Mit Abenteuercamps lockt die Bundeswehr immer mehr Kinder an
Früh übt sich … wer das Töten lernen soll. Mit Abenteuercamps lockt die Bundeswehr immer mehr Kinder an
Von Susan Bonath, Junge Welt, 2. September 2017 Von Susan Bonath
Jugendliche besichtigten im Führungsunterstützungsbataillon 381 in Storkow am 20. April u. a. eine Satellitenübertragungsanlage.
Foto: Bernd Settnik/dpa
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Steckt der Kapitalismus in der Krise, wird militärisch aufgerüstet. Mit einem aggressiven Werbefeldzug will die Bundeswehr derzeit vor allem Jugendliche erreichen. So lockt sie immer mehr Minderjährige in Abenteuercamps, um sie für eine Karriere als Berufssoldat zu begeistern. Dass es gelingt, belegt die aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion, die junge Welt vorliegt. Danach ziehen die als »Freizeitabenteuer« verkauften Trips immer mehr Jugendliche an.
Über 2.000 Minderjährige nahmen demnach in diesem Jahr bereits an den Rekrutierungscamps der Bundeswehr teil; im gesamten letzten Jahr waren es gut 500 weniger. Sein Angebot richte das Heer an 16- bis 17jährige, schreibt die Bundesregierung. Und weiter: »Darüber hinaus können im Einzelfall Lebensjüngere mit betrachtet werden, sofern sich diese in der Berufsfindungsphase befinden.« Die Camps finden in fast allen Bundesländern zwischen der Ostsee und dem bayrischen Hinterland statt – bei Panzereinheiten, Gebirgsjägern, der Luftwaffe und der Marine.
23 Camps hat die Bundesregierung für 2017 aufgelistet, 9 davon sollen noch stattfinden. »Das sind aber offenbar nicht alle«, glaubt der jugendpolitische Sprecher der Linksfraktion, Norbert Müller. Darauf gebe es zahlreiche Hinweise, sagte er am Freitag im Gespräch mit jW. Zum Beispiel fehlt das seit Jahren stattfindende Heidecamp der Bundeswehr im Fliegerhorst Holzdorf bei Wittenberg in der Liste. Ende Juli verbrachten dort im östlichen Sachsen-Anhalt 52 Jugendliche eine Woche in Kampf- und Tarnmontur. Reservisten hätten den zum Teil erst 15jährigen erste Elemente der Grundausbildung für Soldaten vermittelt, berichtete die Mitteldeutsche Zeitung.
Auch in Schulen gehen Jugendoffiziere ein und aus. Allein vom April bis Juni 2017 listete die Bundeswehr auf Anfrage der Linke-Abgeordneten Ulla Jelpke fast 200 Unterrichtseinheiten ab der achten Klasse aufwärts auf. Hinzu kamen 61 Seminare in Schulen und Ausbildungsstätten und 180 Karriereberatungen für jugendliche Erwerbslose in Jobcentern.
Tatsächlich rückt das deutsche Militär auch viel Jüngeren auf die Pelle, so etwa im sachsen-anhaltischen Letzlingen. Dort befindet sich die Kommandozentrale des Gefechtsübungszentrums Altmark – und eine Grundschule. Mit dieser hatte die Bundeswehr bereits vor Jahren eine »Patenschaft« besiegelt. Im Juni veranstaltete sie mit den Sieben- bis Elfjährigen auf dem Truppenübungsplatz ein Zeltlager unter der Leitung von Hauptfeldwebel Sebastian Gebel. »Das Projekt findet schon zum achten Mal statt«, freute sich Schulleiterin Silvia Lehmann in der Magdeburger Volksstimme.
Die Bundeswehr, erklärte Müller, lege immer mehr Wert darauf, Kinder so früh wie möglich neugierig zu machen und zeitig zu rekrutieren. »Inzwischen sind etwa acht bis zehn Prozent der Rekruten minderjährig, Tendenz steigend«, weiß er. Erst vor wenigen Tagen feierte das Verteidigungsministerium den Werbeerfolg. Mit 21.500 Neueinstellungen in diesem Jahr habe das Heer schon fast so viele Menschen unter Vertrag nehmen können wie im gesamten Vorjahr. Geworben werde auch mit Geld, meint Müller. Viele ärmere Eltern würden schon darum den Plänen ihrer Sprösslinge zustimmen. Was sie oft nicht sähen: »Eine spätere Traumatisierung wird immer wahrscheinlicher, je jünger die Soldaten sind.« Etwa jeder vierte Soldat leide nach einem Auslandseinsatz unter psychischen Problemen, schätzt er.
Für den Abgeordneten hat die aggressive Strategie »eine neue Dimension erreicht, die sich an der US-Armee orientiert«. Er erinnerte daran, dass die Onlineserie der Bundeswehr »Die Rekruten« nun ins Fernsehen kommen soll. Dies sei »gefährlich und unverantwortlich«, zumal die Vereinten Nationen seit langem darauf pochten, die Kinderrechtskonventionen einzuhalten. »Hier bricht die Bundesregierung Gesetze ohne Ende«, sagte Müller. Jede Rüge habe sie bislang ignoriert.