Klartexte 6: Hoffen auf den doppelten Holocaust Teil II
Hoffen auf den doppelten Holocaust
2. Teil
Texte zur Fortschaffung der Palästinenser aus Palästina
1982 Helmut Spehl, Freiburg
RÜCKBLICK AUF DIE ZUKUNFT
(Fortsetzung Siehe KLARTEXTE, Heft 5)
Die Austreibung von Hunderttausenden von Palästinensern kann nicht mit der Ermordung von Millionen Juden verglichen werden, aber aufgerechnet werden kann sie auch nicht. Es gibt eine Verkettung des Judenmordes mit dem Palästinenserproblem, aber nur im Sinne der Ausschlachtung der Hinschlachtung. Die Palästinenser sind keine Heiligen, es gibt Lügner und Betrüger unter ihnen, Taschendiebe, Einbrecher, ein paar Mörder, – aber mit dem Judenmord in Europa haben sie nichts zu schaffen. Die elende Flüchtlingsexistenz der Palästinenser, die für viele Familien nun bald in die dritte Generation geht, lastet unaufrechenbar auf dem Schuldkonto des Zionismus und seiner verkappten antisemitischen Hehler. Millionen von Menschen wurden zu menschlichem Dreck gemacht, den man von einer Tür zur anderen kehren kann, – sehenden Auges, vorsätzlich und von langer Hand geplant. Kein Staat ist ohne Verbrechen, und ein Staatsverbrechen macht gewiß noch keinen Verbrecherstaat. Die Zionisten, wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird, sind allerdings auf dem abschüssigsten Weg dahin. Ein Staat, der rassistische Fanatiker vom Schlage Gusch Emunim, die, wie oben nachgelesen werden kann, übermütig schürend mit einem doppelten Holocaust spekulieren, zur Pionier-Elite seiner Staatsideologie zählt, ein solcher Staat, eine solche Ideologie, verdient keine Nachsicht mehr. Nachsicht war vielleicht noch angebracht, als man der irrigen Meinung sein konnte, die Palästinenser-Austreibung sei einer momentanen Not gehorchend, und nicht dem eigenen Trieb zufolge, begangen worden. Man konnte damals, 1948, vielleicht noch der Meinung sein, Ben Gurion und die regierende israelische Arbeiterpartei würden alles nur Erdenkliche tun, um das ‘beiläufig’ geschehene Unrecht wiedergutzumachen. Aber Illusionen, die aus Ratlosigkeit und Feigheit geboren werden, sind die kümmerlichsten. Der Kummer kann nicht ausbleiben, und er ist nicht ausgeblieben.
Kein Staatsverbrechen ist dem anderen gleich, die Skala der Motive und der Lumpereien ist beträchtlich. Allenfalls die Enthüllungs- und Vertuschungszwischenspiele gleichen sich, häufig genug wie ein faules Ei dem anderen. Wo die Schreibtischtäter, Durchführer und Verführte nicht in Haft genommen werden können, muß die Verdunkelungsgefahr zur Verdunkelungsgewißheit werden; dem Massenmord wird der Rufmord an den Opfern folgen, der Menschenvertreibung der menschliche Verleumdungstrieb. Zum Schuldigen vor der Welt, nicht immer freilich auch vor der Geschichte, muß dann jener werden, gleichgültig ob als Täter oder Opfer, dem keine internationale Journalisten-Lobby das Lügenzünglein an der Waage der Justitia spielt.
Das Enthüllungs- und Vertuschungszwischenspiel in Sachen zionistischer Landnahme, insbesondere aber ‘Lichtung’ des genommenen Landes, steht noch aus. Bislang wurde nur vertuscht, enthüllt ist gar nichts. Man hat mit diskretem Diplomatengeplauder das Schlimmste zu verhindern versucht. Aber was vermag schon Diplomatendruck gegen Zeitungsdruck! In der breiten Öffentlichkeit hat man die Israelis jahraus, jahrein die Gegenkläger spielen lassen, ohne daß sie jemals ernsthaft und nachhaltig, unter Beigabe von Details, der eigentlichen Untat, ihrer Staatsideologie nämlich, angeklagt gewesen sind. Noch betätigt das Lügenzünglein keine Waage, es steckt vielmehr in einem ungehemmten Lästermaul, das sich der Flüchtlingsexistenz der Palästinenser bedienen kann nach tagespolitischem Gutdünken und landesherrenrechtlichem Belieben. Der Palästinenser ist dem Zionismus, was der Teufel dem Christentum ist: seiner Ausbreitung nicht nur im Wege, sondern auch eine höchst notwendige Person, als Gegengewicht zur allbekannten Güte und Weisheit Gottes und der Zionisten, die ganz und gar unverständlich lassen würde, woher denn die zahllosen Übel unserer Welt und des Nahen Ostens kommen, wenn nicht der Teufel und die Palästinenser sie auf ihre Rechnung nähmen. Bei einem so heftigen Glaubensartikel darf man sich denn auch nicht wundern, wenn die israelische Propagandamaschinerie es oft genug nicht einmal mehr der Mühe wert befunden hat, sich wirklicher oder erfundener Ruchlosigkeiten der Araber zu bedienen, sondern ihnen kurzerhand das spiegelverkehrte Abbild der eigenen zugeschrieben hat. Und darum kann, wer zionistische Spiegelschriften zu lesen versteht, ein gut Teil detaillierter Nahostgeschichte Schwarz auf Weiß nach Hause tragen.
Berufszionisten und deren Freunde sind noch heute, im fortgeschrittenen Kostenstadium der verzweifelten Devise “Weg vom Öl!”, kaum darauf gefaßt, vor einem großen westlichen Fernsehpublikum ohne Umschweife mit der Kernfrage: Kain, wo ist dein Bruder Abel? konfrontiert zu werden. Erik Blumenfeld, ein gewiefter Mann, sollte man meinen, Bundestagsabgeordneter der CDU von 1961 bis 1980 und seither auf dem Altenteil im Straßburger Europa-Parlament, kann als Beispiel dienen. Erik Blumenfeld ist der langjährige Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, und als solcher kam er vor einiger Zeit in die offensichtlich ungewohnte Lage, auf jene Frage eine Stegreif-Antwort geben zu müssen. Ich möchte mir erlauben, das Kauderwelsch in möglichst originaltongetreuer Transkription wiederzugeben. Erik Blumenfeld wurde von Gerhard Konzelmann, dem seit der ersten Ölkrise gelegentlich gefragten ARD-Mann, sozusagen aus dem Energie-politischen Hinterhalt heraus gefragt:
Konzelmann: Herr Blumenfeld, Sie sind ein Mann, der Gerechtigkeit für ein hohes Gut der menschlichen Gemeinschaft hält. Die Palästinenser sind vertrieben worden. Wie kann das widergutgemacht werden?
Blumenfeld: Sie sind schon, äh – vertrieben worden unter – ihren früheren – – Herren. Äh – die ganze Region ist eine Region des, äh – von Kriegen und Zerstörung und, äh, immer wieder Aufbau. Äh – die Palästinenser sind seinerzeit von den Ägyptern und von den Syrern und den Jordanern vertrieben worden. Die Israelis haben sie nicht vertrieben. Es ist das Mandatsgebiet und im Jahre 1948 die Aufteilung gewesen zwischen Jordanien und Israel, die diese politisch schizophrene Situation geschaffen hat einer Teilung, und, äh, kein Mensch hat bisher – mit Ausnahme von Terroristen, die vertrieben worden sind, meiner Meinung nach zu Recht – äh, ist keine Vertreibung von Palästinensern erfolgt.[1]
Nach sorgfältiger Lektüre dieser deutsch-israelischen Verlautbarung ihres überraschten Rotwelschsprechers, wird der verständige Leser mir vielleicht beizupflichten beginnen, daß seit über 30 Jahren die sinnreiche Möglichkeit mißachtet wurde, dem Nahost-Konflikt auf öffentlichem Wege beizukommen, und daß man ihm stattdessen mit bangem Schweigen den gewalttätigen Weg geebnet hat.
VI
Die Israelis haben sie nicht vertrieben, die Palästinenser, fluchtwillig und Publicity-scheu wie sie sind in diesen Dingen (nichts Genaues, außer wenn sie Bomben legen, weiß man nicht), lassen sich mal hier, mal dort in Backöfen schmoren, und die Vereinten Nationen besiegeln den ungeklärten Zustand, indem sie ihn seit über 30 Jahren finanzieren. Das ist nicht nur ein zionistisches Lichtungswunder, das ist auch ein Fall von palästinensischem Massenmasochismus. Das Wunder aus Dr. Weizmanns alchimistischer Retorte ist mehr für’s Volk gemeint, der Masochismus mehr für psycho- und soziologisierende Wissenschaftlhuber. In allzu großem Abstand von Massenmasochismus kreisen die inspirierten Gedankengänge nämlich nicht. Ich brauche die diesbezüglichen Belege nicht hervorzusuchen, sie sind mir, und vielleicht auch manchem Leser, in deutlicher Erinnerung. Eine Massenpsychose habe 1948 die Palästinenser erfaßt, so geht die Forschungsleier, und kein jüdisches Zureden habe da noch helfen können: in Panik hätten die Palästinenser, einer rasenden Schafherde gleich, das Land verlassen.
Die Vereinten Nationen und ihre Hauptgeldgeber, voran die USA, sind dennoch keine Tarnorganisation zur Förderung perverser Triebhandlungen; aber daß sie eine Organisation sind, die sich der Begünstigung diverser Vertreibungshandlungen schuldig fühlt, darf man ihr nachsagen. Die damals noch sehr strammen UNO-Gründungsväter sind sich auch ohne Blutgruppenprobe sicher, was sie angerichtet haben, als sie jenen Besitzwechselbalg in die Nachwelt setzten, der 1947 auf den unschuldsvollen Namen: Teilungsplan für Palästina hörte. Ruhig Blut, war die Devise, es wird schon ohne Blutvergießen gehen, wenn wir den Juden einen Staat zusammenzeugen, dort hinten, weit in der Türkei, damit in unseren Landen nicht länger Judenblut vom Messer spritzt. Die Fürsorge, die sie seitdem den Palästinaflüchtlingen angedeihen lassen, gleicht allerdings weniger einer Alimente, von der halbwegs zu leben wäre, als vielmehr der Gelübdegabe eines halbertappten Besitzwechselfälschers, der jeden Sonntag sein Wiedergutmachungsscherflein in den Klingelbeutel steckt. Nicht zuviel – es könnte auffallen; nicht zu wenig – die Ablaßwirkung könnte ausbleiben. Dreißig Pfennige pro Flüchtlingstag und Flüchtlingskopf ist der richtungsweisende Betrag, der das Studium. von Bergen von UN-Resolutionen überflüssig macht. Da kämpfte besseres Wissen mit noch schlechterem Gewissen, das ein paar zusätzliche Pfennige hätte locker machen können. Denn niemand weiß besser als die Hehler, wer die eigentlichen Täter sind.
VII
Das zionistische Lichtungswunder war abzusehen.
“Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen, indem wir ihr in den Durchzugsländern Arbeit verschaffen, aber in unserem eigenen Lande jederlei Arbeit verweigern.”[2]
Mit dieser Eintragung in sein Tagebuch hat sich Theodor Herzl, den die Israelis ja nun wirklich völlig ungeniert als Ahnherrn aller zionistischen Taten feiern, einen Ehrenplatz im christlich-jüdischen Chorgestühl der Palästinasünder abgesichert. Es ist selbstverständlich zu konzedieren, daß über solche Sätze leicht hinweggelesen werden konnte zu einer Zeit, als die Welt voll war von jüdischen Deportiertenlagern, und die Palästinenser kaum wußten, was das für sie zu bedeuten hat. Seit aber die jüdischen Flüchtlingslager der Geschichte angehören und 60 palästinensische unmißverständlich an deren Stelle traten, sollte Herzls Herz für Arme nicht länger die versponnene Privatangelegenheit eines Wiener Journalisten bleiben dürfen, der, wie Karl Kraus ihn charakterisierte, “einen Übergang vom Feuilletonfach zum Leitartikel brauchte”. “Das Expropriationswerk muß ebenso wie die Fortschaffung der Armen mit Zartheit und Behutsamkeit erfolgen”, heißt es an gleicher Stelle, ein paar Sätze weiter, in Herzls Tagebuch. Wie das damals gemeint war, ist einerlei; Herzl mag mit der Suttner Umgang gehabt haben oder mit dem Profilierungsteufel. Heute, bei 60 existierenden palästinensischen Flüchtlingslagern, muß es ein noch immer nicht abgeschlossenes Programm genannt werden. Man wird, wenn man schon nichts zu sagen wagt, doch wenigstens noch lesen können!
Bestallte Historiker, wenn die öffentliche Meinung ihnen günstig und das Imprimatur angesehener Verleger sicher ist, sind mitunter recht erfinderisch beim Umgang mit ihren Quellen. Die Mahnung post hoc, ergo propter hoc braucht da nicht zu stören. Ernst Nolte etwa, der angesehene Faschismusforscher, hat das Verdienst, eine vergessene Broschüre des völkischen Publizisten Dietrich Eckart wiederentdeckt zu haben: “Der Bolschewismus von Moses bis Lenin. Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir.” In diesem (wahrscheinlich fingierten) Gespräch zwischen Eckart (“Ich”) und Hitler (“Er”) schlägt Eckart vor, alle Synagogen und Judenschulen zu verbrennen. “Er” winkt “hoffnungslos” ab. “Mit dem Verbrennen wäre uns verdammt wenig geholfen. Das ist es ja! Auch wenn nie eine Synagoge, nie eine jüdische Schule, nie das Alte Testament existiert hätte, der jüdische Geist wäre doch da und täte seine Wirkung.”[3] Was macht Nolte aus dieser Stelle, die ja doch heute gewiß nicht mehr bemüht werden muß, um Hitlers Antisemitismus nachzuweisen? Nolte lehrt seine Leser lesen auf eine Art, daß einem Schopenhauers Wort von den Gelehrten, die sich dumm gelesen haben, in den Sinn kommt: “Was bedeuten diese etwas undurchsichtigen Worte, von denen das Gespräch sich im folgenden gleich wieder fortbewegt? … Nicht auf das Hauptwort ist dem Sinne nach der Ton zu legen, sondern auf den Artikel (mit dem Verbrennen). Was in den Reden vorsichtig umgangen, in ‘Mein Kampf’ nur gerade angedeutet ist, lag in dieser Schrift seit 1924 unmißverstehbar vor Augen.”[4] Kurz und gut, Ernst Nolte ist unmißverstehbar der Entdecker der frühsten Quelle für die Verbrennungsöfen von Auschwitz, und er hat das Glück, in einem Land zu leben, in dem es sich seit 1945 lohnt, der Entdecker der frühsten Quelle für Auschwitz zu sein. Weiß Gott, Auschwitz haben sie übersehen, aber der Prioritäten der frühsten Quelle für Auschwitz wegen gehen sie schier mit Lehrstuhlbeinen aufeinander los, meine verehrten Herren Kollegen vom anderen Fach.
Worauf also wollen wir, die wir nichts zu entdecken brauchen, den Akzent setzen in unserer frühsten Quelle für das verfrühte Versiegen der Ölquellen? Man sollte das Wörtchen ‘arm’ nicht allzu sehr betonen, und schon gar nicht den Akzent auf ‘Arbeit verschaffen’ legen, man käme in Widerspruch mit den heutigen Fakten. Am besten liest man den Machiavellismus so: “Die arme Bevölkerung trachten wir unbemerkt über die Grenze zu schaffen.” Dieses Wunder nämlich ist geglückt.
VIII
Chaim Guri, ein enger Vertrauter von David Ben Gurion, hat im Frühsommer 1949 auf dessen Schreibtisch im Verteidigungsministerium die Bibelverse aus Exodus 23, 29-30 liegen sehen, und er hat diese Episode den Lesern Von DAVAR erzählt, ohne die leiseste Kritik, eher schon mit Enthusiasmus.[5] Denn Gott, der Herr, sprach also:
Ich will sie nicht auf ein Jahr ausstoßen vor dir, auf daß nicht das Land wüst werde und sich wilde Tiere wider dich mehren; einzeln nacheinander will ich sie vor dir her ausstoßen, bis daß du wächsest und das Land besitzest.
Dem Leser wird bekannt sein, daß die Bibel schon manchem Haderlumpen das sicherste Alibi für Morden und Brennen und Pfählen und Henken war, für Bluthochzeiten und Ketzergerichte, alles in majorem Dei gloriam. Aber vielleicht wird es ihn befremden, daß die Bibel auch als Rezeptsammlung für Politiker des Zwanzigsten Jahrhunderts ernst genommen werden muß. “Ich bin Atheist seit meiner frühen Kindheit”, bekannte Ben Gurion in einem Interview mit Eric Rouleau, der dazu anmerkt, Ben Gurion habe “ein Buch in nächster Reichweite, auf das er sich dauernd mit Leidenschaft beruft: das alte Testament, das er noch immer mit Ergötzen liest.”[6]
Theodor Herzl, dem das Alte und das Neue Testament Jacke wie Hose war[7], muß Jahrzehnte vor Ben Gurion im nämlichen Buch gelesen haben:
Ziehen wir in eine Gegend, wo es für die Juden ungewöhnliche wilde Tiere gibt – große Schlangen usw. – so benütze ich die Eingeborenen, bevor ich sie in den Durchzugsländern beschäftige, dazu, diese Tiere auszurotten.[8]
Es ist ja schön, möchte man sagen, daß auch Atheisten in Heiligen Büchern lesen. Bei Politikern endet das jedoch meist wie’s Hornberger Schießen: mit dem Nächstliegenden natürlich, mit Schießen. Und so kommen wir auf Ben Gurion zurück, der nicht länger mehr von einem Araberreinen Eretz Israel bloß zu träumen brauchte, sondern die Regierungsgewalt, die Waffen, und vor allem das große Einverständnis der Nach-Holocaust-Generation jüdischen wie christlichen Glaubens hatte, aus einem alten zionistischen Traum einen palästinensischen Alptraum werden zu lassen.
Ben Gurions Bestreben ging immer dahin, eine größtmögliche Zahl von Arabern aus dem Staatsgebiet zu entfernen, und dafür zu sorgen, daß sie nach dem Krieg nicht zurückkehren…[9]
Ben Gurion war während seines ganzen Lebens gegen Gewaltanwendung… Jedoch während des Unabhängigkeitskrieges (1948) ordnete er ausdrücklich an, Araber aus eroberten Gebieten hinauszuwerfen, nicht sie zu töten, aber sie hinauszuwerfen. Das war sein Konzept, und darüber wäre seine Regierung beinahe gestürzt. Als Cisling im Kabinett die Frage stellte, warum denn die Häuser der geflohenen Araber zerstört werden, und warum sie weggejagt werden, sagte Ben Gurion, daß wir einen j ü d i s c h e n Staat wollen… Und nach dem Krieg hoffte er immer, daß sich eine Gelegenheit bieten würde, die noch verbliebenen Araber wegzujagen.[10]
Das muß alles sehr befremdlich klingen für einen Leser, der den Juden unablässig eine Sonderbehandlung angedeihen lassen möchte. Als sie Krämerseelen waren wie die übrigen Krämerseelen, und Genies hervorbrachten, die ihresgleichen suchten, zwang man sie, des Neids der Mitbewerber aller Stufen wegen, den Judenstern zu tragen. Seit sie Usurpationskriege führen wie die übrigen Usurpatoren, und seit sie Menschen schinden wie die übrigen Menschenschinder, tragen sie nach christlichem Willen den Heiligenschein. Aber kein Auschwitz und kein Wüstenwunder, kein Totenmeer und kein Blumenfeld, kann vor der Geschichte darüber hinwegtäuschen, daß sie sind und waren, wie wir alle sind und waren: im Frieden mäßig friedlich, und im Krieg – ach ja, das wird man gleich noch sehen.
IX
Das Selbstverständliche ist das Unverständlichste. Mit friedlichen Mitteln ist das zionistische Programm selbstverständlich nicht durchführbar, nicht in Palästina und nirgendwo anders in einem bereits bewohnten Land. Man kann sich günstiger Gelegenheiten, vorteilhafter Weltmeinungen, umgestülpter Antisemiten und, zur Eintreibung der widerspenstigen Juden, der Überzeugungskraft antisemitischer Pogrome bedienen, aber eine Staatsgründung und Staatsausweitung gegen den erklärten Willen der eingesessenen Bevölkerung ist kein friedlicher Akt. Die reichen Deutschen können die Mehrzahl der Grundstücke und Villen im Tessin erwerben, einen Staat gründen können sie dort begreiflicherweise nicht. Die “Fortschaffung der Armen” kann auch nicht mit “Zartheit” bewerkstelligt werden. Was ist “zart” an einem Programm zur “Fortschaffung” der Juden? Man kann diese wie jene zu überreden versuchen, ihnen Luftschlösser vorgaukeln, das euphemistische Reservoir aller Egoismen der Geschichte der Spezies Mensch ins Spiel bringen: wenn die Betroffenen am Land und an der Heimat hängen, hat alle Zartheit ein Ende. So, und nicht anders, steht es mit Krieg und Frieden im Nahen Osten.
Professor Jeschejahu Leibowitsch, der weise, alte, unbequeme Mann von der Hebräischen Universität, kann nur für eine Minderheit von Israelis sprechen. Mir spricht er wie aus meiner Sammlung unterschlagener Dokumente. Und, Gott sei Dank,. muß man sagen, seine urteilswuchtigen Worte haben in der liberalen hebräischen Presse noch ihren Platz. Es muß aber auch hinzugefügt werden, daß sie fatalerweise in der amerikanischen Presse, der jüdischen wie der anderen, ganz und gar unmöglich sind.
Frage: Bevor Sie mir sagten, daß Sie dem Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten keine Bedeutung beimessen, hatte ich die Absicht, Sie zu fragen, wie Ihrer Meinung nach der Frieden das Leben in Israel beeinflussen wird.
Leibowitsch: Ich möchte dieses krumme Wort nicht mehr aussprechen. Dieses Wort ‘Friede’ ist ein krummes Wort geworden. Wer will denn keinen Frieden? Will etwa Menachem Begin keinen Frieden? Natürlich will er ihn. Will Ge’ula Cohen keinen Frieden? Selbstverständlich will sie Frieden, unter der Bedingung, daß die Araber – anderthalb Millionen Araber! – von hier vertrieben werden. Will Jassir Arafat keinen Frieden? Natürlich will er ihn, unter der Bedingung, daß es keinen Staat Israel gibt. (…)
Frage: Aber es hat sich doch gezeigt, daß manche Leute durchaus darauf eingestellt sind, Territorien, ja sogar Siedlungen für Frieden aufzugeben.
Leibowitsch: Jetzt – vielleicht. Weil uns das (von den Amerikanern) aufgezwungen wird. Aber 30 Jahre lang wollten wir keinen Frieden. Wir wollen die Dinge beim Namen nennen. Jetzt ist doch angeblich (mit dem Friedensvertrag mit Ägypten; Zusatz des Obers.) ein ‘historischer Augenblick’ gekommen; das ist die rechte Zeit für eine Rückschau. 30 Jahre lang haben wir offensichtlich keinen Frieden gewollt.
Frage: Wer ist ‘wir’? Die Regierung?
Leibowitsch: Alle. Nicht nur die Regierung. Die gesamte israelische Öffentlichkeit.
Frage: Glauben Sie wirklich, daß die Israelis keinen Frieden wollten?
Leibowitsch: Sie wollten keinen Frieden. Wir waren überzeugt, daß der Zustand: kein Frieden – kein Krieg für uns ideal war. Zunächst einmal bedeutet Frieden, daß wir nachgeben, und wir wollten nicht nachgeben, in der Frage der Flüchtlinge beispielsweise. Und wir wußten, wenn die Araber es wagen sollten, uns anzugreifen, daß wir sie in weniger als einer Stunde mit einem Minimum an Verlusten kaputt machen würden. (…)
Frage: Was halten Sie von Begin?
Leibowitsch: Der Umstand, der ihn von seinen Vorgängern unterscheidet, hat keine politische Bedeutung, er hat nur eine menschliche Bedeutung. Begin liebt das jüdische Volk und das Judentum. Die Führer der Arbeiterpartei haßten das jüdische Volk und das Judentum. Ben Gurion haßte das Judentum auf geradezu pathologische Weise. Begin ist ein bescheidener Mann. Ich sprach mit ihm ein paar Mal, vor vielen Jahren. Ein bescheidener Mann. Nicht clever. Ben Gurion war das Gegenteil: ein Gangster – aber clever…[11]
X
Ehe ich’s vergesse, und bevor wir zu den heißen Sachen kommen, die mir wohl niemand mehr abnehmen wird, ein Wort zu den so beliebten jüdisch-arabischen Koexistenzgeschichten. Eine Frau Liselotte Berger aus Berlin, laut eigener Angabe Mitglied des Deutschen Bundestages und mir weiter nicht bekannt, schreibt in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN unter anderem:
Die Länder des Westens sollten der Regierung Begin doch die Chance geben, die Fähigkeiten Israels zur Entwicklung, Integration, Toleranz, zu sozialem, wirtschaftlichem und politischem Ausgleich zu beweisen. Nach den Eindrücken, die ich in Israel über das Verhältnis zwischen Juden und Arabern gewonnen habe, wird dies gelingen, wenn man dem jetzt angestrebten Autonomie-Statut für die Westbank und für Gaza eine Reihe von Jahren Zeit gibt, in denen es sich ungestört von Pressionen des befreundeten Auslands mit Leben erfüllen kann.[12]
Gegenüber gewählten Bonner Damen bin ich normalerweise freundlich, selbst wenn es sich zeigt, daß sie auf den Hinterbänken des Bundestages besser zurechtkommen als mit den Hintergedanken der Israelis. Ihr “Hört, hört!” höre ich mir an wie ein Gentleman, ohne mit der Wimper zu zucken, und ihr “Hör auf Israel!” will ich überhört haben, weil nicht der geringste Anlaß für die Unterstellung besteht, daß sie’s im gutgemeinten Interesse Aller betont haben möchte, wie es sich gehört: “Hör auf, Israel!” Es ist auch nicht weiter von Belang, ob bei den Myriaden von Gleichgesinnten, die wir auf dem Gewissen haben, eine zusätzliche Frau Berger, MdB, dem angestrebten Autonomie-Statut eine Reihe von Jahren Zeit geben möchte, in denen es sich ungestört von Pressionen des befreundeten Auslands mit jüdischem Leben erfüllen kann. Und ihr begreiflich zu machen, daß sie dabei ist, sich ein monadengroßes Splitterchen Verantwortung am dritten Palästinenser-Holocaust zusammenzuplappern, ist so aussichtslos, wie es unmöglich war, einem dummen Hitlerjungen klarzumachen, daß er das Braunhemd einer verbrecherischen Organisation am Leibe trägt. Aber einen hebräischen Kontrast zu ihrer schönen Koexistenzgeschichte des Zionismus kann ich mir nicht versagen:
Die (israelischen) Geheimdienste befassen sich nicht nur mit Geheimdiensttätigkeiten im klassischen Sinne des Wortes. Die gegenwärtigen Verhältnisse sind so, daß dieser Zweig wahrscheinlich die einzige jüdische Gruppierung ist, die in das Leben der arabischen Gesellschaft integriert ist. Es ist kläglich, aber der Geheimdienst ist die einzige jüdische Gruppe die direkten Kontakt zur arabischen Bevölkerung hat.[13]
XI
Es gibt eine beiläufige Geschichte der Koexistenz der jüdischen und arabischen Bevölkerung im alten Palästina; eine Koexistenzgeschichte des Zionismus gibt es nicht, es sei denn im aberwitzigen Sinn einer Einnistung der Unterwelt bei der Quislingswelt. Herzls früher Gedanke von der unbemerkten Fortschaffung der Armen ist von seinen Nachfolgern, wann immer sich die Gelegenheit bot, Wort für Wort befolgt worden. Man darf nicht glauben, dies sei eine Sache oder Folge der verschiedenen arabisch-israelischen Kriege. Das Fortschaffungsprogramm forderte schon seine Opfer unter den Armen Palästinas, als die Jewish Agency das Siedlungsland noch kaufte, weil der Staatsapparat noch fehlte, der es zu erobern gestattete. Man kann der Faustregel folgen, daß einer starkbeachteten Bedrängung oder Vertreibung von Juden irgendwo auf der Welt, die ‘unbemerkte’ Vertreibung oder Verdrängung von Palästinensern auf dem Fuße folgte. Und darum ist das Bild von den palästinensischen Störenfrieden, das wir uns zurechtlegen ließen, das Bild von den palästinensischen Terroristen, ja das Bild von den arabischen Schweinen ich habe das Wort noch im Ohr, es fiel 1969 in einem Hörsaal der Freiburger Universität – eine Unverschämtheit allerersten Ranges. Ich greife unter dem Stichwort ‘Bevölkerungstransfer’, Unterabteilung ‘Mandatszeit’, wahllos in meine Kartei: Brief von Joseph Weitz, dem Leiter der Landwirtschaftsabteilung der Jewish Agency in Palästina, an seinen Sohn Ra’anan, datiert vom 20. Juni 1933. Nein, kein Druckfehler; 20. Juni 1933.
… Ich verbrachte zwei Tage im Wadi Chawarit (nördlich von Tel Aviv), wo ich damit beschäftigt war, das Land zu räumen und die Araber von dort wegzuschaffen. Ich muß Dir sagen, daß in meinem Inneren ein Aufruhr der menschlichen Triebe herrschte. Im ersten Augenblick, als das Lager sich erhob, um das Land zu verlassen, meldete sich in mir die Stimme der Moral, die hebräische Moral aus uralter Zeit sprach aus meinem tiefsten Innern: Ihr benehmt euch ja wie die Gojim; die Leute, die auf diesem Land Jahre um Jahre lebten, vertreibt ihr nun mit Gewalt, mit Hilfe der (britischen) Armee und der Polizei. Aber diese Stimme verstummte schnell. Denn in Wahrheit, was haben diese Leute hier gemacht? Die Sümpfe haben sie ausgeweitet, die Krankheiten vermehrt, die Dornen haben sie wachsen lassen, und auf weite Flächen von fruchtbarem Boden haben sie ihre Herden getrieben. Und trotz ihrer Arbeit lebten sie in Armut und Elend. Ist es nicht ihre Pflicht, einer blühenden Kultur Platz zu machen, dank derer zehn leben werden statt einem? Und neben dieser Stimme hörte ich die Stimme meines leidgeprüften Volkes, das eine Zufluchtstätte sucht und keine finden kann. Als ich daran dachte, daß an dieser Stelle eine Siedlung von 300 jüdischen Familien, von 2000 jüdischen Menschen entstehen wird, Menschen, die aufbauen, das Land kultivieren, und diesem Land ihr Brot verdanken werden – da wurde ich ruhig und sagte mir: So ist das Leben! Mein Volk kommt zuerst, und wir haben ja das Land nicht gestohlen. Wir haben mit gutem Geld dafür bezahlt… Alles in allem war meine Stimmung nicht die beste, aber jetzt bin ich ruhig: Unsere eigene Jugend ist hinaufgezogen, pflügt das Land, zäunt es ein, errichtet Hütten, und man kann das Tönen der jüdischen Hämmer von weither hören.[14]
XII
Die große Fortschaffung der Armen und der Reichen fällt mit dem Jahr der Staatsgründung zusammen. Während der allgemeinen Unruhen gegen Ende der Mandatszeit und während des sogenannten Unabhängigkeitskrieges nach der Staatsgründung (14. Mai 1948), verließ der größte Teil der autochthonen arabischen Bevölkerung, insgesamt nahezu eine Million Menschen[15], das gegenüber dem UNO-Teilungsplan erheblich vergrößerte israelische Staatsgebiet. Die Fortschaffung von Hunderttausenden von festverwurzelten Menschen ist keine einfache Sache. Die offiziöse israelische Geschichtsschreibung, gar nicht zu reden von unserer eigenen, enthält darüber so gut wie nichts. Beide sind, in dieser Hinsicht, so grenzenlos verlogen, wie die Geschichtsschreibung aller siegreichen Kriegsgewinnler endgültig verlogen wird, wenn die Kapitel über’s Plündern, Rauben, Morden und Brennen an die Reihe kommen sollten, und wenn mit dem Licht, das wieder einmal in die Welt kam, die finsteren Hintergedankengänge auszuleuchten wären.
Dennoch gibt es eine wachsende Anzahl kaum anfechtbarer Quellen. Man braucht keine arabischen, die ohnehin wenig hergeben. Es gibt immer Augenzeugen, von denen allerdings die allermeisten weiter nichts überliefern, als die zwei, drei entsetzlichsten Augenblicke ihres Lebens, die sie eines Tages ihren Kindern zu erzählen versuchen. Daneben gibt es immer ein paar andere, die glauben, ihr Entsetzen reiche aus, eine beschlossene Sache aufhalten zu können. Sie haben in der Regel keine Rotationsmachine, und wer eine Rotationsmaschine hat, weiß in der Regel auch, daß man einer beschlossenen Sache nur höchst diskret im Wege stehen darf, soll die Rotationsmaschine weiterlaufen. Kurzum, die schreibenden Augenzeugen sind gut, die Wirklichkeit ist schlimmer. Dies sind die Überlieferungs-technischen Schwierigkeiten unseres Themas. Die Vertreibungs-technischen Details haben mich niemals sonderlich interessiert. Ich mache ein Gedankenexperiment, schaue mir die Karte von Palästina an, berücksichtige das kaum entwickelte Kommunikationssystem einer vorwiegend ländlichen arabischen Bevölkerung, kenne aus eigenem Erleben die wildwuchernde orientalische Phantasie und die Windeseile, mit der Gerüchte bis zur Dorfgrenze vordringen, deren Ausbreitungsgeschwindigkeit darüber hinaus jedoch sinnvollerweise in Einheiten von Wochen zu bemessen ist, und ich komme zu dem Schluß, daß die Fortschaffung der Armen mit e i n e m Massaker nicht zu schaffen ist. Den Modellfall, den ich für mein stochastisches Sandkastenspiel benötige, hat Menachem Begin, der damalige Irgun-Chef, mit folgenden Worten beschrieben:
Nicht was in Deir Jassin geschah, sondern was über Deir Jassin erfunden wurde, half uns den Weg zu unseren entscheidenden Siegen auf dem Schlachtfeld bahnen. Die Legende von Deir Jassin hat uns besonders bei der Rettung von Tiberias und bei der Eroberung von Haifa geholfen… Die jüdischen Streitkräfte drangen in Haifa vor wie ein Messer durch Butter. Die Araber flohen in Panik mit dem Schrei: Deir Jassin![16]
Araber, quer durch das Land, von den wilden Gerüchten einer “Irgun-Schlächterei” verführt, wurden von grenzenlosem Entsetzen gepackt und begannen zu fliehen, um ihr Leben zu retten. Diese Massenflucht entwickelte sich bald zu einer verrückten, unkontrollierbaren Panik.[17]
So Menachem Begin. Ein bescheidener Mann. Will es mit e i n e m Massaker geschafft haben. Sogar mit der L e g e n d e seines Massakers. Nicht besonders clever. Ben Gurion hingegen war das Gegenteil: ein Gangster – aber clever. Hat dem bescheidenen Mann den Schwarzen Peter zugeschoben:
Ob das Massaker von Deir Jassin (9. April 1948) Teil eines vorgefaßten Planes war, wie die Araber behaupten, ist schwer zu entscheiden, noch schwerer zu beweisen. Die Wahrheit ist, daß es trotz seines entsetzlichen Ausmaßes ein isoliertes Ereignis war; und erwartungsgemäß haben sowohl die Jewish Agency wie auch deren reguläre Streitkräfte, die Haganah, eine irgendwie geartete Beteiligung oder Verantwortung nicht nur zurückgewiesen, sondern das Massaker auch offiziell verurteilt und terroristischen Elementen außerhalb ihrer Kontrolle zugeschrieben (es wurde sogar ein Telegramm an König ‘Abdullah von Jordanien gesandt)… Was immer die Auswirkung auf die Moral der arabischen Bevölkerung gewesen sein mag, es ist meine Überzeugung, daß der Exzeß von Deir Jassin die Tat von unkontrollierbaren terroristischen Gruppen war, und daß die Führer der Jewish Agency und der Haganah darüber nicht nur betrübt waren, sondern die Tat in ihrem tiefsten Innern ebenso sehr aus menschlichen Gründen verurteilten, wie auch deshalb, weil sie fühlten, daß sie der zionistischen Sache in hohem Maß geschadet hat.[18]
Die Wahrheit ist, daß Deir Jassin der zionistischen Sache nicht deshalb geschadet hat (ein bißchen und für eine kleine Weile geschadet hat, muß man korrekterweise sagen), weil es die 250 palästinensischen Leichen gab, sondern weil die außerarabische Welt sie hatte entdecken dürfen. Wären die vielen anderen Massaker bekannt geworden, wären vor allem in deren Verlauf die eigentlichen Ziele der Zionisten weltweit bekannt geworden, die Geschichte des Nahen Ostens hätte wohl eine andere Wendung genommen. Die Bemerkung ist müßig. Beim schon damals fortgeschrittenen Stand der internationalen Hehlerei, die eine deutsche Raserei wiedergutmachen zu müssen glaubte, war Derartiges, im nötigen Ausmaß, nicht mehr möglich. Wer weiß, vielleicht war die internationale Publicity um Deir Jassin ein verzweifeltes Rettungsmanöver von seiten einflußreicher Juden, die erst aus Deutschland vor der Nazipest und dann aus Palästina vor der Zionistenseuche flohen…
XIII
Deir Jassin war kein isoliertes Ereignis. Das zionistische Hauptprogramm der Fortschaffung der Armen und der Reichen war mit einem Massaker nicht zu bewältigen. Ich werde im folgenden ein paar andere beim Namen nennen. Gleichzeitig bitte ich die Leser um Verständnis, daß ich mich zu verabschieden beginne. Die blutvollen Details von Schlächtereien lehren ja nichts, was man nicht ohnehin verstanden hat. Mir ist das eine Massaker der Prototyp des anderen. Wer das deutsche Zentralschlachthaus kennt, braucht die Detailbesichtigung der Schächthäuschen nicht. Aber ich weiß natürlich, daß der Bürger keine Phantasie hat. Ist von Auschwitz die Rede, will er Photos von Verbrennungsöfen sehen. Komme ich ihm mit Massenvertreibung, will er die Nase in Blutspuren stecken. Der Leser wird selber am besten wissen, daß ein unblutiger Satz, wie der oben zitierte von Gerhard Konzelmann: ‘Die Palästinenser sind vertrieben worden’, keinen Eindruck hinterläßt, selbst wenn er vor einem Millionenpublikum gesprochen wird. Ich werde also ein paar hebräische Texte deponieren, und mich mit der Versicherung verabschieden, daß ich nichts weiter im Sinne hatte, als dem Leser zu zeigen, daß es in unserer Betrachtungsweise der Kriege im Nahen Osten Dinge gibt, die es schon bei mäßigem Verständnis der Umstände niemals hat geben können. Die Blutlachen, die die Flucht der Palästinenser ausgelöst haben, sind schlimm; schlimmer noch ist das Hohnlachen, das ihnen folgte. Jenes der Zionisten ist schrecklich, aber wenigstens logisch; das unsrige ist noch schrecklicher, denn es schürt Kriege, die zumindest wir mit Sicherheit weder wollen noch brauchen können. Wir haben die Wahl, entweder die Ölrechnung weiterhin ohne den arabischen Wirt, oder dessen zionistische Zwangsquartiergäste, die machttrunken mit dem doppelten Holocaust um die Wette spielen, um eine Hoffnung ärmer zu machen. Das unvollendete Programm der Fortschaffung der Armen wäre anderswo in der Welt die einsame Tragödie eines kleinen Volkes; im erdölreichsten Gebiet der Erde jedoch muß es, einem teuflischen circulus vitiosus gleich, jenes Hoffen auf den doppelten Holocaust ungemein begünstigen. Die Tage der Umbesinnung sind gezählt. Was an den Palästinensern verschwiegen wurde, wird sich an der Welt wiederholen können. Hoffen wir, daß unter Begins offenem Trompetengebläs die Mauer des Schweigens, die Ben Gurions heuchlerischer Kolonialsozialismus hat bauen können, noch rechtzeitig fällt, bevor meine fragmentarische Textmontage zum Rückblick auf die Zukunft von uns allen wird.
DOKUMENTARISCHER ANHANG
1948
Massaker in Du’eima (Duwayma)
Heute las ich den Leitartikel in (AL) HAMISHMAR, der von der Stimmung in unserer Armee handelt, die alles erobert, außer ihren Gelüsten. Ich möchte Dir die Aussage eines Augenzeugen zur Kenntnis bringen, eines Soldaten, der einen Tag nach der Besetzung des arabischen Dorfes Du’eima dort war… Er ist einer von unseren Leuten (gemeint ist wahrscheinlich: ein Mann aus einem Kibbutz; Zusatz des Obers.) … Er erzählte die Sache mir, weil es heutzutage ein bißchen zu viele gibt, die zuhören möchten. Er traf unmittelbar nach der Besetzung in Du’eima ein. Der Vortrupp war die Brigade 89, die damals schon nicht mehr unter dem Befehl von Dayan stand… Man hatte 80-100 Araber getötet, Frauen und Kinder. Man hat den Kindern mit Knüppeln die Schädel eingeschlagen. Es gab kein einziges Haus ohne Leichen. Die Nachhut war die Division, welcher der Soldat angehörte… Arabische Männer und Frauen, die im Dorf zurückgeblieben waren, wurden ohne Essen und Trinken in Häuser gesperrt. Dann kamen die Pioniere und jagten die Häuser in die Luft. Ein Offizier befahl einem Pionier, zwei alte Frauen in ein Haus zu bringen, das er gerade sprengen wollte. Der Pionier weigerte sich und sagte, er befolge nur Befehle seines eigenen Vorgesetzten. Daraufhin befahl der Offizier seinen Soldaten, die alten Frauen in das Haus zu bringen, und sie taten es. Ein anderer Soldat brüstete sich, eine arabische Frau vergewaltigt und dann erschossen zu haben. Eine andere arabische Frau mit einem Säugling wurde gezwungen, den Hof zu kehren. Sie machte das einen Tag lang oder zwei, und danach wurde sie samt dem Säugling erschossen… Offiziere mit guten Manieren und mit Kultur, die man als brave Familienväter bezeichnen kann … verwandelten sich in durchschnittliche Mörder. Und das passierte nicht in der Hitze des Gefechts, sondern wurde als Methode zur Vertreibung und Eliminierung praktiziert. Je weniger Araber, umso besser…[19]
*
Massaker in ‘Abu Schubak’
Das folgende ist ein Kapitel aus Uri Avneris Geschichte: “Die Kehrseite der Medaille”, die im Frühjahr 1950 auf Hebräisch publiziert wurde. Obwohl die Handlung als fiktiv dargestellt wurde, handelt es sich in Wirklichkeit um ein Tagebuch, in dem der Autor den Krieg von 1948 beschrieb, wie er ihn als Soldat der Einheit B des 54. Bataillons (Einheit Givati) sah… Avneri schrieb die Geschichte im Stil eines trockenen, leidenschaftslosen Berichts, um die Schrecken des Krieges in einer direkten Weise zu versinnbildlichen. Namen und Details sind geändert, um die Wiedererkennung von Personen unmöglich zu machen.(…)
Heute morgen haben wir das arabische Dorf Eldabe angegriffen. Das lief fast wie eine Filminszenierung ab. Mehrere Offiziere, ein paar Gäste und der Kulturoffizier kletterten auf den Wasserturm eines naheliegenden Kibbutz, um sich die Show anzusehen. Wir fuhren zwischen den Jeeps, im Abstand von 10 Metern, auf das Dorf zu. Und während wir fuhren, feuerten wir Tausende von Schüssen ab. Im Dorf war niemand. Die Dorfbewohner rannten weg, als sie uns aus der Ferne kommen sahen.. Einige Hausfassaden brannten noch. Wir hatten die Bewohner, beim Mittagessen gestört. Wir fuhren ziemlich gelangweilt durch die engen Straßen. Die Jeeps kamen kaum durch. Wir dachten an das Essen, das wir in Rehovot bekommen würden und an die Dusche im Lager. Nach Absolvierung von mehreren solcher kleinen Operationen ‘verdrückten’ wir uns für einige Stunden auf dem Weg zurück ins Lager…
“Weißt Du noch, wie wir das arabische Dorf Abu Schubak eingenommen haben, damals, als der Krieg begann? Nein, Du warst nicht dabei. Ich war damals bei der Einheit A”, sagte Kabab mit träumerischer Stimme.
“Man sagte uns, wir sollten alle Männer über 15 umlegen. Diese Drecks-Araber rannten einfach nicht weg. Die kannten uns noch nicht. Ich also rein in ein Haus, und da war so ein dreckiger Araber, so um die 50, und ein 15jähriges Mädchen fiel mir in den Arm und flehte mich an, ihn nicht zu töten, es war nämlich ihr Vater.”
“Und was hast Du gemacht?”, fragte der Junge neugierig.
“Den Vater hab’ ich einem Kumpel überlassen, und ich hab’ mir das Mädchen vorgenommen. Zuerst wehrte es sich, biß mir in die Hände, aber als ich meine Pistole auf sie richtete, wurde sie ruhig. Sie war schrecklich dreckig, aber sie hatte einen herrlichen Körper, richtig entwickelt. Wie eine Frau. Scheiße, hinterher habe ich sie erschießen müssen.” (…)[20]
*
Massaker in Ein Zeitun
(Ausschnitt aus einem Gespräch der beiden Militärhistoriker Dr. Uri Millstein und Professor Jehuda Wallach.[21])
Millstein: Ich möchte dem widersprechen, was Jehuda
Wallach sagte. Es gibt Dinge, die nicht veröffentlicht werden können. Ich akzeptiere das, und ich werde keine Einzelheiten nennen. Ich will sozusagen nur einen Wink geben. Da ist zum Beispiel das Problem der ‘Reinheit der Waffen’. Ganz ohne Zweifel hat es während des Unabhängigkeitskrieges gewisse Affären gegeben. Es stimmt nicht, daß Deir Jassin eine Ausnahme war, wie das in der Fernsehserie ‘Die Feuersäule’ gesagt wurde. Deir Jassin war keine Ausnahme, es gab viele Deir Jassins während des Unabhängigkeitskrieges. Sehen Sie, das ist eine schwierige Sache…
Wallach: Augenblick, wieso ist es unmöglich, dies zu publizieren?
Millstein: Warten Sie doch ab, darüber rede ich ja gerade.
Wallach: Es gibt dazu ein Gedicht von Altermann. Es wurde an Ort und Stelle geschrieben.
Millstein: Warten Sie doch, wir können nachher debattieren… Nehmen wir eine gewisse Affäre, die sich im Verlauf der Eroberung des arabischen Dorfes Ein Zeitun (Bezirk Safad) ereignete. Bei der Eroberung von Ein Zeitun machte man etwas, was ich nicht wiedergeben möchte, denn ich bin sicher, daß sich der Zensor darauf stürzen würde… Aber was in Ein Zeitun geschah, läßt sogar Deir Jassin als ‘ethisch’ erscheinen. Und Ein Zeitun wurde von der Palmach (‘Schock-Kompanien’ der Haganah, der regulären jüdischen Armee; Zusatz des Übers.), von der 3. Kompanie erobert, Jigal Alon, usw… Nun, im gleichen Augenblick, wo man das publiziert, bringt man den Staat Israel in Schwierigkeiten. Kurzum, bei der heutigen politischen Lage könnte es nicht ausbleiben, daß sie sagen: “Aha! Wir haben’s ja gesagt, ihr seid Mörder, ihr seid so und so.” Ich möchte ja gar nicht sagen, was wirklich dort geschah. Dennoch, als ich diese Affäre entdeckte, sagte ich mir, egal, ob ich sie publiziere oder nicht, ich will einfach wissen, was dort geschah. Also, Freunde, alle an der Affäre Beteiligten haben einen Eid geschworen, ihr Lebtag kein Sterbenswort darüber zu sagen. Nebenbei bemerkt, die Täter von Deir Jassin schworen keinen solchen Eid, sie sind nicht der Meinung, daß sie etwas Böses getan haben. Die Männer, die Ein Zeitun machten, haben den Eid geschworen.
Ich nahm mir vor, die Nuß zu knacken. Also – ich muß Ihnen sagen, während des Unabhängigkeitskrieges gab es wirklich sehr schlimme Dinge. Alle Arten von Waffen wurden benutzt, usw . … Es gibt kein einziges Thema, von dem die Leute nicht geredet hätten, und nicht nur ein einziger, sodaß man sagen könnte, er übertreibt. Es gibt kein Thema, über das nicht mindestens ein paar Leute zu reden bereit wären. Da ist vielleicht eher ein psychologisches Problem, oder ein Problem, das Sicherheits- oder Geheimdienstorgane beschäftigen kann, aber nicht die Historiker. Von daher gesehen sind wir Historiker in einer guten Lage.
Die arabische Ausnahme von Nazareth
Das Verhalten der arabischen Notabeln in den einzelnen Dörfern und Städten hatte einen großen Einfluß auf die Einwohner. In vielen Fällen war die Massen-Evakuierung eine Folge der Flucht der Notabeln und der reichen Familien. Als demgegenüber Nazareth in jüdische Hände fiel, unterließ der arabische Bürgermeister die Flucht, hielt den Ort zusammen, und gründete damit die größte Gemeinde der zurückgebliebenen Araber in Israel.[22]
… war die israelische Ausnahme von Dunkelmann
Chaim Laskov war mit erstaunlichen Befehlen zu mir gekommen: Die Zivilbevölkerung von Nazareth ist zu ‘evakuieren’! Ich war schockiert und entsetzt. Ich sagte ihm, daß ich da nicht mitmache – angesichts unserer Zusagen, die Bevölkerung der Stadt zu schützen, wäre ein solcher Schritt überzogen und schädlich. Ich erinnerte ihn daran, daß kaum einen Tag zuvor er und ich, als Vertreter der israelischen Armee, das Übergabe-Dokument unterzeichnet hatten, in dem wir uns feierlich verpflichteten, nichts zu tun, was der Stadt oder der Bevölkerung schaden könnte. Als Chaim sah, daß ich den Befehl verweigerte, ging er.
Nur Stunden später kam Abraham Jaffe, um mir mitzuteilen, daß er mich von meinem Posten als Militärgouverneur ablöse. Ich war mir sicher, daß dies eine Folge meiner Hartnäckigkeit bezüglich des ‘Evakuierungs’-Befehls war. Aber obwohl ich aus Nazareth abgezogen wurde, hatte meine Befehlsverweigerung anscheinend ihre Wirkung. Offenbar hat sie dem Oberkommando Zeit zu weiteren Überlegungen gegeben, die zum Schluß führten, daß es tatsächlich falsch wäre, die Einwohner von Nazareth zu vertreiben. Meines Wissens wurde niemals mehr über den ‘Evakuierungs’-Plan gesprochen, und die arabische Bevölkerung von Nazareth blieb.[23]
… Jedoch als der Alte (David Ben Gurion) kurze Zeit später nach Nazareth kam, schaute er sich entsetzt um und fragte: “Warum so viele Araber? Warum habt ihr sie nicht vertrieben?”[24]
1950
Eine seltsame Version in der ‘Jerusalem Post’
Araber verlassen fröhlichen Sinnes Migdal Gad
Von H. Ben Adi
Ungeachtet der Einsprüche Ägyptens bei den Vereinten Nationen betreffs Zwangsumsiedlung palästinensischer Araber in ägyptisches Territorium, vollzog sich die kürzliche Evakuierung der letzten Gruppe der arabischen Einwohner von Migdal Gad in den Gaza-Streifen in einer Atmosphäre von Ordnung und allgemeiner Fröhlichkeit.
Die Gruppe, der erst beim Übergang in das fremde Territorium Unruhe anzumerken war, trug eine Summe von 22 000 Israelischen Pfund in alten Noten der Palästina Bank bei sich, die gegen israelische Währung eingetauscht worden waren.
Infolge des Transfer der Familien von Migdal Gad, der auf deren Wunsch hin stattfand, wurde insgesamt eine Summe von 170 000 Palästinensischen Pfund außer Landes gebracht. Während der Mittagstunden beobachtete ich die Evakuierten, die in einer Fahrt von 45 Minuten in 17, mit Hausrat vollbeladenen Lastwagen zum Grenzposten transportiert worden waren, und mit einem Minimum an Formalitäten die Grenze überquerten. Gepäck wurde nicht kontrolliert, Papiere waren vorher ausgefertigt worden.
Mangel an Transportraum
Die Hauptschwierigkeit, die sich während des Transfer ergab, war der Mangel an Transportraum. Der große Konvoi mit den Auswanderern traf an der Grenze auf vier kleine ägyptische Armee-Fahrzeuge. Der Mangel an angemessenem Transportraum wurde von einem ägyptischen Offizier mit den Worten begründet: “Das reicht für sie.”
Die israelischen Lastwagenfahrer, viele davon Einwanderer aus Polen und Rumänien, äußerten ihr Erstaunen über die simple und ordentliche Abwicklung. Die Ausreise aus ihren Herkunftsländern sei nicht so einfach vor sich gegangen, sagten sie.
Die meisten der Evakuierten planten, sich ihren Familien in Gaza anzuschließen. Zurückgebliebene Araber in Migdal Gad, dessen arabisches Viertel nach einer Reihe von Evakuierungen einen verlassenen Eindruck machte, gaben zu verstehen, daß schwierige Verhältnisse in der Stadt und der Wunsch nach Vereinigung von Familien, die während des Krieges auseinandergerissen wurden, die Motive der Auswanderer seien.
Sollte es da und dort Beschwerden über die Umstände des Transfer gegeben haben, oder über die Lebensbedingungen, die zur Stellung eines Ausreiseantrags führten, so muß gesagt werden, daß während der Durchführung keine einzige erhoben wurde. Reine Fröhlichkeit herrschte bis zur letzten Minute, und einige der ausreisenden Araber schüttelten dem Militärgouverneur zum Abschied die Hand und dankten ihm.[25]
Eine weniger seltsame Version in NER
Meine Reise nach Migdal Gad am 8. Oktober 1950
Von J. W. A.
Bereits im Omnibus spürte ich die Verbitterung der arabischen Bevölkerung, als ich versuchte, mit zwei Mitreisenden ins Gespräch zu kommen (ohne die Fragen, um die es mir ging, anzuschneiden) und nur lakonische Antworten erhielt. In Migdal Gad angekommen, ging ich in den Friseurladen, den ein Neueinwanderer seit anderthalb Jahren betreibt, und fragte ihn, was hier vor zwei Monaten passiert ist. Er erwiderte, die Sochnut (die Jewish Agency – für ihn bedeutete das: die Regierung) hat die Araber von hier weggeschickt, und sie gingen nicht freiwillig. Er gab mir den Rat, wegen Details bei der Militärverwaltung nachzufragen. Morgen, so sagte er, wird es in Migdal Gad keine Araber mehr geben. Seine Frau fügte hinzu, daß sie dreckig und verlumpt sind – die Ghettobewohner.[26]
[In der Nähe der Ghetto-Grenzen hielt mich ein wachhabender Soldat an und hinderte mich am Zutritt. Nachdem ich ihm gut zugeredet und ihm den Ausweis mit dem Vermerk ‘Jüdisch’ (erstklassige Rasse) gezeigt hatte, ließ er mich passieren.] Und da bot sich ein trauriger Anblick. Leute liefen auf und ab, damit beschäftigt, die Vorbereitungen zur Ausreise zu treffen.
Morgen müssen sie ihren Wohnort verlassen, die Heimat ihrer Väter und Großväter seit Hunderten von Jahren. Dieser verkauft auf der Straße einen Schreibtisch, jener andere Gegenstände. [Soldaten mit Maschinenpistolen patrouillieren durch die Straßen und sorgen für Ordnung.]
Ich kenne niemand, den ich aufsuchen könnte, niemand, mit dem ich sprechen könnte. Aber ich finde einen Einwohner, der meine Fragen beantwortet und mir Details gibt:
Vor dem arabisch-israelischen Krieg (1948) war (das arabische) Madschdal eine Stadt mit 12 000 Einwohnern. Davon blieben 2 700 zurück, als der Ort zu Israel kam. Sie erhielten eine Zusicherung, daß man sie als israelische Bürger behandeln würde, wie anderswo.
Vor einiger Zeit erhielten diese restlichen Einwohner die Anweisung, Migdal zu verlassen. Dies geschah in Form eines Fragebogens, in den sie eintragen mußten, ob sie nach Jordanien oder nach Ägypten gehen, oder in Israel bleiben wollen. Im letzteren Fall, so wurde ihnen gesagt, würden sie als Flüchtlinge behandelt und ins Galil oder an einen anderen Ort gebracht werden. Unter diesen Umständen antworteten alle, daß sie nach Ägypten oder Jordanien gehen wollen, und sie mußten einen Antrag unterschreiben, als ob sie vom Militärgouverneur die Erlaubnis wünschten, Israel zu verlassen. Bei vollzogener Unterschrift wurde den Leuten gestattet, bewegliche Güter und Bargeld (das an der Grenze umgetauscht werden konnte) mitzunehmen. Den Einwohnern von Madschdal wurde hingegen nicht erlaubt, ihre Häuser zu verkaufen, aber auf speziellen Antrag durften sie den Kuschan (ein Besitzdokument) oder andere Papiere mitnehmen. Der Grundbesitz, so wurde ihnen gesagt, würde unter die Aufsicht des Verwalters von Vermögen Abwesender gestellt werden. Die Mieteinkünfte und andere finanzielle Erlöse würden den Eigentümern gutgeschrieben werden.
Selbstverständlich sind die Gebühren und Steuern beinahe von der gleichen Höhe wie die Einkünfte, und ein vernünftiger Einkommensüberschuß wird nicht zu erwarten sein. Außerdem hatten sie zu bescheinigen, daß sie keine Absicht haben, jemals nach Israel zurückzukehren. [Als ich fragte: “Was geschieht, wenn jemand sich weigert, einen erpreßten Auswanderungsantrag zu stellen?”, bekam ich die Antwort, daß der Militärgouverneur jedermann “geraten” hat, zu unterschreiben, denn nach dem 15. Oktober 1950 wurden die Ubriggebliebenen Einwohner zwangsevakuiert werden, ohne Besitz und Kleidung, und ab diesem Datum sei es ihm nicht mehr möglich, irgend etwas für sie zu tun.] (…)
In den letzten drei Monaten haben 2100 Einwohner den Ort verlassen. Morgen werden weitere 400 gehen, und kommende Woche die letzten 200. Danach wird dieser Ort Araber-rein sein (im hebr. Original in Deutsch; Zusatz des Obers.). Auf meine Frage, was mit den Moscheen geschieht, sagte man mir, daß sie unbeaufsichtigt bleiben.
[Eine Moschee ist übrigens zerstört worden, in einer oder zwei anderen sind neue Immigranten untergebracht, ohne daß dem Waqf-Vertreter bisher irgendwelche Zahlungen geleistet wurden.]
Am anderen Ende der Straße, ungefähr 300 Meter vom Ghetto entfernt, befindet sich das Büro des Militärgouverneurs. Am Eingang ein Schild: “Wohnungs-Komitee”. Eine Gruppe von neuen Einwanderern trägt sich für die Wohnungen ein, die morgen geräumt werden.
Bemerkenswert ist, daß in der Umgebung, in Isdud, Jibne, Dschulis und anderen Orten, die Dörfer zerstört wurden, und die Neueinwanderer in neuen Häusern in der Nähe der zerstörten arabischen Orte angesiedelt werden. In Madschdal ist das anders; hier wurden fast keine Häuser gebaut, und alle Neueinwanderer werden in den Häusern der ehemaligen Einwohner untergebracht, auf ihrem verlassenen Land…[27]
1967
Das große Fortschaffungs-Programm geht weiter
Der Truppführer sagte uns, es sei beschlossene Sache, in unserem Abschnitt drei Dörfer zu sprengen – Jalu, Beit Nuba und Amwas. Begründet wurde das mit strategischen, taktischen und sicherheitspolitischen Argumenten. Erstens sei die Grenze im Latrun-Gebiet zu begradigen, zweitens seien die Nester arabischer Mörder zu bestrafen, drittens sei eine Basis für zukünftige Infiltration zu liquidieren.
Man kann über dieses idiotische Konzept debattieren, das davon ausgeht, daß ein Infiltrant, der ein Haus verliert, kein anderes Haus findet. Man kann über die Zweckmäßigkeit der Vermehrung unserer zukünftigen Feinde debattieren. Aber was helfen alle Debatten?
Unsere Aufgabe sei, so hieß es, die Häuser des Dorfes durchzukämmen; aufgefundene bewaffnete Personen seien gefangenzunehmen. Unbewaffnete Personen bekommen Zeit zum Packen ihrer Habseligkeiten. Sie sind aufzufordern, in das nahegelegene Dorf Beit Sira zu gehen. Ferner wurde uns gesagt, wir hätten an den Ortszugängen Stellung zu beziehen und sämtliche Dorfbewohner am Betreten des Dorfes zu hindern, die aus ihrem Unterschlupf auftauchen, weil sie israelische Rundfunk-Aufrufe zur friedlichen Rückkehr in ihre Dörfer gehört hatten. Der Befehl lautete, über ihre Köpfe hinwegzuschießen, und ihnen zu bedeuten, das Dorf zu meiden.
Beit Nuba ist mit schönen Bruchsteinen gebaut, einige Häuser waren wirklich prächtig. Jedes Haus war von einem Garten mit Obst- und Olivenbäumen umgeben, Aprikosen, Weinstöcke, Zypressen. Um jeden Baum war die Erde aufgehäuft. Zwischen den Bäumen gab es überall gepflegte, gehackte und gejätete Gemüsebeete.
In einem der Häuser fanden wir einen verwundeten ägyptischen Kommando-Offizier. In einigen anderen fanden wir ein paar alte Leute. Gegen Mittag traf der erste Bulldozer ein und begann mit dem ersten Haus am Dorfrand. Mit einem einzigen Bulldozer-Hieb waren die Zypressen, die Oliven ausgerissen. Innerhalb von zehn Minuten war das erste Haus, samt dem ganzen Hausrat, ein Trümmerhaufen. Als drei Häuser zerstört waren, kam der erste Flüchtlingszug aus Richtung Ramallah.
Wir gaben keine Schüsse in die Luft ab. Einige von uns sorgten für Feuerschutz, und einige andere, die Arabisch konnten, gingen den Flüchtlingen entgegen, um ihnen Anweisungen zu geben. Es waren alte Männer darunter, die kaum gehen konnten, alte Frauen, die vor sich hinmurmelten, Mütter mit Säuglingen auf dem Arm, kleine Kinder. Die Kinder weinten und bettelten um Wasser. Sie hatten weiße Fahnen.
Wir forderten sie auf, nach Beit Sira zu gehen. Sie sagten, daß sie überall vertrieben und nirgends hereingelassen werden, und daß sie seit vier Tagen umherirren, ohne Nahrung, ohne Wasser, und daß einige von ihnen gestorben sind. Sie flehten uns an, sie ins Dorf zu lassen, und sie sagten, es sei besser, wenn wir sie erschießen.
Einige hatten eine Ziege, ein Lamm, ein Kamel oder einen Esel. Ein Vater zerrieb Weizenkörner mit den Händen und gab sie seinen vier Kindern zu Essen. Am Horizont tauchte der nächste Flüchtlingszug auf. Ein Mann mit einem Zentner Mehl auf dem Rücken, er schleppte den Sack Kilometer um Kilometer weiter. Noch mehr alte Leute, mehr Frauen, mehr Kinder. An Ort und Stelle, wo wir sie lagern lassen, brechen sie vor Erschöpfung zusammen. Manche hatten eine Kuh oder zwei, ein Kalb, ihr ganzer Besitz auf Erden. Wir erlaubten ihnen nicht, ins Dorf zu gehen und etwas mitzunehmen, denn der Befehl lautete, sie dürften nicht sehen, wie ihr Dorf zerstört wird.
Die Kinder weinten und auch einige Soldaten brachen in Tränen aus. Wir wollten den Arabern Wasser geben, aber wir konnten keines finden. Wir stoppten ein Militärfahrzeug mit einem Major, zwei Hauptleuten und einer Frau. Wir nahmen ihnen einen Benzinkanister mit Wasser weg und verteilten es unter die Flüchtlinge. Wir gaben ihnen auch Bonbons und Zigaretten. Noch ein paar Soldaten begannen zu weinen. Wir fragten die Offiziere, warum diese Flüchtlinge hin und hergeschickt und überall weggejagt werden. Sie sagten, daß ihnen das gut tut. Sollen sie weiterlaufen. Und sie fügten hinzu: “Was zum Teufel kümmern uns die Araboschim?” Als wir hörten, daß diese Offiziere eine halbe Stunde später von der Militärpolizei festgenommen wurden, weil ihr Auto vollgepackt war mit Plündergut, freuten wir uns.
Immer mehr Flüchtlinge kamen, zuletzt waren es Hunderte. Sie konnten nicht begreifen, weshalb man über den Rundfunk zur Rückkehr aufruft und doch die Rückkehr verbietet. Es war schwer, ihrem Bitten und Flehen zu widerstehen. Einer fragte uns, warum wir ihre Häuser zerstören; es wäre besser, daß wir selber darin wohnen.
Der Truppführer beschloß, zum Hauptquartier zu gehen und herauszufinden, ob dort schriftliche Befehle vorliegen, was man mit den Flüchtlingen tun und wohin man sie schicken soll. Und ob nicht Transportmöglichkeiten für die Frauen und Kinder beschafft werden könnten, und Lebensmittel. Er kam zurück und sagte, es gibt keine schriftlichen Befehle. Sie müssen vertrieben werden.
Und wir vertrieben sie. So wandern sie weiter, wie verlorene Schafe. Die Schwachen werden sterben. Am Abend fanden wir heraus, daß man uns hereingelegt hat – denn auch in Beit Sira begannen die Bulldozer mit der Zerstörung, und auch dort ließ man sie nicht herein. Wir bemerkten auch, daß nicht nur in unserem Abschnitt die Grenze aus Sicherheitsgründen begradigt wurde – in allen anderen Abschnitten ebenso. Die im Rundfunk gemachten Versprechungen wurden nicht eingehalten. Die verkündete Politik wurde niemals durchgeführt.
Unsere Einheit war wütend. Die Flüchtlinge knirschten mit den Zähnen, als sie sahen, wie die Bulldozer die Bäume niederwalzten. Während der Nacht sollten wir die Bulldozer bewachen, aber die Einheit war so erbost, daß die meisten Soldaten die Befehle nicht ausführen wollten. Am nächsten Morgen wurden wir von dort abgezogen. Keiner von uns konnte begreifen, daß Juden sich so benehmen können. Sogar diejenigen, die die Aktion für gerechtfertigt hielten, waren der Meinung, daß es möglich gewesen wäre, die Araber bis zur Entscheidung über ihr weiteres Schicksal in einem umzäunten Gebiet zu sammeln, und sie dann mit Hab und Gut an den neuen Aufenthaltsort zu transportieren.
Die Hühner und die Tauben wurden unter den Trümmern begraben. Die Felder wurden vor unseren Augen in Brachland verwandelt. Und die Kinder, die bitter weinend die Straße entlang zogen, werden in 19 Jahren, bei der nächsten Runde, zu Guerillas herangewachsen sein.
So haben wir an jenem Tag unseren Sieg verspielt.
(Gezeichnet) Amos Kenan[28]
Schwierigkeiten beim Repatriierungs-Programm
Gemeinsames Warten…
Wir sprachen mit Frau Jehudith Huebner , der stellvertretenden Generaldirektorin im Israelischen Innenministerium, über die Jordan-Überquerungen und insbesondere über die Gründe, weshalb der jordanische Sachverständige nicht zu den Besprechungen erschien, die gestern hätten stattfinden sollen.
Huebner: Es ist ziemlich schwierig zu sagen, was der Grund ist, denn wir kennen den Grund nicht genau. Ich kann Ihnen nur berichten, was sich gestern zugetragen hat, als wir zur (Allenby-) Brücke kamen. Mir war einige Tage zuvor ausgerichtet worden, daß die jordanischen Behörden um eine Zusammenkunft mit uns an der Brücke nachgesucht hatten, um endgültige Abmachungen für Donnerstag früh zu treffen. Ich kam also um ha -, um viertel bis, nach – um viertel vor 5, äh, zur Brücke, und ich sah dort Major (Name unverständlich) von der Militärbehörde, der auf das gleiche Treffen wartete, und ich sah dort Mister Schlatter, den Leiter des Roten Halbmonds (die dem Roten Kreuz entspr. Organisation in islamischen Ländern; Zusatz d. Obers.) und seine fünf Assistenten. Um 5 Uhr überquerten Mister Schlatter und seine Assistenten die Brücke, und nach einer Viertelstunde kehrten sie zurück und sagten: “Es tut uns sehr leid, das Treffen ist abgesagt.” Ich fragte, was passiert ist, und Mister Schlatter meinte: “Ich glaube, Major (Name unverständlich) von den jordanischen Behörden hat keine Erlaubnis erhalten, zu diesem Treffen zu kommen.”
Frage: Dies ist doch nicht das erste Mal, daß die jordanischen Behörden nicht erschienen sind, und daß sie bei der Durchführung ihrer Seite der Vereinbarung versagt haben. Das ist doch Anfang der Woche schon einmal passiert.
Huebner : Ja, es ist passiert, aber nicht auf die gleiche Weise. Es ist am letzten Sonntag (15. 9. 67) passiert. Wie ich Ihnen schon sagte, trafen wir am Freitag morgen eine endgültige Abmachung für die Überquerungs-Prozedur am Sonntag morgen. Und plötzlich, am Samstag nachmittag, wurden wir über das Rote Kreuz informiert, daß die Jordanier darum gebeten haben, das Treffen am Sonntag morgen zu annullieren. Sie baten dann darum, nicht am Sonntag morgen mit der Überquerung zu beginnen, und nicht vor Donnerstag, und das war der Grund, weshalb sie um ein Treffen am Mittwoch nachmittag nachsuchten.
Frage: Diese Überquerung, die hätte stattfinden sollen, ich meine, die am Sonntag hätte beginnen sollen, war der Beginn neuer Überquerungen, nicht wahr? Welche Kategorie von Leuten war für diese Aktion vorgesehen?
Huebner: Leute, äh, die zur Überquerung der Brücke befugt waren, – das waren Leute, äh, welche, äh, von unserer Behörde, äh, die Genehmigung bekamen, wir, das heißt mehr als 6 000 Personen, sie haben die Genehmigung letzten Monat erhalten, aber versäumt, bis zum 31. August zu kommen.
Frage: Das war der letzte Termin?
Huebner: Das war der letzte Termin für die Überquerung, aber danach, äh, wurde, äh, beschlossen, daß alle diese Leute, die eine Genehmigung haben und nicht bis zum dreißig-, einunddreißigsten August kamen, die können bis Sonntag morgen, oder bis heute…
Frage: Also die Leute, die auf Grund des passiven Widerstandes der jordanischen Behörden nicht in der Lage waren, die Brücke zu überqueren?
Huebner: Ja, genau so. Ich habe dies gestern Mister Schlatter unmißverständlich klargemacht, äh, es ist, es ist eine Härte, daß Flüchtlinge, die auf die Überquerung warten, weiterhin warten müssen, weil die Jordanier unfähig sind, äh, den Transport zur Brücke zu organisieren.
Frage: Sie waren von Anfang an mit diesen Flüchtlings-Überquerungen befaßt: Können Sie uns eine Vorstellung vermitteln von den Dingen, wie sie abliefen? Was ist geschehen?
Huebner: Wir haben geholfen so gut wir konnten. Wir haben sogar Leute herübergebracht, äh, die nicht genau die richtigen Genehmigungen hatten, weil manchmal, äh, Leute, alte Leute dabei waren, oder Familienangehörige, die ihren Vater oder ihre Mutter begleiteten, und wir gaben ihnen die Gelegenheit zur Überquerung der Brücke. Wir haben für die Flüchtlinge Lastwagen und Omnibusse bereitgestellt, wir haben ihnen zu Essen gegeben, wir haben ihnen kalte Getränke gegeben, wir haben ihnen mit Lastträgern geholfen, ihr Gepäck herüberzubringen, und ich kann sagen, daß die Überquerung sehr gut organisiert war, und wir brauchten nicht mehr als zehn Minuten für jede Familie, um sie über die Brücke zu bringen.
Frage: Haben sie irgendeine mögliche Erklärung für diesen gegenwärtigen passiven Widerstand der jordanischen Behörden? Können Sie sich das erklären?
Huebner: Ich kann mir das auf, äh, zwei Arten er- er- erklären. Vor allem: Die Leute wollten nicht kommen, – – – und die zweite Erklärung ist, daß die Jordanier nicht fähig sind, Leute für die Überquerung zu organisieren.
Frage: Was würden Sie sagen, was sind die Gründe der Leute, daß sie nicht zurückkommen wollen?
Huebner: Ich glaube, daß man sie zunächst gezwungen hat, die Anträge auszufüllen, obwohl sie gar nicht beabsichtigten zu kommen; und jetzt, wo es darum geht, zu – wirklich zu kommen, jetzt wollen sie nicht.
Frage: Und was geschieht mittlerweile mit den Flüchtlingen?
Huebner: Sie warten, und wir warten.[29]
… auf die Todessalven
Jeden Abend liegen entlang dem Jordan israelische Soldaten im Hinterhalt. Jede Nacht schießen sie auf alles, was sich im Dunkeln bewegt. Jeden Morgen liegen Leichen im Jordan, Männer, Frauen, Kinder, ganze Familien, die in der Nacht beim Versuch, ohne den ersehnten israelischen Passierschein nach Hause zurückzukehren, niedergemetzelt wurden.
Schwer zu glauben, daß sich die israelische Armee dem Morden hingibt. Aber jeder, der sich die Mühe macht, mit Soldaten. der Besatzungseinheiten zu reden, wird bemerken, daß sie dies für beinahe selbstverständlich ansehen. Ihre Erzählungen, insbesondere ihr tatsächliches Verhalten, müssen jeden schockieren, der noch ein Herz hat. Die Presse, Journalisten und Schriftsteller, deren Pflicht es überall in der Welt ist, zu protestieren und die Öffentlichkeit zu mobilisieren, versagen. Die Presse schweigt. Die Journalisten sind damit beschäftigt, Bücher über den Krieg der ‘Söhne des Lichtes’ zu schreiben. Schriftsteller, Intellektuelle und rabbinische Persönlichkeiten gründen Komitees zu Förderung der Annexion der ‘befreiten’ Gebiete. Sie schmökern in verstaubten Büchern, um das ‘unumstößliche Recht’ zur Einverleibung von Schiloh, Anatot, Kuneitra und des Suezkanals zu beweisen.
Diese Schrift wird in der Absicht veröffentlicht, die Verschwörung des Schweigens, die für das Gewissen der Nation so förderlich ist, zu brechen. Sie bietet eine Antwort auf die Frage, die jedes Jahr am Holocaust-Tag zum Gedenken an die Opfer der Nazi-Verbrechen neu gestellt wird: Wie konnte ein ganzes Volk zu Mordkomplizen werden? Soldat, wenn Du solchen Befehlen nicht den Gehorsam verweigerst, bist Du ein Mörder. Bürger, wenn Du nicht von dieser Stunde an dafür eintrittst, daß solche Befehle verhindert werden, bist Du ein Mordkomplize. Und genauso wenig wie die Deutschen wirst Du Dich später auf das ‘Ich wußte es nicht’ berufen können.
Dies ist ein Augenzeugenbericht eines Soldaten, der anonym bleiben möchte, über die nach dem Krieg unter Flüchtlingen angerichteten Massaker. Sein Bericht wurde von anderen Soldaten bestätigt, deren Namen wir kennen, aber aus dem gleichen Grund nicht preisgeben können. Der Bericht betrifft den Jordan-Abschnitt zwischen Jarmuk und Allenby-Brücke. Der Zeitpunkt: Ende Juli und Anfang August (1967).
“Jede Nacht überqueren Araber den Jordan von Osten nach Westen. Wir blockierten die Obergänge, also Stellen, wo das Wasser seicht ist und der Fluß zu Fuß überquerbar ist, und wir hatten Befehl, ohne Vorwarnung tödliche Schüsse abzugeben. Wir haben jede Nacht Schüsse abgefeuert, auf Männer, Frauen und Kinder. Auch während mondheller Nächte, wo wir die Leute identifizieren, das heißt Männer, Frauen und Kinder unterscheiden konnten. Am Morgen suchten wir das Gelände ab und erschossen, auf ausdrücklichen Befehl des anwesenden Offiziers, die noch Lebenden, einschließlich derer, die verwundet waren oder sich versteckt hatten. Anschließend bedeckten wir die Erschossenen mit Erde, manchmal ließen wir sie auch liegen bis ein Bulldozer kam, um sie zu begraben. Einige dieser Leute sind Geheimagenten, einige sind bewaffnete Infiltranten, einige sind Schmuggler, aber die meisten sind ehemalige Einwohner der Westbank, die keine israelische Rückkehrerlaubnis erhalten haben.
Es gab einige Fälle, die ich nie vergessen werde. Eines Morgens fanden wir zwei unverletzte Männer. Der Offizier gab den Befehl, sie zu töten, und wir erschossen sie an Ort und Stelle. Einmal fanden wir zwei an den Beinen verwundete Männer. Wir sprachen mit ihnen, nahmen ihnen die Papiere ab, und dann ordnete der Offizier an, sie zu erschießen. Sie sahen an unseren Gesten, was wir vorhatten, und flehten verzweifelt um ihr Leben. Wir verließen den Platz bis auf einen von uns, der bereit war, sie zu erschießen. Er mußte sechs Schüsse abgeben, ehe sie tot waren.
Es gibt viele solche Geschichten. Ich berichte nur von Ereignissen, die ich mit eigenen Augen gesehen habe, aber Geschichten von anderen Soldaten gibt es übergenug. Ich hörte von Soldaten, die Leichenhaufen verbrannt haben.
Eines Morgens. sah ich Leichen auf einem Haufen, es war ein junges Mädchen darunter. Ein andermal flehte ein El Fatah Mann um sein Leben; als er sah, daß es sinnlos war, verfluchte er uns und bekam seine Kugeln. Eines Nachts überquerte eine Gruppe von ungefähr zwanzig den Fluß. Wir schossen auf sie. Am Morgen fanden wir elf Leichen. Einige wurden unverletzt in Verstecken aufgestöbert. Wir fingen sie ein und schickten sie unversehrt nach Jordanien zurück. Während meiner Dienstzeit, lange nach dem Krieg, schossen wir in unserem Abschnitt jede Nacht. Jede Nacht wurden Leute erschossen, jeden Morgen wurden die Verwundeten getötet. Auch solche, die wir unverletzt gefangennahmen.
Ich gebe diese Information in der Hoffnung weiter, daß sie möglichst vielen israelischen Bürgern bekannt wird. Vielleicht können einige auf diese Ereignisse Einfluß nehmen und sie stoppen.”
Tel Aviv, 10. Sept. 1967[30]
An Stelle eines Nachworts
WORTE VON ARTHUR SCHOPENHAUER
Bei jeder Verkehrtheit, die im Publiko, oder in der Gesellschaft, gesagt, oder in der Literatur geschrieben und wohlaufgenommen, wenigstens nicht widerlegt wird, soll man nicht verzweifeln und meinen, daß es nun dabei sein Bewenden haben werde; sondern wissen und sich getrösten, daß die Sache hinterher und allmälig ruminirt, beleuchtet, bedacht, erwogen, besprochen und meistens zuletzt richtig beurtheilt wird; so daß, nach einer, der Schwierigkeit derselben angemessenen Frist, endlich fast Alle begreifen, was der klare Kopf sogleich sah. Unterdessen freilich muß man sich gedulden. Denn ein Mann von richtiger Einsicht unter den Bethörten gleicht Dem, dessen Uhr richtig geht, in einer Stadt, deren Thurmuhren alle falsch gestellt sind. Er allein weiß die wahre Zeit: aber was hilft es ihm? Alle Welt richtet sich nach den falsch zeigenden Stadtuhren; sogar auch Die, welche wissen, daß seine Uhr allein die wahre Zeit angiebt.
(PARÄNESEN UND MAXIMEN, 27)
ANMERKUNGEN
[1] ARD – Fernsehen, 18. Dezember 1980: “Pro und Kontra – Palästinenserstaat.” Leitung Emil Obermann. Niederschrift nach einer Tonbandaufzeichnung im Archiv des Autors.
[2] Theodor Herzl: Gesammelte zionistische Werke. Tagebücher, Band 1, (Tel Aviv, 1934), Seite 98. Die zitierte Eintragung stammt vom 12. Juni 1895.
[3] Dietrich Eckart: Der Bolschewismus von Moses bis Lenin. Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir. (München, 1924). Eine zweite Auflage erschien unter dem veränderten Titel: Der Bolschewismus von seinen Anfängen bis Lenin. (München, 1925).
[4] Ernst Nolte: Eine frühe Quelle zu Hitlers Antisemitismus. In: Historische Zeitschrift, Band 192 (1961), Seite 598. Eine vorsichtige Kritik an der Interpretation von Ernst Nolte (“Aus diesen Worten Hitlers Rassenpolitik vorausahnen zu wollen, durfte zu weit gegriffen sein… “) findet man in der gedruckt vorliegenden Dissertation von Margarete Plewnia: Auf dem Weg zu Hitler. Der ‘völkische’ Publizist Dietrich Eckart. (Bremen, 1970), Seite 101