Inszenierter Terror in Schweden, Advent 2010
Anschlag in Stockholm: Terror im Advent – Nachrichten Print –
Die WELT KOMPAKT
13. Dezember 2010, 12:47 Uhr
Terror im Advent
Die Bomben in Stockholm treffen eine Einwanderungsgesellschaft, die immer an Deeskalation und Verständigung geglaubt hatte.
Islamistischer Terror fordert die liberale Politik in Schweden heraus. Zeit und Platz hätten kaum besser gewählt sein können, um in Stockholm ein verheerendes Blutbad anzurichten. Stockholm Innenstadt, am Nachmittag des vorletzten Samstag vor Weihnachten. Knapp zwei Wochen vor den Festtagen ist der Kaufrausch ist dem Höhepunkt nahe, Heerscharen von Menschen strömen über die Haupteinkaufsstraßen. Eine davon ist Drottninggatan, die Königinnenstraße hieße sie auf Deutsch. Am Tag zuvor waren im Konzerthaus in der Nähe die Nobelpreise übergeben worden. Die Wirtschaftskrise verlief in dem nordischen Land recht glimpflich, entsprechend voll sind Straßen und Geschäfte. Auch die Terrorangst scheint so abstrakt, dass der Einkaufsrummel lebendig ist wie stets zu dieser Jahreszeit. Doch um 16.49 Uhr geht ganz nah am Trubel ein Audi 80 Avant in Flammen auf und explodiert dann, zwei Passanten werden leicht verletzt. Ein paar Minuten später, gegen 17 Uhr, eine weitere Explosion. Rund 300 Meter südlich vom Autobrand hat der zweite laute Knall seinen Ursprung, in einer Seitenstraße der Drottninggatan. Und nun wird klar, was hier im Gang ist: Ein Mann hat sich in die Luft sprengt. Ein Selbstmordattentat, mitten in der schwedischen Hauptstadt.
Der Attentäter liegt leblos auf dem verschneiten Boden. Offensichtlich wollte er so viele Menschen wie möglich mit sich reißen. Seine Sprengsätze sind mit mehreren Kilo Nägeln ergänzt, die mit der Wucht der Druckwelle Passanten in weitem Umkreis der Explosion getroffen hätten. Doch glücklicherweise kam außer dem Attentäter niemand ums Leben. Vermutlich war es Zufall, dass die Zündung erfolgte, bevor der Mann mitten auf der Drottninggatan oder der nahen U-Bahnstation ankam. Gescheitert war er auch daran, den gesamten Sprenggürtel zu entzünden, nur eine der Bomben ging in die Luft. Wie vor einigen Jahren bei den so genannten Kofferbombern in Köln, verhinderte wohl Zufall und das technische Unwissen der Attentäter das Schlimmste.
Das Land ist geschockt. Ausgerechnet im friedlichen, sozialdemokratisch geprägten Schweden kommt kurz vor Weihnachten 2010 islamistischer Terror an. Denn die Behörden gehen davon aus, dass die Attacken politisch-religiös motiviert waren. “Es ist extrem beunruhigend, dass der Terror sich nun wahllos gegen zivile Menschen in Schweden richtet. Das ist ein Trendbruch”, sagt Terrorexperte Magnus Ranstorp von der Militärhochschule in Stockholm. Kurz vor den Explosionen war eine E-Mail bei der Sicherheitspolizei Säpo und der Nachrichtenagentur TT eingegangen, in der zu Anschlägen in Schweden und Europa aufgerufen wurde. Doch noch ist nicht bestätigt, dass es einen Zusammenhang zu den Ereignissen vom Samstag gibt. Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt warnte vor vorschnellen Schlussfolgerungen und davor, die Freiheitsrechte in der offenen Gesellschaft zu sehr einzuschränken.
In Schweden setzt die liberal-konservative Regierung auf beschwichtigende Rhetorik und ist um Verständigung bemüht: Ja, es gebe Probleme bei der Integration von Ausländern, aber daran sei eher die Gesellschaft schuld als die Einwanderer. “Menschen aus anderen Ländern haben es schwer, in den Arbeitsmarkt zu kommen, die Sprache zu lernen. Manchen mangelt es an Ausbildung, andere haben eine gute Ausbildung, Diskriminierung erschwert ihnen aber den Einstieg in den Arbeitsmarkt”, so Reinfeldt kürzlich in einem Interview. Anders als seine Kollegen in anderen europäischen Ländern ist er zögerlich, die Anforderungen für Einwanderer zu erhöhen.
Doch in der Einwanderungsgesellschaft Schweden hat es in den letzten Jahren vermehrt Probleme gegeben, Ausländer wurden verfolgt, Autos in Brand gesteckt. Bei dem Besitzer des explodierten Autos soll es sich der schwedischen Zeitung “Expressen” zufolge um einen 28-Jährigen Iraker handeln, der in Schweden in einem kleineren Ort gelebt hat. Auf seiner Seite im sozialen Netzwerkes Facebook habe der Mann extremistische Propaganda verbreitet. Er soll 1992 als Kind aus dem Irak nach Schweden gekommen sein und in England studiert haben. Wenn er wirklich die Taten begangen hat, dann wäre die Attacke ein Fall “home grown terrorism”, also von einem im Lande Aufgewachsenen ausgeführt worden. Als besonders gefährlich gelten diese Attentäter, weil sie zumindest ansatzweise in die Gesellschaft integriert sind, die sie bekämpfen und sich aufgrund Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltserlaubnis relativ frei bewegen können.
“An Schweden und das schwedische Volk” so war die anonyme Mail überschrieben, die den Attentaten voranging. “Nun sollen eure Kinder, Töchter und Schwestern sterben wie unsere Brüder und Schwestern und Kinder sterben”, heißt es in dem Text, der nicht nur die schwedische Präsenz in Afghanistan als Grund für Angriffe angibt, sondern auch “das Schweigen des schwedischen Volkes zu den Gemälden von Lars Vilks”. Der schwedische Künstler Vilks hatte im Jahr 2007 den islamischen Propheten satirisch als Kreisverkehrfigur dargestellt. Von vielen Muslimen war diese Darstellung des Propheten als gezielte Herabwürdigung empfunden worden, die geforderte Entschuldigung von Vilks, der seither mehrfach tätlich angegriffen worden ist, blieb aus. Auf seinem Internetblog wurde er in einigen Beiträgen für die Explosionen in Stockholm verantwortlich gemacht. Ministerpräsident Reinfeldt will keine Macht an Terroristen abgeben. “Schweden ist eine offene Gesellschaft, in der Menschen einen unterschiedlichen Hintergrund haben können sollen”, sagte er gestern. In den kommenden Tagen wird er zeigen müssen, wie das geht in Zeiten der Angst.