Mordaufrufer des Tages: David Cesarani
Mordaufrufer des Tages: David Cesarani
Junge Welt, 9. Februar 2011
Mit Massakern an Ägyptern haben Briten jede Menge Erfahrung. Vielleicht in Erinnerung an die glorreichen Zeiten des British Empire schlug der Londoner Professor David Cesarani in einer BBC-Radiodiskussion (Moral Maze – www.bbc.co.k/programmes/b00y2snp ) vor, den Tahrir-Platz in Kairo nach dem Vorbild des Platzes des Himmlischen Friedens in Peking zu räumen. Dort kamen 1989 nach westlichen Schätzungen Hunderte Demonstranten zu Tode.
Die Äußerung des Historikers, der als Holocaust-Forscher u. a. mit einem Buch über Adolf Eichmann hervorgetreten ist, rief kaum eine Reaktion hervor, weder gab es einen Twitter-Sturm der Empörung, noch erreichten den Sender erregte Anrufe. Eine Diskussion über den Nutzen von Abschlachtungen, z. B. an der ägyptischen Bevölkerung, gehört offenbar wieder zur Normalität der »westlichen Wertegemeinschaft«. Cesarani hatte auf die Frage nach einem »moralischen Dilemma« geantwortet: Wenn das, was in Ägypten auf Mubarak folge, schlimmer als dessen Regime sei, müsse es vorher niedergeschlagen werden.
Der ehemalige Direktor des britischen Holocaust-Museums »Wiener Library« gab zu bedenken, daß die Niederschlagung der Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens »aus rein pragmatischer Sicht« »wünschenswerte und berechenbare« Ergebnisse gebracht habe. Mit Ägypten verhalte es sich ähnlich. »Wenn man dieser populären Demokratiebewegung erlaubt, unkontrolliert weiterzumachen, dann weiß man nicht, was passiert. Aber man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, daß nach einer kurzen, scharfen und massiven Niederschlagung mit immensen Kosten an Menschenleben eine verbissene Stabilität einkehren wird.«
Matthew Taylor, ehemaliger Berater des Expremierministers Blair, dankte Cesarani in der gleichen BBC-Sendung für dessen »unglaublich mutige« Aussage. (rwr)