Oktoberfest: Rechter Terror im Kalten Krieg
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Rechter Terror im Kalten Krieg
Das »Wohl des Bundes«: Sprengstoffreste wie weggezaubert, Verbleib von Leichenteilen unklar. V-Mann-Verdacht bleibt. Antworten der Bundesregierung zum Oktoberfestattentat.
Claudia Wangerin
25.11.2014
Es war nicht die erste Anfrage dieser Art, mit der sich die Bundesregierung auseinandersetzen musste: Bereits 1991 und 2009 hatten Oppositionspolitiker lückenhafte Antworten auf parlamentarische Anfragen zum Terroranschlag auf der Münchner Theresienwiese am 26. September 1980 erhalten. Insgesamt zehn Fragekomplexe hatten Abgeordnete der Fraktion Bündnis90/Die Grünen dieses Mal am 8. Oktober 2014 unter der Überschrift »Oktoberfestattentat – Wiederaufnahme der Ermittlungen zu Nazihintermännern« eingereicht (Bundestagsdrucksache 18/3117). Die Reaktion der Bundesregierung lässt die Einzeltäterthese noch absurder als bisher erscheinen und wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet.
Kein Vergleichsmaterial
Ist es wahrscheinlich, dass Kriminaltechniker 1980 nicht in der Lage waren, aus Teilen einer explodierten Bombe ausreichend Sprengstoffreste zu sichern, um das Material zu identifizieren? – »Sehr unwahrscheinlich«, sagt Werner Dietrich, der Anwalt einer Familie, die beim Attentat auf das Münchner Oktoberfest vor 34 Jahren zwei Kinder verlor und seit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens 1982 um Wiederaufnahme kämpft. »Der bei der Oktoberfestbombe verwendete Sprengstoff konnte kriminaltechnisch nicht sicher bestimmt werden«, erklärte die Bundesregierung am Freitag in ihrer Antwort auf die kleine Anfrage der Grünen-Politiker zu dem Attentat. Entsprechende Untersuchungen an Tatmittelresten und anderen Asservaten seien »insoweit ohne Ergebnis« geblieben. So fehlte angeblich Vergleichsmaterial in Bezug auf den Sprengstoff, der im Walddepot des Rechtsextremen Heinz Lembke bei Uelzen gefunden wurde. Auf die Spur des Forstwirtschaftsmeisters, der im großen Stil Waffen und Sprengstoff hortete, waren die Ermittler durch die Aussagen anderweitig verfolgter Mitglieder der »Deutschen Aktionsgruppen«, Raymund Hörnle und Sybille Vorderbrügge, gekommen. Lembke soll sich wenig später in seiner Zelle erhängt haben.
Mutmaßlicher V-Mann
Auch mehr als 30 Jahre nach seinem Tod will die Bundesregierung die Frage, ob der »Waffensammler« Lembke V-Mann einer Sicherheitsbehörde war, nicht beantworten: »Der Informationsanspruch des Parlaments findet eine Grenze bei geheimhaltungsbedürftigen Informationen, deren Bekanntwerden das Wohl des Bundes oder eines Landes gefährden kann«, teilte sie am 21. November mit. Rechtsanwalt Dietrich vermutet, dass Lembke einen Geheimdiensthintergrund hatte. »In den Spurenakten ist die Rede von Erkenntnissen über ihn, die nicht gerichtsverwertbar sind«, so Dietrich im Gespräch mit junge Welt. Das sei bei V-Leuten oder Agenten üblich. Die Bundesregierung erklärte dagegen am Freitag auf die entsprechende Frage der Grünen, der Hinweis auf die nachrichtendienstliche oder polizeiliche Schutzbedürftigkeit einer Information lege »nicht den Schluss nahe«, dass es sich bei der betreffenden Person um eine »Quelle« der Sicherheitsbehörden handle. Es käme aber eine förmliche Sperrerklärung nach Paragraph 96 der Strafprozessordnung in Betracht. Diese Rechtsvorschrift greift wiederum, wenn »das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde«.
Weder im Abschlussbericht der polizeilichen »Sonderkommission Theresienwiese« noch in der Einstellungsverfügung der Bundesanwaltschaft wurden die Hinweise von Hörnle und Vorderbrügge zu Lembke erwähnt. Der mutmaßliche Attentäter Gundolf Köhler, der Jahre zuvor an Übungen der »Wehrsportgruppe Hoffmann« teilgenommen hatte und bei dem Anschlag mit insgesamt 13 Toten selbst ums Leben kam, gilt hier wie dort als Einzeltäter. Nachvollziehbar wird dies auch durch die jüngsten Ausführungen der Bundesregierung nicht: Ein Zeuge, der Köhler kurz vor der Explosion am Tatort mit zwei anderen Männern diskutieren sah, sei »seinerzeit als glaubhaft und seine tatbezogenen Wahrnehmungen als zuverlässig bewertet worden«, heißt es etwa auf die Frage, warum den mehrfachen Hinweisen des Zeugen Frank L. auf mögliche Mittäter nicht nachgegangen worden sei. Eine Identifizierung der Gesprächspartner Köhlers sei allerdings nicht gelungen. Warum dann trotz Glaubhaftigkeit des Zeugen nicht weiter gegen Unbekannt ermittelt wurde, ließ die Bundesregierung offen.
Handfragment verschwunden
Eine weitere Frage der Grünen-Abgeordneten befasste sich mit den angeblich 1997 vernichteten Asservaten des Anschlags, darunter Teile einer Hand, die weder einem der bisher bekannten Verletzten noch einer der Leichen zugeordnet werden konnten. Ein Teil des 1997 noch beim Generalbundesanwalt verwahrten Spurenmaterials soll »auf Vorschlag der Asservatenverwaltung nach Rücksprache mit dem Leiter der Abteilung Terrorismusbekämpfung« entsorgt worden sein.
Darunter allerdings nicht das brisanteste Fundstück: »Der Verbleib des am Tatort sichergestellten Handfragments ist nicht restlos geklärt«, heißt es in der Antwort der Bundesregierung vom 21. November. Nach Aktenlage sei davon auszugehen, dass es »dem Institut für Rechtsmedizin der Universität München zur – nicht erfolgreichen – Durchführung serologischer Untersuchungen übergeben worden war und dort als Leichenteil zur Vernichtung gelangt ist«.
Rechtsanwalt Dietrich wollte im Jahr 2010 auf Wunsch seiner Mandanten die Asservate mit neuen kriminaltechnischen Methoden untersuchen lassen. Bei dieser Gelegenheit war die Spurenvernichtung von 1997 bekannt geworden.
2)
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Tod eines Waffensammlers
Die 88 Kisten des Heinz Lembke
1981: »Bundeswehrgerät versickert im Untergrund« oder ein Forstwirtschaftsmeister ging klauen
Claudia Wangerin
Junge Welt, 25.11.2014
Unter der Überschrift »Es ist Wolfszeit« berichtete der Spiegel im November 1981 über das umfangreiche Waffendepot und den mutmaßlichen Selbstmord des Forstwirtschaftsmeisters Heinz Lembke. Ein »amtsbekannter Rechtsmilitanter« sei der 44jährige gewesen, der in einem abgelegenen Heideforst in der Nähe von Uelzen 88 Kisten mit Waffen und Munition, insgesamt 156 Kilogramm Sprengstoff und Zündvorrichtungen in 31 Erdverstecken gebunkert habe. Waldarbeiter waren darauf gestoßen, nachdem eine Hausdurchsuchung bei Lembke kurz nach dem Attentat auf das Münchner Oktoberfest nur ein leeres Gewehrmagazin und eine Zündschnur zutage gefördert hatte. Der Hinweis auf Herrn Lembkes Sprengstoff sei aber, so zitierte das Magazin die Ermittler, »nur einer unter hundert«. Belege für gefährliche Kampfmitteldepots in rechten Händen, gesammelt aus Militärbeständen, gebe es nämlich zuhauf. »Bundeswehrgerät versickert im Untergrund, die Staatsschützer bekommen rechte Terroristen nicht in den Griff«, hieß es damals in der Unterüberschrift des Spiegel-Berichts. Nahegelegt wurde damit, dass Bundeswehrangehörige beim »Versickern« halfen. In der aktuellen Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen erklärte die Bundesregierung nun, der Generalbundesanwalt gehe davon aus, dass »der weitaus größte Teil« von Lembkes Sprengstoff aus einem Delaborisierungswerk der Firma Dr. B. & Co. GmbH KG stamme und dort entwendet worden sei – nicht zwingend unter Mitwirkung von Angestellten. Vergleichsmaterial von der Oktoberfestbombe konnte angeblich nicht sichergestellt werden. »Keine Erkenntnisse« hat die Bundesregierung über eine mögliche Verbindung Lembkes zur »Stay Behind Organisation«, einer geheimdienstlich geführten Untergrundarmee, die im Fall einer sowjetischen Invasion in Westeuropa kämpfen sollte. Die von den Alliierten dafür angelegten Depots »sollten bereits bis 1972 aufgelöst werden«, erklärt die Bundesregierung. Auf die Frage, an welche Privatpersonen Waffen und Sprengstoffe aus diesen Depots gelangten, heißt es aber ebenfalls: »Hierzu liegen der Bundesregierung keine Erkenntnisse vor.« Der Untersuchungshäftling Lembke soll sich 1981 in seiner Lüneburger Zelle erhängt haben – kurz nachdem er Aussagen angekündigt hatte.