Musik…und Musiker…für eine bessere Welt
Musik…und Musiker…für eine bessere Welt
Elias Davidsson
Referat zur Konferenz der EPTA-CH, Basel, 11 Nov. 2001
Ein Gefühl des Unbehagens schwebt über der Welt wie eine schwarze Wolke. Angst vor der Zukunft greift auch in wohlhabenden Ländern um sich. Kinder fragen uns: Warum und Wohin? aber uns fehlen überzeugende Antworten.
Es ist besonders in solchen Krisenzeiten wichtig den Kopf kühl und das Herz warm zu halten. Denn diese Krisen, darunter die Anwendung von Gewalt gegen unschuldige Menschen, sind Symptome einer weltweiten Gesellschaftspathologie. Ihre Genese fordert uns die Gründe der Pathologie zu erkennen und die richtigen Heilmittel zu verwenden.
Die Gründe sind aber längst bekannt. Sie liegen in einer ungerechten Weltordnung, die die Kluft zwischen Reichen und Armen immer weiter vertieft. Diese globalen Zustände erscheinen weit von unserer fachlichen Aufgabe entfernt. Fragen von Krieg und Frieden, und des globalen Unrechtes, werden in der Regel als Sachverhalte abgetan, die Künstler und Pädagogen am besten den Politikern überlassen sollten.
Aber die Realität lässt uns nicht in Ruhe. Die Eigendynamik des Kapitalismus, der heute die ganze Welt beherrscht, strebt unaufhörlich danach, alle Lebensbereiche und alle menschlichen Tätigkeiten zu dominieren. Das trifft auch auf Musikpädagogen, darunter Klavierlehrer und Lehrerinnen, zu. Alles muss sich dem Markt, d.h. den Gesetzen des ungezügelten Wettbewerbes, unterordnen.
Ich möchte hier aber keine allgemeine Analyse des Kapitalismus durchführen (das wäre natürlich nicht am Platz) sondern lediglich drei seiner Folgen ansprechen, die die musik-pädagogische Arbeit erschweren, bzw. gefährden:
Erstens, die Verdinglichung der Musik;
Zweitens, die Technologisierung der musikalischen Praxis; und
Drittens, die Privatisierung von Musikausbildungstätten.
1. Die Verdinglichung der Musik
Der Begriff der Verdinglichung bedeutet Objekte, Tätigkeiten und sogar Gefühle, als Mittel zur Erfüllung eines weiteren Zwecks, zu betrachten.
Ein Grundzug des Kapitalismus ist das Streben, aus jeder menschliche Tätigkeit, sei es Arbeit oder Konsum, Profit zu erzielen. Obwohl Verdinglichung der Menschen keine Erfindung des Kapitalismus ist, hat keine frühere Gesellschaftsordnung die Verdinglichung des Menschen und der Natur, zum Rang eines Organisationsprinzipes der Gesellschaft, hervorgehoben.
Die Verdinglichung der Musik kann leicht anhand der Organisation und Zielsetzung der Unterhaltungsindustrie festgemacht werden. Um Gewinne zu erzielen, strebt die Unterhaltungsindustrie danach Musik zu verdinglichen um den ständigen Konsum ihrer Produkte zu sichern. Ihre Produkte sind hauptsächlich CDs, Video-Clips, Werbespots, Filmmusik und Berieselungsmusik. Diese Produkte werden vermarktet, genau wie andere Konsumartikel. Wie bei anderen Industrien beruht die Massenvermarktung auf einer künstlichen Erzeugung und Ankurbelung der Nachfrage.
Historisch betrachtet, erfüllt die Unterhaltungsindustrie zwei Aufgaben. Sie ist zunächst, wie jede andere Industrie auch, ein Mittel zur Erzeugung von Reichtum für ihre Besitzer. Darüber hinaus – und das unterscheidet sie etwa von der Aluminiumindustrie – hat sie aber auch die Aufgabe die Bevölkerung von den grossen Problemen der Zeit abzulenken. Was im antiken Rom Brot und Spiele hieß, nennt sich heute Amüsement.
Aus der Perspektive der Unterhaltungsindustrie stellen sich die folgenden Fragen: Welche Bevölkerungs- und Altersgruppen können am leichtesten für den Konsum gewonnen werden? Und wie werden Konsumgewohnheiten und ein bestimmter Geschmack gefestigt? Diese Fragen – so zynisch sie sich auch anhören mögen – muss jeder Marketing-Spezialist beantworten können.
Und die Antwort kennen wir ja: Die Unterhaltungsindustrie wirbt in erster Linie um die Treue der Kinder und der Jugendlichen und versucht ihren Geschmack und Konsumgewohnheiten, so früh wie möglich, zu beeinflussen [1]
Zahlen über den Konsum von Musikartikeln sind nicht leicht erfassbar[2]. Die Produktion von Unterhaltungs- und Pop-Musik ist aber eine Grossindustrie geworden, die die Bemühungen der Musikerziehung bei weitem überschattet. Die Musik dieser Industrie rieselt durch versteckte Lautsprecher in Geschäften, Restaurants, Aufzügen, Flugzeugen, Autos,auf uns ein. Das gleiche gilt für Telephone, Handys, Filme, Videokassetten und Werbespots so wie CDs und Computerspiele.
Auch wo die Musik nicht unmittelbar dem Konsum dient, erhält sie einen Warencharakter im Kontext der Massenvermarktung. Wenn man die Aufnahme einer Mozartsymphonie im Supermarkt neben Kartoffeln, Fleisch und Reiningungsmitteln kaufen kann, bekommt die Musik einen Warencharakter. Was die Unterhaltungsindustrie produziert ist, im Grunde genommen, Wegwerfmusik.
Ich möchte hier drei Auswirkungen dieser Verdinglichung der Musik erwähnen.
Erstens: Noch nie wurde die Menschheit derart massiv einer musikalischen Geräuschkulisse ausgesetzt wie heute. Die Stille, die zum musikalischen Erlebnis unentbehrlich ist, ist heute eine Rarität geworden. Diese Situation führt dazu dass Musik ihren zauberhaften, feierlichen oder gar religiösen Charakter verliert.
Zweitens: Die Gesetzmässigkeit der Vermarktung so wie die Rolle der Musik als Mittel zur Steigerung des Konsums, beeinflussen die Empfindung von Form, Zeit und Stil. Musik für Filme und Werbespots beruht oft auf kurzen Sequenzen. Hier gibt es keine Zeit für Tonartmodulation, musikalische Entwicklung oder den Aufbau einer Form. Filme und Werbespots sind dabei die primären Quellen des musikalischen Erlebnisses für grosse Teile der Bevölkerung. Diese Musik trägt stark zur Geschmackbildung bei.
Musik, die zur Berieselung in Kaufhäuser und Restaurants bestimmt ist, muss “sterilisiert” werden, damit sie nicht auffällt.
Die Bevorzugung von elektronischen Klangquellen, fördert Hörgewohnheiten, die es den Konsumenten erschweren kontrapunktische, monodische und heterophone Musikgattungen zu verstehen und geniessen. Jugendliche, die stark industrieller Unterhaltungsmusik ausgesetzt sind, finden daher Musik aus Asien oder dem vorderen Orient sehr befremdend.
In dem Maße wie die Kultur eines Volkes befremdend wirkt, sinkt auch das Gefühl der Solidarität mit diesem Volk. Obwohl die Beziehung zwischen der Dominanzwestlicher Pop-Musik und Rassismus nicht eindeutig bewiesen ist, hat die UNESCO, als Beitrag zur Verständigung der Völker, sich besonders für die Bewahrung und Verbreitung von Folkore der Völker eingesetzt.
Drittens: Je mehr Menschen selbst Musik machen, desto weniger Musik müssen sie kaufen. Die Förderung des passiven Musikkonsums ist daher eine wichtige Strategie der Musikindustrie. Die Flut von Musikwaren auf dem Markt beruht demnach nicht auf einer Vermehrung künstlerischer Kreativität, sondern auf der massiven Vermarktung einiger Starkünstler.
2. Bevorzugung technologischer Lösungen
Im Prinzip fördern Instrumentenfabrikanten das Instrumentalspiel. Die Schlacht um den Marktanteil zwingt die Produzenten jedoch zur Erfindung neuer Funktionen, die den Verkauf ankurbeln können.
Traditionelle Instrumente haben einen jahrhundertelangen Entwicklungsprozess durchlaufen und wahrscheinlich ihre optimale Gestalt erreicht. Sie können somit kaum noch verbessert werden. Dagegen eröffnen sich endlose Möglichkeiten, in elektroakustische Instrumente Funktionen einzubauen, z.B. um das Üben zu ersparen.
Jeder kann heute mit einem Mikrophon, ohne mehrjähriges Gesangstudium, Sänger werden. Jeder kann mit Knopfdruck auf dem Synthesizer ein Lied begleiten. Wer braucht dann überhaupt noch einen Klavierlehrer? Dabei sind doch die Mühe des Übens und die Freude des Entdeckens wesentliche Bestandteile des musikalischen Erlebnis. Nichts erfreut mehr als die Früchte seiner Arbeit zu ernten.
Technologie hat selbstverständlich nicht nur negative Auswirkungen.
Man muss sich jedoch bewusst machen, dass die Entwicklung einer bestimmte Technologie nicht von den reellen Bedürfnisse der Menschen, oder der Kinder, bestimmt wird, sondern vom Streben nach Profit. Während die Industrie ständig leistungsfähigere Aufnahmegeräte, Mikrophone, Kopfhörer, Verstärker, Sampler, DVD-Spieler, Synthesizer und Programme entwickelt und vermarktet, besitzt über eine Milliarde von Menschen nicht einmal ein einfaches Runkfunkgerät, dass man heute für einige Centimes produzieren kann.
Eine langfristige, und verkannte, Wirkung der Technologie in der Musikpraxis, ist die Verarmung der sinnlichen Beziehung zwischen Spieler und Instrument.
Akustische Instrumente wurden seit je her als Verlängerung des menschlichen Körpers entwickelt. Ihre Handhabung verlangt, je nach Instrument, einen subtilen Einsatz von Fingern, Händen, Armen, Füssen, Mund, Lippen oder Atemzug. Musik wird erst durch die enge physiologische und sinnliche Beziehung des Menschen zum Instrument, lebendig. Dieses Verhältnis von Spieler und Instrument kann nicht ohne weiteres in elektronische Instrumente eingebaut werden.
Warum interessieren sich Grosskonzerne trotzdem nicht für den Bau und die Vermarktung traditioneller Instrumente, wie Violinen, Flöten und Klavieren? Die Antwort liegt auf der Hand: Da man traditionelle Instrumente im Kleinbetrieb herstellen kann, besteht kaum eine Möglichkeit zur Monopolisierung der Produktion. Die Herstellung von elektronischen Geräten dagegen, die grosser Investitionen bedarf, reduziert zwangsläufig die Zahl der potentiellen Konkurrenten und ermöglicht daher höhere Profite. Das erklärt warum die Industrie die Benutzung technologisierter Musikinstrumente bevorzugt.
Die Beweggründe, nochmals, haben nichts mit der Förderung der Kunst und der Erziehung, zu tun.
3. Drang zur Privatisierung von Musikausbildungstätte
In Island, wo ich wohne, streiken derzeit Musiklehrer zum ersten Mal, weil die Gemeinden ihnen keine angemessenen Löhne zahlen wollen.
In anderen Länder, wie z.B. in Frankreich oder Polen, aber auch in Skandinavien, werden öffentliche Kultur- und Erziehungseinrichtungen schleichend abgebaut. Dieser Abbau wird nicht auf einem Schlag durchgeführt.
Hier wird die Unterrichtsstunde von 60 auf 45 Minuten gekürzt. Da fehlt Geld für Instrumentenkauf, oder es wird Gruppenunterricht verlangt. Öfters müssen sich die Dienstleister selbst finanzieren, z.B. durch Schulgelder.
Aber weder Musiklehrer, Schüler oder ihre Eltern, d.h. die direkt Betroffenen, noch die Bevölkerung, rufen nach Privatisierung von Musikschulen. Wer ist an der Privatisierung des Erziehungswesen überhaupt interessiert ?
Der Konzern Bertelsmann, stellvertretend für die Interessen der Unterhaltungs- und Medienindustrie, fordert seit langem, dass der Erziehungssektor dem Wettbewerb geöffnet werden soll. Im Informationszeitalter soll der “überflüssige Bildungsballast”, so die Bezeichnung Bertelsmannns für klassische Kunst- und Musikerziehung und alte Sprachen (Griechisch, Latein), abgeworfen werden.
4. Musikpädagogen zwischen Resignation und Selbtsbehauptung
Das Kapital braucht uns Musikpädagogen also nicht mehr. Sind wir Musikpädagogen nutzlos geworden ?
Die Dominanz der neoliberalen Ideologie – die gegenwärtige Ideologie des Kapitalismus – hat zu zahlreichen Problemen geführt: Die Solidarität innerhalb der Gesellschaft schwindet und viele Angestellte des öffentlichen Dienstes, darunter auch Musikpädagogen, haben diese Ideologie verinnerlicht. Sie betrachten sich, als die Verlierer der Gesellschaft.
Auch wenn wir nur zurückhaltend Stellung zu gesellschaftlichen Fragen beziehen, so muss sich diese Zurückhaltung spätestens dann ändern, wenn wir uns dem Ausmass der kapitalistische Ausbeutung der Kindheit und deren Folgen bewusst werden.
Unserer Widerstand gegen die Verdinglichung des Menschen und der Kunst beginnt bei unserer eigenen inneren Vorstellung dessen, was ein Musikpädagoge darstellen soll. Es ist nicht nur für uns sondern auch für die Gesellschaft wichtig, dass wir unsere gesellschaftliche Aufgabe ernst nehmen und bereit sind, sie zu verteidigen. Der liebe Gott mahnt uns, als Verteidiger der Kinder gegenüber dem Mißbrauch ihrer Glaubwürdigkeit und der Ausbeutung ihrer natürlichen Bedürfnisse, Stellung zu nehmen.
Wir sollten uns auch von Zeit zu Zeit Rechenschaft über unsere eigenen Leistungen geben, nicht nur im kritischen Sinn, sondern auch im Hinblick auf unsere Erfolge. Wir können und dürfen auch auf diese Erfolge stolz sein.
Unsere Antwort aufdie Verdinglichung des Lebens ist Musik als spontanen Ausdruck, als Entfaltung der Persönlichkeit, als Erlebnis, als Zauberei, als Herausforderung, als Lob Gottes und als zwischenmenschliche Kommunikation, zu fördern.
5. Musikpädagogen als Anwälter der Kinder
Das Ideal des Menschen, das jedem Musikpädagogen vorschwebt, ist das eines freien, eigenständigen und kreativen Künstlers.
Dieses humanistische Ideal ist ein wichtiger Gegenpol zur Zielsetzung der Unterhaltungsindustrie und kann daher gar nicht oft genug geäussert werden. In der heutiger Zeit ist ja schon die Formulierung humanistischer Thesen eine Herausforderung.
Die humanistische Vision der Musikpädagogik beruht auf einen übergeordneten Prinzip, dem Prinzip der Menschenwürde, das im Bewusstsein der Völker, in allen Religionen, und in internationalen Abkommen verankert ist, u.a. in der Allgemeinen Menschenrechts-erklärung. Aus dieser grundsätzlichen Erklärung werden zahlreiche Menschenrechte abgeleitet, darunter auch das Recht jedes Kindes auf eine angemessene Ausbildung.
Jedes Kind besitzt das Recht, sich gemäss seiner körperlichen und geistigen Fähigkeiten, frei zu entwicklen. Die Gesellschaft ist demnach verpflichtet Kinder den Zugang zu eine angemessene Ausbildung zu gewähren.
Davon sind wir, sogar hier in Europa, noch weit entfernt. Das Recht auf eine menschenwürdige Ausbildung, darunter auch musikalische Ausbildung, soll in Landesverfassungen und in internationalen Abkommen juristisch festgelegt werden.
Musikpädagogen sollten sich für dieses Recht als Anwälter der Kinder einsetzen.
6. Zusammenfassung
Ich habe in diesem Vortrag das Wort Ideologie einige Male verwendet. Auch Humanismus ist eine Ideologie.
Jede Ideologie entspringt jedoch konkreten Interessen. Die Herrschaft einer bestimmten Ideologie hängt in erster Linie von den konkreten Machtverhältnissen zwischen den gesellschaftlichen Klassen ab, d.h. zwischen Arbeit und Kapital. Die Gegensätze zwischen Arbeit und Kapital sind, seit der Deregulierung der Finanzmärkte, weltweit nachvollziehbar.
Heute, herrscht nicht nur das Kapital, sondern auch seine Ideologie, die sich in der Form des Neoliberalismus als die endgültige Ideologie aller Zeiten hinstellt. Die Macht des Kapitals über den Völker beruht nicht nur auf nackte Gewalt, sondern auch auf die Verinnerlichung des Glaubens an die Ideologie des Kapitals.
Immer mehr Menschen verlieren heute die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Viele Menschen ziehen sich zurück. Diese Verinnerlichung der Ohnmacht ebnet genau den Weg den man fürchtet. Die hemmende Ohnmacht kann aber beseitigt werden, wenn man bereit ist das Mechanismus der sachte Unterdrückung zu entlarven und sich öffentlich für humanistische Prinzipien einzusetzen.
Als Pädagogen sollten wir den Heranwachsenden, und nicht nur unseren privilegierten Schülern und Schülerinnen, im Namen des Humanismus, einen wirksamen Schutz gegen die rücksichtslose Ausbeutung ihrer Kindheit und Jugend gewähren.
Die Verteidigung und Förderung aller Kinder der Welt, erfordert eine fächerübergreifende und internationale Zusammenarbeit. Darüber hinaus, beruht das Streben nach einer besseren Welt auf der Bereitschaft, unsere fachliche Kompetenz und unsere Sensibilität für eine würdige Existenz aller Menschen auf’s Spiel zu setzen. Dies erscheint mir eine wunderschöne und gleichzeitig dringende Herausforderung für uns alle.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
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[1] Siehe z.B die folgenden Websites:
http://www.mediachannel.org/atissue/consumingkids
http://www.kidpowerx.com/conferences/TP2001/workshops.shtml
http://www.newdream.org/campaign/kids/facts.html
[2] Nach New Internationalist (London), März 2001, soll der Umsatz der Musikindustrie ca. 40 Milliarden US Dollars betragen. Sechs Konzerne beherrschen diese Industrie.