicht erschrecken…
Wenn ein Staat, den niemand belästigt, sich zu bewaffnen beginnt, um über seine friedlichen Nachbarn herzufallen, so ist es ein schlechter Militarismus. Aber wenn wir Juden, die man fast überall schlägt und denen man gerade in Eretz Israel droht, die Kolonien mit Gewalt zu zerstören, wenn w i r uns bewaffnen, um unser Leben, unser Hab und Gut und unsere Zukunft zu verteidigen, ist das der gute Militarismus, und wir sind stolz, solche Militaristen zu sein.
Jede große Kolonisation in der Geschichte hat seitens der eingeborenen Bevölkerung des kolonisierten Landes immer Widerstand hervorgerufen. Es gibt keine Ausnahme, es war immer so und so ist es auch in Eretz Israel. Der, der findet, daß die Araber in ihrer Gegnerschaft zum Zionismus recht haben, kann den Gedanken einer Kolonisation Eretz Israels ganz aufgeben. Der aber, der glaubt, daß das jüdische Volk ein heiliges Recht auf seine historische Heimat hat und daß der Widerstand der Araber unberechtigt ist, der muß aus seiner eigenen Überzeugung die logische Konsequenz ziehen und jene eiserne Wand aufrichten helfen, die die Zerstörung unmöglich machen wird.
Der Betar ist aufgebaut auf dem Prinzip der Disziplin. In dieser Hinsicht ist es unser Ziel, ein Ziel, das wir noch lange nicht erreicht haben, aus dem Betar einen solchen Organismus zu machen, der imstande sein soll, auf ein Zeichen seiner obersten Führung mit allen seinen 10 000en von Händen überall im gleichen Augenblick dieselbe den Judenstaat fordernde Handlung auszuführen. Unsere Gegner sagen, daß das eines freien Menschen unwürdig sei, daß es "Maschinen’ schaffe. Ich schlage vor, daß wir, ohne uns dessen zu schämen, mit Stolz antworten: ja, eine Maschine! Denn es ist das Höchste, was eine Masse freier Menschen erreichen kann, wenn sie fähig ist, gemeinsam und geschlossen mit der absoluten Präzision einer Maschine zu handeln. (20)
Damit wir uns nicht mißverstehen: Es geht hier keinesfalls darum, selbstgefällig auf jüdische Faschisten zu deuten. Nach dem ungeheuerlichen Untat, den die deutsche Kulturnation vor nur einer Generation hervorgebracht hat, gibt es dazu keinen Anlaß. Warum soll das jüdische Volk keine Extremisten hervorbringen? Und schließlich ist Jabotinsky seit 1940 tot, man hat sich von den Untaten seiner Gefolgsleute distanziert, die Terrorbanden ‘Lechi’ und ‘Irgun’, deren geistiger, wenn auch etwas ungewollter Vater er war, und die Untergrundtruppe der ‘Haganah’, deren Mitbegründer er war, sind in ZAHAL, der israelischen Armee aufgegangen. War denn etwa Jabotinsky die treibende Kraft, die hinter dem Aufbau des Staates Israel stand, und nicht vielmehr sein langjähriger politischer Gegenspieler Ben Gurion, und Chaim Weizmann, den die Revisionisten wie kaum einen anderen als zionistischen ‘Verräter’ an der Judenstaatsidee verschrien haben? Aber hier beginnt, wie ich es sehe, die wahre Tragödie. Das Schicksal hat das jüdische Volk ein weiteres Mal geschlagen. Wenn man den Nebelvorhang aus Idealismus, Opfergeist und Pioniertaten durchstößt, hat man den Blick frei für Befremdliches. Bar-Zohar schreibt über die politischen Gegner Jabotinsky und Ben Gunon (man muß das im Original nachlesen, die deutsche Übersetzung ist gekürzt):
Im Oktober 1934 treffen sich Ben Gurion und Jabotinsky in London. Zunächst ist das Klima eisig. Jabotinsky streckt Ben Gurion die Hand entgegen, aber dieser will das nicht bemerken. Nach mehreren Stunden Diskussion sieht man sie gemeinsam weggehen. "Warum haben Sie sich geweigert, mir die Hand zu geben?" Ben Gurion schmunzelt: "Ich wollte Sie nicht auf die Probe stellen". Diese beiden Männer, die sich von ganzem Herzen haßten, finden eine gemeinsame Sprache; und mehr noch – die alte Sympathie, die aus den glorreichen Tagen der Jüdischen Legion herrührt, steigt wieder hoch. Ben Gurion und Jabotinsky entdecken, daß sie sich in beinahe allen Punkten einigen können. Kann man vielleicht sogar an eine Fusion der beiden Parteien in Palästina denken? Jabotinsky stellt eine Bedingung: die Partei dürfe nicht MAPAI (die Initialen der Arbeiterpartei in Palästina) heißen, sondern MABAI (Partei der Erbauer Palästinas). Ben Gurion ist einverstanden. Aber er notiert in sein Tagebuch: "Das ist zu schön, um wahr zu sein!" Denn für Candide ist in der politischen Welt kein Platz. Jabotinsky und Ben Gurion, den Stimmungen in ihrer Anhängerschaft unterworfen, beziehen schon bald wieder ihre bisherigen Positionen. Revisionisten und Arbeiter werden wieder zu erbitterten Feinden. (21)
Über Weizmann hat sich Jabotinsky folgendermaßen geäußert:
Noch etwas deutlicher drückt sich N. M. Gelber in seiner Untersuchung über die Balfour-Erklärung aus. Jabotinsky habe "eine gütliche Trennung zwischen der Taktik von Cavour" (mit der er die von Weizmann meint) "und Garibaldi", nämlich seine eigene, ins Auge gefaßt, "die nach außen hin wie Uneinigkeit und Hader aussehen sollte, nach innen aber eine gemeinsame Aktivität entfalten müsse" (23). Man darf nicht glauben, daß diese Kulissenkumpanei allzu gut und allzu lange funktioniert hat. Beide Seiten hatten die Stimmung der Masse ihrer jeweiligen Anhänger viel zu wenig in der Hand. Aber es zeigt, wie wenig sich die zionistischen Kontrahenten in Wirklichkeit unterscheiden. In Israel ist das schon seit langem ein offenes Geheimnis. Die Tel Aviver Zeitung JEDIOTH CHADASHOTH schreibt zum Beispiel in einem Bericht über die Rede, die Ben Gurion zum 20. Jahrestag der Staatsgründung vor dem israelischen Parlament gehalten hat:
Die Jünger Jabotinskys waren ihm gram, daß er ihren Lehrer in seiner Rede nicht erwähnte, dem sie auch nach dem Tode treu ergeben sind. Spätere Generationen werden zu ihrem Erstaunen feststellen, wie groß die Ähnlichkeit zwischen Ben Gurion und Jabotinsky trotz aller Unterschiede im Weltanschaulichen war. (24)
Max Kreutzberger schreibt in der Einleitung zu seiner Sammlung von Schriften von Georg Landauer, der ein Leben lang gegen die Ideenwelt Jabotinskys angekämpft hat und schließlich resignierte:
Es gab im zionistischen Lager zwei Strömungen: die eine repräsentiert durch Jabotinsky, den Begründer der revisionistischen Partei, die die einzige Lösung des jüdisch-arabischen Problems in der mit Militär aufzurichtenden Machtposition der Juden sah. Es war für Jabotinsky nur folgerichtig, den Zionismus schließlich als Bewegung zu definieren, die "die Aufstellung einer jüdischen Armee erstrebt". Andere haben späterhin – den Vater der Idee vergessend oder verleugnend – die Formel geprägt: "Nur mit unserer Stärke (militärisch-machtpolitisch) werden die Araber sich versöhnen". Diese "Ideologie der Macht" hat die zionistische Bewegung immer nachhaltiger in ihren Bann gezogen, bis sie sie schließlich – von einer unbedeutenden Minderheit abgesehen – gänzlich eroberte. (25)
Und schließlich hier noch die triumphierende Beschreibung des gleichen Faktums in der schwülen Sprache der Nachfolger Jabotinskys, deren politischer Einfluß deutlich im Steigen ist:
Heute ist Jabotinsky, für dessen Lästerung, Verdammung, ja Exkommunikation Ben Gurion keinen Aufwand scheute, mehr als rehabilitiert. Auf ausdrücklichen Wunsch der israelischen Regierung wurden seine sterblichen Überreste aus den USA nach Israel überführt.
Jabotinsky hat 1964 in Jerusalem sein nachgeholtes Staatsbegräbnis bekommen. Irgun- und Lechi-Veteranen stehen Seite an Seite mit Haganah- und Zahal-Kämpfern Ehrenwache – in Anwesenheit des Staatspräsidenten. Es gibt kaum eine größere Stadt in Israel, die nicht eine Straße nach Jabotinsky benannt hätte. Der gelehrigste Jabotinsky-Adept, Menachem Begin, der sein Vorbild als "größten nationalen Führer des modernen Judentums nach Herzl" bezeichnet (27), ist im Kabinett vertreten. Und Zahal, die Blitzsieg-Armee, hat nicht nur die Männer und Waffen der Irgun und Lechi-Terroristen absorbiert, sondern auch deren Ideologie. Ich weiß nicht zu welchem Bruchteil. Aber ich weiß, daß der Geist Jabotinskys lebt. Ich habe immer mehr den Eindruck, daß da eine Gesellschaft von seelisch Kranken ein militaristisches Defizit, das sich in zweitausend Jahren Diaspora angesammelt hat, mit der reichlich schiefen Glorie von Siegen über arabische Analphabetenheere aufpäppeln will. Ich glaube, daß diese Texte auf eine Fährte führen, die nicht nur bis in die letztes Jahr neu "befreiten" Gebiete, sondern noch erheblich darüber hinaus weist. Eine Fährte, auf der Zahal, von einer rigorosen Zensur vor nahezu jedem unerwünschten Einblick geschützt, in selbstgefertigten, aus "Sicherheitsgründen" unerläßlichen Nebelschwaden vorausmarschiert in eine Richtung, die von den Zivilisten schon lange nur noch gelegentlich korrigierbar ist. Eine Fährte, die die israelischen Massen brav abtrotten, weil die Wegweiser mit der blutigen Hand von El-Fatach übertüncht werden. Wie lange noch werden die Israelis dieser Fährte blind folgen, bevor sie aufschauen und fragen: Wo sind wir – und wer hat uns hierher geführt?
Sehr geehrter Herr Zimmer, wir können, was die Interpretation der Texte betrifft, sehr verschiedener Meinung sein. Ich weiß, daß ein paar Zitate nicht ausreichen, um eine sehr komplexe Situation darzustellen. Die Gegenkräfte waren in Israel stets auch da, wenn sie in dieser Zusammenstellung auch unberücksichtigt blieben. Ich bin Naturwissenschaftler und bin mir der Fragwürdigkeit jedes politischen ‘Beweises’ sehr bewußt. Ich habe ein Jahr lang in Israel gelebt und habe selber die Versuchung gespürt, jene Betrachtungsweise anzunehmen, mit der einst Hemingway das frühe faschistische Italien sah: Mussolini habe es geschafft, daß in Italien endlich die Züge pünktlich fahren. Eines sollten Sie mir jedenfalls glauben: Die Texte sind authentisch. Ich besitze eine große Sammlung von Originaltexten von und über Jabotinsky, Irgun, Lechi, Haganah und Zahal, darunter eine Menge äußerst extreme Dinge. Daß man darüber in Deutschland öffentlich (noch) nicht sprechen kann, das weiß ich auch. Es wäre eine menschliche Unverschämtheit gegenüber den Opfern unserer unsäglichen Vergangenheit. Aber sollten wir nicht langsam aufhören, die arabischen Extremisten herauszustellen? Nehmen Sie irgendeine Monographie, in der die Vorgeschichte des Staates Israel behandelt wird, wie knapp auch immer: Geschichten über den fanatischen Mufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, mit seinen Verbindungen zu den Nazis und seinen faschistischen Methoden der Aufwiegelung, werden in kaum einem Fall fehlen. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um eine Monographie von israelischer, amerikanischer oder gar deutscher Hand handelt.
Daß Nasser eine faschistische Vergangenheit hat und gelegentlich als Spiegelbild Hitlers dienen muß, gehört ebenfalls ins Repertoire. Und es dürfte wenig Leute geben, die sich nicht an die Tiraden eines Schukeini erinnern. Auch in der ZEIT haben sie gestanden. Die perfide Methode, die Extremisten des Gegners mit den eigenen Pazifisten hochzuspielen, haben gewiß nicht die Israelis erfunden. Zum Politikum ersten Ranges, mit unübersehbaren Folgen, wird sie erst durch die vorbehaltlose Übernahme durch die halbe Welt. Das nahöstliche Konzert, so wie es die Israelis vorführen, und zu dem wir die Claqueure stellen, mit israelischen Schalmeien und arabischen Pauken, dieses Schaukonzert ist eine üble Inszenierung. Wenn ich hinhöre, ich höre immer nur Trommeln. Die kleinen arabischen und die große israelische.
Mit freundlichen Empfehlungen (gez. H. Spehl)
*******************
Dieter E. Zimmer an H. Spehl
Hamburg, 2. September 1968
Sehr geehrter Herr Dr. Spehl: Ich danke Ihnen vielmals für diesen ausführlichen Brief. Da ich in Israel Gelegenheit hatte, einige Irgun-Materialien zu studieren, verblüffen mich die zitierten Dokumente kaum: ich kann ihre Authentizität nicht bezweifeln. Leider sind wir hier in der Redaktion im Augenblick alle so mit den Vorgängen in der CSSR beschäftigt (*), daß mir einfach die Zeit fehlt, Ihnen anhand meiner freilich nur einmonatigen Israel-Erfahrung (zu der auch die Lektüre von nicht eingefärbten Darstellungen gehörte) so zu antworten, wie ich es möchte. Auch ich höre Trommeln, aber die arabischen nicht leiser als die israelischen; und ich kann es nicht beweisen, ich kann es nur aufgrund vieler Gespräche mit Bürgern des Landes vermuten: die israelischen würden bereitwillig in dem Maße leiser werden, in dem die auf der anderen Seite nachlassen.
Mit vielen freundlichen Empfehlungen (gez. Dieter E. Zimmer)
* Siehe dazu Anmerkung 31