Parlament in Warschau verabschiedet blitzartig umfassendes »Antiterrorgesetz«
Big Brother wird Pole
Parlament in Warschau verabschiedet blitzartig umfassendes »Antiterrorgesetz«
Reinhard Lauterbach, Poznan (junge Welt, 21.6.2016)
Das polnische Parlament hat in der vergangenen Woche im Eiltempo ein neues »Antiterrorgesetz« verabschiedet. Allein der Haupttext umfasst 60 Seiten; alle Änderungsanträge der Opposition wurden abgelehnt. Wahrscheinlich wird Staatspräsident Andrzej Duda das Gesetz in den nächsten Tagen unterzeichnen und dadurch in Kraft setzen. Das »Antiterrorgesetz« gewährt den Geheimdiensten und der Staatsanwaltschaft umfassende Überwachungs- und Exekutivrechte beim Verdacht »terroristischer Bezüge«. Was eine solche terroristische Straftat sein soll, die derart umfangreiche Eingriffe rechtfertigt, will der Gesetzgeber erst noch im Wege einer Verordnung nachschieben.
Konkret bedeutet das, dass jeder, der des »Bezugs zu terroristischen Ereignissen« beschuldigt wird, für 14 Tage eingesperrt werden kann, ohne dass ihm auch nur der gegen ihn bestehende Verdacht eröffnet wird. Im gewöhnlichen polnischen Strafrecht ist eine solche Verdachtsfestnahme nur für maximal 48 Stunden zulässig. Das Einlegen von Rechtsmitteln gegen eine solche Vorbeugehaft ist dadurch extrem erschwert, dass die Geheimdienste auch vor Gericht nicht verpflichtet sind, die Verdachtsmomente gegen den Inhaftierten offenzulegen. Es reicht, dass sie sich auf Generalklauseln wie das »nationale Sicherheitsinteresse« berufen.
Unterhalb der Ebene der Vorbeugehaft sieht das »Antiterrorgesetz« praktisch unbeschränkte Befugnisse des Geheimdienstes zur Überwachung Verdächtiger vor. Die Dienste kommen an sämtliche irgendwo gespeicherten amtlichen und privaten Daten heran, vom Bankkonto bis zur Krankenkasse, vom Finanzamt bis zum Verkehrssündenregister. Kritiker befürchten, dass das Gesetz dazu genutzt werden wird, den gläsernen Bürger zu schaffen. Sind die Sanktionen des Gesetzes gegenüber polnischen Staatsbürgern wenigstens im Prinzip noch gerichtlich nachprüfbar, werden Ausländer faktisch außerhalb des Rechts gestellt. Sie können auf Antrag des Geheimdienstes bei der Staatsanwaltschaft mit sofortigem Vollzug ausgewiesen und an der Wiedereinreise gehindert werden. Um auf eine Terrorverdachtsliste zu kommen, reicht es beispielsweise, als muslimischer Geistlicher einen verdächtigen Glaubensgenossen im Gefängnis zu besuchen.
Die Verabschiedung des »Antiterrorgesetzes« ist im übrigen eine offene Ohrfeige der polnischen Regierung für all die wohlmeinenden Mahner in den europäischen Institutionen, die sich in den vergangenen Monaten öffentlich um die Rechtsstaatlichkeit in Polen Sorgen gemacht haben. Nur eine Woche vor der Verabschiedung des Gesetzes im Parlament hatte etwa die Venedig-Kommission des Europarats genau die Unbestimmtheit und potentielle Rechtsstaatswidrigkeit der Vorlage kritisiert.
Ob die Generalklauseln des Gesetzes dazu taugen, irgendwelche wirklichen Terrorgefahren abzuwenden, ist völlig unklar. Dagegen ist das Gesetz dazu geeignet, das öffentliche Leben weitgehend den Erfordernissen der Staatssicherheit unterzuordnen. Es reicht, dass nach unklaren – jedenfalls nicht öffentlich bekannten – Kriterien eine der vier Terrorwarnstufen ausgerufen wird, und Grundrechte können für die Dauer des Alarms außer Kraft gesetzt werden. Amnesty International äußert in einer Stellungnahme die Befürchtung, dass das »Antiterrorgesetz« genutzt werden könnte, um regierungskritische Demonstrationen und Streiks zu verbieten. Eine Kostprobe hat die Regierung bereits gegeben: Für die Woche um den NATO-Gipfel am 8. und 9. Juli sind in Warschau und der ganzen umliegenden Wojewodschaft alle Demonstrationen und öffentlichen Versammlungen verboten worden. Oppositionspolitiker haben schon die Befürchtung geäußert, dass die polnische Regierung nur die katholischen Weltjugendtage Ende Juli abwarten und anschließend generell die innenpolitischen Daumenschrauben anziehen könnte. Das »Antiterrorgesetz« würde die Handhabe dafür bieten. Den rhetorischen Kontext hat der Vorsitzende der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, schon vorgegeben. Die regierungskritischen Proteste des liberalen »Komitees zur Verteidigung der Demokratie« bezeichnete er vor einigen Tagen als »Rebellion«. Die Wahrnehmung von verfassungsmäßigen Bürgerrechten als Aufstand darzustellen, ist bisher beispiellos.