»Ich nenne die Gerichte meist Urteilsfabriken«
»Ich nenne die Gerichte meist Urteilsfabriken«
Sie stehen vor Gericht, weil sie Bus und Bahn fahren, ohne dafür zu bezahlen, und könnten deswegen demnächst sogar ins Gefängnis wandern – als verurteilter Schwarzfahrer. Warum glauben Sie, dass es nicht so kommt?
Der Paragraph 265a Strafgesetzbuch zur Leistungserschleichung, übrigens ein alter Nazi-Text, stellt die Täuschung unter Strafe, das offen gezeigte Schwarzfahren aber nicht. Ich habe immer ein auffälliges Schild am Körper, auf dem steht, dass ich ohne Fahrschein unterwegs bin, mit politischer Begründung und Werbung fürs Freifahren.
Die Rechtsprechung teilt nicht Ihre Sicht der Dinge. Gerade erst wurde ein »Schwarzfahrer mit Hinweisschild« vom Amtsgericht im bayerischen Starnberg zu einer Geldstrafe von 500 Euro verdonnert.
Ja, das ist typisch für viele Richterinnen und Richter. Die bemühen sich nicht um spezielle Rechtsfragen. Beim ersten Prozesstermin in Starnberg hatte die Richterin von der Kennzeichnungsfrage noch nie etwas gehört und den Angeklagten immer angemotzt, er solle das Gerede vom Hinweisschild sein lassen. Erst die Pressetexte im Vorfeld der Wiederholung führten dazu, dass sie sich informierte – und dann eine ganz neue Ausrede fand, um ihn doch noch verurteilen zu können.
Welche war das?
Laut Urteil hätte sich der Beklagte vor dem Einsteigen direkt an den Lokführer oder einen Schaffner wenden müssen. Wir haben solche Tricks erwartet. Richter halten sich selten an Gesetze, obwohl die Rechtslage eigentlich klar ist: Gesetzestext, Kommentare und Urteile höherer Gerichte sind fast alle unserer Rechtsauffassung. Meist wissen aber nur wir das im Gerichtssaal. Die Robenträger geben sich in diesen Urteilsfabriken, wie ich die Gerichte meist nenne, keine Mühe.
Der Focus schrieb im Fall Starnberg von einem »dreisten Schwarzfahrer«, der mit seinem Treiben der Allgemeinheit schade. Was halten Sie dagegen?
Völliger Unsinn. Warum es dreist sein soll, sich ans Gesetz zu halten, verstehe ich gar nicht. Denn das Hinweisschild macht das Schwarzfahren ja gerade ehrlich und legal. Und wo der Schaden für andere ist, weiß ich auch nicht. Niemand muss mehr Geld bezahlen, wenn ich ohne Fahrkarte einsteige. Was alle aber mitbezahlen müssen, sind die Kontrolleure und alles andere, was mit dem Fahrkartenwesen zusammenhängt. Rund ein Fünftel des bezahlten Fahrpreises geht dafür drauf. Hinzu kommen Steuern für Gerichtsverfahren und die vielen Haftstrafen, die Schwarzfahrer absitzen müssen.
Und für diese Überzeugung gehen auch Sie zur Not ins Gefängnis?
Zur Not ja. Aber das wird dann Teil unseres Bemühens sein, diesen Blödsinn öffentlich zu machen. Alle reden über leere Kassen, überlastete Gerichte oder überfüllte Knäste – und verknacken dann selbst Menschen, die sich extra Mühe gegeben haben, sich nicht strafbar zu machen. Das ist Verfolgungswahn – und zwar nicht im Interesse der Allgemeinheit, sondern der Konzerne. Allerdings hoffe ich, dass es anders kommt. Die Entscheidung fällt erst auf den höheren Gerichtsebenen, dort geht es mehr um Rechtsfragen. Oder vor dem Verfassungsgericht.
Angenommen, Sie bekommen am Ende recht. Dann wird das Gesetz früher oder später einfach geändert.
Genau, das wollen wir ja auch: Paragraph 265a ganz abschaffen. Wenn Schwarzfahren ohne Kennzeichnung legal würde und viele das tun, käme mehr in Bewegung – hoffentlich in Richtung eines fahrkartenlosen Nahverkehrs. Damit alle mobil sein können. Fahrkarten sind doch bereits aus sozialer Sicht widerlich: Alle zahlen gleich viel, obwohl sie unterschiedlich viel Geld haben. Wir hoffen auf gemeinsame Aktionen mit denen, die für gleiche Ziele kämpfen. Unsere Aktionen und Prozesse sind ein Beitrag dazu.
Und bis dahin fahren Sie weiter gratis …
Ja, aber noch besser. Ich werde mein Schild so verändern, wie es in meinem Urteil steht, dass es reichen würde. Würde ich dann wieder verurteilt, wäre bewiesen, dass Strafen nicht logisch ist, sondern eine Sache von Herrschafts- und Kapitalinteressen. Aber die Gerichte werden schon zeigen, dass sie für Profitinteressen zu jeder Rechtsbeugung willig sind.
Infos im Internet: www.schwarzstrafen.de.vu