Nachhelfen oder Totschweigen (1969)
Dr. Clemens Münster, BAYERISCHER RUNDFUNK München, Fernsehdirektion I, an H. Spehl
München, 23. Juni 1969
Sehr geehrter Herr Dr. Spehl: Für die Übersendung der "Briefe vom Anderen Israel" danke ich Ihnen. Was Ihren (Brief-) Partner betrifft, so weiß ich nicht erst seit gestern, daß die Juden eine besondere Spezies von Antisemiten hervorgebracht haben. Was Ihren eigenen Anteil angeht, so vermag ich beim besten Willen nicht darin einen Dienst an der Sache, nämlich am Frieden, zu sehen. Abgesehen davon, daß Ihre Darstellung der Fakten nur teilweise richtig ist, interpretieren Sie diese in einer Weise, durch die Sie sich zum Anwalt der Gegenseite machen. Zugegeben, daß die Sachlage sehr verwickelt ist, zugegeben, daß "Recht" und "Unrecht" jeweils nicht für eine Partei allein in Anspruch genommen werden dürfen, – Sie verkennen völlig den Charakter historischer Prozesse und unsere eigene Rolle in diesem Prozeß. Aus dieser Rolle folgt nämlich, daß uns Deutschen gar nichts anderes übrig bleibt, als bei der gebotenen politischen Neutralität publizistisch entweder den Israelis zu helfen, oder aber zu schweigen, mindestens in der Öffentlichkeit. Es bleibt jedem unbenommen, zu denken und mit seinen Freunden zu besprechen, was er will. Nie und nimmer aber können Sie es verantworten, ein Buch wie die "Briefe vom Anderen Israel" zu verbreiten. Mag Ihre Intention in eine andere Richtung gehen, tatsächlich wirkt dieses Buch nicht nur als ein Plädoyer gegen den Staat Israel sondern auch als eine geradezu heimtückische antisemitische Propaganda. Ich habe großen Respekt vor den Anti-Zionisten unter den Juden, sofern sie angesichts des Existenzkampfes ihrer Glaubensgenossen in Israel vor der Öffentlichkeit schweigen. Deutsche aber, die sich in voller oder halber Öffentlichkeit so äußern wie Sie, sehr geehrter Herr Dr. Spehl, es tun, halte ich für Nachfahren jener Antisemiten, die schließlich den Nazismus heraufgeführt haben. Ich warte darauf, Sie in den Propagandaschriften der Arabischen Liga zitiert zu sehen.
Mit freundlichen Grüßen (gez. Dr. Clemens Münster)
H. Spehl an Fernsehdirektor Clemens Münster
Freiburg, 26. Juni 1969
Sehr geehrter Herr Dr. Münster: Von Ihrem Brief wird mir noch lange die Erinnerung an das Konzept einer Publizistik bleiben, die moralische Kategorien und sogar journalistische Objektivität einem kollektiven Opportunismus geopfert hat. So wurde mir geschrieben, von Ihrer Hand:
Vielleicht können Sie ein ganz klein wenig mitfühlen, wie mir zumute ist angesichts der politischen Neutralität einer Publizistik, die ihre totale Sympathie für die Juden entdeckt hat – mindestens 35 Jahre zu spät; und die sich derzeit um das Wohl der Tschechoslowaken sorgt – – fast genau 30 Jahre zu spät (31). Ich sage Ihnen voraus, daß diese Art von Publizistik eines Tages auch noch ihr Mitgefühl für die Palästinenser herausfinden wird – wenn es sie dann noch gibt.
Daß Sie mir diesen Einblick gewährt haben in die Verschwörung des Schweigens um das Leid von bald zwei Millionen einfacher und unschuldiger Palästinenser, die auch meine und Ihre Hypothek abtragen, dafür setze ich mich gerne jedem von Ihnen gewünschten Verdacht aus.
Mit besten Wünschen (gez. H. Spehl)