NSU-Ermittlungen: Eine 46jährige Szenebekannte des Trios starb Anfang Februar. Sie wurde bereits eingeäschert
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Sechs tote Zeugen
NSU-Ermittlungen: Eine 46jährige Szenebekannte des Trios starb Anfang Februar. Sie wurde bereits eingeäschert
von Wolf Wetzel, junge Welt, 15.2.2017
Schon vor dem jüngsten Todesfall im Dunstkreis der NSU-Ermittlungen konnte selbst die Reporterin der Welt-Gruppe, Hannelore Crolly, dieses Zeugensterben nur noch mit Sarkasmus aushalten: »Im Angebot als Todesursachen sind (…) zwei Suizide, einer aus Liebeskummer, einer einfach nur so, außerdem die Lungenembolie einer 20jährigen und der ›unerkannte Diabetes‹ eines V-Mannes im mittleren Lebensalter. Der starb, so die offizielle Version, aus heiterem Himmel am Zuckerschock.«
Als diese Zeilen im Februar 2016 geschrieben wurden, waren es vier – und wenn man den mysteriösen Feuertod des 18jährigen Arthur Christ hinzunimmt, fünf. Anders als die übrigen war Christ, ein mutmaßlicher Augenzeuge des Mordes an der Polizistin Michèle Kiesewetter, bereits Jahre vor der Aufdeckung des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) in der Nähe von Heilbronn tot aufgefunden worden – im Januar 2009. Ob es Mord oder Selbstmord war, blieb unklar.
Nun ist eine weitere Zeugin tot – mit nur 46 Jahren bisher mit Abstand die älteste. Sie starb am 2. Februar und hätte womöglich über die Frühgeschichte des NSU und seine Verbindungen nach Baden-Württemberg Auskunft geben können. Der NSU-Untersuchungsausschuss des dortigen Landtags verschweigt ihren Namen. Bisher spreche »nichts für einen unnatürlichen Todesfall«, hieß es am Donnerstag in einer Pressemitteilung des Gremiums. Das wird wohl auch so bleiben, denn das »Beweismittel« ist bereits eingeäschert worden. Obwohl man sich bemüht habe, dies zu verhindern – leider zu spät. Der Journalist Thomas Moser gibt den Namen der Frau mit Corinna B. an. In den 1990er Jahren zählte sie zur Neonaziszene Ludwigsburgs. 1996 soll sie dort eine Szenekneipe gemeinsam mit Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos besucht haben, die heute als Gründer des NSU gelten. Laut Moser war Corinna B. zeitweise die Freundin von Hans-Joachim S., dessen Name auch auf einer Adressliste stand, die Mundlos 1998 bei seinem überstürzten Untertauchen in Jena zurückgelassen hatte. Vor allem Mundlos und Zschäpe hätten ab Mitte der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre regelmäßig ihre »Kameraden« in Ludwigsburg besucht.
Von diesen engen Kontakten des mutmaßlichen NSU-Kerntrios zu Baden-Württembergs Neonaziszene wollen die Sicherheitsbehörden lange nichts gewusst haben. Als Staatsschutzbeamte vom Untersuchungsausschuss gefragt wurden, ob es eine Neonaziszene in und um Heilbronn gäbe, haben sie dies bestritten. Auch die 2014 veröffentlichte Ergebnisse der »Ermittlungsgruppe Umfeld« (EG Umfeld) sah keine Verbindungen des NSU in das Bundesland.
Knapp zwei Jahre nach Bekanntwerden des NSU Ende 2011 – also fast fünf Jahre nach dem Tod von Arthur Christ – war im September 2013 der 21jährige Neonaziaussteiger Florian Heilig verbrannt. Nach ersten offiziellen Einschätzungen soll er nur Stunden, bevor er vor Mitarbeitern des Landeskriminalamtes Angaben zum Kiesewetter-Mord machen wollte, Selbstmord begangen haben. Auf Christ und Heilig folgte im März 2014 der Ex-V-Mann Thomas Richter alias Corelli (39), zunächst offizielle Todesursache: Zuckerschock. Im März 2015 kam dann Florian Heiligs Exfreundin Melisa Marijanovic, offizielle Todesursache: Lungenembolie; knapp ein Jahr später deren Verlobter Sascha Winter, der im Februar 2016 angeblich Suizid beging. Bei Heilig und »Corelli« wurden später Zweifel laut – und die Todesermittlungen wiederaufgenommen. Bisher ohne Ergebnis. Am 2. Februar schließlich Corinna B. – Todesursache unklar. Fest steht: Sie sollte als Zeugin vernommen werden. Bekannt war und ist auch, dass Zeugen in Baden-Württemberg bedroht wurden und dies klar zum Ausdruck gebracht hatten – wie in den Fällen Florian Heilig und Melisa Marijanovic. Es stellt sich die Frage, warum sie nicht geschützt wurden und inwieweit sie auch für Sicherheitskreise lästig waren.
2013 hatte Baden-Württembergs Innenministerium entgegen früheren Behauptungen die Existenz eines hochkarätigen V-Mannes in der Neonaziszene zugeben müssen – und mehr noch, es handelte sich um Achim Schmid, den Gründer eines baden-württembergischen Ku-Klux-Klan-Ablegers. Nach offiziellen Angaben war der rassistische Geheimbündler von 1996 bis 2000 für das Landesamt für Verfassungsschutz tätig. Mitglied des Ku-Klux-Klan war auch Thomas Richter alias Corelli. Richters Name stand auf jener Adressliste von Uwe Mundlos. Der Verfassungsschutz war also selbst Bindeglied zwischen Neonazigruppen.
Dass die Ermittlungssabotage in Baden-Württemberg bis heute anhält, zeigt ein weiteres Beispiel. Der Untersuchungsausschuss des Bundestags griff im Herbst 2016 eine Personalie auf, die allen bekannt ist, die mit dem Heilbronner Polizistinnenmord von 2007 vertraut sind: Markus Frntic. Er war Mitglied in der neonazistischen Organisation »Blood and Honour« (B & H). Als diese verboten wurde, baute er die Vereinigung »Furchtlos und treu« auf. Ein Foto, das im Juli 2015 den Stuttgarter Nachrichten vorlag, zeigt Frntic zusammen mit Marcel Degner – ehemals Kassenwart von B & H und nach heutigen Angaben des Thüringer Verfassungsschutzes auch zeitweise dessen V-Mann. Er soll im November 1999 Geld für die drei abgetauchten Neonazis aus Jena gesammelt haben. Auch Thomas Starke, Informant der Berliner Polizei und zeitweise Geliebter Zschäpes, sei auf dem Bild mit Frntic zu sehen.
Im Bundestagsausschuss wurde folgerichtig eine leitende Kriminalbeamtin gefragt, was sie über Frntic wisse. Die Antwort: »Zu ihm gab es Ermittlungen. Aber ich kann keine Angaben machen, weil die Person eingestuft ist«, zitierte sie Thomas Moser in einem Bericht für das Portal Telepolis im Oktober. Die Einstufung als geheim legt den Schluss nahe, dass es hier um die »Schutzbedürftigkeit« eines V-Mannes geht. Der Untersuchungsausschuss Baden-Württembergs hat die Akte Frntic bisher nicht angefordert.
Zweifellos hätte die Zeugin Corinna B. vieles einordnen, bestätigen und ergänzen können. Sie war womöglich nicht nur für ihre »Kameraden« eine Gefahr. Warum konnte eine Einäscherung nicht verhindert werden? Ein Anruf hätte genügt.