Klartexte 4: Nahost-Initiativen
H. Spehl
Nahost-Initiativen
Die Aufopferung des Präsidenten Sadat und andere Erdöl-Manöver
Eine Prognose axis dem Jahre 1905, die zumindest seit 1973, seit dem ersten arabischen Erdöl-Embargo mit seinen unüberschätzbaren Folgewirkungen, nicht mehr von der Hand zu weisen ist:
“Zwei wichtige Phänomene von gleicher und dennoch entgegengesetzter Natur, auf die noch kein Mensch aufmerksam wurde, werden in diesem Augenblick im türkischen Asien (d.h. in Palästina) erkennbar: das Erwachen der arabischen Nation und die latente Anstrengung der Juden, in einem sehr großen Rahmen das alte Königreich Israel wiederzuerrichten. Diese beiden Bewegungen sind dazu bestimmt, sich solange zu bekämpfen, bis die eine den Sieg über die andere davongetragen hat. Vom endgültigen Ausgang dieses Kampfes zwischen zwei Völkern, die zwei sich ausschließende Prinzipien repräsentieren, wird das Schicksal der ganzen Welt abhängen.”
Negib Azoury: Le réveil de la nation arabe. (Paris 1905)
Vorwort
Die Reihe “Klartexte zum weltweiten Problem Palästina” zielt auf den wunden Punkt, der unsere gegenwärtige Welt im Innersten – nein, eben gerade nicht zusammenhält. Der Globus ist groß und politische Konflikte lauern in allen Breiten, aber es ist der Nahe Osten, der in unseren Tagen, ohne daß auch nur eine begrenzte Öffentlichkeit sich dessen hat bewußt werden dürfen, zur zentralen Experimentier-Plattform für die Frage nach der Tragfähigkeit der Angeln geworden ist, aus denen der Unverstand die Welt noch heben wird. Es sind vor allem experimentierende Angelsachsen, die mit unschuldigen Engelsgesichtern das sogenannte Nahost-Problem zu einem Weltproblem gemacht haben. Seit sich die Menschheit mit Politik betrügen läßt, ist sie noch niemals mit so schrecklichen Waffen betrogen worden. Aus Vorderladern wurden Massenvernichtungsmittel und aus Aufklärer-Journalen Massenmedien. Ersteres ist bekannt, letzteres unverstanden. Amerika kommt dem altbekannten Expansionsdrang der Sowjets mit seinem altbekannten Drang nach Expansion des Abschreckungspotentials zuvor, und das sehr gemischte europäische Friedenslager, das den Amerikanern nicht über den Weg, den Massenmedien aber, weil ihnen ausgeliefert, über alles traut, quittiert das unverstandene Ablenkungsmanöver unbesehen mit einer Blankovollmacht zur Energie-Einsparung, – als wäre ausgerechnet der proklamierte Konsumverzicht die Doktrin der gemeinsamen Wegwerfwelt, die Rote und Schwarze, Zugucker und Aufmucker, Schreckensbürger und Bürgerschrecks im Innersten zusammenhält. Daß da ein kapitales, ja geradezu ein kapitalistisches Mißverständnis waltet, das vergebens der Aufklärung harrt, würde einleuchten, wüßte man, was jeder westliche Staatsmann weiß: daß nämlich die westliche Energieversorgung nicht im entferntesten so akut vom Expansionsdrang der Sowjets als von dem der Israelis bedroht ist. Ist man denn in der Lage, die ruinöse Einmaligkeit des insgeheim beschlossenen Umrüstungsprozesses auch nur zu ahnen? In einer am 1. Oktober 1981 in den USA über Rundfunk und Fernsehen übertragenen Pressekonferenz betonte Präsident Reagan, daß die Vereinigten Staaten es niemals zulassen würden, daß der Ölstrom aus Saudi-Arabien in die westliche Welt versiegt. Daß der Ölstrom vor allem dann versiegt, wenn Israel wieder mal die arabische Welt besiegt, es sei denn, der. amerikanische Finanzstrom nach Israel versiegt, diesen nahost-politischen Gemeinplatz kann ein zuständiger amerikanischer Präsident zuständehalber ebensowenig öffentlich darlegen, wie er in einer von Rundfunk und Fernsehen übertragenen Pressekonferenz sagen kann, Israel sei ein Staat, der entschlossen ist, sich auszudehnen (was ein französischer Präsident, vor 14 Jahren, gesagt hat). Der allmächtige Gott, der über den amerikanischen Massenmedien thront, würde da doch mit einem Pressedonnerwetter dreinfahren, das den mächtigsten Mann der Erde in Sack und Asche zwingen müßte. Also wird er, so ihm nichts Originelleres einfällt, – und ein zweiter Sadat, der sich opfert, nicht greifbar ist – die altbewährten Sowjets den Ölstrom versiegen lassen, das heißt also n i c h t versiegen lassen. Und nicht wahr, so unplausibel klingt das gar nicht. Hat es sich doch längst, per Nachhilfe im Massendruckverfahren, ergeben, daß selbst veritable Antikapitalkälber unbesehen weg vom Öl und hin zu Wind- und Wasserkraft und Sonnenkollektoren drängen.
Doch dies amerikanische Kuckucksei des Kolumbus, das in jedem Falkennest willkommen sein muß, ist heißer anzufassen als es ausgekocht ist. Die Herren Senatoren werden darüber brüten, die ausschlüpfenden Pleitegeier und Totenvögel in den Ausschüssen durchfüttern, und in wahrhaft unterhausväterlicher Sorge just das blutleere Friedenstäubchen unter die Fittiche nehmen, dem die Massenmedien so wunderschöne Hebammenmärchen widmen. Die Lachtauben und die Spottdrosseln werden es einst von den Dächerresten pfeifen, was alles in den großen Vereinigten Staaten sich um den winzigen Zionistenstaat gedreht hat. Bis dahin freilich wird es immer weniger zu lachen geben. Kurzum, und um auch dem verdorbenen Zeitungsleser etwas leicht Verständliches zu bieten, Präsident Reagan mag zu den Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien noch so felsenfest entschlossen sein, und im Falle nicht erfüllter Zusagen noch so sehr in Bedrängnis kommen: zuerst, vor Kongreß und Senat, muß sein Entschluß die amerikanischen Massenmedien passieren. Amerikanische Interessen gegen zionistische Interessen durchsetzen wollen, heißt heutzutage in den USA, sich auf Gedeih und Verderb mit den Massenmedien anlegen. Nicht ohne Grund enden die großen Saisonschlager der Nahost-Initiativen alleweil als provinzielle Sackgassenhauer. Ob Saudi-Arabien (“zur Abwehr möglicher Bedrohungen seitens der Sowjetunion…”) das technologische Labyrinth der AWACS-Frühwarnaufklärer benötigt, für das es bestenfalls das know how not mitbringt, ist eine andere Frage. Mag sein, daß sich ein paar Prinzen des saudiarabischen Königshauses partout ein teures Spielzeug wünschten; aber wahrscheinlicher ist, daß ein paar saudi-arabische Harvard-Absolventen den Amerikanern jene Lieferkalamität vorführen wollten, die sie ihrerseits achselzuckend vorschützen werden, wenn die Zionistenhörigkeit kein Ende hat.
Es kann nicht schwerfallen, das Szenarium, en miniature, auf die Bundesrepublik zu übertragen. Bundeskanzler Helmut Schmidt hat Saudi-Arabien die Lieferung von deutschen Leopard-Panzern in Aussicht gestellt – und nach wenigen Monaten kleinlaut beigegeben. Er hat am 30. April 1981 einige verständige Worte für die Palästinenser gefunden – und sie wenige Wochen danach bedauert. ‘Er wurde sie nicht noch einmal äußern, wenn er das Ganze noch einmal durchleben könnte”, hat er laut WELT vom 27. Juni 1981 zu Abba Eban in Amsterdam gesagt. So auf Seite 1. Auf Seite 5 sind es “jüdische Persönlichkeiten in New York”, gegenüber denen sich Schmidt “zu seinem Fehler bekannt” hat. Der Bürger hat keine politische Phantasie. So wird er auch “das Ganze” nicht nachvollziehen können, das Bundeskanzler Schmidt nicht noch einmal durchleben möchte.
Von all dem handeln, in den entzifferbaren Hieroglyphen, die einem anständigen Klartext anstehen, die beiden NATO-brüderlich verwandten Beiträge in diesem Heft. Es sind Wegzeichen der Austreibung aus dem Wohlstandsparadies. Am Erdöl hängt, zum Holocaust drängt doch alles. Man wird da doch sehen, daß der Krieg, den so viele als bevorstehend befürchten, als ruinöser Ölwirtschaftskrieg bereits begonnen hat. Daß er unerklärt geführt wird, muß einst eine Perfidie der Massenmedien genannt werden. Ihn aus der Welt zu schaffen, bedürfte es entschieden wirksamerer als der ultramodernen AWACS-Aufklärung. Aufklärung wäre von Nöten nach Art der Urgroßväter, die ein phantastisches Medium gegen Dunkelmänner schufen. Das aber in der Hand der Enkel, dem Schutzpatron der Vertrauensseligen sei’s geklagt, zur unwiderstehbaren Alltagsmacht des unscheinbaren Bösen wurde, die unsere Welt von innen her befällt.
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Dieses Heft der Reihe “Klartexte zum weltweiten Problem Palästina” ist dem Andenken eines Physiker-Kollegen und Freundes gewidmet. Dr. Lothar Lehmann ist am 22. August 1981 tödlich verunglückt. Er hatte die Gabe, und es war ihm durch sein über alles geliebtes Segelfliegen dazugegeben, die Welt von oben sehen zu können, von wo aus sie übersichtlich wird. Er hatte das Glück, um das ich ihn manchmal beneidete, mit der Unbeschwertheit des Seglers auf die bleierne Wirklichkeit herabblicken zu dürfen, die er mit der Prägnanz des Physikers erfaßte. Lothar Lehmann hat meinem Nahost-Archiv über mehr als ein Jahrzehnt hinweg, mit der ihm eigenen Zuverlässigkeit und Unermüdlichkeit, Stapel über Stapel seiner Tageslektüre zugetragen. Ihm mit tiefempfundenem Dank darzulegen, was aus unseren unzähligen Gesprächen in mein Tun und Lassen eingegangen ist, hat der elende Zufall einer Kollision zweier Segler ein für alle Mal vereitelt, Ich sehe ihn aus seinem Himmel tot auf meine Erde stürzen, die er mir erträglich machen half. Er war der einzige, der mir je gestanden hat, daß er das Unglaubliche in meinen Schriften viele Jahre nicht hat glauben können. Und er war der einzige, von dem ich weiß, daß er mir schließlich glaubte, und von dem ich sicher bin, daß er das Weltproblem Palästina in seiner unermeßlichen Breite und auslotbaren Einfachheit verstanden hat.
Freiburg, Ende Oktober 1981 H. S.
Der willkommene Tod des Anwar el-Sadat
Von Helmut Spehl
Vorabdruck eines Beitrages für EURABIA MAGAZIN, Zweimonatsschrift der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Der Aufsatz, anläßlich des Attentats auf den ägyptischen Präsidenten Anwar el-Sadat entstanden, ist keine üble Nachrede auf einen Toten, sondern die Nachrede auf ein totes Übel.
Man wird sagen können, daß sie alle an dem Grab gestanden haben, das sie ihm schaufeln halfen. Und nicht ein einziger sich eingefunden hat von denen, die ihn vor eben dieser Hilfsbereitschaft warnten, und über deren demonstrative Beileidsverweigerung so pointenlos berichterstattet wurde. Gar nicht zu reden von der Radikalabstinenz der Palästinenser, von denen einige gar glaubten, den Todessalven auch noch ihre Freudenböller hinterherschicken zu dürfen. Zivilisation frißt die Ehrlichkeit. Und weil einer Verurteilung zu 33 Jahren Zwangsarbeitslosigkeit in einem Flüchtlingslager ein Zivilisationsgrad schlechterdings nicht mehr beizumessen ist, sind die Palästinenser unter den Mitwirkenden am nahöstlichen Trauerspiel die Ehrlichsten, und unter den Ehrlichen die Mißachtetsten. Zum Kondolenzaufgebot an US-amerikanischen Ex-Präsidenten, drei an der Zahl, die inmitten der arabischen Welt einen ägyptischen Präsidenten ohne arabisches Trauergeleit zu Grabe getragen haben, wird man sagen müssen, daß die Kairoer pompes funèbres zu Ehren eines mutigen Mannes zur mustergültigen Begräbnisweise für alle erdenklichen Nahost-Friedensinitiativen geworden sind, die sich an den arabischen Erdölströmen statt an den arabischen Flüchtlingsströmen orientieren. Wer Separatvertrage initiiert, muß auf Separatbeerdigungen weinen. Mehr ist dazu an dieser Stelle nicht zu sagen.
Wenden wir uns der israelischen Anteilnahme zu. Daß der israelische Friedensnobelpreisträger den ägyptischen begraben geht, als habe er den Frieden, für den er sich hat dekorieren und bezahlen lassen, nicht von der Stunde an untergraben, da ihn noch gerissenere Winkeladvokaten zu der pax americana nötigen konnten, – daß also Begin vor den Kameras um Sadat trauert als habe er einen teuren Freund verloren, mag ein gewisses Publikum zu Tränen rühren, am schicksalhaften Lauf der Dinge wird dies wenig ändern. Und da sich (um nur diesen Aspekt anzuführen) Menachem Begin Koalitionspartner hält, die sich einen Gott halten, der anderer Leute Land verschenkt, ist der Lauf der Dinge nicht erst seit der Kairoer Beseitigung der Schenkungsbehinderung absehbar geworden.
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“Wird man wohl vor Scham rot im Dunkeln?”, fragt Lichtenberg in den Sudelbüchern. “Daß man vor Schrecken im Dunkeln bleich wird, glaube ich, aber das erstere nicht. Denn bleich wird man seiner selbst, rot seiner selbst und anderer wegen.” – Die Frage ist niemals gestellt worden, aber ich glaube nicht, daß israelische Politiker (die paar eingefleischt roten ausgenommen) jemals einen Anlaß gesehen haben, in dem Dunkel rot zu werden, in das sie ihre wahren Ziele seit Jahr und Tag zu hüllen verstehen. Daß höchst maßgebende Zionisten (solche von der oppositionellen Arbeiterpartei ganz vorneweg) vor Schrecken im Dunkeln, in dem sie sich stets so sicher fühlten, bleich geworden sind, als Präsident Sadat im November 1977 seine spektakuläre Friedensreise nach Jerusalem unternahm, glaube ich, aber rot werden diese Leute nicht. Bleich werden sie ihrer durchkreuzten Absichten wegen; rot könnten sie allenfalls ihrer aufgedeckten Machenschaften wegen werden. Aber dazu wären erst mal Machenschaften von angemessenem Kaliber weltweit aufzudecken. Und dazu müßte erst mal verstanden werden, was es mit Krieg und Frieden im Nahen Osten auf sich hat. “Ben Gurion selbst hat gesagt, es wäre die Sache wert, einem Araber eine Million Pfund zu zahlen, damit er einen Krieg anfängt!” Diesen “Zungenausrutscher” hat Mosche Scharett, damals israelischer Ministerpräsident, am 26. Mai 1955 seinem Tagebuch anvertraut.[1] Aber welcher westliche Journalist würde denn wagen, solche hebräisch sprachigen Usurpationsbanalitäten auch nur zu übersetzen? Den Palästinensern wurde ein Flüchtlingsleben lang überhaupt nicht geglaubt; und auch seit ihre arabischen Brüder eine gewisse Waffe, ihre einzige, zu nutzen wissen, glaubt man ihnen nur ölratenweise und mit Maßen. Und hebräische Quellen, die bedenkliche Tatbestände unbeanstandbar offenlegen könnten, läßt man im Dunkel privater Archive. Stattdessen wird, wieder einmal wie auf Bestellung, weltweit verbreitet, in Israel herrsche um den Tod des ägyptischen Präsidenten Sadat ein Klima nationaler Trauer:
Niemals seit dem Hinscheiden von David Ben Gurion, des Gründers des jüdischen Staates, haben die Israelis den Tod eines Politikers so tief betrauert. Der Sprecher des staatlichen israelischen Rundfunks hat am Dienstag abend, mit vor Erregung zitternder Stimme, Präsident Sadat einen “großen Freund Israels” genannt..[2]
So geht das in allen Sprachen, auf beschnittenem und unbeschnittenem Papier, und die Schuldhaftung, in die jeder Goi seit Holocaust genommen werden kann, läßt anderes gar nicht erst aufkommen. Nein, ich glaube nicht, daß Springers Redakteure in der Finsternis, die sie mit Druckerschwärze anrichten, rot werden, wenn sie unter die empörte Bildunterschrift: “Sadats Feinde jubeln in den Straßen Beiruts” ihre Ausgewogenheit von einer Schlagzeile setzen: “In Israel mischen sich Hoffnung und Skepsis”, und immer so weiter im Text darunter um Verständnis werben, daß Israel im April 1982 nur dann das letzte Teilstück der besetzten Sinai-Halbinsel an Ägypten zurückgeben könne,
wenn Jerusalem davon überzeugt sein kann, daß die neue Führung in Kairo kompromißlos an Sadats Prinzip “Nie wieder Krieg” festhält. .. Ohne diese Gewißheit wird keine Regierung in Israel in der Lage sein, das Gebiet mit den beiden wichtigsten Luftstützpunkten, den ertragreichen Landwirtschafts-, Fischfang- und Touristikzentren zurückzugeben. Denn, und dieses Argument führen natürlich die Militärs ins Feld, es ist der letzte Streifen strategischer Tiefe…[3]
Nein, ich glaube nicht, daß man mir glaubt, daß ich vor Scham rot werde, wenn ich meine Landsleute einem israelischen Feldherrentum, das sich an arabischem Grundbesitz vergreift, Besitzvollmachten ausstellen sehe. Und daß ich vor Entsetzen erbleiche, wenn ich Leute, deren einstmalige antisemitische Zeitungshetze außer Frage steht, einen Informations-Blackout verhängen sehe, der die conditio sine qua non für ihre Bereinigungsgeschäfte mit jenen selbsternannten Interessenvertretern des Judentums ist, denen die Juden neuerdings zu Hunderttausenden davonlaufen. Nein, ich glaube nicht, daß man verstehen will, daß nichts als der von uns angerichtete Holocaust die Handlungsvollmacht beglaubigt, die sich die Zionisten heute anmaßen, und die sie zu Lebzeiten der hingemordeten europäischen Juden niemals bekommen konnten. “Ohne Hitler würde Israel, als Land, niemals existieren. Das wäre eine kleine Kolonie in Palästina”, las ich kürzlich in einem Interview des österreichischen Bundeskanzlers Kreisky.[4] Ähnliche Einsichten quälen mich seit 1965. Es war das langsam wachsende Verständnis für die ständig wachsende Kausalkette: Europäischer Antisemitismus Deutsche Judenausrottung – Jüdischer Staat – Palästinensischer Exodus Israelischer Expansionismus – Weltweite ‘Energiekrise’ – …, was mich in einen entsetzlichen
Bann gezogen hat. Was ich in Worte habe fassen können, seit ich das endlose Hundeleben der palästinensischen Flüchtlingsmassen kenne, wurde erstmals 1969 gedruckt. Auf eigene Verantwortung und Kosten, versteht sich, und ohne seither eine ermutigende Spur von Lernbereitschaft ausmachen zu können, daß wir Deutschen uns, auf sehr delikate Art, ein weiteres Mal an der Welt versündigen. Daß da einem Zeitgenossen, der sich aus – was weiß ich humanitären Gründen für den letzten Winkel in der Dritten Welt interessiert, die Schamröte ins Gesicht gestiegen wäre ob unserer täglichen Behandlung der palästinensischen Folgeopfer des Holocaust, ist mir in all den Jahren niemals untergekommen. Dieser Gesellschaft fehlt eine ausgestorbene Mikrobe. “Welche Wohltat ist ein Jude unter Deutschen”, heißt es bei Nietzsche (den ich, nebenbei bemerkt, bloß ein paar solcher Worte wegen schätze). Heute, da mit den Juden auch die Wohltaten dahin sind, und sie sich ohne die Deutschen wie die Deutschen aufführen, bleibt einem nur das unstillbare Bedürfnis, die zukünftig relevante Schande abzumildern, daß ein ganzes Volk, von ein paar Dutzend Zeitungsschreibern angeführt, seine antisemitische Vergangenheit ungerührt auf Kosten des palästinensischen Volkes zu bereinigen getrachtet hat.
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Nein, ich erwarte unter diesen Umständen nicht, daß man mir glaubt, wenn ich in Ausübung meiner Sisyphustätigkeit verrate, was den überzeugten Durchschnitts-Zionisten (den noch keine Vorahnung des Dies irae übermannt hat) bei der Todesnachricht aus Ägypten im Innersten und zuallererst bewegt haben muß: nicht Trauer oder gar Mitschuldgefühle, sondern die höchst aufregende Schicksalsfügung, daß der tote Sadat nun den lang gesuchten Vorwand liefern wird, den der lebende Sadat, trotz allen Provozierens, nicht geliefert hat. Man wird gleich sehen, was ich meine, aber glauben wird man mir nicht.
Ich habe vor Jahren an Hand der hebräischen Tagespresse nachgewiesen, daß die Minister Ariel Scharon und Mosche Dayan mit der Errichtung von potemkinschen Dörfern versucht haben, die Friedensinitiative des ägyptischen Präsidenten im allerersten Keim zu ersticken.[5] Als beliebiges Detail sei hier nachgetragen, daß der ‘Friedensprozeß” israelischerseits unter anderem mit der Vertreibung arabischer Bauern und der Vernichtung ihrer Kulturen in Gang kam, – vier Wochen nachdem die Welt mit Bildern von den Umarmungen und Bruderküssen überflutet worden war, die Präsident Sadat in Jerusalem zu absolvieren hatte.
Die neuerliche Vertreibung von Beduinen-Familien aus dem Gebiet rund um das Schüler-Camp nördlich von Jamit (im östlichen Teil der Sinai-Halbinsel, der gemäß dem Abkommen von Camp David im April 1982 von den Israelis geräumt werden soll; Zusatz des Obersetzers) wird in diesen Tagen in aller Stille und Heimlichkeit durchgeführt. Die Beduinen wurden angewiesen, ihre Hütten abzubrechen und sich in das Palmen-Gebiet nahe der Mittelmeerküste zu begeben. Die herbeigeschafften Bulldozer begraben ihr kultiviertes Land unter einer Sandschicht, machen ihre Wasserlöcher unbrauchbar und rasieren alles ab was sich ihnen in den Weg stellt.. Entgegen der Behauptung der Militärbehörden handelt es sich nicht um Nomaden, die eben erst hierherkamen, sondern um Familien, die seit Jahren hier leben. Ihre Plantagen bezeugen es, deren Bäume gut einige Jahre alt sind. Die jüngste Vertreibungswelle zielt offensichtlich darauf ab, die Beduinen entlang der Küste zu konzentrieren, von wo aus sie, in einem späteren Stadium, mit Leichtigkeit ein weiteres Mal vertrieben werden können…[6]
In unseren Zeitungen war um diese Zeit zu lesen, daß Jerusalemer Juden vor Friedensfreude auf den Straßen tanzen. Die Straßentänzer aber lasen in ihren Zeitungen von “Jamit, der zukünftigen Hauptstadt des Teils von Sinai, der unter unserer Herrschaft bleiben wird “.[7] Und wirklich:
“Wir werden alles nur mögliche tun, um die Gewerkschaftsarbeit in Jamit in allen Bereichen zu verstärken.” Dies erklärte der Schatzmeister der Histadrut, Nathan Almoslino, während eines Treffens mit Aktivisten bei einer Besichtigung von Jamit. “Wie in der Vergangenheit, so wird die Histadrut auch in Zukunft all ihre Energie und ihre Finanzmittel in jedes Pionierunternehmen stecken, und der Bau einer Stadt im Sand von Rafiah ist ein höchst wichtiges nationales Pionierunternehmen”, betonte er. Und um seiner Zuversicht bezüglich der Zukunft von Jamit Ausdruck zu verleihen, kündigte Almoslino an, daß die Histadrut dort ein Gewerkschaftshaus bauen werde, groß genug um Zehntausenden von Gewerkschaftsmitgliedern in Jamit dienen zu können…[8]
In Hebräisch nichts Neues. ‘Zionism as usual’ hätten die amerikanischen Zeitungen melden können. Sie hätten, statt ihre Friedens-Makulatur zu verbreiten, DAVAR zitieren können, wo Nachum Barnea, schon frühzeitig desillusioniert, angemerkt hatte:
Ob nun Sadat oder sonst wer, ob nun Frieden oder kein Frieden: zunächst einmal müssen Fakten geschaffen werden. So wie wir während der (britischen) Mandatszeit insgeheim Siedlungen errichtet haben, genauso, wie wir die Engländer betrogen haben, werden wir auch die Amerikaner betrügen. Wir werden es auf jeden Fall immer versuchen.[9]
Schimon Peres, der wichtigste Mann der oppositionellen Arbeiterpartei, gab den Jamit-Bewohnern (ten Rat, dazubleiben und die Stadt weiterzuentwickeln[10], und sein Parteikollege Jigal Allon riet den Pitchat-Rafiah-Siedlern zu einer Zeit, da die Camp David Übereinkunft (17. August 1978) längst erzielt war und die Unterzeichnung des Friedensvertrages unmittelbar bevorstand,
sich mit der Räumung der Siedlungen nicht zu beeilen, denn es sei sehr leicht möglich, daß das Friedensabkommen nicht in die Tat umgesetzt werde, und sei es nur wegen des im Autonomie-Plan der Regierung versteckten Sprengstoffs.[11]
Am 26. März 1979 unterzeichneten der ägyptische Präsident Sadat, Ministerpräsident Begin und der amerikanische Präsident Carter in Washington den Friedensvertrag. Zwei Wochen später konstatierte Boaz Evron in Israels meistgelesener Zeitung “seltsame Dinge”:
Es ist seltsam. Gemäß dem Friedensvertrag sind wir gehalten, uns innerhalb von drei Jahren aus dem Sinai zurückzuziehen. Und tatsächlich haben wir ja auch von Plänen gehört, wonach die zu evakuierenden Siedler anderswo angesiedelt werden sollen; mit dem Ausbau der damit zusammenhängenden Infrastruktur sei begonnen worden. Andererseits hören wir auch, daß gewisse behördliche Kreise die Rafiah-. und Jamit-Siedler ermutigen, bis zum letzten Tag vor der Räumung an ihren Wohnorten zu bleiben. Wir hören, daß weiterhin Geld in dortige Entwicklungs- und Bauprojekte fließt. Wir hören, daß weiterhin Familien zur Verstärkung der Bevölkerung nach Scharm el-Scheikh geschickt werden. Und es gibt keinerlei Anzeichen, die illegale Siedlung von Atzmona, die inzwischen ‘legal’ ist, aufzulösen. (Die ‘illegale’ Protest-Siedlung Atzmona erhielt nach einer Meldung in DAVAR vom 6. IL. 79 aus dem Budget von Landwirtschaftsminister Ariel Scharon einen ‘illegalen’ Zuschuß von monatlich einer halben Million Pfund. Am 7. 8. 81 war in MA’ARIV zu lesen, daß sich Atzmona “in aller Ruhe und Geborgenheit zu einer stabilen Siedlung mit zunehmender Einwohnerzahl entwickelt hat”; Zusatz des Übersetzers)…
Die einsichtigste Erklärung für all das ist, daß es innerhalb der Regierung (und genauso innerhalb der Arbeiterpartei) einflußreiche Kreise gibt, welche das folgende Szenarium erwarten: Die Autonomie-Verhandlungen, bei denen die ägyptische und die israelische Seite versuchen wird, nicht zu vereinbarende Ziele zu erreichen, sind zum Scheitern verurteilt. Die Ägypter werden weiterverhandeln, bis sie wenigstens den israelischen Rückzug auf die Linie El Arisch – Ras Muhammad erreicht haben (die genannte Linie entspricht der heutigen israelisch-ägyptischen Grenze; Zusatz des Übersetzers), und dann werden die Verhandlungen zusammenbrechen… Wir werden die Westbank, die Golan-Höhen und den Gazastreifen in Händen haben, und die Sinai-Grenze wird diejenige von Ofira bis El Arisch sein. Es wird nicht nötig werden, irgendjemand zu evakuieren, und über Israel wird Frieden kommen. Wir werden mit aller Energie ans Siedeln gehen, und wir werden so halsstarrig sein, wie es uns paßt. Schluß mit den Sentimentalitäten mit den Arabern der Westbank und in Israel. Wir werden uns an den Anblick gewöhnen, daß Gush Emunim wildentschlossen zu den Waffen greift, und wir werden die Araber von den Orten, die für jüdische Siedlungen ausersehen sind, schon wegkriegen. Und allen, denen das nicht paßt, werden wir höflich zu verstehen geben: Leckt uns am …[12]
Ich werde müde, den Staub von zionistischen Zeugnissen einer Mitweltbetrachtung zu wischen, die mit dem Kurzzitat aus dem Götz von Berlichingen am bündigsten umschrieben ist. Man erlasse mir, zweieinhalb Jahre Friedenssabotagetätigkeit auszubreiten, die unter Menachem Begins Falkenfederführung Formen angenommen hat, die alles in den Schatten stellen, was der vielgeschmähten ‘Arabischen Ablehnungsfront’ ankreidbar ist. Sogar altgediente Vertuschungsspezialisten haben hin und wieder durchblicken lassen, daß sie die verschleppten israelisch-ägyptischen Autonomie-Verhandlungen (unter Verschleiß mehrerer amerikanischer Vermittler) für eine Farce halten. Aber hat auch nur einer dieser Berichterstatter mit Friedhofsruhesitz in Jerusalem oder Tel Aviv jemals angedeutet, wie es um die vertraglich vorgesehene Räumung der jüdischen Sinai-Siedlungen steht?
Wer in diesen Tagen Jamit besucht und zu begreifen versucht, was da vor sich geht, stößt irgendwann auf das Phänomen der Behandlung der Stadt und ihrer Bewohner durch die Regierung. Analysiert man das Tun und Lassen der Regierung, kommt man zu dem Schluß: Was hier passiert kann nur eine von zwei Möglichkeiten sein. Entweder geht die Regierung nach einem genau festgelegten Plan vor, dessen Endziel die Undurchführbarkeit der Räumung im April 1982 ist; sie wird dann keine andere Wahl haben, als zu sagen: ‘Wir bedauern, aber es geht nicht’. Oder die Regierung ist mit außerordentlicher Unfähigkeit und in einem totalen Chaos am Werk, indem sie mal dem Druck nachgibt, mal die Muskeln spielen läßt, wie’s grade der Zufall will, ohne Ziel und Zweck. . Wer Erfahrung hat mit den Arbeitspraktiken dieser Regierung in den (besetzten) Gebieten, wird bei der Entscheidung nicht lange zögern, welchen der beiden Wege die Regierung eingeschlagen hat…[13]
“Eine gute Woche” haben sie erlebt, sagen Dir diese Woche die Einwohner des Jamit-Bezirks. Eine Woche, welche der depressiven Stimmung den Garaus gemacht hat, die infolge des fatalistisch ertragenen ‘Räumungs-. Gesetzes’ herrschte (wörtlich: ‘gesera’, eine Bezeichnung für judenfeindliche Gesetze in der Dispora; Anmerkung des Übersetzers). Eine Woche, in der die Räumungsverweigerer und die Entschädigungsempfänger mit gleicher Zunge von “Zeichen und Wundern” redeten, die die lang ersehnte “Wende” ankündigen. Eine Woche, in welcher Regierungschef Begin dem Koalitionsabkommen eine Einvernehmens-Klausel hinzufügte, wonach “die neue Regierung auf das Verbleiben der Sinai-Siedlungen hinarbeitet”. Eine Woche, in der sich in der zehnten Knesset, nach den Worten der Verweigerungs-Aktivisten, ein “massiver” Block von Überzeugten herauskristallisiert hat, der den Rückzug zu stoppen entschlossen ist…[14]
Eine Woche also, die der Trauerwoche um Präsident Sadat acht Wochen vorausging, in der ein weltweit zitierter Sprecher des staatlichen israelischen Rundfunks, mit vor Erregung zitternder Stimme, Präsident Sadat einen großen Freund Israels nannte. Man wird dies schon noch richtig lesen lernen.
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Georg Christoph Lichtenbergs aphoristische Betrachtung übers Erröten endet mit der Feststellung: “Die Frage, ob Frauenzimmer im Dunkeln rot werden, ist eine sehr schwere Frage; wenigstens eine, die sich nicht bei Licht ausmachen läßt.” Die Frage, ob zionistische Mannsbilder im Dunkeln rot werden, ist eine bislang ungestellte Frage. Ich meine aber, es wäre an der Zeit, mehr aufklärerisches Licht in die nahöstliche Finsternis zu bringen, um auszumachen, ob die Israelis wenigstens im Hellen rot werden. Aber man hält ja doch den Zeitgewinn zwischen je zwei Begräbnissen, die Anfang und Ende jeder Nahost-Friedensinitiative markieren, für eine durchaus praktikable Energie-Politik. US-Präsident Reagan, der mit dem Einfallsreichtum eines gealterten Hollywood-Revolverhelden den israelisch-arabischen Jahrhundertkonflikt für den Repräsentantenhausgebrauch auf die west-östliche Auseinandersetzung reduziert, wird da eigene, aber keine neuen Erfahrungen machen können. Auf politischen Begräbnissen fühlen sich die Zionisten alleweil am wohlsten. Immerhin ist Präsident Reagans Allerweltseinfall insofern eine gelungene Sache, als sich ja auch die Israelis sagen: Lieber tot als rot. Aber solange sie nicht gezwungen werden, Gesichtsfarbe zu bekennen, wird der Begräbnisse kein Ende sein. Und nachher, wenns einerlei geworden ist, werden die Überlebenden von uns sagen können, daß wir teilnahmslos am Rand des Massengrabs gestanden haben, das wir uns schaufelten.
Waffen aus der Ränkeschmiede
Eine Korrespondenz
H. Spehl an Dr. Hans Heigert, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, Chefredaktion.
Freiburg, 1. Mai 1981
Sehr geehrter Herr Dr. Heigert, in dem Bericht über die Gespräche von Bundeskanzler Helmut Schmidt in Saudi-Arabien (SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vom 29. April auf Seite 1) ist durch ein technisches Versehen ein Absatz möglicherweise so entstellt worden, daß ohne Richtigstellung der Eindruck bestehen bleiben muß, Bundeskanzler Schmidt habe die Unverfrorenheit besessen, sich seinen saudi-arabischen Gesprächspartnern als Erzlügner anzuempfehlen, und Regierungssprecher Becker hege den naiven Glauben, die Ölschmieren-Tragödie, die keinen arabischen Minister mehr zu Tränen rühren kann, werde doch noch ein Saison-Erfolg, wenn die Zeitungsclaque sich ihrer annimmt. Der betreffende Absatz in Spalte 2 wurde folgendermaßen ausgedruckt:
(Regierungssprecher) Becker fügte hinzu, daß Schmidt seinen Gesprächspartnern die gegenwärtig geltenden gesetzlichen Grundlagen der Bundesregierung für einen Rüstungsexport erläutert und darauf hingewiesen habe, daß die Bundesrepublik bisher noch niemals Panzer on einen Staat geliefert habe, der nicht der NATO angehöre.
lehnt habe.
(Folgt neuer Absatz).
Da mittlerweile in zahlreichen Publikationen verschiedenster Herkunft, nicht zuletzt von israelischer. Seite, die Geschichte der deutschen Waffenlieferungen nach Israel ausführlich, wenn auch noch keineswegs erschöpfend, dargestellt worden ist, und da insbesondere die Lieferung von ca. 200 Patton-Panzern und ca. 300 Schützenpanzerwagen aus Beständen der Bundeswehr nicht mehr ernsthaft angezweifelt werden kann, wäre eine Klärung der Frage angebracht, ob die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, oder gegebenenfalls Regierungssprecher Becker, oder gar Bundeskanzler Schmidt, die abgedruckte Lesart aufrechterhalten möchte.
Ich glaube nicht, daß ich die dramatische, mit Ursachen und Folgen übervoll beladene Bedeutung des Besuches von Bundeskanzler Schmidt in Riad besonders hervorzuheben brauche, obwohl die deutschen Massenmedien bemüht sind, eher eine vorgezogene Routineangelegenheit daraus zu machen. So dumm sind die Deutschen, wenn’s ums Geld geht, nicht. LE MONDE schrieb am 28. April: “Bundeskanzler Schmidt unternimmt eine der schwierigsten Missionen seiner Karriere. Seine Verhandlungsergebnisse könnten nicht nur für das Schicksal der Bonner Regierungskoalition bedeutend werden, sondern auch für die wirtschaftliche Zukunft der Bundesrepublik.”
Aber ich möchte, weil ich die selbstgerechte Vergeßlichkeit meiner Landsleute kenne, mit Nachdruck daran erinnern, daß der Großteil der deutschen Waffen (darunter auch Jagdbomber und Transportflugzeuge) insgeheim, unter hochgradig verschwörerischer Täuschung der Öffentlichkeit, und unter perfekter Ausschaltung der parlamentarischen, ja sogar der kabinettsinternen Kontrolle, nach Israel geschafft wurde – und- dazu noch kostenlos. Ich kann dafür den Hauptorganisator der Waffenschenkung und mutgemaßten künftigen Ministerpräsidenten Schimon Peres, auf dessen bewährte Vertuschungskünste der Westen in seiner Erdöl-Not so große Hoffnungen setzt, als schwer erschütterbaren Zeugen anführen:
Wir stellten mit Westdeutschlands Verteidigungsminister Franz Josef Strauß ausgezeichnete Beziehungen her. Das Ergebnis war, daß wir von Deutschland nicht nur bezahlte Waffen bekamen, sondern auch große Mengen von Waffen, für die wir nichts bezahlten. Die westdeutschen Lieferquellen waren während des Sechstage-Krieges (1967) für die israelische Armee von großer Hilfe.[15]
Mit anderen Worten: Die 1967 von Israel besetzten Gebiete, für deren Räumung Bundeskanzler Schmidt soeben wieder schöne Lippenbekenntnisse in Riad abgeliefert hat, sind mit deutschen Waffen erobert worden. Es waren Strauß und Adenauer und Erhard, vor deren Waffengabe sich Genosse Schmidt zum Lügner machte, – wenn’s nicht der Druckfehlerteufel arrangiert hat. Und die Wiedergutmachungs-Teufelei geschah vor und während des Jerusalemer Eichmann-Prozesses, als jeder des hebräischen Alphabets, des politischen Einmaleins und des Kalküls der Nötigung Kundige ahnen mußte, was heute im Tagebuch des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten und Außenministers Mosche Scharett, oder in der Ben Gurjon-Biographie von Michael Bar-Zohar, an unzähligen Stellen, selbstverständlich nur in Hebräisch, nachgelesen werden kann: Die Israelis sind auf kriegerische Expansion eingestellt. Beispielsweise mit folgendem Szenarium:
Ben Gurion spezifizierte (auf der Geheimkonferenz im Pariser Vorort Sèvres vom Oktober 1956, die dem Suez-Feldzug unmittelbar vorausging) seinen Plan- Vor allem und selbstverständlich Liquidierung und Sturz Nassers. Dann Aufteilung Jordaniens und Angliederung der Westbank an Israel und der Ostbank an den Irak. Israel stellt die Bedingung, daß der Irak ein Friedensabkommen mit Israel unterzeichnet und einer Ansiedlung der Flüchtlinge auf seinem Boden zustimmt. Begradigung der Grenzen Libanons und Übergabe eines Teils an Syrien und eines anderen Teils, bis zum Litani, an Israel. Auf dem restlichen Gebiet wird ein christlicher Staat errichtet. Im vergrößerten Syrien wird sich die Regierung stabilisieren, sobald ein pro-westlicher Herrscher an die Spitze gestellt ‘wird. Die Amerikaner setzen auf Schischakli (Eintragung im Tagebuch Ben Gurions am 22. Oktober 1956). Nach den Worten Dayans fügte Ben Gurion zwei weitere Punkte hinzu: Internationale Sicherung des Suezkanals und israelische Herrschaft über die Meerenge von Eilat. Ben Gurion betonte den Nutzen, der den Westmächten aus seinem Plan erwachsen wird. “Der Plan befriedigt die Bedürfnisse Englands, Frankreiche und Israels wie auch des Irak und Libanons. Er sichert Frankreich zwei verbündete Staaten im Nahen Osten (Libanon und Israel), vielleicht sogar drei (Syrien). Er festigt die Stellung Englands im Gebiet der Öl-Länder, befreit Frankreich von der Bedrängung durch Nasser und ermöglicht eine Friedensregelung in Algerien und Nordafrika.” (Ben Gurion, Tagebucheintragung am 22. Oktober 1956). Es war ein kühner Plan, der an einigen Stellen tiefgreifende politische Überlegungen erkennen läßt: die Lösung des Problems der Bevölkerungsgruppen in Libanon, dessen Verschärfung der Alte vorausgesehen hat; die Liquidierung des künstlichen Staates Jordanien; die Umwandlung des pro-britischen Irak in den zentralen arabischen Staat der Region durch Angliederung der Ostbank des Jordans; und dazu den Sturz Nassers – allerdings nur mit Hilfe der USA.
Neben diesen politischen Überlegungen trägt dieser Plan jedoch auch den Stempel Ben Gurions des Eroberers, wie er schon im Befreiungskrieg (1948) zum Vorschein gekommen war. Ben Gurion, der seinem Volk Land erobert und ihm sichere und weite Grenzen zieht. Sein ebenso geheimes wie starkes Streben ging dahin, die Grenzen Israels zu erweitern, (ten Litani-Fluß einzubeziehen, der Israels Bedarf an Wasser decken wird. Und im Süden die Grenze Israels bis Scharm el-Scheikh auszudehnen.[16]
Ich wäre Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Heigert, für eine Ehrenrettung des Bundeskanzlers, falls dies möglich ist, sehr dankbar.
Selbstverständlich dürfen Sie dieses Schreiben auch als Stellungnahme auffassen und vollinhaltlich in Form einer Leserzuschrift veröffentlichen.
Mit freundlichen Grüßen (gez. H. Spehl)
Kopie an das Bundeskanzler- und Bundespresseamt.
*
Dr. Hans Heigert an H. Spehl
München, 18. Mai 1981
Sehr geehrter Herr Professor Spehl,
von einer längeren Reise zurück finde ich Ihren Brief vor. Zunächst einmal darf ich festhalten, daß eine Nachricht das nicht verfälschen kann, was ein Regierungssprecher sagt. Die Nachricht hat korrekt zu zitieren, und ich vermute, daß Sie dagegen keine Einwände haben. Sollte Regierungssprecher Becker gelogen haben, so werden Sie ihm gewiß das Entsprechende schreiben. Nicht die SZ ist dann der Adressat, sondern das Bundespresseamt.
Ich für meine Person weiß natürlich ebenso wie Sie, daß in den sechziger Jahren Waffen aus deutschen Bestanden nach Israel geliefert wurden. Ob es sich aber um Panzer gehandelt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Sie scheinen Ihrerseits keinen Beweis dafür zu haben.
Sollten Sie im Briefwechsel mit Herrn Becker sein, so würde mich die Antwort von dort interessieren.
Mit freundlichem Gruß bleibe ich Ihr (gez. H. Heigert)
*
H. Spehl an Dr. Hans Heigert Freiburg, 22. Mai 1981
Sehr geehrter Herr Dr. Heigert,
Sie vermuten falsch, ich habe Einwände. Denn die fragliche Nachricht kann selbstverständlich sehr wohl verfälscht haben, was der Regierungssprecher sagte. Studenten im ersten Semester Naturwissenschaft, die von der Unhaltbarkeit ihrer Schlußweisen meist auch schwer überzeugbar sind, führt man mit einem konstruierten Beispiel ad absurdum. Die offensichtlich fehlende Zeile in der SÜDDEUTSCHEN hätte ja vielleicht lauten sollen:
(Regierungssprecher Becker fugte hinzu), daß die Bundesrepublik bisher noch niemals Panzer an einen Staat geliefert hohe, der nicht der NATO angehöre. Eine Ausnahme sei mit Israel gemacht worden, well die damalige Regierung Waffenlieferungen In Spannungsgebiete leider nicht grundsätzlich abgelehnt habe.
Womit das corpus delicti sich in weniger als Phlogiston aufgelöst haben würde. Insofern also, als Regierungssprecher Becker nur möglicherweise gelogen, die SZ aber mit Sicherheit eine beschädigte Zeile gedruckt hat, war die Sendlingerstraße 80 schon die richtige Adresse. Insofern allerdings, als ich trotz schriftlicher Inanspruchnahme des Chefredakteurs nach 21 Tagen immer noch nicht weiß, was die SZ-Druckerei verschlampt hat, war es kein gute. Und vom Bundespresseamt habe ich noch keine Antwort. Den dritten vorgesehenen Adressaten, das Bundeskanzleramt, habe ich im letzten Augenblick verschont, als ich von den Schimpftiraden des Herrn Begin hörte, mit denen Bundeskanzler Schmidt persönlich abgekanzelt werden sollte. So herzlos bin ich wieder nicht, daß ich schwer angeschlagene Leute, die neuerdings wohl öfter bei sich denken: ‘Macht doch euern Erdöl- und Zionistendreck alleene!’, auch noch mit den Peinlichkeiten ihrer Notlügen irritieren möchte.
Was schließlich die Frage angeht, ob auch Panzer nach Israel geliefert worden sind: Einen ‘mathematischen’ Beweis vom Range der obigen elementaren Logik habe ich nicht. Aber ich habe eine Karteikarte mit den Eintragungen:
Panzerlieferungen nach Israel unter Adenauer/Strauß/Erhard
-> Maximilian Smidt: Panzer, Flugzeuge und U-Boote für Israel. FRANKFURTER ALLGEMEINE, 20. Febr. 1965, Seite 2.
-> Inge Deutschkron: Israel und die Deutschen. Köln 1970. Seite 286 f.
-> Zeev Barth in 3EDIOTH CHADASHOTH vom 12. und 19. Mai 1972 (mit Zitaten aus einer nicht nachgewiesenen Nummer von CHRIST UND WELT).
-> Steve Eytan: L’Œil de Tel-Aviv. Paris 1970. Seite 104.
-> AL AHRAM vom 8. Febr. 1965.
-> rororo aktuell Nr ………
… Aber halt mal, bin ich denn der Aushilfsarchivar der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG? Wo ich ihr schon kostenlos das Sündenregister der beiden Herren Schröder führe! Und so verbleibe ich, mit freundlichen Grüßen,
Ihr (gez. H. Spehl)
*
H. Spehl an das Bundespresseamt, Bonn.
Freiburg, 2. Mai 1981
Betr.: Erklärung von Regierungssprecher Becker am 28. April in Riad, Saudi-Arabien.
Sehr geehrte Damen und Herren,
in der Annahme, daß eine wörtliche Niederschrift der Presse-Erklärung existiert, die Herr Staatssekretär Becker nach den Gesprächen von Bundeskanzler Schmidt mit saudi-arabischen Regierungskreisen abgegeben hat, möchte ich Sie bitten, mir davon nach Möglichkeit eine Kopie anzufertigen. Die Details des äußeren Anlasses meiner Bitte, ein drucktechnisch verstümmelter Bericht in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, sowie meine Beweggründe, entnehmen Sie bitte dem in Kopie beigefügten Schreiben vom 1. Mai an Herrn Dr. Heigert.
Für die Zusendung des genauen Wortlauts der Erklärung wäre ich Ihnen nicht zuletzt auch deshalb dankbar, weil die fragwürdige Passage in anderen überregionalen Zeitungen (FAZ, WELT) nicht erwähnt wurde.
Für etwaige Kosten komme ich selbstverständlich auf. Mit freundlichen Grüßen (gez. H. Spehl)
H. Spehl an Regierungssprecher Kurt Becker, Bundespresseamt, Bonn.
Freiburg, 31. Mai 1981
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Becker,
nachdem sich Herr Dr. Heigert von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG offenbar endgültig als nicht zuständig betrachtet, und ich vorn Bundespresseamt auf mein Schreiben vom 2. Mai nebst Anlage bisher keine Antwort erhalten habe, möchte ich Sie persönlich anschreiben. Ich lege Ihnen die inzwischen angewachsene Korrespondenz mit Herrn Dr. Heigert bei, der sich, wie Sie seinem Schreiben entnehmen können, für Ihre Reaktion interessiert gezeigt hat. Vielleicht wollen Sie zu dem Vorgang doch noch Stellung nehmen.
Mit freundlichen Grüßen (gez. H. Spehl)
*
Regierungssprecher Kurt Becker an H. Spehl. Bonn, 2. Juni 1981
Sehr geehrter Herr Professor,
auf Ihre Anfrage vom 31. Mai möchte ich zur Klarstellung sagen, daß es sich bei der Debatte über einen Rüstungsexport für Saudi-Arabien darum handelt, ob Waffen aus deutscher Produktion in Länder geliefert werden könnten oder sollten, die nicht der NATO angehören. Die Betonung liegt auf “aus deutscher Produktion”. In der Tat hat die deutsche Industrie solche Exporte wirklich nie unternommen. Sie unterlägen einer Genehmigungspflicht durch die Bundesregierung auf der Grundlage bestehender Gesetze. Ihr Hinweis auf die Lieferungen in den 60er Jahren an Israel bedarf des Zusatzes, daß es sich nicht um in Deutschland produzierte Waffen gehandelt hat, sondern um ein Transfer amerikanischer Ausrüstungen. Ich hoffe, Ihnen mit diesen Informationen die erwünschte Auskunft gegeben zu haben.
Mit freundlichen Empfehlungen (gez. Kurt Becker)
*
H. Spehl an Dr. Hans Heigert. Freiburg, 4. Juni 1981
Sehr geehrter Herr Dr. Heigert,
beiliegend ein Schreiben von Herrn Staatssekretär Kurt Becker, für dessen Inhalt Sie sich interessiert haben.
Um die zusehends schaler werdende Debatte abzuschließen, sei angemerkt, daß ich zwar partout nicht in Erfahrung bringen konnte, was Herr Becker in Riad tatsächlich gesagt hat, daß ich aber inzwischen dem Schluß zuneige, man sollte ihm am besten genau so wenig über den Weg trauen wie so manchem anderen subversierten Vertreter seines Berufsstandes, der mir im Lauf der Jahre untergekommen ist.
Nicht etwa, daß ich alles glaube, was in der WELT steht, aber es hat nun einmal am 9. Februar 1965 in der WELT gestanden, daß unter den für Israel bestimmten Waffen auch eine unbekannte Zahl von deutschen Leopard-Panzern gewesen sein soll. Die Betonung liegt jetzt auf “deutsche Leopard-Panzer”. Daß man in schwerreichen saudi-arabischen Kreisen davon nichts weiß, ist schwer vorstellbar. Es hat damals auch in der Kairoer AL AHRAM gestanden. Und daß man sich zum großzügigen Gläubiger von Leuten macht, die sich auf großzügige Weise unglaubwürdig machen, ist vollends unvorstellbar. Basta. Soll sich meinetwegen der Herr Schachmatthöfer mit dem Regierungsversprecher auseinandersetzen. Ich lege auf weitere Zusätze zu meinen altbekannten Hinweisen keinen Wert. Soll ich etwa die Bonner Ausredner darauf hinweisen, daß laut FAZ vom 20. Februar 1965 “… im November 1963 der stellvertretende US-Außenminister Ball sogar in Bonn gegen den unerlaubten Weiterverkauf von Hubschraubern amerikanischen Fabrikats an Israel protestiert (hat)”? Wozu denn? Unsere großartige Vertuschungsrepublik will ja doch ihrem Schicksal überlassen werden. Möge sie sich also in Gottes Namen, haargenau an den großen Themen vorbei, zu Tode debattieren.
Mit freundlichen Grüßen (gez. H. Spehl)
***
Anhang
Saudis zögern mit Kreditzusagen Matthöfer in akuter Finanzklemme “Vergeltung” für die verweigerten Panzer? Riad spricht von zu niedrigen Zinsen
Von unserer Bonner Redaktion
Iö. BONN. Zum erstenmal in der Geschichte der Bundesrepublik hat der Bundesfinanzminister derzeit offenbar ernsthafte Schwierigkeiten, die zur Finanzierung des Bundeshaushaltes erforderlichen Mittel auch tatsächlich zu beschaffen. Ein Grund dafür ist, daß Saudi-Arabien gegenwärtig bei seinen Kreditzusagen an die Bonner Regierung sichtbar bremst, auch wenn Meldungen einer saudischen “Kreditsperre” gegenüber Bonn strikt dementiert werden. Zusammenhänge mit der Bonner Zurückhaltung bei der Lieferung von Panzern an Riad gelten in Regierungskreisen als wahrscheinlich. Saudische Spitzendiplomaten haben Bonner Klagen über die finanzpolitischen Bremsen in Riad mit der spöttischen Gegenfrage beantwortet: “Wundert Sie das?” Offiziell werden in Bonn allerdings Zusammenhänge dementiert…
STUTTGARTER ZEITUNG, Titelseite vom 1. Juni 1981
QUELLENVERZEICHNIS
[1] Mosche Scharett: Joman Ischi (Persönliches Tagebuch). Sifriat Ma’ariv, Tel Aviv 1978. Bond 4, Seite 1021 f.
[2] LE MONDE, 9. Oktober 1981.
[3] DIE WELT, 8. Oktober 1981.
[5] H. Spehl: Spätfolgen einer Kleinbürgeriniatiative – Deutschland, Israel und die Palästinenser. Freiburg 1979. Bond 2, Seite 278 f.
[6] Goga Kogen In AL HAMISCHMAR, 22. Dezember 1977.
[7] Goga Kogen in KHOTAM (Wochenbeilage von AL HAMISCHMAR), 30. Dezember 1977.
[8] DAVAR, 19. Mai 1978.
[9] Nachum Barnea In DAVAR, 17. Februar 1978.
[11] DAVAR, 19. März 1979.
[14] Aharon Dulav In MA’ARIV, 7. August 1981.
[15] Schimon Peres: War in the Desert, in: The Sword and the Plowshare. Herausgegeben von Naftali Arbel. Tel Aviv 1968. Seite 53.
[16] Michael Bar-Zohar: Ben Gurion. Tel Aviv 1977. Band 3, Seite 1234.