Klartexte 1: Israelische Oppositions-Strömungen
Helmut Spehl
Israelische Oppositions-Strömungen
Roh-Material zu einem Vortrag beim Nahost-Seminar der ESG
VORBEMERKUNGEN
Das Nahost-Seminar vom 19. bis 22. Juni 1980 in Bendorf, veranstaltet von der Dachorganisation der Evangelischen Studentengemeinden in der BRD und Berlin, in Zusammenarbeit mit der ESG Aachen, der ESG TU Berlin und der ESG Darmstadt, stand unter dem Thema Nahost: Stimmen der Opposition. Palästina zwischen Krieg und Staatsgründung. Drei der insgesamt vier thematischen Schwerpunkte sollten der Klärung der politischen Stellung der Palästinenser in den arabischen Gastländern, den Bedingungen des Widerstandes in den israelisch besetzten Gebieten sowie den Bedingungen einer Staatsgründung in diesen Gebieten vorbehalten sein. Im vierten und letzten thematischen Schwerpunkt sollte der Frage nachgegangen werden, welche Aussagen die verschiedenen inner-israelischen Oppositionsgruppen zu den Perspektiven Palästinas machen und wie deren Stellung im und zum zionistischen Staat einzuordnen ist.
Infolge plötzlicher Erkrankung des Hauptreferenten zu diesem Thema mußten die vorgesehenen Diskussionsbeiträge von H. Spehl unvermittelt zu einem Referat umfunktioniert werden. Wir drucken im Folgenden das Roh-Material zu diesem improvisierten Referat ab. Ein durchgängig ausgearbeitetes Vortragsmanuskript existiert nicht. Wertungen, Gewichtungen, Tendenz-Einschätzungen, und dergleichen mehr, werden nur an wenigen Stellen so deutlich wie im tatsächlichen, weit mehr als doppelt so umfangreichen Vortrag. Es fehlen die ausführlichen Zitate aus den Tagebüchern von Joseph Weitz (einem der Vorkämpfer aus den Reihen der Arbeiterparteien für ein Araber-reines Israel); es fehlen die Auszüge aus den Tagebüchern von Mosche Scharett (zu den außerhalb des hebräischen Sprachraumes fast völlig unbekannten Usurpations-Methoden von Ben Gurion, Dayan und anderen Arbeiter-Zionisten); es fehlen aber auch die herben Vorwürfe gegen (anwesende) Mitglieder des PLO-Büros in Bonn. Es fehlt, mit einem Wort, die Atmosphäre.
Lohnt sich denn da noch die Beschäftigung mit einem Vortrags-Rohling? Wir glauben schon. Zumindest für Leser, denen nicht alles gesagt zu werden braucht, und denen der Abspeisezettel der journalistischen Garköche, die ihr bißchen Schon-Kost und eh-schon-Wissen ewig aufgewärmt im Abonnement servieren, ein bißchen auf dem Magen liegt. Der geneigte Leser ist eingeladen, sich aus dem Roh-Material, über den ursprünglichen Anlaß und Zusammenhang hinaus, seinen eigenen Vortragsreim zu machen. Sich statt des ESG-vielleicht ein imaginäres EG-Seminar auszudenken zum eng verwandten Thema Nahost: Einstimmen auf Opposition. Europa zwischen Ölwirtschaftskrieg und Staatsbankrott. Rohmaterial eignet sich zu vielerlei Gerichten – wie auch der Strafgerichte, die unserer Begründung der großen Dynastie der Roheiten folgen mußten, noch viele werden können, wenn Seiner Kleinen Hoheit, dem Zionismus, nicht abgeschworen wird. Bei der dynastischen Erbfolge, die nun einmal herrscht, besteht natürlich niemals die Gewähr, daß man mit noch so antizionistischen Äußerungen nicht letzten Endes doch einen Beitrag leistet “zu jenen Zwecken, die man zionistische oder mit einem guten alten Wort antisemitische nennt”, wie Karl Kraus in EINE KRONE FÜR ZION vor über 80 Jahren formuliert hat. Aber darüber hinaus – in dieser durchaus zweideutigen Welt: warum denn einen antizionistischen Rohling verachten, der nur der Umstände wegen so erscheint?
Freiburg, im März 1981
ISRAELISCHE
OPPOSITIONS-STRÖMUNGEN
1. Oppositionsbewegungen mit zionistischer Grundeinstellung
1.1 Die Arbeiterparteien
Die derzeitige parlamentarische Opposition kann allenfalls in dem Sinn als Alternative zur Begin-Regierung gelten, als sie die Lösung des friedensentscheidenden Palästinenser-Problems auf andere Weise zu verhindern sucht. Wenn die Arbeiterparteien, der MA’ARACH (hebr. Zusammenschluß) aus MAPAI und MAPAM, an dieser Stelle aufgeführt werden, so nur deshalb, weil aus dieser Richtung in jüngster Zeit eine außenpolitische Flexibilität signalisiert und suggeriert wird, die die regierende LIKUD-Partei unter Ministerpräsident Menachem Begin, zum Leidwesen der Öl-abhängigen Welt, vermissen läßt.
Während die internationalen Übertragungskanäle für die Friedens-Euphorien des Friedensnobelpreisträgers (!) Begin zusehends undurchlässig werden, stehen sie neuerdings für die Friedens-Euphonien der Arbeiterparteien, die es in 30 Jahren Regierungszeit immerhin zu vier Kriegen, zu intimer Vertrautheit mit den Dynamit-Nobel-Preisen und zu k e i n e m Friedensnobelpreis gebracht haben, symptomatischerweise weit offen. So darf zum Beispiel Schimon Peres, der designierte Ministerpräsident im Falle eines Wahlsieges der Arbeiterparteien, den sein Parteifreund und Gegenkandidat Rabin einen ‘gewissenlosen Intriganten” genannt hat, seine und seiner Partei “Strategy for Peace in the Middle East” in FOREIGN AFFAIRS mit Betrachtungen über das Vorkommen von Olivenbäumen samt zugehörigen Olivenzweigen im Nahen Osten einleiten – als schriebe er nicht für das angesehene Fachblatt für US-Diplomatie, sondern für ein Blatt für Geobotanik des vorigen Jahrhunderts. Nach niveaugleicher Lageanalyse und entsprechendem Bedauern dessen, was der Friedensnobelpreisträger alles falsch macht (was ja alles in allem so falsch nicht wäre, wenn er weniger ehrlich wäre), beginnt Peres die Erläuterung der MAPAI-Friedensstrategie mit den Worten: “Consequently, the Labor Party would have taken a totally different road. Instead of conducting negotiations on autonomy, we would have preferred to hold negotiations on territorial compromise based on U.N. Resolution 242…” (FOREIGN AFFAIRS, Spring 1980, p. 895). So ist die MAPAI, so ist der Westen, und so sind dessen Informationsmedien.
Demgegenüber sei hier klar und unzweideutig festgestellt: Für intrigante Täuschungsmanöver sind die Arbeiterparteien zweifellos die zuverlässigeren Partner; sie sind aber auch die intimeren Feinde des palästinensischen Volkes, und sie werden die Beendigung der Palästinenser-Tragödie auf Kosten zionistischer Endziele eher noch hartnäckiger verweigern, als jede andere zionistische Regierung. Wer Land und Leute kennt, wer Deutschland und seine Leuteschinder historisch folgenrichtig einzuordnen weiß, und wer das zionistische Kernproblem der Landnahme und Leuteverdrängung verstanden hat, wird von der These der fundamentalen Gleichwertigkeit aller zionistischen Parteien nicht überrascht sein. Die Beweiskraft der inneren Logik ist durch nichts zu ersetzen. Trotzdem in aller Kürze zwei Belege:
Meir Indor, Gush Emunim-Führer und einer der Sprecher der jüdischen Hebron-Siedlung Kiryat Arba, “. . . denkt mit Nostalgie an die Tage von Golda Meir als Regierungschef zurück. ‘Es muß einmal gesagt werden, daß die Arbeiterregierungen mit ausgezeichneten Fertigkeiten aufwarten konnten. Als Levi Eschkol entschied, Kiryat Arba zu bauen, wurde die Stadt mit vollem Elan gebaut… Wir schätzen Begins gute Absichten, aber seine Regierung ist ernsthaft krank; sie ist unfähig, etwas zu vollbringen’ …” (AL HAMISHMAR, 8. 2. 80).
Die unterschiedlichen politischen Auffassungen über die besetzten Gebiete von Gush Emunim, von Likud-Regierung und Arbeiterpartei, schreibt Eli Feingras, werden “völlig neutralisiert durch das zentrale Motiv, die Annexion zu vollziehen, und zwar ohne politische Verhandlungen irgendwelcher Art. Der gemeinsame Nenner … ist somit: ungesetzliche Annexion der besetzten Gebiete.” Und der Weg dazu: Fakten schaffen durch Siedlungen. (AL HAMISHMAR, 20. 12. 79).
1.2 Die Protestbewegung ‘Schalom Akhschav’ (hebr. ‘Frieden jetzt’)
Die Bewegung ‘Frieden jetzt’, im März 1978 aus Protest gegen die wenigstens in Israel publik gewordenen Versuche zur Sabotierung von Sadats Friedensinitiative entstanden, ist im Ausland durch Demonstrationen und Aktionen gegen Siedlungsunternehmen von Gush Emunim bekannt geworden. Sie muß jedoch, trotz der zahlenmäßig recht starken Anhängerschaft, politisch als ziemlich bedeutungslos angesehen werden und dürfte in absehbarer Zeit, wie so manche ähnlich entstandene Bewegung zuvor, eines unbemerkten Todes sterben. Schon vor Monaten wurde auf einem Schalom Akhschav-Treffen betont, daß der Slogan “Lieber Frieden als Gebiete” nicht zugkräftig sei: “Für viele Bürger ist der Friede bereits erreicht, sogar in vollem Maß. Den Frieden als Aufgabe hinzustellen, wird beinahe als überflüssig angesehen… Die Juden brauchen für dieses Jahrhundert keinen zusätzlichen Frieden, insbesondere wenn dafür weitere Verzichte zu leisten sind.” (DAVAR, 28. 9. 79).
1.3 SHELI (hebr. Akronym von: Frieden für Israel – Gleichheit in Israel)
Die linksorientierte Formation SHELI, die im März 1977 zu den damaligen Parlamentswahlen gegründet wurde, vertritt in außenpolitischen Fragen das Konzept des COUNCIL FOR ISRAEL-PALESTINE PEACE: Rückzug auf die Grenzen von 1967, “mit ausgehandelten Änderungen”, und Selbstbestimmung für die Palästinenser. Mitglieder dieser Bewegung (u. a. Uri Avneri, Matti Peled, Arieh Eliav, Meir Pa’il) sind ab 1975 in Paris, zunächst insgeheim, später unter großer Publicity, mit PLO-Vertretern zusammengetroffen. Die Unterhändler haben für sich in Anspruch genommen, Israel den Weg zu Verhandlungen mit der PLO geebnet zu haben, was ihnen international den Ruf von “zionistischen Supertauben” eingetragen hat. Dabei wird freilich ein sehr eigentümliches Motiv für die Gegnerschaft zur Besiedlung oder Annexion von dichtbevölkerten arabischen Gebieten, das im gesamten Lager der linken zionistischen “Friedenstauben” anzutreffen ist, übersehen oder ignoriert: Der Widerwille vor der Vermischung mit dem arabischen Element. A. B. Jehoschua, lange Zeit Förderer von SHELI, dann persönlicher Berater von Schimon Peres, drückt das beispielsweise so aus: “Die Arbeiterpartei sollte die gefährliche (und in praxi zudem lächerliche) Einpflanzung von israelischem Gewebe in das Herz der palästinensischen Nation, und umgekehrt, beenden. Wir haben die Diaspora nicht deshalb verlassen, um die marokkanischen, irakischen, polnischen und rumänischen Gojim gegen palästinensische einzutauschen, und mit diesen irgendeine Art von gemeinsamem Leben zu führen…” (DAVAR, 29. 6. 79).
Daß die COUNCIL- und SHELI-Unterhändler bei ihren Gesprächspartnern nicht gerade gut angekommen sind, darf nicht weiter verwundern. Die Palästinenser sind, um das mindeste zu sagen, an recht zwiespältige Persönlichkeiten geraten. U r i A v n e r i , der in seiner Wochenschrift HAOLAM HAZEH oftmals harte Kritik an israelischen Mißständen übt, hat andererseits nach dem israelisch-englisch-französischen Suez-Abenteuer von 1956 der “großen Freude” in seinem Herzen Ausdruck verliehen, “daß Gaza nun wieder zu Israel zurückgekehrt ist, und daß an einer Stelle des Landeskörpers die mit Blut getränkte Wunde, die man Grenze nennt, verschwunden ist.” (HAOLAM HAZEH, 7. 11. 56). Und 1967, während des Sechs-Tage-Krieges, hat er ein militaristisches Blatt mit dem Slogan “Vorwärts nach Damaskus!” herausgegeben.
Ähnlich eigentümliche Zwiespältigkeiten sind bei dem SHELI- und COUNCIL- Mitglied Matitjahu (‘ M a t t i’) P e I e d zu konstatieren. Kürzlich hat er beispielsweise publik gemacht, daß seit 1967 “… 200 000 Sicherheitsgefangene und Verhaftete durch israelische Gefängnisse gegangen sind. Diese Zahl beläuft sich auf 20 % der Bevölkerung (!) der besetzten Gebiete”. (HA’ARETZ, 7. 8. 80). Und er hat, als General der Reserve, schonungslos die weltweite israelische Propaganda bloßgestellt, wonach die Besetzung der Golan-Höhen die Beschießung der israelischen Siedlungen “von der Höhe herunter” unmöglich gemacht habe. In Wirklichkeit befänden sich die syrischen Artilleriestellungen noch fast genau an den gleichen Orten wie vor dem Sechs-Tage-Krieg. Die früheren syrischen Feuerüberfälle seien auf israelische Provokationen zurückzuführen gewesen. Niemand hat ihm öffentlich widersprochen. (HA’ARETZ, 30. 10. 80). Andererseits heißt es im Tagebuch des früheren MAPAI-Ministerpräsidenten Mosche Scharett über Matti Peled, den Colonel von 1953, von dem er einen Vortrag gehört hatte: “Es war ein faszinierender Auftritt, der der israelischen Armee zur Ehre gereicht… Mein Enthusiasmus kannte keine Grenzen. Was den Inhalt von Peleds Vortrag betrifft, so konnten daraus zwei Schlüsse gezogen werden, ohne daß sie ausdrücklich genannt wurden: Erstens betrachtet die Armee die gegenwärtige Grenze mit Jordanien als unmöglich und ist sich bewußt, daß sie begradigt werden sollte; und zweitens beabsichtigt die Armee, einen Krieg zu führen, um den westlichen Teil von Eretz Israel zu erobern.” (Zitiert nach DAVAR, 10. 11. 78).
Der SHELI-Abgeordnete und ehemalige Generalsekretär der MAPAI, Arieh Eliav, den man schon vor langer Zeit den “Herz! der Palästinenser” genannt hat UEDIOTH CHADASHOTH, 11. 8. 72), ist vor noch etwas längerer Zeit für die Planung des Lakhisch-Gebietes im Süden des Landes zuständig gewesen, dessen “… arabische Dörfer Faluga, Irak-Su’idan und Brer schon lange dahin sind. Die Planer sorgten dafür, daß die Ruinen unter dem dichten Eukalyptuswald verschwanden.” (HA’ARETZ, 28.7. 78).
‘Motta’ G u r , ehemaliger Generalstabschef der israelischen Armee und ultrazionistischer MAPAI-Anhänger der draufgängerischsten Art der nach Meinung von AL HAMISHMAR redet “als ob er die LIKUD-Regierung von rechts zu überholen vorschlagen wolle”, hat sich folgendermaßen geäußert: “Die Methode, wie Meir Pa’il, Arieh Eliav und Matti Peled vorgehen, akzeptiere ich nicht Aber trotzdem schätze ich sie als Kämpfer, als Zionisten und als Pioniere. Hätten wir nur mehr von ihrer Sorte.” (AL HAMISHMAR, 14. 8. 79). Und so weiter.
1.4 BLACK PANTHERS
Die Black Panther – Bewegung kämpft in erster Linie gegen die Diskriminierung des jüdischen Bevölkerungsteils orientalischer Abstammung. Aber sie organisiert auch Aktionen gegen Siedlungen in den besetzten Gebieten, die allerdings von Israelis europäischamerikanischer Abstammung, selbst bei Gegnern von Gusch Emunim, häufig mit Unmut registriert werden. Aus der Sicht der “weißen” Siedler wurde eine solche Black Panther – Aktion in einer “weißen” Zeitung folgendermaßen beschrieben:
“… Als Monachem zu seiner Siedlung heimkehrte, fand er sich mit einer ‘fremden Macht’ konfrontiert, fünfmal stärker als die Elezar-Siedler. Viele der Eindringlinge hatten Knüppel, andere stiegen auf die Dächer und hißten schwarze Fahnen. Es ist recht unangenehm, dies auszusprechen, aber den Umständen nach darf es nicht verschwiegen werden: Was Menachem da auf den ersten Blick sah, war das, was wir alle während der ersten ‘Besetzungs’-Phase sahen – fremde Menschen, mit orientalischem Aussehen; und unser erster Gedanke war, daß dies ein Terroristenüberfall ist. Menachem und zwei andere feuerten mit ihren Pistolen in die Luft. . .” (MA’ARIV, 16. 11. 79).
Die Kritik der Black Panthers an den Siedlungen in den besetzten Gebieten beruht hauptsächlich auf dem Argument, daß dort öffentliche Gelder investiert werden, die auf dem sozialen Sektor, vor allem dem Wohnungsbau, dringend benötigt werden. Die Resonanz war bis vor kurzer Zeit sehr gering. Erst die rasante Inflation, (im Jahr 1980 ca. 170 %), die Streichung zahlreicher Subsidien und die zunehmende Verarmung der Unbegüterten hat breite Bevölkerungsschichten überhaupt auf die “teuren” Siedlungen aufmerksam gemacht. Gegenwärtig sind die Siedlungen tatsächlich sehr unpopulär. Die erbitterte Kritik an der “Geldverschwendung” der Regierung bezieht selbstverständlich andere Bereiche ebenfalls ein, sogar bis hin zur israelischen Armee – ein bisher einmaliger Vorgang, der der Schlachtung einer Heiligen Kuh gleichkommt.
2. Oppositionsbewegungen mit antizionistischer Grundeinstellung
2.1 RAKACH
Die kommunistische Partei Israels (“Moskau-hörig”) besitzt in den Israel-Arabern ein ständig steigendes Wählerpotential. In den rein arabischen Städten und Dörfern (wo eine Wahlanalyse leicht möglich ist) stimmten bei den Knesset-Wahlen von 1959 11.3 % für RAKACH, 1977 bereits 50.7 %. “Die meisten dieser Araber wählten RAKACH nicht deshalb, weil sie Kommunisten sind, sondern weil RAKACH ihre Vorstellungen bezüglich der wesentlichen politischen Fragen eines Friedens mit den arabischen Ländern auf der Grundlage des totalen Rückzugs aus den (besetzten) Gebieten vertritt.” (MA’ARIV, 8. 9. 78).
Die kommunistische Partei hat nach ihrer Gründung Anfang der 20er Jahre die arabische Bevölkerung Palästinas zum “Kampf gegen britischen Imperialismus und gegen Zionismus” ermutigt und während des Araber-Aufstandes von 1936 bis 1939 die palästinensische Seite unterstützt; sie hat den Verzicht jüdischer Bestrebungen nach nationaler Unabhängigkeit gefordert und die Gründung eines arabischen Staates angestrebt. Nur während des Zeitraums zwischen der UN-Teilungsresolution für Palästina vom November 1947 bis zum Zusammentreten der ersten Knesset im Jahre 1949 hat die kommunistische Partei für das zionistische Ziel der nationalen Souveränität gearbeitet (was der damaligen Haltung der Sowjetunion entsprach). Nach der Staatsgründung hat sie gegen die Landenteignungsgesetze protestiert und die Militärverwaltung für die von Israel-Arabern bewohnten Gebiete bekämpft. RAKACH hat 1974 als einzige parlamentarische Partei die Zulassung der Palästinenser zu den Vereinten Nationen begrüßt und um die gleiche Zeit erste Kontakte zur PLO geknüpft.
Die traditionelle antizionistische Einstellung dieser Partei ist neuerdings wieder etwas fragwürdig geworden. Zwecks Erweiterung des Wählerpotentials hat RAKACH 1977 mit zionistischen Randgruppen den Wahlblock HADASH gebildet und 5 Knesset-Sitze erhalten (gegenüber zuvor 4). Aber nur etwa 5 000 der 80 000 RAKACH-Stimmen kamen von jüdischen Israelis. Bei den Studenten unter den Israel-Arabern ist RAKACH schon seit längerer Zeit umstritten. Eine Minderheit des Studentenrates der Hebräischen Universität Jerusalem steht zum Beispiel auf dem Standpunkt, daß “RAKACH insgesamt gesehen zionistische Positionen vertritt, und nur in der Frage der Grenzen ein Unterschied zwischen RAKACH und den zionistischen Parteien besteht: RAKACH setzt sich für die Grenzen von 1967 ein, und die zionistischen Parteien verschieben die Grenzen von da nach dort.” (DAVAR, 21. 12. 78). Die Wortgefechte zwischen RAKACH und der radikalen Gruppe von Israel-Arabern BNEI-HAKFAR (Söhne des Dorfes) hätten “beispiellose Heftigkeit erreicht”, schrieb AL HAMISHMAR am 23. 4. 79.
2.2 MATZPEN (hebr. ‘Kompaß’)
Matzpen hat unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 die unverzügliche Räumung aller besetzten Gebiete und die Anerkennung der Rechte der Palästinenser gefordert. In einer Matzpen-Erklärung vom 22. März 1968 heißt es: “Es ist das Recht und die Pflicht jedes unterworfenen und unterdrückten Volkes, Widerstand zu leisten und für seine Freiheit zu kämpfen. Die Wege, Mittel und Methoden eines solchen Kampfes müssen von dem Volk selbst bestimmt werden.”
Die kleine, vor allem im Ausland sehr aktive Gruppe gehört zu den in Israel meistgehaßten politischen Bewegungen. Es seien “Psychopathen”, “nationale Masochisten”, “Landesverräter” und dergleichen mehr, und “jüdischer Selbsthaß” sei ihre Triebfeder, schreibt die bürgerliche Presse. Nach neuerer Gesetzgebung fällt Matzpen gar unter die “Sabotage-Organisationen”; – “jede Kontaktnahme kommt einem echten Verbrechen gleich”, hat DAVAR am 1. 2. 79 kommentiert.
2.3 NETUREI KARTA (aram. ‘Wächter der Stadt’)
Die orthodoxe Gemeinde der Neturei Karta, die zum alten Kern der jüdischen Bevölkerung Jerusalems gehört, lehnt den Zionismus und den Staat Israel aus religiöser Überzeugung konsequent ab. Zum 30. Jahrestag der Errichtung des Staates Israel hat Neturei Karta eine “jüdische Urkunde” in Form eines Passes herausgegeben, die in Israel und der Diaspora vertrieben wird. Auf Seite 13 dieser Urkunde heißt es: “Hiermit wird dem Inhaber dieser Urkunde bestätigt, daß er in seiner Eigenschaft als Jude keinerlei Verbindung hat zu der national-atheistischen Bewegung, die sich zum Herrscher über das Heilige Land gemacht hat… sondern sich vielmehr im Kampf gegen alle ihre Bestrebungen befindet…” (Zitiert nach MA’ARIV, 4. 5. 78).
Um einen Beleg anzuführen für die Bereitschaft, in diesem Kampf mehr als nur Spott, Verunglimpfung und Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen: Es existiert beispielsweise ein Gebot des Oberhauptes der Gemeinde, des Admor von Satsmar, sich nicht der Klagemauer zu nähern, solange sie unter zionistischer Besetzung steht. König Hussein von Jordanien, der als der gesetzliche Souverän angesehen wird, wurde um die Erlaubnis zum Betreten der Klagemauer angegangen; der König ließ durch einen ehemaligen Minister seiner Regierung eine Botschaft überbringen, in der er die Hoffnung ausdrückte, bald eine Delegation empfangen zu können, die ihm ihre Friedensvorstellungen unterbreiten und die Bitte um offizielle Genehmigung zum Besuch der heiligen Stätte vorlegen könnte. (AL HAMISHMAR, 6. 8. 78).
Bei Gesprächen mit PLO-Vertretern in Antwerpen und Zürich wurde Israel als der “gemeinsame zionistische Feind” bezeichnet und die Bereitschaft bekundet, in einem Staat mit PLO-Regierung zu leben. (JEDIOTH AHARONOTH, 19. 12. 79). “Wir werden keinen zionistischen Staat hinnehmen, auch nicht, wenn die Araber dies tun sollten”, sagte Mosche Hirsch, der Generalsekretär und Sprecher der Gemeinde in einem Interview. (JEDIOTH AHARONOTH, 21. 2. 75).
3. Diffuse Oppositionsströmungen
3.1 Verweigerung des Militärdienstes in den besetzten Gebieten
In jüngster Zeit finden kleine Gruppen von Schülern und von Reservisten öffentliche Beachtung, die sich weigern, ihren Militärdienst innerhalb der besetzten Gebiete abzuleisten, weil sie damit zu Wächtern von Gush Emunim Siedlungen gemacht würden. In einem von 27 Oberschülern verfaßten Brief an Verteidigungsminister Weizman vom 25. Juli 1979 heißt es zum Beispiel: “Aus Opposition gegen die Besetzung und gegen die Unterdrückung des palästinensischen Volkes, wo immer sie auch stattfindet, werden wir, die Unterzeichner, nach unserer Einberufung den Dienst in den besetzten. Gebieten verweigern… Wir wollen keine Besatzungsgehilfen werden, die uns zu Unterdrückern und das palästinensische Volk zu Unterdrückten macht. Der Dienst jenseits der ‘Grünen Linie’ widerspricht unserem Entschluß, nicht in besetzten Gebieten zu dienen…” (Zitiert nach HAOLAM HAZEH, 12. 12. 79).
Dani Amir (ein Enkel von Meir Weisgal, des ehemaligen Präsidenten des Weizmann-Instituts und früheren Sekretärs von Chaim Weizmann – was einen guten Teil der Publicity des Falles erklärt) wurde als erster aus der Gruppe der 27 Schüler einberufen und nach seiner Weigerung, in ein Ausbildungslager innerhalb der Westbank zu fahren, zu 35 Tagen Haft verurteilt. Seiner Mutter wurde von einem Major der Rekrutierungsstelle erklärt: “Die ‘Grüne Linie’, wie das Ihr Sohn nennt, wurde 1948 gezogen und 1967 entfernt. Für mich existiert die ‘Grüne Linie’ nicht.” (HA’ARETZ, 5. 12. 79).
Zahlenmäßig gesehen handle es sich um eine Randerscheinung, und die Hauptschuld trage die mangelhafte zionistische Erziehung und der defaitistische Einfluß von Funk und Fernsehen, so wird in Militärkreisen argumentiert. Im Augenblick stelle dies noch kein Problem dar; die große Mehrheit der israelischen Jugend sei nach wie vor gut motiviert. (CHOTAM, 1. 2. 80).
Mehr Sorgen scheint gewissen Militärs das Rauschgift-Problem zu bereiten: “Generalstabschef Eytan befürchtet, daß Außenstehende versuchen, Israel unter Drogen zu setzen, wie das mit der amerikanischen Armee während des Vietnam-Krieges gemacht wurde.” (EDIOTH AHARONOTH, 10. 7. 79). Das tatsächliche Ausmaß des Drogenkonsums läßt sich auf Grund der vorliegenden Presseberichte nicht zuverlässig abschätzen.
In politischen Kreisen und unter Reservisten macht sich eine offenbar rasch wachsende Unzufriedenheit breit über Mismanagement und Desorganisation, über Fehlplanungen und Geldverschwendung bei der Armee, “die begonnen hat, sich wie ein Golem aufzuführen, der sich gegen seinen Schöpfer wendet”. (HA’ARETZ, 27. 5. 80). Die hebräischsprachige Presse ist voll von Geschichten über Mißhandlungen und Folterungen von Soldaten durch ihre Vorgesetzten sowie gewalttätige Racheakte seitens der Betroffenen, über Kontakte von höchstrangigen Offizieren mit der Unterwelt, über häufige Waffen- und Sprengstoffdiebstähle aus Armeebeständen, über den Verkauf von solchem Diebesgut fast zu Schleuderpreisen an jedermann, gelegentlich sogar an palästinensische Widerstandsgruppen*,
* Hierzu ein Beispiel für das heutige grundsätzliche Wahrheitsgefälle auf dem Weg vorn Hebräischen Ins Deutsche (bis vor kurzem handelte es sich um grundsätzliche Propaganda-Gefälligkeit): “In Israel ist eine militante islamische Untergrundorganisation enttarnt worden… Wie es In der Israelischen Presse hieß, konnten sich die Araber Granaten, Maschinenpistolen und Sprengstoff aus Israelischen Armeebeständen beschaffen.” So DIE WELT in einer kurzen Notiz am 27. 2. 81 – und kein Wort mehr.
sowie über den groben Unfug mit gestohlenen Rauchbomben auf israelischen Fußballplätzen. Klagen von Reservisten über Hunger-Rationen und über Orgien mancher ihrer Kommandeure sind durchaus keine Seltenheit. Kürzlich (Zusatz bei der Korrektur) wurden Armee-interne Vorgänge bekannt, die an Sabotage grenzen: Mechaniker einer Armee-eigenen Reparaturwerkstatt haben jahrelang völlig unbemerkt eine große Zahl von Panzermotoren beschädigt statt sie zu reparieren – sei es wegen Arbeitsüberlastung oder wegen allgemeiner Unzufriedenheit. Soldatinnen, die mit dem Sortieren von Armee-Post beschäftigt wurden, haben während eines vollen Jahres unbekannte Mengen von Postsäcken verbrannt. Und so fort.
3.2 Die Haltung einer schweigsamen Minderheit
Die Zahl der Juden in Israel, die nicht nur die politischen Rechte der Palästinenser sehen und anerkennen, sondern zu einer Haltung neigen, die eines Tages die Bezeichnung ‘Wiedergutmachung’ verdienen könnte, ist vermutlich nicht allzu klein. Ich bin hier allerdings auf rein persönliche Erfahrungen und Eindrücke angewiesen. Die Tätigkeit des langjährigen Vorsitzenden der ISRAELISCHEN LIGA FÜR MENSCHEN- UND BURGERRECHTE, Israel Shahak, oder der beiden Anwältinnen Felicia Langer und Lea Tsemel, ist jedem langjährigen Beobachter der Israel-Szene bekannt. Aber es gibt ungenannte und unbekannte Personen, die bedrängten Palästinensern jene Art von Unterstützung zukommen lassen, die oftmals lebensentscheidend ist. Über deren Zahl Angaben zu machen, wäre vermessen. Meinungsumfragen, die manchmal einen ersten Einblick in das Denken von schweigsamen Minderheiten vermitteln, helfen in einer so subtilen Sache nicht weiter. Israelische Meinungsumfragen vermitteln im Grunde nicht einmal einen verläßlichen Eindruck von der Haltung der Bevölkerung zu der Frage eines Palästinenserstaates oder der Besiedlung und Annexion der besetzten Gebiete. Die publizierten Ergebnisse zeigen im Lauf der Jahre erhebliche Schwankungen. “Die Tendenz, daß Meinungsumfragen den Fußstapfen der Regierungsposition folgen, ist ein seit langem bekanntes Phänomen in Israel.” (HA’ARETZ, 7. 11. 77).
3.3 Die hebräischsprachige Presse
Die israelischen Journalisten und Publizisten sind mehrheitlich so opportunistisch regierungstreu wie ihre Kollegen überall auf der Welt. Nicht wenige betreiben das selten erkannte Journalistengeschäft der Blendung und Irreführung mit einer Perfektion, die an die dunkelsten ‘reinarischen’ Zeiten der deutschen Pressegeschichte erinnern. Aber völlig anders als damals gibt es in Israel hervorragende Publizisten, denen es immer wieder und oftmals im Kampf gegen die Zensur gelingt, Artikel von eindrucksvoller Offenheit, beißender Schärfe und bitterer Selbstanklage unterzubringen, und zwar (was vielleicht ein besonders eindrucksvolles israelisches Phänomen ist) in Organen jeder politischen Richtung. Allerdings wird dabei weitgehend auf die Einhaltung der hebräischen Sprachbarriere geachtet. Bei einem Vergleich etwa der englischsprachigen JERUSALEM POST mit der hebräischsprachigen israelischen Presse hat man immer wieder den Eindruck, daß der jüdischen Diaspora und den Gojim allzu heikle Offenlegungen systematisch vorenthalten werden. Manche der hebräischen Artikel sind von einem engagierten journalistischen Niveau, das im heutigen Deutschland unbekannt ist und sicher auch von nur wenigen Lesern geschätzt werden könnte. Mit anderen Worten: es handelt sich um leidenschaftlich vorgebrachte Stellungnahmen jener Art, die man zu offen antisemitischen Zeiten in Deutschland mit dem folgenschweren Wort ‘zersetzend’ bezeichnet hat.
Einige wenige Namen sollen hier festgehalten werden: Amnon Kapeliuk, der gegenwärtig die antiarabische Pogrom-Atmosphäre in der Westbank beschreibt (AL HAMISCHMAR); Jehuda Litani, der seit Jahren regelmäßig die Vorgänge in den besetzten Gebieten beobachtet und eindrucksvoll analysiert; Entsprechendes gilt für Danny Rubinstein, der für DAVAR berichtet; B. Michael (HA’ARETZ) schreibt Satiren von einer politischen Brisanz, an denen gemessen sich die luschtigen Kritze- und Kriteleien des weitbekannten ‘Satirikers’ Ephraim Kishon als öde Blödeleien erweisen; Boaz Evron schreibt kenntnisreiche und hintergründige Bestandsaufnahmen, die zur absoluten Spitzenklasse gehören (JEDIOTH AHARONOTH u. a.). Außer bei den gekonnten Fernsehreportagen eines R a f i k H a l a b i, oder bei gewissen Sendungen von Kol Israel, dem israelischen Rundfunk, ist die Resonanz im allgemeinen recht gering. Schmähungen und Morddrohungen sind andererseits an der Tagesordnung. Wegen der angeblich “offensichtlich feindseligen Haltung der meisten israelischen Medien zum Thema Siedlungen”, diskutieren die jüdischen Siedler, unter Beteiligung von Reserveoffizieren, Seit einigen Monaten die Möglichkeiten der Errichtung einer privaten Rundfunkstation für die Westbank-Siedlungen. (HA’ARETZ, 16. 5. 80).
Das folgende Beispiel eines leidenschaftlich engagierten Artikels soll das Gesagte illustrieren. Der verzweifelte Notschrei von Kubi Niv, ursprünglich für KOL HA’IR geschrieben, aber trotz zugestandener Streichungen auf Einspruch eines der Eigentümer des Blattes zurückgewiesen, erschien am 20. Mai 1980 im ursprünglichen Wortlaut in HAOLAM HAZEH.
Die Sicherheitslüge,
die Auserwähltheitslüge und die Ausrottungslüge
von Kubi Niv
Draußen toben die waffenstarrenden Kriegsleute der Lüge und erzwingen Angst und Terror. Bis zur Verhängung einer Ausgehsperre für die Wahrheit haben sie es bringen können. Aber umbringen können sie die Wahrheit nicht.
Sie können sie abriegeln, aber nicht zurückhalten. Sie können sie arretieren, nicht aber deportieren. Sie können sie in Todesangst versetzen, aber umbringen können sie sie nicht.
Die Wahrheit kann nun einmal nicht gemordet werden.
***
Zwei und zwei sind auch dann nicht fünf, wenn’s die Knesset einstimmig beschließt, und auch nicht, wenn Sie jeden verhaften und deportieren, und jedem das Augenlicht und das Leben nehmen, der zu sagen wagt oder bei sich denkt, daß zwei und zwei vier gibt.
Sie können jeden umbringen, der die Wahrheit sagt, aber die Wahrheit selber können sie nicht umbringen.
Seht nur den Terror, seht das Entsetzen und die Angst, seht aber auch die Wahrheit: Seht wie sie in der Knesset von einem Mord und einem Pogrom geredet und wie sie mit übergroßer Mehrheit das Gemetzel von Hebron verurteilt haben; aber in Hebron war kein Gemetzel, war kein Pogrom und nicht einmal ein Mord. Die israelischen Medien vergießen dicke Tränen über den Tod unschuldiger Passanten; aber die da umkamen waren keine Passanten, und unschuldig waren und waren sie nicht.*
* Gemeint sind die fünf Opfer des Attentats in Hebron am 2. Mai 1980 auf einschlägig bekannte Gusch Emunim Aktivisten, die in den westlichen Medien als “Thora-Studenten, die vom Gebet kamen” (und dergleichen mehr) bezeichnet worden sind.
Die Besatzung ist ein Verbrechen. Wer daran teilhat ist ein Verbrecher. Und seine Anführer sind es umso mehr.
Die Besatzung ist ein Gewaltverbrechen; sie gründet sich auf waffenstarrende Gewalt, und sie streut Mord und Totschlag aus.
Und wer Mord und Totschlag sät, wird Mord und Totschlag ernten.
Das Besatzungsverbrechen wird gedeckt durch eine Reihe übereingekommener Lügen, die zusammen den nationalen israelischen Konsens bilden – die Sicherheitslüge, die Aus-. erwähltheitslüge und die Ausrottungslüge.
***
Das Argument der Sicherheit rechtfertigt die Besatzung, denn die Besatzung garantiert uns Sicherheit. Das ist eine Lüge. Die Besatzung garantiert nicht unsere Sicherheit, die Besatzung führt uns ins Desaster.
Das Argument des Auserwähltseins rechtfertigt die Besatzung, denn wir, die Juden, sind von einer besseren Rasse als die Araber. Das ist eine Lüge. Jeder Rassismus, wonach die eine Gruppe (Deutsche, Weiße, Aschkenasi, Juden) auserwählt und besser ist als eine andere (Juden, Schwarze, Sepharden, Araber), ist eine elende Lüge.
Das Argument der Ausrottung rechtfertigt die Besatzung, denn die da unter der Besatzung leben, wollen den Staat Israel auslöschen. Das ist eine Lüge. Mit Ausnahme kleiner Gruppen wollen alle Palästinenser einen palästinensischen Staat, der neben dem Staat Israel in Frieden leben soll.
Das ist die Wahrheit.
Und jetzt, mehr als je zuvor, inmitten von Terror und Angst, und angesichts des hysterischen Getobes der Kriegsleute der Lüge, jetzt ist die Zeit, die Wahrheit hinauszuschreien und für sie zu kämpfen. Dies ist ein Kampf auf Tod und Leben. Denn wenn wir die Lüge jetzt gewinnen lassen, wird die Wahrheit nicht mehr ihr Haupt erheben können, und zusammen mit ihr werden wir alle untergehen.
Nie und nimmer können sie die Wahrheit umbringen. Aber eines können sie, und sie haben es im Sinn und betreiben es mit ihren Händen: uns umbringen, alle miteinander. Kämpfen wir um unser Leben!
3.4 Auswanderung
Daß es seit langem eine Rückwanderungsbewegung in die Diaspora gibt, die den Zionismus an seinem Lebensnerv treffen kann, ist außerhalb Israels weitgehend unbekannt geblieben. Dabei dürfte die Zahl der Israelis, die Israel meist insgeheim und oft auf verschlungenen Wegen verlassen haben, jene schadenfroh herumgereichte Zahl von DDR-Bürgern, die mit den Füßen gegen ihr Regime gestimmt haben, prozentual gesehen eher noch übersteigen. “Der Krieg von 1973 war anscheinend ein Markstein in der Geschichte der Auswanderung aus Israel. Die Zahl der Emigranten ist seit damals ständig gewachsen und hat enorme Zahlen erreicht.. . ho Gegensatz zur Vergangenheit, als die Emigration durch einen Personenkreis charakterisiert war, dessen persönliches, finanzielles oder soziales Scheitern im Vordergrund stand, enthält der Auswanderungsstrom heute den besten Teil der israelischen Jugend.” (JEDIOTH AHARONOTH, 4. 1. 80).
Israelische Burger erhalten ein US-Touristenvisum nur dann, wenn ausreichende Garantie besteht, daß sie nach Israel zurückkehren werden. Die langen Warteschlangen im Tel Aviver US-Konsulat sind seit Jahren ein täglicher Anblick, und im Sommer, wenn die Warteschlangen noch länger werden, schlafen die Wartenden nachts auf der Straße. Das Touristenvisum “ist das gesuchteste Produkt in Israel”. (DAVAR, 29. 12. 78). ‘Wie viele von denen, die ein Touristenvisum erhalten, bleiben illegal in den USA? Wie vielen gelingt es, ihre Immigration auf illegale Weise zu ‘bewerkstelligen’? Niemand weiß das.” (HA’ARETZ, 13. 8.79).
Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß zwischen zionistischen Organisationen und US-Behörden Absprachen getroffen wurden, die die Abwanderung erschweren sollen. Und mehr noch: “Die amerikanischen Einwanderungsbehörden machen seit einigen Wochen Jagd auf Israelis, die ohne gültige Arbeitspapiere in den USA arbeiten… Diese Aktionen der US-Behörden kamen wahrscheinlich auf Drängen aus Jerusalem zustande.?” (HAOLAM HAZEH, 2. 1. 80). Und noch mehr: “General Mosche Nativ hat gestern dem Knesset-Ausschuß für Äußeres und Sicherheit berichtet, daß Tausende von israelischen Reservisten außerhalb Israels leben… Der Ausschuß hat darüber beraten, wie dieses Menschenpotential im Fall eines Krieges genutzt werden kann. Das Problem besteht darin, daß die Soldaten nicht an militärischen Übungen teilnehmen… Menachem Savidor (LIKUD MdK, Berater des Außenministeriums) hat den Plan unterbreitet, daß Israel eine Vereinbarung mit den amerikanischen Behörden anstreben sollte, die das Training der israelischen Reservisten innerhalb Amerikas erlaubt.?” (MA’ARIV, 31. 1. 80).
“Was ich in der Hajarkon Straße gesehen habe”, schrieb Danny Rubinstein nach einer Besichtigung der Vorgänge im Tel Aviver US-Konsulat, “brachte mich auf völlig unpatriotische Gedanken. Wieso hat es die amerikanische Administration nötig, Israel auf so unfeine Art mit der Drohung einer künftigen Hilfeverweigerung unter Druck zu setzen? Der Präsident der Vereinigten Staaten kann doch Begin kurz und bündig erklären, daß er entweder jedem Israeli, der dies wünscht, ein Visum für die USA geben wird, oder daß er die Immigrationsquote für Israelis zu erhöhen beabsichtigt. Dies könnte die ungeheuerste amerikanische Bedrohung der israelischen Gesellschaft werden. Und es wäre keine brutale Drohung. Im Gegenteil, sie könnte sogar mit liberalen und humanen Gründen gerechtfertigt werden…” (DAVAR, 29. 12. 78).