Hologramm gegen Mundraub
Hologramm gegen Mundraub
Jobcenter im hessischen Waldeck-Frankenberg sichert Lebensmittelgutscheine gegen Fälschung, in Eschwege sind Studenten wegen »Containerns« angeklagt
Von Susan Bonath Die Sozialpolitik in Deutschland treibt krude Blüten. Damit sanktionierte Bezieher von Grundsicherung (Hartz IV) nicht unerlaubt mehr essen, als ihnen zugestanden wird, hat sich das Jobcenter im nordhessischen Waldeck-Frankenberg etwas ganz Besonderes einfallen lassen: fälschungssichere Lebensmittelgutscheine. Dafür will die Behörde die »Essenskarten« ab sofort mit einem 3-D-Hologramm versehen, wie Geschäftsführer Reinhold Lohmar der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen am Wochenende sagte. Der Behördenchef beruft sich unter anderem auf einen aktuellen Fall. So war im November ein Erwerbsloser aus dem Frankenberger Land zu einer Haftstrafe von 21 Monaten verurteilt worden, weil er Gutscheine am Computer gefälscht und damit »eingekauft hatte«. Allerdings sei, betonte Lohmar, »dieser Einzelfall nicht der Hauptgrund für die Sicherheitsvorkehrungen« gewesen. In erster Linie wolle er verhindern, daß Bedürftige, die auf die Gutscheine angewiesen sind, nicht unter Generalverdacht gestellt werden könnten. Außerdem würden so die Lebensmittelketten vor Betrug geschützt. Lohmar räumte ein, sich mit anderen Jobcentern ausgetauscht zu haben, um »das fälschungssichere System« zu entwickeln.Lebensmittelgutscheine können Bezieher von Arbeitslosengeld II bei ihrem Sachbearbeiter im Jobcenter beantragen, wenn dieser ihnen zuvor wegen eines »Vergehens« die Leistung um mindestens 30 Prozent gekürzt hat. Der monatliche Regelsatz für Alleinstehende beträgt seit Januar 391 Euro, zuzüglich der »angemessenen« Wohnkosten. Darin sind 138,83 Euro für Lebensmittel enthalten, die, je nach Höhe der Sanktion, als »Essensmarken« ausgereicht werden können. Allerdings war Mitte Januar bekannt geworden, daß viele Supermärkte die Gutscheine nicht annehmen und dies auch nicht müßten. Jobcenter kürzen in der Regel für einen Zeitraum von drei Monaten. Über 25jährige müssen bei einem versäumten Termin mit zehn Prozent, bei einem ausgeschlagenen Maßnahmen- oder Jobangebot mit 30 Prozent Abzug rechnen. Wird die »Mitwirkungspflicht« ein zweites Mal verletzt, wird aufgerechnet. Jungen Leistungsbeziehern unter 25 Jahren können die Behörden sofort den kompletten Regelsatz streichen; beim zweiten Verstoß fällt auch der Mietzuschuß weg, und Krankenversicherungsschutz besteht nur noch für »akute Notfälle«. Im Jahr 2011 verhängten Jobcenter bundesweit rund 10400 Totalsanktionen.
»Nur wer arbeitet, soll auch essen« – die Idee, die 2006 der damalige SPD-Vizekanzler Franz Müntefering äußerte, erlangt auch in einem anderen Fall Bedeutung: Am 20. Februar will das Amtsgericht Eschwege in Nordhessen einen Prozeß gegen drei Studenten fortsetzen. Sie sollen »containert«, also weggeworfene Lebensmittel eines Tegut-Marktes in Witzenhausen zum Verzehr mitgenommen haben. Die Angeklagten waren im vergangenen Juni in eine Verkehrskontrolle geraten. Die Polizei hatte dabei abgelaufene Lebenmittel von Tegut in ihrem Auto entdeckt, die sie aus Containern vom Hof des Marktes entwendet haben sollen. Dafür sollten die Studenten per Strafbefehl zu je 4500 Euro Geldstrafe oder drei Monaten Gefängnis verurteilt werden – wegen Diebstahls in besonders schwerem Fall. Weil die Angeklagten Einspruch eingelegt hatten, wurde der Prozeß am 4. Februar aufgerollt. Eigentlich sollte es an diesem Tag auch zu einem Urteil kommen. Jedoch tauchten Zweifel an der Behauptung des Marktes auf, er habe das Essen ursprünglich für eine örtliche Tafel vorgesehen, die mehrere 100 Menschen in Witzenhausen versorgt. Lebensmittel mit überschrittener Mindesthaltbarkeit seien für diese Einrichtungen gar nicht zugelassen, hieß es. Ursprünglich hatte der Markt Anzeige erstattet, diese aber kurz vor Beginn des Prozesses wieder zurückgezogen. Die Staatsanwaltschaft will die mutmaßlichen »Diebe« aber weiterverfolgen, wegen »besonderen öffentlichen Interesses«.
Die Angeklagten und ihre Unterstützer wehren sich gegen den Vorwurf des besonders schweren Diebstahls, bekennen sich aber zum Prinzip des Containerns. In ihrem Internetblog prangern sie an, daß weltweit etwa ein Drittel aller Lebensmittel im Müll landete. Diese Verschwendung halte die Preise künstlich hoch und sei angesichts des weltweiten Hungers nicht tolerierbar.