NSA-Spionage – Ein Abgrund von Landesverrat?
NSA-Spionage – Ein Abgrund von Landesverrat?
Jetzt kommt heraus: Bei der weltweiten Massenüberwachung durch die NSA geht es gar nicht nur um Terrorabwehr, sondern um Wirtschaftsspionage. Keine Überraschung, meint Thomas Ammann.
Große Aufregung: Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll der befreundeten NSA doch tatsächlich beim Spionieren geholfen und sogar die Kommunikation von europäischen Politikern und Unternehmen an die Kollegen Schlapphüte weitergereicht haben. Das rief gleich die Opposition im Bundestag auf den Plan.
Die Linke vermutet Landesverrat, fordert Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und den Rücktritt von BND-Präsident Gerhard Schindler. Und bei den Grünen empört man sich jetzt über Merkels Ausspruch, als sie erfuhr, dass die NSA ihr Handy angezapft hatte (“Abhören unter Freunden geht gar nicht”). Immerhin müsse man davon ausgehen, dass der BND der NSA jahrelang beim Bespitzeln kollegial geholfen habe.
Unbeachtet von der Medienöffentlichkeit
Für aufmerksame Beobachter des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag ist das übrigens nichts Neues. Normalerweise lockt dieser Ausschuss keinen Hund mehr hinterm Ofen vor. Seit gut einem Jahr versuchen ein paar tapfere Abgeordnete (je nach Parteizugehörigkeit mehr oder weniger nachdrücklich), Licht in das Spionagedunkel zu bringen, und niemanden scheint das zu kümmern. Die ganze Aufregung um die heimlichen Machenschaften von NSA, BND & Co. – einfach dahin, der Ausschuss tagt inzwischen weitgehend unbeachtet von der Medienöffentlichkeit.
Wären da nicht einige unermüdliche Netzaktivisten, die jede Sitzung – soweit sie öffentlich ist – minutiös protokollieren, würde diese einzigartige Informationsquelle einfach so versickern. Dabei kommt immer wieder Interessantes über die geheime Zusammenarbeit der Dienste ans Tageslicht, und Anfang März war auch schon mal von Witschaftsspionage die Rede. Damals sagte der frühere BND-General Dieter Urmann als Zeuge vor dem Ausschuss aus.
Verbündete zweiter Klasse
Der einstige Leiter der Abteilung “Technische Aufklärung” beim Bundesnachrichtendienst gab erstmals zu, dass die Freunde von der NSA es eben nicht nur auf Terrorabwehr, sondern auch auf Wirtschaftsspionage abgesehen hatten. Dazu zapften NSA und BND in einer Gemeinschaftsaktion namens “Operation Eikelon” jahrelang den Internet- und Telefonverkehr am Netzknoten der Deutschen Telekom in Frankfurt/ Main ab. Urmann bestätigte bei seiner Vernehmung einen Bericht, wonach die NSA bei Eikonal unter anderem nach Begriffen wie “EADS” (heute Airbus Group) oder “Eurocopter” gefischt hatte.
Der US-Partner, so Urmann, habe dem BND diese Schlüsselwörter regelrecht “unterzujubeln” versucht und damit die Zusammenarbeit faktisch missbraucht. Der Vorgang soll so geheim gewesen sein, dass es nicht mal Akten darüber gab. Jetzt versucht der Untersuchungsausschuss auch zu ermitteln, inwiefern die NSA “Aufklärung gegen deutsche Ziele oder Interessen” betrieben hat.
Die Aussage des Generals war eine mittlere Sensation. Plötzlich wurde klar: Wir Deutsche sind allenfalls Verbündete zweiter Klasse, in Wahrheit aber Objekte der US-amerikanischen Totalüberwachung – kaum anders als ein “failed state” wie beispielsweise der Jemen oder Somalia. Belege über das rege Interesse der NSA an Wirtschaftsthemen fanden sich auch schon unter den Snowden-Dokumenten. Es ist allerdings nicht weiter verwunderlich, dass es dafür bis zu Urmanns Auftritt keine offizielle Bestätigung gab.
“Ja, wir haben euch ausspioniert”
Bisher war über die Bespitzelung deutscher Unternehmen nicht viel bekannt. Allerdings wurden in den vergangenen Jahren alle Verfahren gegen deutsche Großkonzerne wie Siemens oder Daimler, die irgendwo in der Welt gegen amerikanische Compliance-Regeln verstoßen hatten, durch Informationen der NSA ins Rollen gebracht. Das bestätigte ein hochrangiger deutscher Geheimdienst-Insider, der namentlich lieber nicht genannt werden will.
Ähnliches berichtete auch Snowden in einem ARD-Interview: “Wenn es etwa bei Siemens Informationen gibt, die dem nationalen Interesse der Vereinigten Staaten nutzen – aber nichts mit der nationalen Sicherheit zu tun haben – nehmen sie sich diese Informationen trotzdem.”
Diese Wirtschaftsspionage unter Freunden, die zugleich auch Konkurrenten auf dem globalen Markt sind, hat übrigens Tradition. “Ja, meine kontinentaleuropäischen Freunde, wir haben euch ausspioniert. Und es stimmt, wir benutzen Computer, um Daten nach Schlüsselwörtern zu durchsuchen”, schrieb im Jahr 2000 der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey, nachdem die “Operation Echelon” aufgeflogen war. Die USA hätten uns Europäer ausgespäht, so Woolsey weiter, “weil ihr mit Bestechung arbeitet. Die Produkte eurer Unternehmen sind oftmals teurer oder technologisch weniger ausgereift als die eurer amerikanischen Konkurrenten, manchmal sogar beides. Deshalb bestecht ihr so oft. Die Komplizenschaft eurer Regierungen geht sogar so weit, dass Bestechungsgelder in mehreren europäischen Staaten noch immer steuerlich absetzbar sind.”
Menschheit unterm Generalverdacht
Soweit Woolsey und die “Operation Echelon”. Das Europäische Parlament verurteilte die Abhöraktion damals als “tief greifenden Eingriff in die Privatsphäre des Einzelnen” und verabschiedete mit großer Mehrheit am 11. Juli 2001 einen entsprechenden Bericht. Der fand allerdings wenig Beachtung. Das lag wohl daran, dass er in den Ereignissen des restlichen Jahres unterging. Acht Wochen später krachten Selbstmordattentäter mit zwei Passagierflugzeugen ins New Yorker World Trade Center. 3.000 Menschen starben. [Falsch – Bemerkgung des Redakteur, E.D.] Danach zogen die Amerikaner bekanntlich in den Krieg gegen den islamistischen Terror, unterstützt von den getreuen Briten und – siehe oben – anderen europäischen Verbündeten, auch Deutschland. Das war’s dann auch mit der Kritik an den amerikanischen Spionage-Gepflogenheiten.
Jetzt also “Eikonal” statt “Echelon” – man kann getrost davon ausgehen, dass das Interesse der USA an geheimen Informationen aus europäischen Konzernen bis heute nicht nachgelassen hat. Das steuerliche Absetzen von Bestechungsgeldern als “nützliche Abgaben” ist zwar inzwischen weitgehend verboten, aber das war keineswegs eine Spezialität deutscher oder europäischer Konzerne. Auch US-Unternehmen sind nicht immer die saubersten, was das Schmieren von Kunden angeht. Doch da hielt und hält sich die NSA offenbar stark zurück: Entsprechend ihrem Namen “National Security Agency” wird sie durchaus im nationalen Interesse eingesetzt, und zwar nicht nur gegen vermeintliche Islamisten, sondern auch auf dem Schlachtfeld des globalen Marktes.
Ist das vielleicht der wahre Hintergrund dieses ganzen irrwitzigen Massenüberwachungsprogramms der NSA, das Milliarden kostet, die ganze Menschheit unter Generalverdacht stellt, aber in Bezug auf die Terrorabwehr bislang kaum etwas gebracht hat?
Thomas Ammann Stellvertretender Chefredakteur des stern, 58, beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Netzpolitik und den sozialen Aspekten der digitalisierten Gesellschaft, der internationalen Hackerszene und der Computerspionage, zuletzt als Co-Autor des im Herbst 2014 erschienenen Buches “Die digitale Diktatur – Totalüberwachung, Datenmissbrauch, Cyberkrieg”.