Kann man eine Äquidistanz zu USA / Russland veranworten?
Reaktion von Doris Pumphrey, Aktivistin in der Berliner Antikriegsbewegung auf eine Mail von B.T. aus der Friedensbewegung.
4. März 2015 (mit Genehmigung der Autorin)
Lieber Bernhard,
ich erlaube mir meine Bemerkungen zu deiner Rundmail, die du mit offenen Adressen gemailt hast, auch an diese zu mailen, weil das nicht unwidersprochen stehen bleiben kann. Ich war zwar nicht auf deiner Liste, will aber trotzdem antworten, weil das, um was es hier geht, zu wichtig ist.
Du weißt, dass auch ich seit langem in der Friedensbewegung engagiert bin. Heute kämpfen wir unter viel schwierigeren Bedingungen als zu Zeiten des sozialistischen Lagers, auch weil die Fronten nicht mehr so klar sind wie damals. Umso wichtiger, dass wir für Klarheit streiten und nicht noch mehr zur allgemeinen Verwirrung beitragen.
Wir beide haben ja eine sehr gute Korrespondenz zur Notwendigkeit, hierzulande für eine breite Friedensfront zu kämpfen, die niemanden ausschließt, der ernsthaft gegen die drohende Kriegsgefahr ist, nach der guten Erfahrung im Kampf gegen den NATO-Doppelbeschluss Anfang der 80iger Jahre. Wir beide wenden uns gegen die McCarthy Methoden, wie sie seitens zu vieler in der “alten” Friedensbewegung gegen die Mahnwachen eingesetzt werden. (Dass “Antideutsche” sie einsetzen erstaunt ja nicht, das gehört schließlich zu ihrem Geschäft und teilweise sicherlich zu ihrem Auftrag.)
Ich war nun sehr erstaunt über das was Du in dieser Mail (hier unten) schreibst. Diese Position hatte ich einfach nicht erwartet, dass du Äquidistanz zu USA / Russland einnimmst und Putin einen Oligarchen nennst.
Erstaunt, weil du weißt, wer wen hier in die Ecke treiben will, wer eine aggressive Außenpolitik fährt und wer nicht, wer den Angriff auf Syrien verhindert hat und wer angreifen wollte etc. Wie kann man – wenn man gegen den Krieg ist – Äquidistanz zwischen Kriegstreiber und jenen, die Kriege verhindern wollen und sogar selbst angegriffen werden üben? Genauso wenig gibt es Äquidistanz zwischen Recht und Unrecht.
Es geht doch im Kampf gegen die Kriegsgefahr nicht um irgendwelche persönlichen Sympathien oder Antipathien. Die kann jeder halten wie er will. Aber sie können kein politisches Argument sein, wenn es darum geht, die internationale Situation richtig einzuschätzen!
Muss die Welt nicht froh sein, dass es endlich wieder ein starkes Njet gegen die imperialistischen Interventionen gibt? Muss die Welt nicht froh sein, dass die USA/NATO endlich wieder ein Gegenüber haben, das sie ernst zu nehmen gezwungen sind? Träumten die Imperialisten am Ende des Warschauer Paktes nicht davon, nun endlich die ungestörte Weltherrschaft zu haben? Muss die Mehrheit der Menschheit nicht froh sein, dass die russische Außenpolitik endlich mal wieder die imperialistische Hegemonie aufmischt, ihr Steine in den Weg legt? Warum denn sonst, keifen die derart gegen die russische Regierung? Natürlich war ihnen ein Jelzin lieber als Putin.
Seit wann muss ein Land, seine Gesellschaftsform, sein Präsident erst unserem Geschmack, unseren politischen Vorstellungen entsprechen oder gar sozialistisch sein, bevor wir solidarisch sind in einer gemeinsam Front gegen die Kriegstreiber und deren grenzenlose Arroganz? Von keinem wird deshalb verlangt, Putin zu lieben. Allerdings kann man von uns allen verlangen, ihn und die russischen Interessen zu verstehen. Wir fordern doch von den westlichen Kriegstreibern und ihren osteuropäischen Lakaien, dass Diplomatie wieder die Oberhand erlangt, dass das Verstehen und die Berücksichtigung der unterschiedlichen Interessen wieder eine Rolle spielt.
Mir ist unerklärlich wie Du die USA und Russland auf eine Stufe stellen kannst. Nur weil Russland heute kein sozialistisches Land mehr ist, sondern den kapitalistischen Weg eingeschlagen hat? Du kannst doch nicht meinen, Russland sei deshalb heute imperialistisch?
Wir können uns ebensowenig ein sozialistisches Russland backen, wie alle Kriegsgegner hierzulande als Sozialisten und Kommunisten. Eine breite Front gegen Krieg, für die du ja auch hierzulande eintrittst, gilt doch auch international (nicht nur in der Geschichte, Stichwort Antihitlerkoalition). Sie ist heute wieder sehr dringend geworden. Und zu dieser Antikriegsallianz gehört Russland. Oder bedroht Russland Europa oder irgendwen sonst? Wo sind die russischen Basen rund um die NATO?
Putin ein Oligarch? Warum benutzt Du ein Schlagwort aus dem Arsenal unseres eigenen Gegners!! Müssen wir uns nicht besser informieren, wenn wir andere aufklären wollen? Es braucht doch nicht viel, um in Erfahrung zu bringen, wie Putin im Verhältnis zu den Oligarchen agiert hat, wie er ihre Macht eingeschränkt hat, auch wenn er nicht so weit geht, sie zu enteignen. Seit wann gibt es denn keine wichtigen Unterschiede zwischen kapitalistischen Ländern? Seit wann gibt es keine Entwicklungsstufen mehr, und Widersprüche zwischen kapitalistischen Ländern, die gerade in der internationalen Auseinandersetzung wichtig sind und genutzt werden können? Genauso wie die Widersprüche im Lager der Bourgeoisie hierzulande? Warum können wir froh darüber sein, dass Schröder heute einen Aufruf “Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ unterschreibt, obwohl er für den Krieg gegen Jugoslawien mitverantwortlich ist?
Ich will hier gar nicht weitergehen sondern dir einfach ein paar Materialien mitschicken.
Zunächst diese Links, das sehr interessante Porträt, das Hubert Seipel über Putin gemacht hat und sein erklärendes Interview darüber nach zwei Jahren.
Weiter im Anhang ein Plakat, wer bedroht wen und zwei Artikel mit sehr viel wichtigen Informationen, um die russische Politik, seinen Kapitalismus und seine Interessen objektiver einzuordnen.
Völlig unverständlich ist mir, dass du Dich zur Unterstützung deiner Meinung auf einen so üblen Hetz-Artikel berufst, wie den aus der Welt Kompakt. Wenn du tatsächlich meinst, es ginge auch Russland um die Ressourcen in der Ukraine, dann solltest du dringend den Artikel von Rainer Rupp lesen über die “inneren Werte”.
Und falls Du meinst, die Krim würde zeigen, dass Russland imperialistisch ist, andere Länder überfällt um sie sich anzueignen etc. dann auch gleich einen sehr informativen Artikel aus der FAZ zum völkerrechtlichen Aspekt der Geschehnisse um die Krim, falls du den nicht kennst.
Ich bin einfach sehr erstaunt, lieber Bernhard, über deine Position, nach den langen Jahren deiner/unserer Erfahrung im Kampf gegen den Krieg.
Doris
ARD-Dokumentation “Ich, Putin – Ein Porträt” von Hubert Seipel aus dem Jahre 2012, in der das Leben und Schaffen vom russischen Präsidenten Wladimir Putin gezeichnet wird.