Interview mit Yanis Varoufakis: Bittere Bilanz
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Interview mit Yanis Varoufakis: Bittere Bilanz
Von Miltiadis Oulios
Kein Grieche hat in diesem Jahr die Gemüter in Deutschland so erregt wie Yanis Varoufakis. Die einen bewundern ihn, die anderen regen sich über ihn auf. Als griechischer Finanzminister ist Varoufakis zurückgetreten. Aber als Buchautor und Vortragsredner ist der Ökonomie-Professor weiterhin unterwegs – auch in Deutschland. Im Gespräch mit Funkhaus-Europa-Moderator Miltiadis Oulios zieht er eine bittere Bilanz seiner Zeit in der griechischen Regierung.
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Funkhaus Europa: Herr Varoufakis, in Deutschland sagen viele Menschen immer noch: “Warum sollen wir als deutsche Steuerzahler für Griechenlands Schulden aufkommen, wenn die reichen Griechen ihre Steuern nicht korrekt bezahlen?” Warum haben sie als griechischer Finanzminister nicht zuerst die griechischen Eliten zur Kasse gebeten, statt mit den europäischen Partnern über Schuldenerleichterungen zu diskutieren?
Yanis Varoufakis: Das ist das erste, was ich getan habe. Gleich ab der ersten Woche habe ich damit begonnen, zu versuchen, die gutverdienenden Steuersünder zu belangen. Mit dem neuen Leiter der Steuerfahndungsbehörde Panajiotis Danis, den ich auserwählt hatte, haben wir angefangen, ein internet-gestütztes Fahndungssystem aufzubauen. Damit wollten wir all jene erfassen, die Banküberweisungen tätigen, welche nicht mit ihren Steuererklärungen zusammen passen. Unser Ziel war es, auf diesem Wege über eine halbe Million Steuersünder der oberen Einkommensgruppen ausfindig zu machen. Innerhalb eines Jahres wollten wir damit fertig sein.
Ich muss ihnen sagen und das ist wirklich schockierend, nachdem ich als Minister zurückgetreten war, lautete eine der Forderungen der Troika, diese Steuerfahndungsbehörde aufzulösen. Ich glaube, das sagt schon alles aus. Der beste Freund der Steuerhinterzieher unter den griechischen Besserverdienenden ist die Troika und das ist etwas, was die deutschen Steuerzahler wissen sollten.
Funkhaus Europa: Was ist aber mit dem Schwarzgeld von Griechen auf Schweizer Konten? Die Schweiz hat ihnen die Zusammenarbeit angeboten. Warum ist das nicht vorangekommen?
Yanis Varoufakis: Wir wollten Informationen dazu haben, welche Griechen wie viel Geld in der Schweiz angelegt haben, um zu sehen, ob diese Gelder in Griechenland auch angegeben wurden. Da waren die Schweizer aber absolut eindeutig, dass sie diese Daten nicht rausrücken. Wir konnten nur Informationen erhalten, wenn wir wussten, wer wie viel auf welchem Konto in welcher Schweizer Bank angelegt hat. Aber wenn wir all diese Daten hätten, dann bräuchten wir auch nicht so sehr die Unterstützung der Schweizer Behörden.
Die Schweizer haben uns vorgeschlagen, eine Amnestie für all jene zu gewähren, die unversteuertes Geld in der Schweiz haben. Das habe ich auch akzeptiert, weil es wenigstens etwas ist. Wir sollten diesen Steuersündern anbieten, zehn bis 15 Prozent Steuern zu zahlen, wenn sie sich freiwillig melden, um ihre Verpflichtungen gegenüber Griechenland zu begleichen. Es bleibt aber ein Problem sozialer Gerechtigkeit. Denn ein Grieche, der unversteuertes Geld in Griechenland hat, bezahlt in solchen Fällen 40 Prozent Steuern. Die Schweizer wollten aber auf keinen Fall akzeptieren, dass wir höhere Abgeltungssteuern verlangen. (Am Ende haben sich beide Regierungen auf 21 Prozent Abgeltungssteuer geeinigt. Anmerkung der Redaktion)
Es ist aber falsch, wenn immer wieder behauptet wird, wir hätten uns nicht um die Bekämpfung der Steuerhinterziehung bemüht. Das sind Versuche, die in manchen deutschen Medien unternommen werden, um meine Arbeit als Finanzminister schlecht zu reden.
Funkhaus Europa: Ihr Buch, das kürzlich auch auf Deutsch erschienen ist, trägt den Titel “Time For Change. Wie ich meiner Tochter die Wirtschaft erkläre”. Was soll ich meinen Kinder sagen, wenn sie verstehen sollen, was zwischen Griechenland, Deutschland und der EU im Jahr 2015 passiert ist?
Yanis Varoufakis: Wir haben eine gemeinsame Währung geschaffen, die aber auf brüchigen Fundamenten fußt. Fundamente, die den großen Erschütterungen in der Finanzwelt und der globalen Wirtschaft von 2008 bis 2010 nicht standhalten konnten. Wie ein Haus, das keine festen Fundamente besitzt, Risse bekommt und einzustürzen droht. Und die brüchigste Wohneinheit in diesem Haus ist die, die als erste in Mitleidenschaft gezogen wird. Und das ist Griechenland.
Leider weigert sich Europa seit fünf Jahren, diese Fundamente zu verbessern, weil sich Deutschland und Frankreich dabei nicht einig werden können, was zu tun ist. In der Zwischenzeit leidet Griechenland. Und Griechenland zerfällt. Wir wurden gewählt mit dem Auftrag, die Bedingungen einer toxischen Schuldenvereinbarung neu zu verhandeln. Und sie haben diesen Versuch erstickt, weil Berlin und Paris selbst noch nicht bereit waren, zu entscheiden, was sie selbst tun müssen, um die Architektur der Eurozone zu verbessern. Griechenland ist bloß eine Schachbrettfigur, die im Rahmen eines Spiels der Mächtigen geopfert wird.
Funkhaus Europa: Wie sieht es heute aus? Nach all dem, was passiert ist, sind sie immer noch für den Euro oder dagegen?
Yanis Varoufakis: Das ist die interessante Frage, aber wir müssen sehr vorsichtig sein, wie wir sie beantworten. Wenn Sie mich 1999 gefragt hätten, “sollten wir in die gemeinsame Währung einsteigen?” wäre die Antwort, wie ich sie auch damals schon gegeben habe: “Nein.” Aber ab dem Moment, wo du im Euro bist, ändern sich die Dinge. Es ist nicht einfach, auszutreten. Der Pfad, den wir beschritten haben, um in die Eurozone zu kommen, den gibt es nicht mehr, um den Rückwärtsgang einzulegen. Wenn wir das versuchen, dann stürzen wir in einen Abgrund.
Funkhaus Europa: Viele sagen aber, wie auch Herr Lafazanis, der mit anderen aus Syriza ausgetreten ist, dass bei diesem Thema eine regelrechte Angstmache betrieben wird.
Yanis Varoufakis: Das ist wahr. Aber es gibt einen Grund für diese Angst. Ich persönlich hatte als Finanzminister keine Angst, als mir mit einem Rauswurf aus dem Euro gedroht wurde, wenn ich nicht eine weitere Kreditvereinbarung unterschreiben würde, die in meinen Augen überhaupt nicht vernünftig war. Dieses Angstmachen war aber das Mittel, mit dem die Troika versuchte, den Willen des griechischen Volkes, nämlich nein zu sagen zu solchen toxischen Krediten, zu brechen. Da haben jene Kollegen und Genossen Recht, die von Angstmache sprechen. Auf der anderen Seite, ist es aber auch nicht richtig so zu tun, als ob es keine Kosten mit sich bringen würde, wenn wir aus dem Euro aussteigen würden. Die Kosten wären exorbitant.
Funkhaus Europa: Selbst unter den Bedingungen des neuen Sparpakets sollen diese Kosten immer noch schwerer wiegen? Welche sind das denn?
Yanis Varoufakis: Es kommt dich teuer zu stehen, wenn du kein elektronisches Geld besitzt und keine eigene Währung, die du abwerten kannst. Es ist nicht dasselbe, wie es Argentinien gemacht hat, das die Koppelung zwischen Dollar und Peso aufgehoben hat. Wir haben keine Drachme, die wir abwerten können. Wir müssten sie wieder neu schaffen. Das dauert etwa ein Jahr. Das ist also dasselbe, als wenn wir ein Jahr im Voraus eine Währungsabwertung ankündigen würden. Das verursacht immense Verluste. Ein Jahr lang würde die Wirtschaft stillstehen. Alle würden versuchen zu verkaufen, was sie verkaufen können, um Euros einzunehmen, solange das noch möglich ist und das Geld dann ins Ausland schaffen. Der Schaden wäre immens.
Weil das keine Option war, haben wir, als ich Finanzminister war, etwas anderes versucht. Unsere Drohung in den Verhandlungen war nicht der selbstgewählte Grexit sondern, dass wir aufhören, die Schulden zu bedienen, aber im Euro verbleiben. Wenn ihr versucht, uns finanziell zu ersticken, nur damit wir unsere Unterschrift unter eine Vereinbarung setzen, die nicht umsetzbar ist, werden wir zum Beispiel die Rückzahlung der EZB-Anleihen für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre aufschieben. Diese Reaktion hatten wir vor, falls sie uns zwingen würden, die griechischen Banken zu schließen.
Funkhaus Europa: Das haben Sie natürlich nicht gemacht.
Yanis Varoufakis: Aber nur deswegen, weil es mir nicht erlaubt wurde.
Funkhaus Europa: Sie hätten das durchgezogen?
Yanis Varoufakis: Ja. Und der Grund, weshalb ich zurückgetreten bin, war, dass mir nicht erlaubt wurde, das zu tun.
Funkhaus Europa: Am Ende geht es um die Frage, wie wir die Welt verändern können, das ist auch ein Punkt in ihrem neuen Buch. Und wir erleben ja tatsächlich eine paradoxe Situation. Wir leben in einer Welt, in der ein kleiner Teil der Menschen sehr viel Reichtum besitzt. Die Wirtschaft ist so produktiv, wie noch nie in der Geschichte und gleichzeitig sagen wir vielen Menschen, sie müssen für weniger Geld arbeiten, ihre sozialen Leistungen müssen gekürzt werden, sie müssen mit weniger Rente auskommen. Können sie mir erklären, warum wir es nicht schaffen, unsere Gesellschaften so zu verändern, dass sie gerechter werden? Dass der Reichtum wieder gleicher verteilt wird?
Yanis Varoufakis: Der Grund sind die wirtschaftlichen Mächte, die sich auf der politischen Bühne als neuer Absolutismus präsentieren. Der Kapitalismus ist nicht dasselbe wie die freie Wirtschaft, in der wir mit Gütern handeln. Die kapitalistische Wirtschaft basiert auf der Aufteilung der Menschen: In jene, die Produktionsmittel besitzen und jene, die dies nicht tun. Welche Möglichkeit besteht, in solch eine klassenspezifisch aufgeteilte Welt einzugreifen, in der das Überleben des Systems darauf basiert, eine immer größere Akkumulation in den Händen jener sicher zu stellen, die die Besitzrechte an den Produktionsmitteln haben? Der einzige Weg, um hier einzugreifen, ist mehr Demokratie und vor allem ein Mehr an demokratischer Kontrolle des Geldes. Leider haben wir aber die Europäische Union so gegründet, dass die europäischen Verträge die Kontrolle über das Geld entpolitisieren. Und damit auch die Kontrolle über das Wirtschaftsleben. Das bedeutet, dass die Gesellschaften immer weniger Einfluss auf jene Instrumente besitzen, mit denen die Einkommen gleicher verteilt und eine gerechtere Gesellschaft geschaffen werden könnte.
Funkhaus Europa: Sie haben ja nun selbst erlebt, dass die Haltung Deutschlands sehr hart war und es nicht möglich war, durch Argumente, so hatten sie ihre Strategie beschrieben, zu überzeugen. Jetzt ist die Lage, so wie sie ist. Was kann Griechenland jetzt tun, um seine Position zu verbessern, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen und auch wieder die Verhältnisse in Europa zu verändern, um aus der Schlinge der Austeritätspolitik heraus zu kommen?
Yanis Varoufakis: Machen wir uns nichts vor. Das griechische Volk hat uns zwei Gelegenheiten gegeben. Die erste im Januar, als wir die Wahl gewonnen haben. Als wir ihm versprochen hatten, bis zum letzten Atemzug für das zu verhandeln, was für Griechenland und für Deutschland das Richtige ist. Wir haben es getan, aber am Ende haben wir angefangen nachzugeben. Die griechische Bevölkerung hat uns eine zweite große Rückendeckung gegeben mit diesen mutigen 62 Prozent für das “OXI” in der Volksabstimmung. An diesem Abend haben wir leider entschieden, dieses “Nein” in den Abfalleimer zu werfen. In diesem Moment bin ich auch zurückgetreten. Im jetzigen griechischen Parlament, das am 20. September gewählt wurde, haben sich alle Parteien mit Ausnahme der Kommunistischen Partei und der Goldenen Morgenröte dazu verpflichtet, eine nicht umsetzbare, toxische Vereinbarung umzusetzen. Weil ich wusste, dass das passieren wird, hatte ich auch kein Interesse an einer Kandidatur für dieses Parlament.
Funkhaus Europa: Die Bürger möchten dennoch wissen, was politisch getan werden kann, damit das Land vorankommt.
Yanis Varoufakis: Die Antwort lautet, dass der politische Kampf um die Rettung Griechenlands gleichbedeutend ist mit der politischen Auseinandersetzung im Zentrum Europas zwischen Deutschland und Frankreich zur Neufundierung der Eurozone. Aus diesem Grund glaube ich, dass wir auf europäischer Ebene daran arbeiten müssen, den Geist des Athener Frühlings ins Zentrum Europas zu tragen. Denn nur eine Veränderung im Herzen Europas kann positive Auswirkungen für Griechenland haben.
Funkhaus Europa: Vertrauen sie Alexis Tsipras, dass er das schaffen kann?
Yanis Varoufakis: Darauf werde ich nicht antworten.