Klartexte 12 Kommentar 14
Zu der wertvollen Persönlichkeit des Prälaten Kaas ist anzumerken, daß er am 23. März 1933 die Zustimmung der Zentrumsfraktion zur Ausschaltung des Reichstages gemäß nationalsozialistischen Wünschen (sog. Ermächtigungsgesetz) mit folgender kurzen Rede begründete:
Meine Damen und Herren! Im Namen der Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstags habe ich die Ehre, vor diesem Hohen Hause folgende Erklärung abzugeben.
Die gegenwärtige Stunde kann für uns nicht im Zeichen der Worte stehen. Ihr Gesetz, Ihr einziges, ihr beherrschendes Gesetz ist das der raschen, bewahrenden, aufbauenden und rettenden Tat. Diese Tat kann nur geboren werden in der Sammlung. In Zerklüftung und Kampf würde sie bereits in ihrem Werden zu zerbrechen drohen. Die deutsche Zentrumspartei, die den großen Sammlungsgedanken schon seit langem und trotz aller vorübergehenden Enttäuschungen mit Nachdruck und Überzeugung vertreten hat, setzt sich in dieser Stunde, wo alle kleinen und engen Erwägungen schweigen müssen, bewußt und aus nationalem Verantwortungsgefühl über alte parteipolitischen und sonstigen Bedenken hinweg. Sie läßt selbst solche Bedenken in den Hintergrund treten, die in normalen Zeiten pflichtmäßig und kaum überwindbar waren.
Im Angesichte der brennenden Not, in der Volk und Staat gegenwärtig stehen, im Angesichte der riesenhaften Aufgaben, die der deutsche Wiederaufbau an uns alle stellt, im Angesichte vor allem der Sturmwolken, die in Deutschland und um Deutschland aufzusteigen beginnen, reichen wir von der deutschen Zentrumspartei in dieser Stunde alten, auch früheren Gegnern, die Hand, um die Fortführung des nationalen Rettungswerkes zu sichern,
(Beifall bei den Nationalsozialisten.)
die Wiederherstellung geordneten Staats- und Rechtslebens zu beschleunigen, chaotischen Entwicklungen einen festen Damm entgegenzusetzen, zusammen mit all denen – ganz gleich, aus welchen Lagern und Gruppen der deutschen Volksgenossen sie kommen mögen , die ehrlichen, auf Aufbau und Ordnung gerichteten Willens sind.
(Beifall im Zentrum.)
Die einleitende Regierungserklärung, die Sie, Herr Reichskanzler (Hitler), am heutigen Nachmittag gegenüber der deutschen Volksvertretung abgegeben haben, enthielt manches Wort, das wir unterschreiben können, und manches andere – lassen Sie mich das in aller Offenheit, aber In loyaler Offenheit sagen , auf das einzugehen wir uns Im Interesse der Sammlung, die das Gesetz dieser Stunde sein muß, bewußt versagen. Gegenüber manchem tagespolitisch bedingten Urteil der Gegenwart erwarten wir für die Arbeit der von uns unterstützten bisherigen Regierungen mit Zuversicht das ausgeglichenere Urteil der Geschichte.
(Bravo! im Zentrum.)
(…) In der Voraussetzung, daß diese von Ihnen (d.h. Hitler) abgegebenen Erklärungen die grundsätzliche und die praktische Richtlinie für die Durchführung der zu erwartenden Gesetzgebungsarbeit sein werden, gibt die deutsche Zentrumspartei dem Ermächtigungsgesetz ihre Zustimmung.
(Lebhafter Beifall im Zentrum, bei der Bayerischen Volkspartei und bei den Nationalsozialisten.)
Fünf Tage später erließ Hitler einen “Aufruf an alle Parteiorganisationen der NSDAP zum Boykott gegen die Juden”. Es heißt darin u. a.:
Nach vierzehnjähriger innerer Zerrissenheit hat das deutsche Volk, seine Stände, Klassen, Berufe und konfessionellen Spaltungen politisch überwindend, eine Erhebung durchgeführt, die dem marxistisch-jüdischen Spuk blitzschnell ein Ende bereitete…
Jahrzehntelang hat Deutschland jeden Fremden wahllos hereingelassen. 135 Menschen leben bei uns auf dem Quadratkilometer. in Amerika nicht einmal 15. Trotzdem hat Amerika sehr wohl seine Einwanderung kontingentiert und bestimmte Völker von ihr überhaupt ausgeschlossen. Deutschland hat ohne Rücksicht auf seine eigene Not jahrzehntelang diese Maßnahme nicht ergriffen. Als Dank dafür hetzt jetzt, während Millionen eigene Volksgenossen von uns arbeitslos sind und verkommen, ein Klüngel jüdischer Literaten, Professoren und Geschäftemacher die Welt gegen uns. Damit ist jetzt Schluß! …
Es ergeht daher an alte Parteidienststellen und Parteiorganisationen folgende Anordnung:
Punkt 1 : Aktionskomitees zum Boykott gegen die Juden. In jeder Ortsgruppe und Organisationsgliederung der NSDAP sind sofort Aktionskomitees zu bilden zur praktischen planmäßigen Durchführung des Boykotts jüdischer Geschäfte, jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und jüdischer Rechtsanwälte.
(…)
Punkt 9: Rassenforderung des Numerus clausus!
Die Aktionskomitees organisieren sofort In Zehntausenden von Massenversammlungen, die bis ins das kleinste Dorf hineinzureichen haben, die Forderung nach Einführung einer relativen Zahl für die Beschäftigung der Juden in allen Berufen entsprechend ihrer Beteiligung an der deutschen Volkszahl. Um die Stoßkraft der Aktion zu erhöhen, ist diese Forderung zunächst auf 3 Gebiete zu beschranken:
a) auf den Besuch an den deutschen Mittel- und Hochschulen;
b) für den Beruf der Ärzte;
c) für den Beruf der Rechtsanwälte.
(…) (Text nach dem VÖLKISCHEN BEOBACHTER vom 29. März 1933).
Um aber auf die wertvolle Persönlichkeit des Prälaten Kaas zurückzukommen: Am 20. April 1933 telegraphierte er dem Führer aus Rom, wo er an den Konkordatsverhandlungen der Hitlerregierung mit dem Vatikan teilnahm, zu dessen Geburtstag “aufrichtige Segenswünsche und die Versicherung unbeirrter Mitarbeit”.