Kindermißbrauch als Argument für ein Polizeistaat
11.12.2013 / Antifa / Seite 15Inhalt
Zielgruppe Wutbürger
Indem an Bürgerproteste, etwa gegen die Unterbringung von entlassenen Sexualstraftätern, angedockt werde, erhofften sich die Neofaschisten, ihren Ideologien und autoritären Vorstellungen von Strafe größere Anerkennung in der Mitte der Gesellschaft zu verschaffen. Das gilt auch für Versuche, sich Initiativen und Betroffenengruppen anzuschließen und deren Arbeit für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren. »Es geht ihnen weder um Prävention oder den Schutz von Kindern, noch um angemessene und rechtsstaatliche Antworten auf den Umgang mit Tätern«, so die Erziehungswissenschaftlerin. Vielmehr sei das Aufgreifen populärer Themen Teil der »Normalisierungsstrategie« des modernen Rechtsextremismus, um Zustimmung von Personen zu erhalten, die sich nicht als rechtsextrem verstünden.
Eine zentrale Funktion bei der Umsetzung dieser Strategie kommt nach Ansicht von Radvan der neonazistischen Ideologie der »Volksgemeinschaft« zu. »Mitglieder dieser Gemeinschaft, deren Zugehörigkeit nicht frei wählbar und nicht für alle Menschen möglich ist, sind nach der Vorstellung von Neonazis schicksalhaft miteinander verbunden. Vergleichbar mit der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft gibt es auch heute eine starre Aufteilung in männliche und weibliche Bereiche.« Da Teile dieses Denkens, zum Beispiel ein überkommenes Frauenbild, bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichten und somit anschlußfähig seien, sei das Thema sexueller Mißbrauch besonders für Mütter der neofaschistischen Szene ein attraktives Betätigungsfeld. Ziel sei es, dieses ideologische Konstrukt zu normalisieren.
Als Vertreterin einer Betroffenengruppe berichtete Angelika Oetken über ihre Erfahrungen beim Enttarnen rechter Kampagnen im Internet und in sozialen Netzwerken und sprach über Möglichkeiten wirksamer Gegenwehr. »Strategien von Neonazis sind im Netz sehr schwer kontrollierbar«, so Oetken. Neofaschisten ließen sich häufig erst auf den zweiten Blick erkennen, da viele Seiten und Kommentare zunächst harmlos und unterstützenswert erscheinen. »Grundsätzlich sind Seiten, auf denen eine drastische Wortwahl und emotionalisierende oder Gewalt verherrlichende Bilder benutzt werden, ein Hinweis darauf, daß es sich um Betreiber mit einem extrem rechten Hintergrund handeln könnte«, erklärte Oetken. Um die Vereinnahmung durch Neonazis zu vermeiden, sei es wichtig, unbedingt auf solche Darstellungen zu verzichten und sich auf Homepages und öffentlichen Erklärungen klar von den Personen und deren Forderungen, wie etwa die nach drakonischen Bestrafungen der Täter bis hin zur Todesstrafe, zu distanzieren. Auch im Hinblick auf die Medienberichterstattung, die häufig von Sensationslust und Voyeurismus geprägt sei, warb Oetken für eine Versachlichung der gesellschaftlichen Debatte über sexualisierte Gewalt. »Das bedeutet nicht, die Emotionen, die bei solch einem Thema selbstverständlich existieren, herunterzuspielen«.
Für Esther Lehnert, Mitautorin der Broschüre, sind der Streit innerhalb einer Gruppe über den juristischen Umgang mit Tätern und das Erarbeiten von antisexistischen und antirassistischen Positionen die wirksamsten Ansätze gegen eine mögliche Unterwanderung. »Für die Erstellung eines demokratischen Leitbildes ist es wichtig, sich mit gesamtgesellschaftlichen Bedingungen auseinanderzusetzen. Dazu gehört die Frage, welche Macht- und Herrschaftsverhältnisse Mißbrauch begünstigen können«, betonte Lehnert. Dabei sei es sinnvoll, traditionelle Geschlechterrollen und die Konstruktion der bürgerlichen Kleinfamilie kritisch zu beleuchten.