Klartexte 2: Okkupanten und Annexionisten
Okkupanten und Annexionisten
Hebräische Texte zur neuen israelischen Landnahme
1981 Helmut Spehl, Freiburg
Vorwort
Bundeskanzler Helmut Schmidt, eben aus dem Morgenland zurückgekehrt und gesprächiger als israelischen Gemütszuständen bislang zuträglich, hat seiner Erwartung Ausdruck verliehen, daß einer gewissen Spezies von unermüdlich Mitreisenden doch noch vor Anbruch der langen Nacht die Verstrickung in eine "Tragödie griechischen Ausmaßes" dämmert. Aber mehr noch: Der Bundeskanzler, die hochnotpeinliche Ernennung zum saudi-arabischen Waffenschmidt in petto und der Abkanzelung durch den israelischen Steckbriefträger Begin jederzeit gewärtig, hat das deutsche Fernsehpublikum, das sich von jener Spezies der mitrasenden Reporter die Schlamichelmütze immer tiefer über die Ohren ziehen läßt, einen flüchtigen Blick in die eilends wieder zugeklappte Mitbringselbüchse der Pandora werfen lassen. "Es ist erstaunlich", erzählte er den Zurückgebliebenen, "wie bis hin an die Ufer des Arabischen Golfs die Solidarität mit den arabischen Brüdern, die als sogenannte Palästinenser fliehen mußten aus ihrer Heimat oder vertrieben wurden aus ihrer Heimat, wie diese Solidarität im Vordergrund des Bewußtseins steht. Das spielt eine riesenhafte Rolle. Es war sicherlich für unsere deutschen mitfliegenden Journalisten … höchst eindrucksvoll, in zwei Pressekonferenzen zu erleben, wie die dortigen (arabischen) Journalisten nur dies Problem vor Augen hatten und nicht das Problem, das die deutschen Journalisten vor Augen hatten…"
Fürs erste war das gar nicht übel. Aber dennoch muß Bundeskanzler Schmidt, bei aller Wertschätzung und gebührenden Nachsicht für den alleingelassenen Mann, der eine wirklich übelriechende Ölsuppe auszulöffeln hat, dahingehend korrigiert werden, daß nichts weniger erstaunlich ist als die arabische Solidarität mit den "sogenannten" Palästinensern, und nichts unbegründeter als die Annahme, deutsche Journalisten könnten sich in zwei Tagen und zwei Pressekonferenzen einen Fragenkomplex höchst eindrucksvoll vor Augen führen lassen, den sie seit Jahrzehnten, in Hunderten von Pressekonferenzen, vor Augen zu führen sich weigern. Der saudi-arabische Erdöl- und Kapitalienreichtum mag als erzieherisches Stimulans von einiger Bedeutung sein, aber lange Lügen haben eben durchaus keine kurzen Beine, wenn das betrogene Publikum das schöne Trugbild nicht mehr missen kann. Und darum soll hier zu bedenken aufgegeben werden, daß wir alle miteinander, Nasführer wie Medienhörige, Mißinformierte wie Desinteressierte, solange wohl nicht warten sollten, bis der letzte Siebenschläfer vor Kälte schlotternd aufwacht in seinem Wolkenkuckucksheim. Das Leben ist kurz und die Wahrheit wirkt ferne und lebt lange, sagen wir die Wahrheit.
Zumindest seit dem Tag, als Theodor Herzl, der frühe Hauptorganisator der zionistischen Unternehmung, auf hoher See zwischen Jaffa und Alexandria erleichtert in sein Tagebuch notierte: "In Palästina brannte mir der Boden unter den Füßen. Wenn die türkische Regierung nur einen Schimmer von politischer Voraussicht besäße, hätte sie mir diesmal das Handwerk legen müssen…", zumindest seit jenen Tagen im November 1898, als Theodor Herzl Palästina durchaus nicht menschenleer und schon gar nicht disponibel vorgefunden hatte, seit dem Tag, da er in beinah panischer Angst das besichtigte und ‘zu nehmende’ Land Hals über Kopf verließ, "bevor die Türken zur Besinnung kommen", – zumindest seit diesem Tag ist das zionistische Unternehmen ein usurpatorisches Abenteuer. Gewiß, da waren und da wurden immer noch mehr mildernde Begleitumstände in schier unerträglicher Fülle aufgehäuft, aber sie sind samt und sonders abendländischer Provenienz. Die autochthone Bevölkerung Palästinas hat nicht das Schwarze unterm kleinen Fingernagel dazu beigetragen, daß einer ständig wachsenden Zahl von Juden das Leben unter christlichen Völkern unerträglich wurde. Es sind da sehr chaotische Rechtsformen im Schwange, wenn von mildernden Umständen noch und noch die Rede ist und das zionistische Delikt restlos im Dunkeln bleibt. Welches Richtergremium würde denn dem Einbruchspezialisten einen Diebstahl unbesehen durchgehen lassen, weil er geltend machen kann, daß tags zuvor ein Mordfall in der überseeischen Verwandtschaft vorgekommen ist? Und deshalb muß, wenn noch Rechtsnormen gelten sollen, vor der Inanspruchnahme von noch so berechtigten mildernden Begleitumständen, die von den Palästinensern als geschädigte Dritte ohnehin nicht anerkannt zu werden brauchen, der Tathergang unnachsichtig aufgerollt und aktenkundig werden. Die zionistische Landnahme zu Zwecken einer Staatsgründung ist gegen den erklärten Willen der eingesessenen Bevölkerung betrieben worden, und der mit hehlerischer abendländischer Unterstützung durchgeführte Land- und Bevölkerungstransfer ist ebenso unzweifelhaft ein usurpatorischer Akt, wie eine ‘friedliche Usurpation’ eine contradictio in adjecto ist. Sophismen helfen über die Runden, aber die Wahrheit aufzuhalten, ist in Tausenden von Jahren aufgeschriebener Geschichte bisher nie gelungen. Die autochthone Bevölkerung Palästinas wurde erst mit schönen Reden hingehalten, und als die zionistische Macht- und Menschenbasis für Gewaltmethoden ausreichte, hatte sie herzuhalten mit ihrem Land und ihrem Hab und Gut und manchmal auch mit ihrem Leben.
Der zeitgeschichtlich interessierte Leser, der sich ein einigermaßen zutreffendes, wenn auch notwendigerweise nur unvollkommenes Bild von den heutigen Methoden israelischer Landnahme machen möchte, findet in dieser Broschüre fünf Aufsätze renommierter israelischer Autoren aus der hebräischsprachigen israelischen Tagespresse. Die beiden ersten, fast willkürlich ausgewählt aus einem von den deutschen Informationsmedien bisher unangetasteten Reservoir von tausend ähnlichen, illustrieren die gegenwärtige israelische Landnahmepraxis in der 1967 besetzten Westbank mehr en gros, die restlichen drei, am Beispiel Hebron, mehr en d