Nato- Strategische Konzepte German-foreign-policy
Strategische Konzepte (I) 11.03.2009
BERLIN (Eigener Bericht) – Wenige Wochen vor dem NATO-Jubiläumsgipfel Anfang April wird die Debatte um die zukünftige Interventionsstrategie des Kriegsbündnisses lauter. Angesichts wachsender Spannungen zwischen den westlichen Hauptmächten soll bei dem Treffen der Startschuss für die Entwicklung eines neuen "Strategischen Konzepts" fallen. Darin sei festzulegen, wann die NATO-Staaten künftig gemeinsam vorgehen und wann sie auf eigene Faust handeln sollten, verlangt der NATO-Generalsekretär. Auch müsse das Verhältnis zu Russland genauer definiert werden. Die Forderungen richten sich insbesondere an Deutschland, das seit Jahren seine Eigenständigkeit gegenüber den USA auszubauen sucht, um selbst zur Weltmacht zu werden, und zu diesem Zweck mit Moskau kooperiert. Transatlantisch orientierte Kräfte in der Bundesrepublik warnen, man dürfe nicht auf eine Macht im Niedergang bauen, und plädieren für eine neue Annäherung zwischen Berlin und Washington. Zu ihren Vorschlägen gehört eine Norderweiterung der NATO: Angesichts der Konkurrenzkämpfe um die Rohstoffvorräte am Nordpol soll das Kriegsbündnis seine Position in der Arktis stärken – gegen Russland.
Unabdingbar
Wie NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer fordert, soll das Kriegsbündnis auf dem Jubiläumsgipfel Anfang April seine politischen Grundlagen für die absehbare Zukunft neu festlegen. "Die Zeit ist reif für ein neues Strategisches Konzept", schreibt Scheffer in einem Exklusiv-Beitrag für die Zeitschrift "loyal", die vom Reservistenverband der Bundeswehr herausgegeben wird.[1] Hintergrund sind schon seit Jahren anhaltende Differenzen zwischen den westlichen Führungsmächten über die Frage, wie ausführlich die Kooperation in der NATO gestaltet und was von den Mitgliedstaaten in Eigenregie in Angriff genommen werden soll. Während transatlantisch orientierte Kräfte in Europa und Nordamerika von dem Kriegsbündnis eine breit gestaffelte Zusammenarbeit verlangen, nehmen vor allem in Deutschland Stimmen zu, die eine klare Einschränkung der Kooperation wünschen. Die Auseinandersetzungen müssten endlich einem Ergebnis zugeführt werden, verlangt Scheffer und plädiert nun für umfassende Diskussionen: Eine "bündnisinterne Debatte" sei "unabdingbare Voraussetzung für einen neuen Konsens".[2]
Mit russischer Hilfe
Eine zentrale Rolle in dieser Debatte spielt die Ausgestaltung des künftigen Verhältnisses der NATO zu Russland. Berlin nutzt Moskau immer wieder, um seine Eigenständigkeit gegenüber den Vereinigten Staaten zu vergrößern. Ein Beispiel ist die Entwicklung des Spionagesatellitensystems SAR-Lupe, das Deutschland militärische Aufklärung auf Weltniveau ermöglicht. Mit seiner Hilfe können mittlerweile deutsche Kriege ohne Unterstützung durch US-Satelliten geführt werden. Der Aufbau des Systems gelang der Bundesrepublik mit russischer Hilfe (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Starke Kräfte in Berlin beharren wegen dieses und anderer Beispiele [4] darauf, Moskau Zugeständnisse zu machen, um auch in Zukunft die eigene Position mit russischer Unterstützung zu verbessern – und selbst zur Weltmacht zu werden. Häufig finden diese Kräfte Rückendeckung in Paris.
Auf tönernen Füßen
Nicht nur in Großbritannien und den USA, sondern auch in Deutschland opponieren transatlantische Milieus unterschiedlichster Prägung gegen eine solche Politik. Den globalen Widerständen gegen die Expansion des Westens könne man "ausschließlich in enger Zusammenarbeit mit unseren Partnern begegnen", schreibt etwa der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag Andreas Schockenhoff; Schockenhoff ist für Außen- und Militärpolitik zuständig.[5] Wie die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung urteilt, ist dies in Zusammenarbeit mit Moskau nicht möglich. "Russlands Macht" stehe "auf tönernen Füßen", erklärt eine neue Studie der Stiftung, die Moskau zwar einen "imperialen Phantomschmerz" diagnostiziert, aber "keine prosperierende und friedvolle Zukunft" voraussagt.[6] "Schon mittelfristig wird Russland eher schwächer als stärker werden", heißt es in dem Papier, das deswegen jegliche Zugeständnisse an die russische Regierung für überflüssig erklärt.
Stelle mit Autorität
Stattdessen habe die NATO, heißt es in dem Papier, die globale Expansion des Westens zu "schützen, indem sie den unvermeidlichen backlash (wie den internationalen Terrorismus) bekämpft".[7] Besondere Bedeutung komme dabei dem Krieg in Afghanistan zu. Eine Niederlage am Hindukusch würde die Verwundbarkeit der NATO aufzeigen und wäre "ein wohl irreparabler Glaubwürdigkeitsverlust für die Rolle der Allianz als global security provider", warnt die Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Besatzungsmaßnahmen, für die sie plädiert, lassen den Charakter künftiger NATO-Interventionen vorausahnen. Demnach sollen nicht nur mehr Soldaten und mehr nichtstaatliche Besatzungskräfte (Nicht-Regierungs-Organisationen, NGOs) entsandt, sondern auch neue Besatzungsstrukturen geschaffen werden. Zur Anbindung der "vor Ort tätigen NGOs" an das Militär sei "zumindest die Einrichtung einer zentralen, mit der notwendigen Autorität ausgestatteten Stelle" nötig – "idealerweise innerhalb der NATO-Strukturen in Afghanistan".
Demokrat
Zusätzlich zieht die Konrad-Adenauer-Stiftung die Ablösung der Regierung Karzai in Betracht. Der Autor der Studie, der sich wenige Sätze zuvor mit dem Ruf nach Demokratisierung geadelt hat, schlägt vor: "Der frühere afghanische Finanzminister Ashraf Ghani oder der gegenwärtige Innenminister Mohammad Hanif Atmar böten sich als kompetente und zuverlässige Partner ds Westens an."[8]
Norderweiterung
Für die Zukunft denkt die Konrad-Adenauer-Stiftung über eine erneute Erweiterung der NATO nach. Man sei mit einer "wachsenden strategischen Bedeutung des ‘High North’" konfrontiert, heißt es in dem Papier.[9] Gemeint sind die beginnenden Konkurrenzkämpfe um die Rohstoffvorräte der Arktis, die mit dem Abschmelzen der Polkappen abbaubar werden. Starke Rivalitäten zeichnen sich ab (german-foreign-policy.com berichtet am morgigen Donnerstag).[10] Ein Fall für die NATO, heißt es bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Finnland und Schweden hätten bereits "Signale verstärkten Interesses an einer NATO-Mitgliedschaft gesendet": Die zunehmenden Auseinandersetzungen im "High North" machten "solch eine Entwicklung begrüßenswert".[11]
[1],[2] "Zeit für ein neues Konzept"; loyal 03/2009
[3] s. dazu Spionage-Weltmeister
[4] s. dazu Richtige Richtung, Militärkooperation und Unheilvoller Schatten
[5] Was uns künftig bedroht; loyal 02/2009
[6], [7], [8], [9] Patrick Keller: Der NATO-Gipfel 2009. Zum 60. Geburtstag ein neues Strategisches Konzept? Analysen und Argumente der Konrad-Adenauer-Stiftung, Ausgabe 62, März 2009
[10] s. auch Eiskalter Krieg (I), Eiskalter Krieg (II), Eiskalter Krieg (III) und Eiskalter Krieg (IV)
[11] Patrick Keller: Der NATO-Gipfel 2009. Zum 60. Geburtstag ein neues Strategisches Konzept? Analysen und Argumente der Konrad-Adenauer-Stiftung, Ausgabe 62, März 2009