Klartexte 7 Kommentar 7
Was da, sprachlich, in Libanon und Syrien wie von selber auseinanderbricht, braucht selbstverständlich seinen Deus ex machina, der diesmal mit dem Gott der Zionisten eng verwandt ist. Seit der Publikation der Tagebücher von Mosche Scharett, dem langjährigen israelischen Außenminister (1948-1956) und zeitweiligen Ministerpräsidenten (1954-1955), kann es keine Zweifel mehr geben, daß Israel an der Herbeiführung und Schürung des libanesischen Bürgerkrieges nicht nur indirekt, sondern sehr direkt beteiligt war und ist. Fraglich kann nur noch das Ausmaß der israelischen Subversionstätigkeit sein. ich habe bereits vor zwei Jahren darauf hingewiesen (siehe: VON DER ALLGEWALT DES HOLOCAUST, Freiburg 1980, Seite 60 f.), daß Ben Gurion, Dayan und andere Spitzenpolitiker der Arbeiterpartei s c h o n 1954, die Unterminierung der muslimischchristlichen Gleichgewichtsbasis in Libanon in die Wege leiten wollten, daß die Pläne aber nicht weiterverfolgt wurden weil Ben Gurion sich zur Aufheizung der Südfront (Suezfeldzug 1956) umentschloß. Denken und Handeln sind gewiß zweierlei, aber man darf nicht denken, daß Israel nicht inzwischen gehandelt hat. Zur Illustration der damaligen Denkweise soll hier der wesentliche Abschnitt aus einem längeren Brief wiedergegeben werden, den Ben Gurion, der im Hintergrund die Fäden weiterspann, an Mosche Scharett schrieb, der seiner zugedachten Rolle als israelische Ministerpräsidenten-Taube nachkam, so gut es ging. Der Leser wird nebenbei feststellen können, daß im zionistischen “Denken” der innere Zerwürfnis- und Fäulnisgrad eines Landes sich aus den jeweiligen israelischen Gelüsten ergibt, und nicht etwa die Gelüste aus dem Fäulnisgrad erwachsen.
David Ben Gurion an Mosche Scharett
Sdeh Boker, den 27. Febr. 1954
(…) Es ist klar, daß innerhalb der Arabischen Liga Libanon das schwächste Glied ist. Alle anderen Minderheiten in den arabischen Staaten sind muslimisch, außer den Kopten (in Ägypten). Aber Ägypten ist der kompakteste und solideste der arabischen Staaten, die dortige Mehrheit besteht rassisch, religiös und sprachlich aus einem festgefügten Block, und die christlich-koptische Minderheit beeinträchtigt die politische und nationale Einheit nicht ernstlich. Anders die Christen in Libanon. Sie bilden innerhalb des historischen (d.h. kleineren) Libanon eine Mehrheit, und diese Mehrheit hat eine völlig andere Tradition und Kultur als die übrigen Mitglieder der ‘Liga’. Auch innerhalb der erweiterten Grenzen (es war der schlimmste Fehler Frankreichs, daß es die Grenzen Libanons erweitert hat) können die Moslems aus Furcht vor den Christen nicht einfach machen, was sie wollen, selbst wenn sie dort eine Mehrheit sind (ich weiß nicht, ob sie wirklich eine Mehrheit sind). Die Schaffung eines christlichen Staates ist deshalb eine ganz natürliche Sache, sie entbehrt nicht der historischen Wurzel und sie wird in weiten Kreisen der christlichen Weit, sowohl der katholischen wie der protestantischen, Unterstützung finden. In normalen Zeiten ist die Sache beinahe unmöglich. Aber in Zeiten allgemeiner Verwirrung, bei Unruhen, Revolution oder Bürgerkrieg, liegen die Dinge anders, und selbst der Schwache bildet sich ein, ein Held zu sein. Möglicherweise (selbstverständlich gibt es in der Politik nichts Sicheres) ist jetzt der richtige Augenblick, um die Errichtung eines christlichen Staates in unserer Nachbarschaft herbeizuführen. Ohne unsere Initiative und unsere entschiedene Hilfe wird die Sache nicht zustandekommen; und genau dies scheint mir unsere jetzige z e n t r a l e A u f g a b e zu sein, oder wenigstens eine der zentralen Aufgaben unserer Außenpolitik. Es müssen Mittel investiert werden, Zeit, Energie, und wir müssen in jeder erdenklichen Weise tätig werden, um einen grundlegenden Wandel in Libanon herbeizuführen. Man muß (Eliahu) Sasson mobilisieren (für den christlichen Staat bin ich bereit, den “Spaten’ anzusetzen) und alle unsere übrigen Arabisten. Wenn Geld nötig ist – mit Dollarbeträgen darf nicht gespart werden, auch wenn das Kapital vielleicht keine Zinsen bringt. Wir müssen all unsere Kräfte auf diese Sache konzentrieren. Vielleicht sollte man deshalb sofort Reuben (Schiloah) herbeiholen. Dies ist eine historische Gelegenheit. Sie zu versäumen, wäre unverzeihlich. Wir stoßen damit keiner Weltmacht vor den Kopf. Überhaupt brauchen wir nichts “auf höhere Weisung” zu tun – aber meiner Meinung nach sollte alles schnell und mit Volldampf angepackt werden.
Ohne Beschneidung der libanesischen Grenzen ist die Sache natürlich nicht zu machen. Aber wenn wir in Libanon Leute finden, oder Männer im Exil, die sich für einen maronitischen Staat einsetzen – werden sie auf erweiterte Grenzen und eine starke muslimische Bevölkerung keinen Wert legen, sodaß die Grenzbeschneidung nicht stören wird.
Ich weiß nicht, ob wir Leute in Libanon haben – aber es gibt ja verschiedene Wege, wenn das vorgeschlagene Experiment durchgeführt werden soll. Dein D. Ben Gurion
(Übersetzung aus Mosche Scharett: Joman Ischi, (Persönliches Tagebuch), Sifriat Ma’ariv, Tel Aviv 1978, Bd. 8, S. 2397 f. – Zur “Beschneidung der libanesischen Grenzen”, siehe auch KLARTEXTE, Heft 4,S. 22).
Auch S y r i e n war bereits zu Scharetts Zeiten ein “sicherer Kandidat für Israels Ziele”, wie Oded Jinon formuliert. Syrien sollte mal subversiv, mal militärisch erledigt werden, wobei häufig der Name Pinchas Lavon auftaucht, damals israelischer Verteidigungsminister, bei weitem nicht so mächtig aber genau so eigenmächtig wie heute Artet Scharon. Pinchas Lavons (wie soll man anders sagen) entweder geisteskrankes oder schwerverbrecherisches Hirn produzierte unentwegt finstere Wahnsinns-Ideen. Er wollte beispielsweise die Wasserquellen des Gaza-Streifens und der entmilitarisierten Zone in Syrien vergiften lassen (Nahum Barnea In DAVAR, 26. Januar 1979), und er “verbreitete die Lehre, dai3 nicht die arabischen Staaten, sondern die Westmächte die eigentlichen Feinde sind, und der einzige Weg, sie von Ihren (anti-israelischen) Machenschaften abzuschrecken, sei die direkte Aktion, die sie das Grauen lehrt.” (Mosche Scharett, Eintragung vom 26. Januar 1955. Joman Ischi, a.a.O.S. 685). Wer in unserer rückwärts laufenden Welt die heutige Nahost-Landschaft in Richtung Westen, wo das Morgengrauen langsam dämmert, betrachtet, wird Lavons Gedankengang in Scharons Bomben- und Massakerterror unschwer wiedererkennen.
Zu Lavons Aktivismus Im Fall Syriens, den auch Scharon anvisiert hat, heißt es in Scharetts Tagebuch:
“Nach dem Essen nahm mich Pinchas (Lavon) beiseite und begann auf mich einzureden: Dies ist der richtige Augenblick zum Handeln – dies ist die Stunde, um vorzurücken und syrische Grenzposten jenseits der entmilitarisierten Zone zu besetzen. Syrien ist am Zerfallen. Ein Staat, mit dem wir einen Waffenstillstand geschlossen haben, existiert nicht mehr. Wie auch immer, Syriens Regierung füllt, und eine andere ist nicht in Sicht. Und das ist noch nicht alles, denn in Wirklichkeit ist Irak in Syrien einmarschiert. Dies ist eine historische Gelegenheit, verpassen wir sie nicht.
Ich schrak vor solchen Gedankenblitzen zurück und sah uns am Rande des Abgrunds eines unheilträchtigen Abenteuers. ich fragte mich, ob er tatsachlich vorschlagen möchte, sofort zu handeln, und ich sah mit Bestürzung, daß dies sehr wohl seine Absicht war. ich sagte, wenn Irak wirklich In Syrien einmarschieren sollte, so wäre dies eine revolutionäre Wende, die zu weitreichenden Schlußfolgerungen verpflichtet und Schritte rechtfertigt, aber im jetzigen Augenblick besteht lediglich eine Gefahr, keineswegs schon die Tatsache. Es ist nicht einmal klar, ob (der syrische Präsident) Schischakli wirklich stürzt – vielleicht hält er auch durch. Er wiederholte, die Zeit sei kostbar und wir müßten handeln, um nicht eine nie wiederkehrende Gelegenheit zu verpassen…” (Eintragung vom 25. Februar 1954. Joman Ischi, a.a.O.S. 374).
Bemerkenswerterweise hat Raymond Eddé, der Führer des christlichen “Nationaler Blocks” in Libanon, kurz nach dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges in einem Kurzinterview folgende Feststellung getroffen:
“Ich bin nach wie vor überzeugt, daß wir es mit einem amerikanischen Plan zu tun haben, der die Teilung Libanons anstrebt, was über kurz oder lang den Zusammenbruch Syriens zur Folge haben wird. Das Ziel ist die Schaffung mehrerer Staaten konfessionellen Charakters an der Seite Israels, also Pufferstaaten, die der Sicherheit des Jüdischen Staates dienen sollen. Mit einem Wort, der Plan sieht die Balkanisierung der Region vor.” (LE MONDE, 16. Dezember 1975).
Ich bin nicht der Meinung, daß der Plan zur Balkanisierung des Nahen Ostens a m e r i k a n i s c h e n Ursprungs ist, wenn auch eine Mitwisserschaft Amerikas nicht auszuschließen ist. ich bin vielmehr der Meinung, daß unsere Medienwelt irgendwelchen anti-amerikanischen Äußerungen, wie gravierend sie auch sein mögen, das stigmatisierende Etikett erspart, während anti-israelische Äußerungen entweder grundsätzlich den vernichtenden Vorwurf des Antisemitismus, oder das große Schweigen nach sich ziehen. Und so kommt, per journalistischer Selbstzensur, Amerika zu einem Ruf, der eh schon nicht der beste ist.