Organisierte Randale in Ukraine
Organisierte Randale
Brennende Barrikaden und freies W-Lan im Pressezelt auf dem »Maidan«: Wer stellt die Infrastruktur für die Dauerproteste in der ukrainischen Hauptstadt?
Von Reinhard Lauterbach
Es hat wahrscheinlich weniger mit dem Verhandlungsgeschick von Witali Klitschko oder gar mit plötzlich gewonnener Einsicht der Schläger zu tun, daß die heftigen Kämpfe zwischen ukrainischen Faschisten und der Polizei nach einigen Tagen abgeflaut sind. Am Ort der Auseinandersetzung sind offenbar schlicht und einfach die werfbaren Pflastersteine knapp geworden. In mehreren Reportagen aus der Kampfzone von Ende der letzten Woche beschrieben die Autoren, wie sie durch einen »schwarzen Brei« hätten waten müssen. Der schwarze Brei ist die berühmte ukrainische Schwarzerde, über der jahrzehntelang die Pflastersteine lagen. Aufgetaut durch die brennenden Reifen der Barrikaden, wird sie zum tiefgründigen Matsch; Teilnehmer am »Unternehmen Barbarossa« werden sich erinnern.Im Unterschied dazu war der Nachschub an Autoreifen, die die Randalierer anzünden konnten, ganz offensichtlich gut organisiert. Eine Vielzahl von Barrikaden innerhalb weniger Stunden zu bauen und dann über Tage am Brennen zu halten, bedarf einer effizienten Logistik und der Lieferung Tausender Altreifen. Es ist kaum vorstellbar, daß hier nicht irgendwo im Land im Stillen rechtzeitig Lagerbestände oder Müllkippen abgeräumt und nach Kiew gebracht worden sind. Erst Tage nach den Auseinandersetzungen begann die ukrainische Polizei, in systematischer Weise die Kofferräume verdächtiger Autos zu kontrollieren. Vertreter des »Automaidan«, jener mobilen Eingreiftruppe der Regierungsgegner, beschweren sich seit Anfang dieser Woche vermehrt im Internet, die Polizei habe ihnen unverschämterweise Reifen aus den Autos konfisziert. Hier scheint irgendwann der großangelegte Nachschub gestockt zu haben, und es wurde versucht, ihn im Ameisensystem zu ersetzen. Wer hat ihn gestoppt?
An Geld fehlt es dem »Automaidan« nicht. Seit einigen Tagen ist sein Anführer verschwunden, womöglich festgenommen. Die selbsternannten Kämpfer gegen die »korrumpierte Staatsmacht« bieten für Hinweise auf seinen Verbleib die für ukrainische Verhältnisse exorbitante Summe von 25000 US-Dollar.
Vom Kiewer Unabhängigkeitsplatz bringen die herrschenden Medien anrührende Bilder und Schilderungen von der Oma, die einen Topf frisch gekochter Pellkartoffeln in der Küche abgibt, vom Rentner, der sich freiwillig beim Schneeschippen betätigt, von der Studentin, die selbstgebackene Plätzchen mit Zuckerguß in den Nationalfarben Blau-Gelb verteilt. Die Basisinfrastruktur aber – Kolonnen von Militärzelten, eine Bühne, die Elektronik für die Beschallung, Stromgeneratoren, ein eigenes Feldhospital – hat niemand aus seiner privaten Garage oder von der Datscha herangeschafft. Auch die Tonnen von Brennholz und die Bolleröfen, in denen es zur Wärmung der Demonstranten verheizt wird, sind mit Sicherheit nicht milde Gaben solidarischer Kiewer. Das kostenlose W-LAN im Pressezelt muß jemand geschaltet haben. Das geht nicht ohne Zustimmung eines Providers. Die gehören alle irgendwelchen Oligarchen.
Offen als Unterstützer des Maidan geoutet hat sich Petro Poroschenko. Der 49jährige ist, nach allem, was man über ihn weiß, vor allem ein ausgewiesener Opportunist. Er hat sich vor zehn Jahren an der Finanzierung der »Orangen Revolution« beteiligt, war zwischendurch einmal Außenminister unter Julia Timoschenko und einmal Wirtschaftsminister unter Wiktor Janukowitsch, und jetzt ist er als Kompromißkandidat für das Amt des Regierungschefs im Gespräch. Aber auch andere von den Reichen und Superreichen könnten sich in Rückversicherung üben: etwa Wiktor Pintschuk, Chef des »Dnepropetrowsker Clans« und Schwiegersohn des früheren Staatspräsidenten Leonid Kutschma. Nachdem er sich mit Julia Timoschenko aus geschäftlichen Gründen überworfen hatte – sie hatte ihm die zu Schwiegerpapas Zeiten erfolgte Privatisierung des Stahlkombinats von Kriwoj Rog zu einem Spottpreis anulliert –, zählte er zunächst zu den Finanziers von Janukowitsch und seiner Partei der Regionen. Doch seit einigen Jahren gibt er den Mäzen und läßt eine von ihm gegründete Stiftung auf der Krim hochrangig bestückte Konferenzen veranstalten, wo Pintschuk mit George Soros und ähnlichen über die Zivilgesellschaft parliert. Er hält sich offensichtlich alle Türen offen.
Irgendein Doppelspiel ist womöglich auch verantwortlich für das eigenartig unentschiedene Vorgehen der Polizei gegen die rechten Schläger. Das Kampfgelände um den Europaplatz in Kiew besitzt nämlich nur vier Ausgänge. Nach Süden ist das die Gruschewskistraße, die die Angreifer vergeblich zu stürmen versucht und selbst blockiert haben. Nach Westen geht der Prachtboulevard Kreschtschatik ab; hier befindet sich wenige hundert Meter entfernt der »Maidan«, der die Straße nur für Fußgänger begehbar macht. Nach Osten grenzt der Platz an einen Park, der für Autos nicht befahrbar ist und in einem Steilhang endet. Nach Norden gehen zwei Straßen ab. Sie von Anfang an zu sperren, wäre für eine entschlossene Polizeiführung leicht gewesen: die eine dieser Straßen, die steil zum Dnjeprufer hinunterführt, hätte mit geringem personellem Aufwand und Risiko durch Wasserwerfer in eine unpassierbare Eisbahn verwandelt werden können. Dies ist nicht passiert, und die rechten Schläger konnten sich tagelang über diese »voie sacrée« versorgen und austoben.