Politische Prostitution: Der FAll NSU-Ausschuss in Hessen
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11.05.2015
Mit verbundenen Augen
NSU-Ausschuss in Hessen
Wolf Wetzel
Im hessischen Landtag steht am heutigen Montag eigentlich eine spektakuläre Zeugenvernehmung an. Mit der soll der Mordanschlag der Terrorgruppe »Nationalsozisalistischer Untergrund« (NSU) auf den Internetcafébetreiber Halit Yozgat in Kassel 2006 politisch »aufgearbeitet« werden. Der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme war 2006 zur Tatzeit in jenem Internetcafé in Kassel, in dem Halit Yozgat erschossen wurde. Ein Geheimdienstler, der in seiner Jugend »Klein Adolf« gerufen wurde und als Erwachsener aus seiner politischen Gesinnung einen Beruf machte. Er »führte« den Neonazi Benjamin Gärtner als V-Mann, einen Neonazi, der zum Netzwerk der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« zählt.
Nicht minder besonders ist der Umstand, dass im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen nach dem Mord über Wochen der Verfassungsschutz überwacht wurde – eine der sinnvollsten Abhöraktionen der letzten Jahrzehnte. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, denn es stellt alle anderen Hinweise und Mutmaßungen zu Ermittlungssabotage und konzertierten Vertuschungsaktionen in den Schatten.
In den belauschten Unterhaltungen geht nicht alleine um Andreas Temme. Da ist die Rede von der »Kassler Problematik«, die Gesprächspartner immer wieder anklingen lassen, ohne dass das Gegenüber auch nur einmal nachgefragt hatte, was denn damit gemeint sein könnte. Diese Beihilfe zur Verdunklung stellte Gerold-Hasso Hess, Geheimschutzbeauftagter des hessischen Verfassungsschutzes, in einem am 9. Mai 2006 geführten Telefonat mit Andreas Temme unter Beweis. In einer Phase, in der dieser ständigen Befragungen ausgesetzt war: »Herr Hess gibt den Rat, was er auch grundsätzlich bei der Arbeit sagt, so nahe wie möglich an der Wahrheit zu bleiben.« Das kann man, das müsste man bei einem Mann in dieser Position als professionelle Anleitung zu Falschaussagen verstehen. Im weiteren Verlauf führte Herr Hess aus: »Ich sach ja jedem, äh, wenn er weiß, dass irgendwo so etwas passiert: Bitte nicht vorbeifahren! Ja, es ist sch … Ja, wie sieht es bei Ihnen aus, wie fühlen Sie sich?« Temmes Antwort darauf war schlicht: »Mhmm.« Auch hier verstanden sich beide blind. Keine Nachfrage, kein Widerspruch.
Diese »Sch …« ist nun Gegenstand der heutigen Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Hessen. In dem haben CDU und Grüne die Mehrheit. Beide Parteien hatten alles unternommen, um ein solches Gremium zu verhindern. Ihre aberwitzige Behauptung, es sei alles »ausermittelt« wird nun die Art der ›Aufklärung‹ bestimmen. Es ist keine riskante Weissagung, schon vor Ende dieser Sitzung das Ergebnis festzuhalten: Alle werden sich gegenseitig decken, Polizei und Verfassungsschutz werden sich unterhaken, und die Mehrheit des Untersuchungsausschusses wird zufrieden sein. Man sollte das viele Geld für das Gremium vielleicht also lieber einem Blindenheim spenden.