Kriegsvorbereitung in Dänemark: NATO-Kritik soll bestraft werden
Dänischer Forscher zum „Anti-Russland-Geheimdienst“-Gesetz – EXKLUSIV
Alexander Boos
Sputnik, 19.10.2018
Der Justizminister von Dänemark plant ein nationales Gesetz, nach dem Facebook-Nutzer unter gewissen Umständen ins Gefängnis gehen, wenn sie „Nato-feindliche Inhalte“ publizieren. „Ich forsche schon lange kritisch zur Nato“, sagt der dänische Soziologe Lars Jørgensen im exklusiven Sputnik-Interview.
Søren Pind (Venstre), Justizminister von EU-Land und Nato-Mitglied Dänemark, plant Medienberichten zufolge, ein neues Gesetz für die dänische Bevölkerung einzuführen. Der Gesetzesentwurf trägt den Titel „Über Maßnahmen zum Kampf gegen Operationen der psychologischen Einwirkung durch ausländische Geheimdienste“. Er sieht bis zu 12 Jahre Haft für dänische Bürger vor, wenn diese zu Wahlkampfzeiten Äußerungen tätigen, die sich von der offiziellen Position der Behörden unterscheiden. Auch Äußerungen, die in sozialen Medien wie auf Facebook geteilt werden, fallen darunter. Das dänische Parlament in Kopenhagen („Folketing“) muss das Gesetz noch absegnen.
„Ich gehe davon aus, dass das Kopenhagener Parlament kein Hindernis darstellt“, erklärte Soziologe und Journalist Lars Jørgensen aus der dänischen Stadt Varde (Jütland) im Gespräch mit Sputnik. „Die dänische Regierung hat den Rückhalt der westlichen Staatengemeinde, um es durchzubringen. Der Gesetzesentwurf erlaubt, kritische Meinungen über die Nato zu kriminalisieren. Ein weiterer wichtiger Punkt dabei ist, wenn die Regierung nachweisen kann, dass Du mit einem ausländischen Geheimdienst zusammenarbeitest. Als dänischer Bürger, als kritischer Soziologe, muss ich jetzt Angst haben, dass man mir unterstellt, dass ich mit fremden Diensten zusammenarbeite. Was ich nicht tue. Ich bin nur ein einfacher Soziologe, der herausfinden möchte, was vor sich geht.“
„Wenn die Leute nur wüssten, was vor sich geht“
Dem Dänen bereitet aktuell Sorgen, dass er wohlmöglich bald in den Knast muss. Dies könnte für ihn zur bitteren Realität werden, sobald das Gesetz verabschiedet wird – wegen seiner Nato-kritischen Beiträge, die online zugänglich sind. Nicht nur auf seiner eigenen Website, sondern auch auf dem Portal „Facebook“, wo jeder Nutzer eigene Texte und sogenannte „Posts“ verbreiten kann. „Mein Facebook-Account wurde für Monate gesperrt“, sagte Jørgensen. „Später sogar deaktiviert. Ich habe etwa 4000 Freunde, darunter viele Akademiker aus der ganzen Welt.“ Facebook habe kaum auf seine Beschwerden reagiert.
„Ich bin ein Forscher, der die Nato kritisch betrachtet“, erklärte Jørgensen im Sputnik-Interview. „Es gibt aktuell nicht viele Nato-kritische Töne bei uns. Ich habe die Geschichte der Nato genau studiert. Ich kann auf ein großes Netzwerk von Experten und Fachleuten zurückgreifen.“
So stehe er in Verbindung mit dem „großartigen CIA-Forscher“ Douglas Valentine. „Ich habe einfach Informationen, die das positive Image der Nato untergraben. Die zeigen, dass das, was uns über den Jugoslawien-Krieg erzählt wird, komplett falsch ist. Das gleiche gilt für Libyen. Ebenso Syrien. Wenn die Leute nur wüssten, dass der Westen hinter dem ‚Islamischen Staat‘ steckt. Dann würde die Bevölkerung sich gegen die Nato wenden, und die Kriege würden aufhören. Für die Nato und die dahinterstehenden politischen und korporativen Mächten ist es sehr wichtig, kritische Stimmen – wie ich es bin – zum Schweigen zu bringen.“
Wenn Justizminister Gesetze planen – und kaum einer darüber berichtet
Gerade mal eine Handvoll Pressemeldungen gab es bisher zum geplanten Gesetz. Selbst dänische Medien berichteten kaum darüber. Kein Wunder: Wer sich die Medienstruktur Dänemarks anschaut, findet gerade mal fünf bedeutende große Printmedien. Dazu kaum sozialkritische oder linkspolitisch ausgerichtete Blätter oder Magazine. Auch von diesen Zeitungen kam kaum ein Wort zu dem neuen Gesetzesvorhaben. Die dänische Medienlandschaft scheint stark konzentriert.
Die dänischen Medien seien voll auf Nato-Linie, bemerkte Jørgensen. „Alle dänischen Zeitungen werden von großen Medienkonzernen kontrolliert. Sie würden es nie erlauben, dass ich irgendetwas – so wie in diesem Interview hier – sage.“ Alternative Medienangebote seien in Dänemark absolute Mangelware. „Wenn Sie sich mal Berichte in den dänischen Mainstream-Medien über Syrien anschauen: Die sind wilder und ausgeschmückter als die Nachrichten in den USA. Das ist völlige Fiktion. Wenn man dagegen mal authentische Berichte aus Syrien anschaut, was ich getan habe, und dort den normalen Menschen zuhört – die erzählen und fragen alle das gleiche: Warum unterstützt die britische Regierung in Syrien Terroristen?“
„Waffen in großem Maßstab“ nach Syrien
Der Soziologe verwies auf Berichte in den britischen Medien. So schrieb „The Guardian“ im Jahr 2015, dass „es genügend Beweise dafür gibt, dass der britische Staat selbst der bewaffneten syrischen Opposition ‚umfassende Unterstützung‘ gewährte.“ Dazu gehörten nicht nur Körperschutzanzüge und Militärfahrzeuge, sondern auch die Ausbildung, die logistische Unterstützung und die geheime Lieferung von „Waffen in großem Maßstab“.
Der frühere Botschafter Großbritanniens in Damaskus, Peter Ford, beschuldigte London, als Teil der „von den USA angeführten Koalition“ den syrischen Bürgerkrieg durch „die Unterstützung der Opposition“ verlängert zu haben. Dies berichtete 2016 die britische Zeitung „The Independent“. Auch die niederländische Regierung sieht sich mit internationale Medienberichten über die Unterstützung syrischer Rebellen konfrontiert, erklärte der dänische Forscher.
Jørgensens Forschungen und Recherchen sind auf seiner Homepage einsehbar. „Diese Seite ist öffentlich, auch um meine Aussagen zu untermauern. Dort finden die Leute noch mehr Informationen zu Themen wie Neoliberalismus oder den westlichen Medien und Kriegen.“
„Dänen leisten kaum Widerstand gegen Gesetz“
Auch die linke Szene in Dänemark sei überaus klein, zudem personell schwach aufgestellt und schlecht organisiert, so der Däne. „Es gibt zwar eine kleine Friedensbewegung in Dänemark, aber die ist nicht groß.“
So verwundert es nicht, dass ausgerechnet die kleine kommunistische Zeitung „Arbejderen“ (dt.: „Der Arbeiter“) in Kopenhagen über das geplante Gesetz weltweit zuerst berichtete. Der Artikel trug die Überschrift: „Das kostet Gefängnis“.
Faktor Geheimdienst: „Schutz vor ausländischen Aktionen“
„Mit dem Gesetzentwurf wird vorgeschlagen, klarzustellen, dass es sich um eine Straftat handelt, einem ausländischen Nachrichtendienst zu helfen oder es ihm zu ermöglichen oder mit ihm zusammenzuarbeiten, um die öffentliche Meinungsbildung im dänischen Staat zu beeinflussen“, heißt es im Wortlaut (in deutscher Übersetzung) in dem Regierungsdokument. „Ziel des Gesetzentwurfs ist es, den strafrechtlichen Schutz für Dänemark gegen ausländische Aktionen abzusichern.“ Es sei sehr „wahrscheinlich, dass solche Operationen für Dänemark immer mehr zu einer zunehmenden Bedrohung werden.“
Das Kopenhagener Regierungspapier zitiert norwegische Sicherheitsbehörden, nach deren Erkenntnis es wahrscheinlich sei, „dass russische Einflusskampagnen eine wachsende Bedrohung für Dänemark darstellen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Russland Aktionskampagnen gegen das Ziel Dänemark anvisieren wird.“
Faktor Russland: „Wenn Einstellung mit der des Kremls zusammenfließt“
Dass die Stoßrichtung des geplanten Gesetzes eine anti-russische Tendenz habe, bestätigten sogar etablierte dänische Medien. „Nach einem neuen Vorschlag riskieren Dänen zwölf Jahre Gefängnis, wenn sie Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen – und wenn ihre Einstellung mit der des Kremls zusammenfließt“, kommentierte die älteste dänische Tageszeitung „Berlingske“ vor wenigen Tagen. Die Regelung umfasse „Sendungen in Fernsehen, Radio, Zeitungen und anderen gedruckten Medien sowie im Internet und in sozialen Medien. Dem Vorschlag zufolge gibt es keine Mindestschwelle für das, was juristisch geahndet werden könnte.“
Immer wieder hat die dänische Regierung Aktivitäten Russlands in der jüngeren Vergangenheit kritisiert. So erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg jüngst, die Nato wolle bei russischen Cyber-Angriffen „fortan auch in der Lage sein, zurückzuschlagen“, wie „n-tv“ berichtete. „Großbritannien und Dänemark haben demnach bereits zugesagt, dem Bündnis ihre offensiven Cyber-Fähigkeiten für Gegenschläge zur Verfügung zu stellen.“
Dänemark in der Nato
Das Gesetz sei „Teil des Aktionsplans gegen so genannte ‚ausländische Einflüsse‘, den die Regierung in diesem Monat gestartet hat“, berichtete die bereits zitierte dänische Arbeiterzeitung Ende September. „Nach Angaben der Regierung stellen insbesondere ausländische Einflüsse aus Russland eine zunehmende Bedrohung für Dänemark dar.“
Aktuell regiert im skandinavischen Land eine liberal-konservative Koalition aus der dänischen Partei „Venstre“, der „Liberal Alliance“ sowie der „Konservativen Folkeparti“. Amtierender Regierungschef und Ministerpräsident Dänemarks ist Lars Løkke Rasmussen, der seit 2015 im Amt ist.
Das Land ist seit 1949 treuer Partner in der „Organisation des Nordatlantikvertrags“. Dänemark gehört zu den Gründungsmitgliedern des westlichen Verteidigungsbündnisses, das militärpolitisch von den USA geführt wird und 29 Staaten umfasst. Aktueller Nato-Generalsekretär ist der Skandinavier Stoltenberg aus Norwegen. Sein Vorgänger war der Däne Anders Fogh Rasmussen (Venstre), von 2009 bis 2014 in dieser Position.
„Kriegstreiber Nato“
Auf Basis von Statistiken der „Military Balance“, die das „Internationale Institut für strategische Studien“ (IISS) in London alljährlich herausgibt, lassen sich folgende Aussagen zur militärischen Stärke Dänemarks schätzen: Das Militär-Personal Dänemarks umfasst etwa 30.000 Soldaten bzw. Mitarbeiter. Die dänische Armee besitzt etwa 100 Panzer, über 120 Kampfflugzeuge und mindestens 80 Kriegsschiffe.
Der Nato und ihrer Politik schlägt seit Jahrzehnten massive Kritik entgegen. Globalisierungskritische, linke, aber auch konservative Gruppen sowie Sozialwissenschaftler und ehemalige Regierungsmitarbeiter weisen immer wieder auf den „kriegstreiberischen Charakter“ der Nato und ihrer Mitgliedsstaaten hin.
Das Radio-Interview (dt. Übersetzung) mit Lars Jørgensen zum Nachhören: