Mauert euch doch ein!
Die Stadt Lübeck wird zur Vorbereitung des G-7-Gipfels in ein Heerlager verwandelt. Die größte Gefahr scheint von der eigenen Bevölkerung auszugehen
Von Sebastian Carlens, Junge Welt, 15. April 2015
Die Minister vor dem Volke schützen: Aufgabe von rund 3.500 Polizisten während des Außenministertreffens. Polizist mit MPi in Lübeck, 14. April 2015
Foto: Bodo Marks/dpa
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Wenn sich die Regierungschefs der »wichtigsten Industrienationen« zum G-7-Gipfel versammeln, ist das eigene Volk die schlimmste Bedrohung. Eingezäunt hinter Stacheldraht, durch Wasserwerfer, Hubschrauber und Hundertschaften vor Demonstranten geschützt, wollen sich die Staats- und Regierungschefs der BRD und USA, Großbritanniens, Italiens, Japans, Frankreichs und Kanadas im Juni im hermetisch abgeriegelten Schloss Elmau in Bayern treffen. Am gestrigen Dienstag abend (nach jW-Redaktionsschluss) wurde dafür in Lübeck bereits geübt: Die Außenminister der beteiligten Staaten trafen sich in der Hansestadt, um den anstehenden Gipfel vorzubereiten. Zum Schutz vor Gegendemonstranten ist auch Lübeck am Dienstag in ein wahres Heerlager verwandelt worden. Mehr als 3.500 Polizisten sollten das Ministertreffen im – momentan noch nicht für die Öffentlichkeit freigegebenen – Neubau des Hansemuseums abschirmen.
Wichtigstes Thema der zweitägigen Beratung in Lübeck sollte der Konflikt in der Ukraine sein. Russland ist im vergangenen Jahr aus dem Club der Industriestaaten ausgestoßen worden. Die VR China, zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, ist gar nicht vertreten, die weiteren sogenannten Schwellenländer oder BRICS-Staaten ebenfalls nicht. Der russische Außenminister Sergej Lawrow nahm allerdings bereits am Montag an einer Beratung der Chefdiplomaten Deutschlands, Frankreichs und der Ukraine teil. In ihrer vom Auswärtigen Amt veröffentlichten gemeinsamen Erklärung heißt es, die Lage in der Ostukraine sei »wegen zahlreicher Verletzungen« der Waffenstillstandsvereinbarung weiterhin angespannt. Die Erklärung ruft »alle Seiten auf, die Kämpfe zu beenden und ihre Entschlossenheit zu demonstrieren, die Waffenruhe vollständig anzuwenden und den Abzug schwerer Waffen endgültig abzuschließen«.
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte am Dienstag zu Journalisten, er und seine Kollegen hätten ein »sehr langes, sehr intensives und im Teil auch sehr kontroverses Gespräch« geführt. Dabei seien »die Meinungsverschiedenheiten zwischen Kiew und Moskau wieder offenbar geworden«.
Die zweitägige Beratung in Lübeck findet hingegen ohne russische Beteiligung statt. Der amerikanische Außenminister John Kerry wird erst am heutigen Mittwoch dazustoßen, er musste am Dienstag im US-Kongress an einer Anhörung zu den bisherigen Atomvereinbarungen mit dem Iran teilnehmen. Die USA wollen die Iran-Verhandlungen nach Angaben des Washingtoner Außenministeriums beim G-7-Treffen in den Mittelpunkt stellen.
Am Dienstagvormittag versammelten sich in Lübeck die ersten G-7-Gegner. Zu einer Kundgebung des »Bündnisses Stop G7« am Nachmittag kamen mehrere hundert Teilnehmer. Die Demonstration zog durch die Altstadt bis zum Tagungsort. Die Kundgebungen verliefen friedlich. Zwei für Dienstag morgen geplante Kundgebungen seien von den Veranstaltern abgesagt worden, teilte ein Polizeisprecher mit.
Der Sicherheitswahn der deutschen G-7-Gastgeber, der nicht nur die Stadt Lübeck, sondern im Sommer auch Teile Bayerns in den Ausnahmezustand versetzen dürfte, wird mit den Krawallen anlässlich der Einweihung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main Mitte März begründet. Ein ebenso fragwürdiger wie willkommener Anlass, den Kontakt zur eigenen Bevölkerung weitestgehend zu minimieren. Einer gewissen Konsequenz entbehrt dies nicht – stoßen doch weder die westliche Russland-Politik noch die Aufrüstung der Polizei zur Bürgerkriegstruppe auf breite Zustimmung. Sich einzumauern ist also auch ein Statement: Im Zweifel wird ohne – oder gar gegen – die Bevölkerung Politik gemacht.