Lobbyismus: »Keine Spuren hinterlassen und verdeckt arbeiten«
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Lobbyismus: »Keine Spuren hinterlassen und verdeckt arbeiten«
Eine neue TV-Dokumentation bringt Licht in die abgeschottete Welt des Lobbyismus. Ein Gespräch mit Thomas Leif
30.11.2014
Professor Dr. Thomas Leif ist Chefreporter Fernsehen beim Südwestrundfunk (SWR) in Mainz
Am Mittwoch läuft im Südwestrundfunk (SWR) um 20.15 Uhr Ihre Dokumentation »Lobbyisten – Die stille Macht im Lande«. Wie stark ist diese Macht nach Ihren Recherchen?
In der Öffentlichkeit wird dieses Thema stark unterschätzt. Nachdem ich mich mehrere Monate mit damit befasst habe, ziehe ich die Bilanz, dass der Lobbyismus tief in den parlamentarischen Prozess eingebunden wird. Neu war für mich, wie intensiv Politiker aller Schattierungen aktiv mit diesen Vertretern der Wirtschaft zusammenarbeiten. Ihnen stehen fast alle Türen offen, so dass sie viel stärker in den Gesetzgebungs-Prozess eingewoben sind, als man landläufig annimmt. Ein Insider erklärt beispielsweise, dass etwa 30 Prozent der Lobbyisten die Gesetzentwürfe im Frühstadium bekommen.
Umgekehrt wechseln doch auch Politiker in die Wirtschaft, Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) zu Rheinmetall, der ehemalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) zur Bahn AG …
Dieser extrem dichte und häufige Wechsel von Ministern direkt ins Zentrum der an politischen Entscheidungen interessierten Konzerne hat das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Weniger bekannt ist, dass mindestens vier ehemalige Staatssekretäre, jetzt auch für die »Gegenseite« lobbyieren. Man kann fast davon sprechen, dass sich mit dem wuchernden Lobbyismus ein zweiter Arbeitsmarkt für abgewählte Politiker und ihre Mitarbeiter etabliert hat.
Wie haben Sie recherchiert? Ich vermute, dass die Lobbyisten, mit denen Sie gesprochen haben, nicht unbedingt scharf darauf waren, Details ihrer Arbeit preiszugeben.
Ein früherer Lobbyist des Chemiekonzerns Altana hat einmal den Satz geprägt: »Unsere Arbeit im Lobbyismus ist prinzipiell nicht öffentlichkeitsfähig.« Lobbyisten gelten dann als besonders effizient, wenn sie nicht bemerkt werden und auch keine Spuren hinterlassen. Bei der Recherche stießen wir immer wieder auf Blockaden, in allen Varianten. Der prinzipielle Widerspruch ist der, dass es laut Grundgesetz selbstverständlich die Möglichkeit gibt, dass sich in der Gesellschaft bestimmte Interessen organisieren und bündeln. Andererseits muss diese Interessensartikulation aber nachprüfbar und öffentlich sein. Und daran halten sich die Lobbyisten nicht.
Auch Lobbyisten sind Wähler, haben möglicherweise sogar einen demokratischen Anspruch. Gibt es keine Anzeichen dafür, dass der eine oder andere darüber nachdenkt, wie problematisch seine Tätigkeit ist?
Die findet man allerhöchstens bei ganz wenigen aus der jüngeren Generation. Da kursiert der Entwurf für ein Papier, in dem sie sich für »public lobbyism« aussprechen – öffentlichen Lobbyismus mit mehr Transparenz also. Auf der anderen Seite gibt es zwei dominierende Zusammenschlüsse von Lobbyisten der alten Schule: das »Collegium« und der »Adler-Kreis«. Ihrer aller Devise ist: Keine Spuren hinterlassen und verdeckt arbeiten, jede Öffentlichkeit schadet nur. Es gibt also allenfalls recht seichte Zeichen einer Öffnung, die aber – wie jüngst im Tagesspiegel – vor allem von Dienstleistern im Lobbyismus vorsichtig präsentiert werden.
Ich habe mit Dutzenden Lobbyisten aller Schattierungen – auch unter dem Siegel der Vertraulichkeit – gesprochen . Mein Eindruck ist, dass viele von dem »Über-Lobbying« der Finanzmarkt- und Bankenbranche gezeichnet sind und registrieren, dass in der Branche »überzogen« wurde. Ein anderer Trend ist wirksamer: Parteien und Akteure sind nach eigener Einschätzung auf Lobby-Experten angewiesen. Ein Staatssekretär: »Ohne sie kommen wir nicht aus.«
Sie veröffentlichen in Ihrer Dokumentation exkluxiv ein Rechtsgutachten, das den Einsatz externer Experten in Ministerien als verfassungswidrig bezeichnet.
Dieses von Professor Bernd Hartmann aus Osnabrück erstellte aktuelle Gutachten ist meiner Ansicht nach eine Zäsur. Seit zehn Jahren gibt es ein Personalaustauschprogramm, auch »Seitenwechsler-Programm« genannt. Nach detaillierter Analyse aller zum Teil unveröffentlichter Dokumente, Begleitschreiben und Nebenprotokolle kommt Hartmann zu dem Schluss, dass dieses Programm »verfassungswidrig« ist. Die Berichte über dieses Programm waren bisher nicht öffentlich, sie wurden vom Bundesinnenministerium nur einem beschränkten Kreis zur Verfügung gestellt. Meiner Einschätzung nach können die Parlamentarier das Gutachten und Hartmanns Schlussfolgerungen nicht ignorieren.