Hintergrund. Schlaglichter auf 50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika. Teil I: Die Kontinuität des französischen Einflusses
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24.08.2010 / Thema / Seite 10
Gelockerte Fesseln
Hintergrund. Schlaglichter auf 50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika. Teil I: Die Kontinuität des französischen Einflusses
Von Werner Ruf
Zum 14. Juli 2010, dem französischen Nationalfeiertag, hatte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Staatschefs aus 14 afrikanischen Ländern – allesamt frühere französische Kolonien – eingeladen. Und alle kamen, meist in Begleitung ihrer Gattinnen, bis auf Laurent Gbagbo aus Côte d’Ivoire (Elfenbeinküste), wo Frankreich mit der Opération Licorne (Operation Einhorn) seit 2002 Akteur in einem Bürgerkrieg auf der Seite der Gegner Gbagbos ist. Doch auch seine Soldaten durften zum 50. Jahrestag der »Unabhängigkeit« ihrer »Republiken« gemeinsam mit denen der 13 anderen Staaten auf den Champs Elysées in Paradeuniform defilieren. Sarkozy – schwer angeschlagen durch eine massive Korruptionsaffäre und sonst eher wegen rassistischer Äußerungen bekannt (noch als Innenminister beabsichtigte er, die Pariser Vorstädte »mit dem Kärcher vom Pack« zu säubern, Ende Juli 2010 trat er mit der Forderung an die Öffentlichkeit, bei schweren Straftaten sollte französischen Bürgern mit Migrationshintergrund die Staatsangehörigkeit entzogen und ihre Ausweisung verfügt werden) – wollte sich im Glanz des »postkolonialen Frankreich« sonnen und versuchte, aus dem Spektakel ein französisches Ereignis zu machen: Die schwarzhäutige Folkloretruppe sollte die exotische Kulisse liefern und Dankbarkeit signalisieren für die gloriosen Taten Frankreichs während und nach der Kolonialzeit. Fragen darf man sich allerdings, ob die versammelten Diktatoren, Menschenrechts- und Kriegsverbrecher und ihre »Elitesoldaten« ein sinnvolles und passendes Dekor für den Jahrestag der Erstürmung der Bastille durch das Volk von Paris abgaben.
1960: das afrikanische Jahr
Nicht nur die französischen Kolonien Dahomé (heute Benin), Elfenbeinküste, Gabun, Kamerun, Kongo-Brazzaville, Madagaskar, Mali, Mauretanien, Niger, Obervolta (heute Burkina Faso), Senegal, Togo, Tschad und Zentralafrikanische Republik, sondern auch die ehemals britischen Gebiete Nigeria und Uganda wurden 1960 »in die Unabhängigkeit entlassen«, wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt. Ghana hatte als erstes schwarzafrikanische Land schon 1957 seine Unabhängigkeit erhalten. 1960 wurden noch der ehemals belgische Kongo, heute Demokratische Republik Kongo, und Somalia unabhängig. Insgesamt also 18 Staaten, die noch im selben Jahr in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Die Dekolonisation hatte offenbar weltweit Konjunktur – auch wenn der schlimmste Konflikt, der Unabhängigkeitskrieg in Algerien noch weitere zwei Jahre dauern sollte.
Die Aufnahme der 18 unabhängigen Staaten in die UNO blieb nicht ohne Folgen für die Abstimmungsverhältnisse in der Generalversammlung. Ihre Präsenz und ihre Stimmen waren ausschlaggebend dafür, daß das Prinzip der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien in der Resolution 1514 (14.12.1960) der Generalversammlung feierlich festgeschrieben wurde.
Zwei Grundsätze sollten dafür gelten: Erstens das Selbstbestimmungsrecht für alle fremd verwalteten Territorien: »Alle Völker haben das Recht der freien Selbstbestimmung. (…) sie bestimmen frei ihren politischen Status und verfolgen frei ihre ökonomische, soziale und kulturelle Entwicklung.« Und zweitens die Anerkennung der Integrität dieser Territorien: »In den noch unter Vormundschaft stehenden Territorien, in den nicht autonomen Territorien und in all den Territorien, die noch nicht zur Unabhängigkeit gelangt sind, werden unmittelbar Maßnahmen getroffen, um alle Gewalten an die Völker dieser Territorien zu übertragen (…), entsprechend ihrem Willen und ihren frei geäußerten Wünschen (…), um ihnen zu gestatten, völlige Unabhängigkeit und Freiheit zu genießen. (…) jeder Versuch, der darauf zielt, teilweise oder ganz die nationale Einheit und die territoriale Integrität eines Landes zu zerstören, ist unvereinbar mit den Zielen und den Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen.«
Damit war nicht nur das Recht auf Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien festgeschrieben, auch die Staatsgrenzen wurden für unantastbar erklärt, und zwar so, wie sie auf der Berliner Kongo-Konferenz 1884/85 von den Kolonialmächten mit Stift und Lineal gezogen worden waren – ohne Kenntnis und Rücksicht auf die in Afrika bestehenden politischen Formationen und Ethnien. Der Grundsatz der Unveränderbarkeit der aus der Kolonisation stammenden Grenzen wurde auch in der am 25. Mai 1963 gegründeten Organisation für Afrikanische Einheit (OAU)1 zum Prinzip erhoben: Eine Änderung dieser Grenzen wurde damals als ein Präjudiz betrachtet, das, einmal durchbrochen, einen Flächenbrand für ganz Afrika hätte einleiten können.
Die Resolution 1514 war 1960 ein wichtiges Signal und Ordnungselement für die noch immer unter kolonialer Verwaltung stehenden Gebiete wie Angola, Moçambique, Nordrhodesien (Sambia), Südrhodesien (Simbabwe), West-Sahara, vor allem aber Namibia und Südafrika, das formell keine Kolonie war, in dem aber aufgrund der rassistischen weißen Herrschaft die schwarze Mehrheit keine politischen Rechte besaß. Massiv unterstützt wurde die Resolution damals von den USA. Dies mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, entspricht jedoch der Freihandelslogik der Vereinigten Staaten: Die Kolonien waren eng an die »Mutterländer« gekoppelt, ihre Wirtschaft auf den metropolitanen Bedarf der Kolonialmacht ausgerichtet. Mit der Unabhängigkeit wurden ihre Märkte endlich auch den USA zugänglich.
Frankreichs ehemalige Kolonien
Für die ehemaligen Kolonien Frankreichs im Sahelgürtel hatte die fast großzügig konzedierte Unabhängigkeit gravierende Folgen: Frankreich schlug die gesamte Sahara, die bis dahin Teil der »Afrique Occidentale Française (AOF)« gewesen war, zu Algerien, das ja noch französisches Territorium war. Diese Grenzziehung, die bis heute Bestand hat, entzog den ehemaligen Kolonien Frankreichs im Sahelraum wichtige und ressourcenreiche Gebiete. Angesichts der Kritik der mehr »gemäßigten«, d.h. Frankreich ansonsten eher freundlich gesonnenen Führungen der Unabhängigkeitsbewegungen in diesen westafrikanischen Kolonien schlug Paris die Bildung einer gemeinsamen Organisation zur Nutzung der saharischen Ressourcen (Organisation Commune des Ressources Sahariennes, OCRS) vor, an der die Anrainerstaaten beteiligt werden sollten. Dabei ging es Frankreich letztlich um den alleinigen Zugriff auf die Ressourcen (vor allem Erdöl und Erdgas), aber auch um die Fortsetzung seiner Atomversuche im Raum von Reggane im heutigen Südalgerien.
Eine der vielen Ironien der Weltgeschichte ist es, daß die algerische Nationale Befreiungsfront (FLN), mit der Frankreich damals schon indirekt verhandelte, eine solche tendenzielle Internationalisierung der Sahara konsequent ablehnte, was eine Verlängerung des Krieges in Algerien um mindestens ein Jahr zur Folge hatte. Bezüglich der Atomversuche einigten sich jedoch Frankreich und die FLN darauf, daß diese noch fünf Jahre nach der Unabhängigkeit Algeriens mit katastrophalen Folgen für Menschen und Umwelt fortgesetzt werden konnten – ohne daß seitens der algerischen Führung auch nur ein Mindestschutz für die Bevölkerung ausgehandelt worden wäre. Erst 1967, fünf Jahre nach der algerischen Unabhängigkeit, verlegte Frankreich die Versuche nach Polynesien.
Die politischen Systeme, die aus dieser Dekolonisation der ehemaligen französischen Kolo nien hervorgingen, stellten (bis auf Guinea, s. .) kein Problem für die weitere wirtschaftliche und militärische Präsenz Frankreichs dar. Ohne auf die einzelnen Staaten hier im Detail eingehen zu können, ist festzustellen, daß im Gegensatz zu den Staaten des Maghreb (die Protektorate Marokko und Tunesien wurden 1956 formal unabhängig, Algerien schließlich 1962) kaum widerständig organisierte Kräfte oder Parteien vorhanden waren, allenfalls gab es in der Regel kleine und angesichts einer kaum vorhandenen Industrialisierung wenig effiziente Gewerkschaften. Die durch den Kolonialismus verursachte Unterentwicklung, das Zuschneiden der jeweiligen Produktion auf die Bedürfnisse des »Mutterlandes«, die selektive Bildungspolitik zugunsten bestimmter Gruppen, die gute Zusammenarbeit zwischen den Behörden der – doch so säkularen – französischen Republik mit dem französisch dominierten Missionsorden der Weißen Väter sorgten für eine Kontinuität frankophoner und frankophiler Eliten: Der französisch-afrikanische Dichterfürst und das spätere Mitglied der Académie Française Léopold Sedar Senghor wurde erster Staatspräsident des Senegal, Felix Houphouet Boigny, ein ehemaliger Häuptling, der sogar kurze Zeit als Minister in Paris diente, wurde Staatspräsident der Elfenbeinküste. Moktar Ould Daddah, erster Staatspräsident Mauretaniens, der immerhin eine Tochter von Charles de Gaulle heiratete, war der erste Mauretanier mit einem französischen Universitätsabschluß.
In den Medien war die Zentralafrikanische Republik zeitweilig recht präsent. Als Präsident wurde 1960 der Frankreich genehme David Dacko eingesetzt, der von seinem Cousin Jean-Bédel Bokassa (mit französischer Unterstützung) 1966 weggeputscht wurde. Bokassa hatte es in der französischen Armee zum Feldwebel gebracht, erhielt Kriegsauszeichnungen und wurde 1951 sogar zum Mitglied der Ehrenlegion ernannt. 1976 ließ er sich zum Kaiser Bokassa I. ausrufen, das Land wurde umbenannt in Zentralafrikanisches Kaiserreich. Besonders enge Beziehungen pflegte Bokassa zum damaligen französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing, dem er erhebliche Mengen an Diamanten geschenkt haben soll. Zugleich war das Kaiserreich wegen seiner Uranlieferungen für das französische Atomprogramm wichtig. Die Uranvorkommen brachten ihm auch die Unterstützung der USA ein. Das Regime Bokassas war von unbeschreiblicher Brutalität; Folter unter Teilnahme des Kaisers und Hinrichtungen waren an der Tagesordnung. Zahlreiche Aussagen verweisen auf kannibalische Praktiken des Tyrannen. Dafür wurde er, nachdem sein Cousin Dacko (wohl abermals unter Mithilfe Frankreichs) 1980 erfolgreich gegen ihn geputscht hatte, in der Hauptstadt Ouagadougou in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Sein Exil verbrachte er in einem von Frankreich bereitgestellten Schloß an der Loire.
Das einzige Land aus der französischen Kolonialmasse, in dem der Versuch gemacht wurde, eine autarke Entwicklung in Gang zu setzen, ist Obervolta, seit 1984 Burkina Faso. Unter der Herrschaft von Thomas Sankara, der sich als Hauptmann der Armee 1983 an die Macht geputscht hatte, erlebte es einen einzigartigen Prozeß: Zusammen mit dem damaligen Präsidenten Jerry Rawlings von Ghana versuchte Sankara, ein planwirtschaftliches Entwicklungsprogramm in Gang zu setzen, das sich am kubanischen Modell orientierte. Geradezu legendär ist sein Kampf für ländliche Entwicklung, für Frauenemanzipation, gegen Hunger und Korruption sowie gegen Umweltzerstörung, Frauenbeschneidung und Polygamie. Durch Förderung der Rückkehr zum traditionellen Hirseanbau gelang es, kurzzeitig die eigene Bevölkerung aus heimischer Produktion zu ernähren. Auf ihn geht die Umbenennung des Landesnamens in Burkina Faso (Land der Unbestechlichen) zurück. Sankara war der einzige Politiker in der ehemaligen AOF, der radikal mit dem Kolonialismus brach. Am 15. Oktober 1987 wurde er von Blaise Campaore durch einen Militärputsch gestürzt und getötet. Viele Indizien deuten darauf hin, daß auch an diesem Staatsstreich die französischen Geheimdienste beteiligt waren. Sankara ist in Afrika bis heute ein Mythos.
Ein Sonderfall im ehemaligen französischen Kolonialreich in Afrika ist Guinea, das schon 1958 unabhängig wurde. Unter der Führung von Ahmed Sekou Touré, der seine politische Sozialisation in der Konföderation der Arbeiter Guineas, der guineischen Abteilung des französischen Gewerkschaftsbundes CGT erfahren hatte. Als Mitbegründer des Rassemblement Démocratique Africains (RDA, Afrikanischer Demokratischer Zusammenschluß) vertrat er das Land 1956 in der französischen Nationalversammmlung. Präsident Charles de Gaulle hatte 1958, also unmittelbar nach seiner erneuten Machtübernahme in der Folge des Putsches der französischen Armee in Algerien am 13. Mai 1958, das Konzept einer »französischen Gemeinschaft« entworfen, der auch alle Kolo nien angehören sollten. Das Volk Guineas war das einzige, das diesem Gesetz nicht zustimmte und somit schon 1958 unabhängig wurde. Sekou Touré wurde zum ersten Präsidenten des Landes gewählt. Frankreich zog sich völlig aus Guinea zurück, eine starke Anlehnung an die Sowjetunion war die Folge. Trotz sozialistischer Rhetorik verkam das Land zu einer repressiven Diktatur, auch planwirtschaftliche Experimente führten eher zum Niedergang der Landwirtschaft als daß sie Fortschritte gebracht hätten. 1984 putschte das Militär, weitere Staatsstreiche folgten – Guinea scheint zurück zu sein in der afrikanischen »Normalität«.
Auf die Vorstellung weiterer Fälle soll hier verzichtet werden. Festzuhalten bleibt, daß Frankreich mit allen 1960 unabhängig gewordenen Staaten Militärabkommen geschlossen hat und in fast allen Garnisonen unterhält, die immer wieder an der Stabilisierung oder Destabilisierung der Regierungen beteiligt sind. Die Ausbildung afrikanischer Offiziere erfolgt noch immer vorzugsweise an französischen Militärakademien: Dies sichert die Kontinuität des französischen Einflusses an die Machtstrukturen in den ehemaligen Kolonien. Damit entpuppen sich die »Unabhängigkeiten« als neokoloniale Folgeunternehmen, die für die Kolonialmacht rentabler sind als der Kolonialismus, müssen doch die Ordnungs-, sprich Repressionsinstrumente nun aus dem Budget der Länder selbst finanziert werden. Dies entlastet nicht nur den Haushalt des »Mutterlandes«, es sorgt zugleich für Aufträge für die französischen Rüstungsindustrie.
La Françafrique
Dieses Unwort entstand aus der Kontraktion von »France« und »Afrique. Der Begriff bezeichnet bisweilen das frankophone Afrika, er steht aber auch für eine Besonderheit des postkolonialen französischen Systems und meint ein Geflecht von Kapitalinteressen und Spitzenpolitikern, in dessen Zentrum der französische Erdölkonzern Elf und eine Vielzahl von Skandalen stehen. Auch hier ist das Jahr 1960 von Bedeutung: Mit der Unabhängigkeit der afrikanischen Kolo nien und der sich abzeichnenden Unabhängigkeit Algeriens rückte die Autonomie der Energieversorgung Frankreichs ins Zentrum des politischen Interesses, da die Verfügungsgewalt über die energetischen Ressourcen in Algerien und den an die Sahara grenzenden Sahelstaaten nicht mehr gesichert erschien. Parallel zur »Entlassung der afrikanischen Staaten in die Unabhängigkeit« wurde entsprechend einer Anweisung von Staatspräsident de Gaulle Elf-Erap geschaffen, in der mehrere Energieunternehmen in einer nationalen Erdölgesellschaft zusammengefügt wurden, deren Hauptaufgabe die Sicherung der Erdölvorkommen im Golf von Guinea und den ehemaligen Kolonien der AOF war. Es ging und geht bis heute um die Aufrechterhaltung der Dominanz Frankreichs in Afrika mit der Hilfe afrikanischer Alliierter und um die Schaffung einer nationalen Energieversorgung, die nicht unter fremder, also US-amerikanischer Kontrolle stehen soll. Ein weiterer Vorteil: Dieses Öl, das einen Großteil der Versorgung Frankreichs sichert, wird nicht in US-Dollar fakturiert. Und das Öl begann zu sprudeln in Tschad und vor den Küsten von Gabun, Elfenbeinküste, Kamerun und Kongo.
Das System der Françafrique ist perfekt: Die afrikanischen Potentaten und ihre engsten Mitarbeiter kümmern sich nicht darum, wieviel Öl auf ihrem Territorium oder in ihren Hoheitsgewässern gefördert wird: Elf bezahlt keine Gebühren oder Förderanteile an die Staaten, sondern transferiert Pauschalen direkt an die Potentaten und ihre Helfershelfer bzw. auf deren Schweizer Nummernkonten. Vieles deutet darauf hin, daß der französische Atomkonzern Areva bei der Uranförderung in Niger und in der Zentralafrikanischen Republik nach demselben Muster verfährt.
Elf und sein Geschäftsgebaren sind eng verbunden mit Pierre Guillaumat (1901–1991), Sohn eines Generals, von de Gaulle 1944 zum Direktor der Energiebehörde berufen. Als Direktor des Staatskonzerns Electricité de France (1954–1959) war er maßgeblich an der Entwicklung der französischen Atombombe beteiligt. Nach Schaffung der 5. Republik 1958 berief ihn de Gaulle zum Minister für Atomenergie. Er war zugleich der erste Generaldirektor von Elf-Erap, die sich nach verschiedenen Fusionen 1976 in Elf Aquitaine bzw. kurz Elf umbenannte. Guillaumat selbst stammt aus dem Geheimdienstmilieu, das de Gaulle während des Zweiten Weltkrieges aufgebaut hatte. Die Schlüsselfiguren des Konzerns rekrutierte er unter den Vertrauten aus dieser Zeit.
Wichtigster Partner von Guillaumat war Jacques Foccart, gleichfalls ein Mann aus dem Geheimdienstmilieu de Gaulles in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. In den 1960er und 70er Jahren hielt »Monsieur l’Afrique«, wie er genannt wurde, alle Fäden der französischen Afrikapolitik in seiner Hand. Er galt als Freund des kongolesischen Präsidenten Mobutu Sese Seko, dessen Herrschaft der Entwicklungssoziologie den Begriff der Kleptokratie beschert hat. Foccart war verwickelt in die von Frankreich unterstützte Sezession in Biafra, in Waffenlieferungen an die ersten Kongo-Söldner wie Bob Denard, möglicherweise hatte er auch seine Hand im Spiel bei der Entführung des marokkanischen Linksoppositionellen Mehdi Ben Barka 1965.
Die Macht des Konzerns führte dazu, daß Elf geradezu zum Königsmacher in den Staaten der ehemaligen AOF wurde: Mit Hilfe Frankreichs wurde 1967 Omar Bongo als Präsident von Gabun installiert. Elf unterstützte Denis Sassou Nguesso, Präsident von Kongo-Brazzaville, der Präsident von Kamerun, Paul Biya, gilt als Statthalter von Elf. Ebenso wie die offizielle Politik Frankreichs spielt Elf auch eine Rolle bei den Wirren in Tschad, wo es in den 80er Jahren zu militärischen Auseinandersetzungen mit Libyen kam. Das Erdöl des Tschad wird zu großen Teilen mittels einer Pipeline über Kamerun an den Golf von Guinea gepumpt. Um Einfluß auf das ölreiche Land kämpfen derzeit weiterhin Frankreich, China und die USA. Für letztere spielt das Land im Rahmen des Aufbaus des neuen US-Oberkommandos für Afrika, AFRICOM, eine zentrale Rolle. Frankreich unterstützt militärisch den regierenden Diktator Déby und hat von 2007 bis 2009 eine europäische Interventionstruppe EUFOR mit Mandat des UN-Sicherheitsrats in den Tschad entsandt, an der unter französischer Führung 18 EU-Mitgliedsstaaten beteiligt waren.
Das System der Françafrique ist trotz zahlreicher Skandale, Verwicklungen in kriminelle Praktiken, illegale Waffengeschäfte etc. bis heute offenbar unverzichtbarer Teil der französischen Afrika-Politik, ja es scheint geradezu Teil einer französischen Staatsräson zu sein, die unabhängig von parteipolitischen Richtungen ist. Eine wichtige Rolle in diesem System spielte auch Jean-Christophe Mitterrand, Sohn des Staatspräsidenten François Mitterrand, der in zahlreiche Waffengeschäfte verwickelt war und dabei mit dem gaullistischen Rechtsaußen und früheren Innenminister Charles Pasqua zusammenarbeitete. Beide wurden inzwischen wegen eines kriminellen Waffenhandels mit Angola verurteilt.
1 Die OAU, die schließlich 53 Mitgliedsstaaten zählte, bestand bis 2002, sie wurde von der Afrikanischen Union (AU) abgelöst.
Werner Ruf ist emeritierter Professor für Internationale Politik an der Universität Kassel