Leserbrief von Elias Davidsson zu Iran an Delmenhorster Kreisblatt
Leserbrief von Elias Davidsson zu Iran an Delmenhorster Kreisblatt
4. Mai 2012
Das DK hat mehrfach über die Reise eines Delmenhorster Rentners namens Claus Hübscher nach Iran berichtet. Als Mitreisender habe ich diese Berichte mit Erstaunen gelesen.
Als Sohn deutsch-jüdischer Eltern, die wegen der Judenverfolgungen emigrieren mussten, bin ich in Palästina im Jahre 1941 geboren. Ich wuchs auf in einem gemischten jüdisch-arabischen Viertel in Jerusalem, in dem meine Familie freundliche Beziehungen zu unseren christlichen und muslimische Nachbaren hatte. Ich bin aber im Judentum aufgewachsen und machte, wie andere Kinder, meine Bar-Mitzwa. Später war ich auch Mitglied in einer zionistischen Jugendbewegung, Haschomer Hatza’ir. Meine Muttersprache ist Hebräisch. Das Schicksal hat es gewollt, dass meine erste Frau Isländerin war, und so ergab es sich, dass ich in Island über 40 Jahre lebte. Ich lebe erst seit 2008 mit meiner zweiten Ehe und meinem Sohn in der Nähe von Bonn.
Schon in meiner späten Jugend entdeckte ich, dass die Ideologie des Zionismus rassistische Züge beinhaltet, insbesondere ein tiefes Misstrauen gegenüber Nicht-Juden. Uns wurde gesagt, Juden könnten Nicht-Juden (Gojim) nie völlig vertrauen, da sich unter der Haut eines “Gojs” immer ein Antisemit befinde. Diese Einstellung schien mir nicht nur weltfremd, sondern auch höchst rassistisch. Daraufhin brach ich mit dem Zionismus. Viel später erfuhr ich, wie die Zionisten das Land Palästina erobert und die Mehrheit der einheimischen Palästinenser vertrieben hatten. Ich erschrak, als ich die Liste der 385 zerstörten palästinensischen Dörfer sah, eine Liste, die in der westlichen Presse nie veröffentlicht wurde, die aber vom israelischen Historiker Benny Morris zusammengestellt wurde und in seinem Buch über die palästinensischen Flüchtlingen bei Cambridge University Press erschienen ist. Nachdem ich über die Verbrechen der zionistischen Bewegung gegen die Palästinenser vor und um 1948 las, habe ich geschworen, bis zu meinem Ableben über diese Ereignisse zu berichten als Sühne eines Juden gegenüber meinen palästinensischen Brüdern und Schwestern. Ich handle damit ähnlich jenen deutschen Bürgern, die sich um die Aufklärung des Holocaust bemühen, als Sühne gegenüber Juden. Mich erstaunt immer wieder, dass mein Versuch einer moralischen Wiedergutmachung als Antisemitismus oder jüdischer Selbsthass bezeichnet wird. Antisemitismus? Ich habe doch Familie und Freunde in Israel, die ich liebe und schätze!
Seit einigen Jahren verfolge ich die Anschuldigungen und Bedrohungen des Westens und des Staates Israels gegen Iran. Ich habe mich daher informiert. Einige Tatbestände haben mich überzeugt, dass Iran weder anti-jüdisch handelt noch eine Bedrohung für den Staat Israel darstellt. Zuerst entdeckte ich, dass die größte jüdische Gemeinde im Vorderen Orient (außer Israel) gerade in Iran lebt. Dann entdeckte ich, dass verfassungsgemäß zumindest ein Jude im iranischen Parlament einen festen Sitz haben muss, den wir übrigens zusammen mit Herr Hübscher getroffen haben. Ebenso wurde mir bewusst, dass der Islam sowohl das Judentum als auch das Christentum ehrt, und dies schließt die jüdischen Propheten sowie Jesus und Maria wie die islamischen Propheten ein. Der Islam kann einfach nicht anti-jüdisch sein. Und letztendlich wusste ich schon im Voraus, dass die meisten Judenausschreitungen der Geschichte in christlichen Ländern stattgefunden haben, während das Judentum unter der Herrschaft der Muslime in Spanien blühte. Jüdische Flüchtlinge fanden immer offene Türen in den Ländern des Islams. Jeder Historiker weiß das.
Was die angebliche Bedrohung seitens des Irans gegenüber Israel betrifft, so stelle ich fest, dass Iran nie in der modernen Geschichte ein anderes Land angegriffen hat. Iran ist ein friedlicher Staat. Dagegen hat der Staat Israel mehrfach seine Nachbarn und sogar Tunesien angegriffen und stellt eine permanente Bedrohung der ganzen Region durch seinen Atomwaffen einerseits und durch seine Besatzung und Unterdrückung der Palästinenser anderseits dar. Eine Aufzählung der Angriffskriege Israels befindet sich in meinem Aufsatz “The Security Council’s Obligations of Good Faith”, dass in der amerikanischen Zeitschrift “Florida Journal of International Law”, veröffentlicht ist (HIER). Dazu ergänzen sich die klaren und wiederholten Äußerungen des Imam Khamenei im Iran – der auch der Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist – dass Iran nicht Atomwaffen besitzen darf, weil solche Waffen unmenschlich und daher unvereinbar mit dem Islam sind. Ich habe keinen Grund, ihm Heuchelei bzw. der Verlogenheit zu zeihen und muss daher seine Äußerungen in Bezug auf Atomwaffen ernst nehmen.
Was Präsident Ahmadinedschad betrifft, so wird in deutschen Medien kolportiert, er hätte von der “Vernichtung” des Staates Israels gesprochen. Damit wird unterstellt, er wünsche die Ausrottung der Juden, die in Israel leben. Diese perfide Unterstellung ist aus der Luft gegriffen. Wenn A. oder seine Landsleute solche Absichten gegen Juden hätten, wieso leben über 30.000 Juden friedlich in Iran? Ganz abgesehen davon, ob seine Äußerung richtig oder falsch übersetzt wurde, wäre auch eine dumme, schwachsinnige oder widerliche Äußerung unerheblich, wenn sie nicht auch in Taten umgesetzt würde. Es gibt aber keinen Anlass zur Behauptung, Iran unternehme etwas, um Israel anzugreifen. Die Bedrohungen sind einseitig gegen Iran gerichtet. Die Bekämpfung des Zionismus ist eine ideologische Bekämpfung und kann nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Auch viele Juden in der Welt bekämpfen den Zionismus, entweder als Sünde gegen das Judentum oder als unvereinbar mit westlichen, demokratischen Grundsätzen. Ich bin nicht der einzige “Jude”, der die Bekämpfung des Zionismus durch den Iran absolut unterstützt. Ich sehe auch die Aufhebung des Zionismus als die einzige friedliche Möglichkeit für einen Zusammenleben der Juden in meinem Geburtsland mit ihren Nachbaren. Auf meiner Reise in den Iran sagten mir hochrangige Beamte, dass die einzige friedliche Lösung in Palästina ein demokratischer Staat sei, in dem Juden, Christen und Muslime gleichberechtigt sind. Diese Vision hat nichts, aber wirklich nichts, mit einer völkermörderische Absicht zu tun! Im Gegenteil: Sie zeugt von einer echten Sorge über die Zukunft der Juden.
Das Treffen mit Präsident Ahmadinedschad war einer der vielen Ereignisse in unserer Reise. Obwohl ich aus Gründen, die nicht mit Israel zu tun haben, ihn als einen mutigen und guten Mensch betrachte, sowie als einen der wenigen vorbildlichen Staatsmännern unserer Zeit, haben mich andere Tatsachen in Iran viel mehr als die kurze Begegnung mit ihm beeindruckt. Der Besuch in der Nationalbibliothek in Teheran war für mich der Höhepunkt der Reise: Hier sah man, was die islamische Revolution aufgebaut hat. Ich bedauere, dass Sie hassgeprägte Artikel gegen Hr. Hübscher veröffentlicht haben und es unterließen, sachlich über unsere Reise zu berichten. Es kränkt mich, dass Journalisten ihre Berufsethik vernachlässigen und sich als Propagandisten zur Verfügung stellen. Bitte versuchen Sie, meinen Respekt ihres Berufes aufrechtzuhalten.
Ich stehe selbstverständlich zur Verfügung für ein faires Interview mit Ihrer Zeitung.
Mit freundlichen Grüßen,
Elias Davidsson