Mögliche Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an Bombenanschlägen im Rahmen der »Stay-behind«-Organisation der NATO
Drucksache 17/13214 (»Mögliche Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an Bombenanschlägen im Rahmen der »Stay-behind«-Organisation der NATO
http://www.jungewelt.de/2013/05-18/053.php
18.05.2013 / Schwerpunkt / Seite 3
Der BND und der Terror
Mögliche Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an Bombenanschlägen im Rahmen der »Stay-behind«-Organisation der NATO. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke
junge Welt dokumentiert auszugsweise die Drucksache 17/13214 (»Mögliche Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an Bombenanschlägen im Rahmen der »Stay-behind«-Organisation der NATO).
Vorbemerkungen der Fragesteller:
Im sogenannten Luxemburger »Bombenleger«-Prozeß ist Anfang April ein Zeuge aufgetreten, der Aussagen zur Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an der Anschlagserie gemacht hat, die in den 1980er Jahren Luxemburg in Atem hielt. Der Zeuge, der Historiker ist und früher u.a. als Chefarchivar des 1. Untersuchungsausschusses der 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages gearbeitet hat, sagte aus, sein Vater, ein im vergangenen Jahr verstorbener ehemaliger Bundeswehrangehöriger, habe die 18 Anschläge in Luxemburg eingefädelt (junge Welt, 12. April und 13. April 2013). Sein Vater sei neben seiner Tätigkeit als Hauptmann der Bundeswehr, bei der er Zugriff auf Sprengstoffe und Waffen gehabt habe, für den BND tätig und Teil der »Stay-behind«-Organisation der NATO gewesen. Er wisse von seinem Vater außerdem, daß dieser im Auftrag von »Gladio« bundesweit 50 Waffenlager angelegt habe.
Auch am Anschlag auf das Münchner Oktoberfest sei der Vater beteiligt gewesen: »Er hat die Bombe mitgebaut«, so A. K. im Interview mit der jungen Welt (13. April 2013). Sein Vater habe die »Anwerbungsgespräche« für das Attentat geführt und dabei unter anderem auch den Attentäter Gundolf Köhler angeworben. Zudem habe sein Vater dem »Allied Clandestine Committee« der NATO regelmäßig Bericht erstattet. Der Mann führte aus, er habe noch »erstklassiges Geheimdienstmaterial«, das seine Aussagen stütze. (…)
Sollten die Ausführungen von A. K. zutreffen, wäre dies einer der größten Geheimdienstskandale in der Geschichte der Bundesrepublik.
Vorbemerkungen der Bundesregierung:
a) Die Bundesregierung war im Rahmen mehrerer parlamentarischer Anfragen mit den Darlegungen des Zeugen A. K. im o.g. Prozess befaßt. In diesem Zusammenhang wurden bereits mehrfach die einschlägigen Unterlagen der Bundesregierung zu der Stay-behind-Organisation geprüft. Bisher konnten darin keine Hinweise gefunden werden, die die Darlegungen des A. K. in bezug auf die Tätigkeit seines Vaters, J. K., bestätigen können (…). Ungeachtet dessen hat die Bundesregierung eine weitere Prüfung der Vorwürfe veranlaßt. Sollten sich weitere Hinweise ergeben, die die Behauptungen stützen, wird über das weitere Vorgehen zu beraten sein. Darüber hinaus hat der Generalbundesanwalt (GBA) am 27. März 2013 (sic!) einen Prüfvorgang eingeleitet.
b) Der Aufbau der Stay-behind Organisationen der NATO-Staaten begann bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Elemente der von alliierten Nachrichtendiensten auf deutschem Territorium bis 1955 aufgebauten Nachrichtenbeschaffungs- und Schleusungsorganisation wurde vom Bundesnachrichtendienst (BND) übernommen. (…). Infolge der weltpolitischen Veränderungen wurde im Herbst 1990 die Auflösung der Stay-behind-Organisation des BND beschlossen. In Abstimmung mit den alliierten Partnern wurde die Organisation bis zum Ende des dritten Quartals 1991 vollständig aufgelöst.
c) Im November 1990 hat der GBA geprüft, ob im Zusammenhang mit der Einrichtung einer Stay-behind-Organisation durch Nachrichtendienste der NATOStaaten Maßnahmen im Rahmen seiner Zuständigkeit geboten sind. Der GBA hat dies aufgrund der erhaltenen Informationen verneint.
d) Die Bundesregierung hat mit Schreiben vom 3. Dezember 1990 der damaligen Parlamentarischen Kontrollkommission einen Bericht zur Stay-behind-Organisation des BND vorgelegt, den diese auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen konnte. (…) Wesentliche darüber hinaus gehende neue Erkenntnisse liegen der Bundesregierung dazu derzeit nicht vor. Im Rahmen der Erforschung der Frühgeschichte des BND wird auch dessen Stay-behind-Organisation behandelt werden. (…)
e) Die Bundesregierung weist darauf hin, daß die Altaktenbestände des Bundesnachrichtendienstes noch nicht vollständig erschlossen sind und daher in Zukunft weitere einschlägige Unterlagen gefunden werden könnten.
Antworten der Bundesregierung:
1. Trifft es zu, daß J. K. als Hauptmann der Bundeswehr unter anderem in der Stabsabteilung G 4 gearbeitet hat, er dort verantwortlich für logistische Unterstützung war und Zugang zu verschiedenen Sprengstoffen, Munition und Waffen hatte, und wenn nein, wie verhält es sich nach Kenntnis der Bundesregierung tatsächlich?
In den noch vorhandenen Unterlagen konnte ein in der Stabsabteilung G 4 (Logistik) tätiger Hauptmann namens J. K. festgestellt werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es dabei um die in der Frage angesprochene Person. Folgende Angaben konnten ermittelt werden: geb. am 21. Juli 1937, Personenkennziffer 210737-K-30926, Dienst in der Bundeswehr vom 16. Januar 1958 bis 30. September 1990, letzter Dienstgrad Hauptmann, letzte Dienststelle Streitkräfteamt in Bonn, verstorben im November 2012. Die betreffende Personalakte wurde aus Datenschutzgründen nach Ende der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist vernichtet. Aus den noch vorhandenen Unterlagen ergeben sich keine Details seiner verschiedenen Tätigkeiten. Insofern kann die Bundesregierung die in der Frage darüber hinaus angesprochenen Sachverhalte nicht bestätigen.
2. Trifft es zu, daß J. K. zugleich für den Bundesnachrichtendienst gearbeitet oder Aufgaben für diesen übernommen hat, und wenn ja, welchen Rang hatte er dort, was war sein Aufgabenbereich, und welche konkreten Tätigkeiten verrichtete er dabei?
Recherchen in den einschlägigen Abfragesystemen sowie in den zur Verfügung stehenden Unterlagen haben keine Hinweise erbracht, die eine Tätigkeit des J. K. für den Bundesnachrichtendienst (BND) bestätigen.
3. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß für Gladio/stay-behind in Deutschland Waffenlager angelegt waren (…)?
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Alliierten in Deutschland versteckte Depots für den Verteidigungsfall angelegt hatten. Es handelte es sich um Metall- oder Kunststoffbehälter, die neben Notproviant, Wertgegenständen für den Tauschhandel und Ausrüstung für Agenten auch Waffen enthielten. Der BND selbst hat nach Kenntnis der Bundesregierung keine solchen Depots angelegt.
Die Depots sollten bis 1972 durch die Stay-behind-Organisation des BND aufgelöst werden. Es wurden aber noch Ende der 1990er Jahre entsprechende Depots der Alliierten gefunden. Die Bundesregierung geht nunmehr davon aus, dass all diese Depots gefunden und aufgelöst wurden. Bezüglich der Frage nach der Rolle J. K.s wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. (…)
5. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß J. K. an der Beschaffung des Sprengstoffes und anderer Materialien für die Bombe, die beim Münchner Oktoberfest 1980 gezündet worden war, beteiligt war, und wenn ja, seit wann hat die Bundesregierung hiervon Kenntnis?
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, die diese Behauptung bestätigen.
6. Trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, daß westliche Geheimdienste sich im Marinestützpunkt Den Helder mit Sprengstoffen versorgen konnten, und inwiefern sowie für welche Zwecke haben welche deutschen Geheimdienste hiervon Gebrauch gemacht?
Unterlagen, die den dargestellten Sachverhalt bestätigen, konnten bei den anläßlich der Anfragen angestellten Aktenrecherchen nicht festgestellt werden.
7. Welche Angaben kann die Bundesregierung zu Zusammensetzung, Aufgaben und Tätigkeit des »Allied Clandestine Committee« (ACC) der NATO machen?
a) In welchem Zeitraum existierte das ACC, bzw. existiert es immer noch?
b) Inwieweit waren bzw. sind deutsche Stellen am ACC beteiligt?
c) Gab bzw. gibt es eine politische Kontrolle der Aufgaben des ACC, und wenn ja, durch welche deutschen Stellen wurde bzw. wird diese wie ausgeübt?
d) Inwieweit trifft es zu, daß deutsche Stellen dem ACC Bericht erstattet haben oder noch erstatten, und welche Stellen waren bzw. sind dies gegebenenfalls?
e) Trifft es zu, daß auch J. K. dem ACC Bericht erstattet hat, und wenn ja, namens welcher Behörde tat er dies, und was war Gegenstand seiner Berichte?
Über das »Allied Clandestine Committee« (ACC) ist den vorhandenen Akten zu »Stay-behind« kaum etwas zu entnehmen. Einer Angabe zufolge existierte das »Allied Clandestine Committee« spätestens seit 1964 und diente der Analyse und Lösung von Problemen bei der Zusammenarbeit der verschiedenen teilnehmenden Nachrichtendienste der beteiligten Staaten. Welche das im Jahre 1964 – neben Italien – im Einzelnen waren, ist den Unterlagen nicht zu entnehmen.
Besser bekannt ist die Rolle des – in den Unterlagen als »Allied Coordinating Committee« (ebenfalls ACC abgekürzt) bezeichneten – Gremiums, das der Abstimmung der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit ihrer Mitglieder diente (…). Der BND trat diesem ACC 1959 bei und war Mitglied bis zur Auflösung seiner Stay-behind-Organisation. Eine Berichterstattung durch den BND an dieses ACC erfolgte nicht, auch oblag dem ACC keine Weisungsbefugnis gegenüber der Stay-behind-Organisation des BND. Darüber hinaus gehende Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung liegen der Bundesregierung nicht vor. (…) Hinsichtlich der Beteiligung des J. K. wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. (…)
9. Inwiefern verfolgt die Bundesregierung den Luxemburger »Bombenleger«-Prozeß, und zu welchen Schlußfolgerungen hinsichtlich der Rolle offizieller staatlicher Behörden von NATO-Mitgliedsländern ist sie dabei bislang gekommen?
10. Inwiefern sieht sich die Bundesregierung durch die Aussagen des deutschen Historikers A. K. im Prozeß sowie in der Tageszeitung junge Welt veranlaßt, die Vorgänge (ggf. erneut) zu untersuchen, um insbesondere einer möglichen Beteiligung des BND an den Luxemburger Bombenanschlägen und am Münchner Oktoberfest nachzugehen? (…)
11. Welche weiteren Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die Angaben des J. K. zu überprüfen, und zu welchen Ergebnissen bzw. Erkenntnissen ist sie dabei bislang gekommen?
Die Fragen 9 bis 11 werden zusammengefaßt beantwortet: Die Stay-behind-Organisation war bereits in der Vergangenheit mehrfach Gegenstand parlamentarischer Anfragen, auch im Zusammenhang mit dem Oktoberfestattentat (…). Die Bundesregierung und der GBA verfolgen die Berichterstattung in den Medien zu dem angesprochenen Verfahren in Luxemburg. Darüber hinaus geht der GBA den in der Tageszeitung junge Welt in der Ausgabe vom 13. April 2013 in einem Interview getätigten Angaben des A. K. zu den Hintergründen des Anschlags auf das Oktoberfest in München am 26. September 1980 nach. Zu den Einzelheiten des Vorgehens können aus kriminaltaktischen Gründen derzeit keine Angaben gemacht werden, um einen möglichen Ermittlungserfolg nicht zu gefährden. Darüber hinaus wird auf die Vorbemerkung der Bundesregierung, Buchstabe a) sowie auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. (…)
13. Wie viele Personen gehörten der deutschen Stay-behind-Organisation an (…), und inwiefern waren diese auch im Ausland tätig (bitte jeweils Ort, Zeitpunkt und Tätigkeit angeben)?
Die Größenordnung der Stay-behind-Organisation des BND war einem ständigen Wechsel unterworfen. Ende der 1950er Jahre umfaßte die Organisation ca. 75 hauptamtliche Mitarbeiter. Ihr Bestand an nachrichtendienstlichen Verbindungen betrug zeitweise bis zu 500 Personen (…).
Im Januar 1986 waren laut Bericht der Bundesregierung an das Parlamentarische Kontrollgremium nur noch 26 hauptamtliche Mitarbeiter der Stay-behind-Organisation zugewiesen. Ihr Bestand an nachrichtendienstlichen Verbindungen lag im Jahre 1990 bei 104 Personen. Die Stay-behind-Organisation des BND arbeitete sowohl bi- als auch multilateral mit den Partnerdiensten zusammen. (…)
15. Mit welcher Intensität hat die Bundesregierung in den vergangenen Jahrzehnten versucht, die »Stay-behind«-Organisation der NATO auszuleuchten? (…)
Nach Auffassung der Bundesregierung obliegt die politische und juristische Aufarbeitung der verschiedenen nationalen Stay-behind-Organisationen den jeweiligen nationalen politischen Institutionen. (…)
Wesentliche neue Erkenntnisse hat die Bundesregierung von 1990 bis heute dazu nicht gewonnen. Vor diesem Hintergrund und nach vollzogener Auflösung der Staybehind-Organisation zum dritten Quartal 1991 sah die Bundesregierung auch keine Notwendigkeit, sich mit diesem Problemkomplex weiter zu befassen. Die historische Erforschung und Bewertung bleibt der Wissenschaft vorbehalten. (…)
Vollständiger Wortlaut als pdf-Datei zum Download
Download-Dokumente:
Drucksache 17/13214 (»Mögliche Beteiligung des Bundesnachrichtendienstes an Bombenanschlägen im Rahmen der »Stay-behind«-Organisation der NATO
Bundesregierung