Pakistan steht kurz vor der Wiederaufnahme der Nachschubtransporte für den NATO-Krieg in Afghanistan
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19.05.2012 / Ausland / Seite 7Inhalt
Räder müssen rollen
Pakistan steht kurz vor der Wiederaufnahme der Nachschubtransporte für den NATO-Krieg in Afghanistan. Washington stoppt Millionenzahlung für Islamabad
Von Knut Mellenthin
Seit fast sechs Monaten sind Pakistans Straßen für den NATO-Nachschub nach Afghanistan gesperrt. Am Dienstag vereinbarten die politischen und militärischen Führer des Landes in einer gemeinsamen Sitzung, die Transporte so bald wie möglich wieder aufzunehmen. Zu klären sind mit der US-Regierung nur noch wenige Einzelheiten, insbesondere die Höhe der Transitkosten. Allgemein wird damit gerechnet, daß die Aufhebung der Blockade spätestens während des NATO-Gipfels in Chicago, der am Sonntag beginnt, bekanntgegeben werden wird.
Sozusagen in den letzten Spielminuten gab es jedoch noch ein böses Foul des Abgeordnetenhauses in Washington: Mit dem rekordverdächtigen Ergebnis von 412 gegen eine einzige Stimme beschlossen die Parlamentarier am Donnerstag, die Auszahlung von 650 Millionen Dollar an Pakistan so lange zu sperren, bis der Kriegsnachschub wieder läuft. Nach dem vorherrschenden Mißverständnis US-amerikanischer Politiker und Journalisten handelt es sich bei diesem Geld um »Hilfe«. Tatsächlich geht es jedoch um vertragliche Verpflichtungen der USA aufgrund der Beteiligung Pakistans am sogenannten Krieg gegen den Terror. Pakistans Kosten und Schäden durch diesen Krieg liegen um ein Mehrfaches über der Gesamtsumme der Zahlungen, die das Land aus Washington erhält – oder zumindest vereinbarungsgemäß erhalten sollte. Daß immer wieder Teile dieser Gelder blockiert werden, um erpresserische Spielchen zu treiben, ist jedoch nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Der Beschluß der US-Abgeordneten in genau diesem Moment, wo die Entscheidung in Islamabad bereits gefallen ist, stellt eine sachlich überflüssige Demütigung der pakistanischen Regierung dar. Diese wird es dadurch noch schwerer haben, die Wiederöffnung der Nachschubwege vor der Bevölkerung zu vertreten. Der Vorgang demonstriert, wie die USA mit »strategischen Verbündeten« umzugehen pflegen.
Die Regierung in Islamabad hatte die Nachschubblockade am 26. November verhängt, nachdem US-Kampfhubschrauber zwei pakistanische Stellungen an der Grenze angegriffen und dabei 24 Soldaten getötet hatten. Die US-Regierung äußerte zwar ihr »Bedauern«, verweigert aber bis heute eine Entschuldigung, da der Zwischenfall angeblich durch Fehler und Irrtümer beider Seiten verursacht worden sei. Die neokonservative Tageszeitung Wall Street Journal behauptete am Donnerstag, daß diese Frage in der US-Regierung seit Monaten heftig umstritten sei. In zwei Fällen sei eine bereits beschlossene Entschuldigung in letzter Minute wieder abgeblasen worden.
Das pakistanische Parlament, dem die Regierung demonstrativ die Entscheidung über die Zukunft der Beziehungen zu den USA zugeschoben hatte, öffnete im April grundsätzlich den Weg zur Wiederaufnahme der Nachschubtransporte: In einem einstimmig verabschiedeten Beschluß verzichteten die Mitglieder des Abgeordnetenhauses und des Senats auf die Möglichkeit, die »Normalisierung« der Kooperation mit den Vereinigten Staaten an irgendwelche Bedingungen zu knüpfen. Nicht einmal die Einstellung der rechtswidrigen Drohnenangriffe – über 300 seit 2004 – wurde verbindlich gefordert. Ihre Mitwirkung an dieser Resolution wird die Oppositionsparteien, die zur Zeit noch den Ball flach halten, nicht daran hindern, sofort gegen die Regierung zu wettern und zu Aktionen aufzurufen, sobald der Kriegsnachschub wieder rollt. Die Islamisten haben für diesen Fall bereits Blockaden angekündigt.