Polizistenmord an Michele Kiesewetter – 15 Ungereimtheiten in der offiziellen Darstellung
Polizistenmord an Michele Kiesewetter – 15 Ungereimtheiten in der offiziellen Darstellung –
Von Georg Lehle, 25. April 2018 (http://friedensblick.de/27670/polizistenmord-an-michele-kiesewetter-15-ungereimtheiten-in-der-offiziellen-darstellung/)
Am Mittwoch, dem 25.04.2007, überfielen Unbekannte kurz vor 14:00 die Böblinger Bereitschaftspolizisten Michele Kiesewetter (MK) und Martin Arnold in der heilbronner Theresienwiese. Bis heute, elf Jahre danach, ist der Mord an MK und der Mordversuch an Arnold weiter ungeklärt. Handelt es sich bei den beiden wirklich um Zufallsopfer? Fuhr MK um 11:30 und 13:50 den Tatort an, nur um eine Pause zu machen?
Um einen alternativen Hintergrund und Tatablauf aufzuzeigen, stelle ich 15 Fragen, was wirklich passiert sein könnte. Für jede Frage gibt es unterschiedliche Antworten, mit dafür und dagegensprechenden Indizien, die kurz umrissen werden. Verlinkungen leiten zu den jeweiligen Artikeln, die detailliert den Ermittlungsstand darstellen und diskutieren. Meine 15 alternativen Antworten stehen einerseits unabhängig voneinander, andererseits stützen sie sich gegenseitig. Wenn meine Antworten richtig wären, dann wäre die Hauptaufgabe der Sonderkommission (Soko) gewesen, den Überfall zu vertuschen.
• 1. War MK am Montag und Dienstag eingesetzt gewesen?
Die Soko stützt sich in ihrer Rekonstruktion der letzten Tage Kiesewetters auf die Darstellung der Bereitschaftspolizistin Romy S.. Sie sagte, dass MK ihr am Montag und Dienstag tagsüber beim tapezieren geholfen hätte, am Montagabend hätten sie gemeinsam gegessen. Es gibt jedoch Hinweise, die dagegen sprechen:
Am Donnerstag fuhr MK in ihre Thüringer Heimatstadt Oberweißbach. Schon am Samstag kehrte sie nach Baden-Württemberg zurück. Samstagnacht verbrachte sie in Sulzfeld bei ihrer neuen Flamme Manuel B. von der Bereitschaftspolizei Lahr. Sulzfeld liegt eine Stunde entfernt von ihrer Kaserne in Böblingen. Sie verabschiedeten sich schon am Sonntagmittag. Warum blieb sie nicht länger oder besuchte ihn Montag oder Dienstag? Seinem Freund Stephan R. erzählte Manuel B., dass MK „am nächsten Tag [also am Montag] nach Heilbronn zum Einsatz müsse“. R. war sich jedoch nicht mehr sicher in seiner Erinnerung.
Carolin L. sah MK Montag- oder Dienstagabend in der Böblinger Kaserne feiern, zusammen mit Mitgliedern einer Sondereinheit, die verdeckte Einsätze durchführte. Die anderen Teilnehmer der Feier wurden von der Soko nicht vernommen.
Des Weiteren sagte der Zeuge Martin N. aus, dass ihn MK am 24.04. in Heilbronn kontrolliert hätte.
• 2. Wurde Michele Kiesewetter bedroht?
… laut der Soko ist eine Bedrohungslage nicht bekannt. MK war lediglich 2006 als Zivilbeamte gegen die „Russen-Mafia“ eingesetzt gewesen. Dabei fühlte sie sich einmal von ihren Kollegen „im Stich gelassen“. Des Weiteren soll MK laut ihrer Schwester von einem Kleinbus auf der Autobahn zum anhalten gedrängt worden sein. Nachdem sie auf einen Parkplatz stoppte, wären Männer vom Bus ausgestiegen und auf „sie zugelaufen oder hätten sie irgendwie bedrängt. Ich weiß nicht mehr genau wie sie sich aus der Situation rausgerettet hat.“ Eine weitere bedrohliche Situation ereignete sich wenige Monate vor ihrem Tod:
„Wenige Monate vor ihrem Tod berichtete Michele Kiesewetter ihrer Freundin von einem nächtlichen Zwischenfall am Ortseingang Oberweißbach.
„Sie war verstört. Ich hatte sie vorher so noch nicht erlebt. Und insbesondere war ungewöhnlich, dass sie nicht sagte, was dort war.“ (Anja Wittig)
Michele Kiesewetter erzählt nur, dass mehrere Autos da gewesen seien und auch Polizei. Sie befürchtet dienstliche Konsequenzen – sagt aber nicht, worum es ging.“ aus Doku „Tod einer Polizistin, Das kurze Leben der Michele Kiesewetter“
Laut der vernommenen Kollegen gab es jedoch am 25.04. keinen gefährlichen Einsatz. Unisono wird als Heilbronner Einsatzziel „sichere City“ genannt, auch in Neckarsulm ging es um „kleine Fische“.
In Neckarsulm waren Drogenabhängige das Ziel, die ihre Spritzen nicht in Mülleimer entsorgt hätten, sondern in öffentlichen Parks liegen-ließen. Die Beamten in Heilbronn hätten „nur“ Präsenz in der Innenstadt zeigen sollen, um u. a. Einzelhändlern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln. Seltsam ist dabei, dass dafür gleich zwei Gruppen der Bereitschaftspolizei in Heilbronn unterwegs waren. Kiesewetters Einheit (BFE 523) wurde sogar während einer Urlaubswoche aktiviert.
• 3. Empfahl Manuel B. Martin Arnold als Streifenpartner?
MK lernte im März Martin Arnold kennen, sie war eine seiner Ausbilder in der Böblinger Kaserne. Erst im April kam er als „Frischling“ zur Böblinger Bereitschaftspolizei. Heilbronn war sein zweiter Einsatz. Da er sich wie MK zum Streifendienst in Heilbronn am 25.04 anmeldete, rief MK ihn am Sonntag an, da sie ihn (laut Soko) einfach nur mal näher kennenlernen wollte.
Zur Untermauerung dieser Darstellung zitiert die Soko in den Ermittlungsakten einen SMS-Austausch zwischen MK und Martin Arnold. Diese SMS befinden sich jedoch nicht in den Speichern der ausgelesenen Handys von Kiesewetter und Arnold. Wie kann die Soko die SMS dann zitieren? Seltsam mutet auch an, dass die SMS am Montag ausgetauscht worden wären. Laut Arnold hätte ihn MK jedoch am Sonntag angerufen, um den gemeinsamen Streifendienst auszumachen.
Kiesewetters sonntäglicher Anruf bei Arnold könnte mit Manuel B. im Zusammenhang stehen, mit dem sie am Sonntag zusammen war. Arnold ist ein Bekannter von Manuel B. – die beiden besuchten dieselbe Ausbildungsklasse in Göppingen. Vielleicht empfahl Manuel B. Arnold als Streifenpartner, aufgrund dessen Kasachstan-Hintergrundes? Kiesewetters WG-Partnerin fand einen versteckten Zettel in einem Schuh von MK, darauf war die Handynummer von Arnold notiert. Erhielt MK die Nummer von Manuel B.? Davon sagte weder Manuel B. noch Arnold etwas.
• 4. Kiesewetters Einsatz am Mittwochvormittag – ein Sondereinsatz?
Laut der Soko hätte es sich auch am Vormittag um einen regulären Streifendienst im Rahmen der Aktion „Sichere City“ gehandelt. Die Kommission behauptet, dass die Gruppe um Kiesewetter kurzfristig mit einer anderen Einheit (TEZ 514) der Bereitschaftspolizei die Uhrzeiten getauscht hätte. Eigentlich hätte diese andere Einheit am Vormittag ab 09:30 ihren Dienst in Heilbronn beginnen sollen. Wegen des Tausches fing sie aber erst um 12:30 an. Deren Mitglieder verneinen jedoch einen Uhrzeiten-Tausch!
Ihr vormittäglicher Einsatz wurde kurzfristig anberaumt. Laut Tobias K. hätte MK noch am morgen in der Kaserne nicht gewusst, ob sie sich in Uniform oder zivil kleiden sollte!
Kiesewetter hatte also offenkundig einen Sonderauftrag, der am Vormittag ab 09:30 in Heilbronn begann. Zusätzlich hatte sie den regulären Streifendienst ab 12:30, für den sie bereits seit vorheriger Woche fest eingeplant war.
Sven H. war zuständig für die Einsatzplanung der Bereitschaftspolizei Böblingen; sein Büro war in der Kaserne. Er erfuhr erst zwei Tage nach dem Überfall, dass MK schon am Vormittag unterwegs war!
• 5. Erhielt MK Einsatzbefehle per SMS auf ihr privates Handy?
Diese Frage kann nicht beantwortet werden, weil sich auf dem Handy von MK keine SMS befanden. Laut Darstellung der Soko hätte MK sowieso keinerlei konkrete Einsatzbefehle erhalten.
Laut Kiesewetters Gruppenführer Timo H. kommunizierten die Beamten während Einsätzen mit den privaten Handys. Es könnte also sein, dass sie Einsatzbefehle per SMS auf ihr privat genutztes Handy erhielt. Timo H. kann sich jedoch nicht erinnern, am Tattag mit MK per Handy kommuniziert zu haben, wortwörtlich: „Das weiß ich nicht, ob ich überhaupt angerufen worden bin an dem Tag.“
MK hatte zwei privat genutzte Handys: Ein Nokia und ein Sony. Da die Batterie des Nokia-Handys gebrochen war, verblieb es mitsamt der SIM-Karte von O2 zuhause, per Kabel angeschlossen am Stromnetz. MK richtete aber eine SMS-Weiterleitung von O2 auf t-mobile ein, auch wurde sie über entgangene Anrufe informiert, aber nur wenn die eingehende SMS oder Anruf aus dem O2-Netz kam. Das Sony-Handy mit t-mobile SIM-Karte nahm sie zum Einsatz mit.
• 6. Wer war der Streifenpartner Kiesewetters am Vormittag? Wer gehörte zu ihrer Gruppe?
Die Soko behauptet, dass Martin Arnold mit MK ab 09:30 in Heilbronn unterwegs war. Arnold sagte jedoch, dass er von den Uhrzeitentausch mit der anderen Gruppe nichts mitbekommen hätte. Für ihn begann der Dienst also mit Antritt in der Böblinger Kaserne um 11:30. Die Ankunft in Heilbronn war 45 Minuten später.
MK war dagegen schon am Vormittag mit einem unbekannten Polizisten in Heilbronn unterwegs. Der Polizist war der Fahrer, sie war Beifahrerin. Er fuhr gegen 11:30 die Theresienwiese an. Zuvor kauften sie gemeinsam in der Bäckerei Kamps eine Mahlzeit ein. Es konnte sich nicht um Martin Arnold handeln, da die Bäckerei-Verkäuferinnen den einkaufenden Beamten von früheren gemeinsamen Einkäufen mit MK her kannten. Da Arnold am 25.04 das erste Mal in Heilbronn war, scheidet er aus. Dagegen könnte es sich um ihren Freund Dominik W. gehandelt haben, da er schon mehrfach gemeinsam mit seiner Freundin MK dort auf Streife war.
Dominik W. hatte einen Freund, den Bereitschaftspolizisten Marcello P.. Er sagte aus, Dienstagnacht in der Kaserne mit MK im Bett gewesen zu sein. P.´s damaliger WG-Partner Peter S. widersprach dem jedoch: P. wäre vom Treffen mit MK zurückgekommen, weil sie sich noch mit ihrem Freund hätte treffen wollen. Außerdem sagte Marcello P., dass er MK morgens beobachtete, als sie die Kaserne verließ: Sie wäre hinter dem Steuer des Streifenwagen gesessen, einen Beifahrer hätte er keinen gesehen. Handelte es sich um eine Gefälligkeitsaussage zugunsten Dominik W.?
Genauso ungeklärt wie ihr Streifenpartner, sind die Mitglieder ihrer Einsatzgruppe.
Der Fingerabdruck des Bereitschaftspolizisten Simon G. wurde am Opferfahrzeug gefunden, über der Beifahrertüre. Simon G. teilte der Soko jedoch mit, dass er zur Tatzeit in der böblinger Kaserne gewesen wäre. Dagegen sagte seine Kollegin Jessica B., dass er zur Tatzeit in Neckarsulm eingesetzt war, der Nachbarstadt von Heilbronn.
Kiesewetters Gruppenführer am Vormittag wäre Timo H. gewesen. Auf die Frage, was er am Vormittag in Heilbronn konkret machte, antwortete er: „Bis gestern hätte ich noch gedacht, dass wir erst die Schulung bzw. Einweisung gemacht [die Schulung ging von 12:30-13:30] haben und vorher gar nicht in Heilbronn waren. Ich kann mich an gar nichts am Vormittag erinnern.“ Laut Thomas K., damaliger Gruppenführer des Einsatzes in Neckarsulm, waren er und „die Gruppe von Timo H. (…) an dem Tag in Neckarsulm“ eingesetzt gewesen.
Zwei Kollegen aus Kiesewetters Einheit (BFE 523) nahmen ab 14:45 Kontrollen an der Theresienwiese vor. Dabei waren sie keinen Dienst zugeordnet, die ganze Einheit hatte ja (bis auf die Gruppe in Heilbronn) eine Urlaubswoche. Die DNA der Männer wurde an den Unterziehgürteln von MK und Martin Arnold festgestellt. Ende Juli 2011 bemerkte die Soko, dass Daniel S. und Matthias S. „noch gar nicht vernommen“ wurden! Daran änderte sich bis heute nichts.
• 7. War Kiesewetter auf der Theresienwiese nur um zu pausen?
Die Soko behauptet, dass MK am 25.04. zweimal (11:30 und 13:45) die Theresienwiese angefahren hätte, lediglich um dort eine Pause einzulegen. Die Kollegen ihrer Einheit widersprechen dem jedoch: Zum einen war die Theresienwiese in der BFE 523 als Pausenort weitgehend unbekannt, zum anderen pauste MK an anderen Orten in Heilbronn. Ausgerechnet ihr Freund Dominik W. sagte jedoch der Soko, dass MK gemeinsam mit ihm den Ort als Pausenort zwei Wochen vor ihrem Tod entdeckt hätte. Er war jedoch in dem genannten Zeitraum gar nicht mit MK eingesetzt gewesen.
Um 13:30 entschloss sich eine Gruppe aus der Einheit TEZ 514, eine Pause einzulegen – obwohl sie erst seit zwei Stunden im Dienst waren. Laut Jochen S. hätte er mit Steffanie B., Steffen J. und Jeanette H. diskutiert, wo ihr Pausenort hätte sein sollen. Jochen S. hätte zur exakt gleichen Stelle in der Theresienwiese fahren wollen, wo zur exakt gleichen Zeit der Überfall sich ereignete. Er wäre jedoch überstimmt worden. Seine Kollegen können sich an diese Abstimmung nicht erinnern. Jochen S. war auch am 24.04. in Heilbronn eingesetzt gewesen.
Diese Gruppe war mit einem VW T4-Bus unterwegs. Der Zeuge Thomas K. sah kurz vor dem Überfall ein Polizeiauto, dass er als „kleinen Van“ bezeichnete. Der Wagen fuhr die Theresienstraße in Richtung Norden. Martin Arnold gab bei seiner ersten Vernehmung an, am Tattag in einem VW T4-Bus gesessen zu haben. Er revidierte diese Aussage in späteren Vernehmungen.
• 8. Wurde MK zuerst angegriffen, erst danach Arnold?
Die Soko behauptet, dass beiden Polizisten nahezu gleichzeitig in die Köpfe geschossen wurde. Die Schussbahnen zeigen jedoch klar, dass MK zuerst angeschossen worden sein musste.
Als sie um 13:45 zur Theresienweise kommt, ist sie die Fahrerin, Arnold der Beifahrer. Sie parkte neben dem Trafohaus. Während sie hinter dem Steuer sitzt, wird sie von einer Person angesprochen, die neben der Fahrertür steht. Die Beifahrertür ist offen. Als sie sich von der Person wegdreht, sie blickt in Richtung Arnold, zieht der Schütze seine Waffe und schießt ihr in den Kopf. Ihr Wegdrehen lässt auf ein gewisses Vertrauens- bzw. Kennverhältnis zu ihrem Mörder schließen. Als zweites, kurz darauf, wird auch Arnold in den Kopf geschossen, der noch schützend seine rechte Hand nach oben hält und seinen Kopf zum Schützen hindreht. Im Gegensatz zu MK wurde er nicht völlig überrascht. Seine Dienstwaffe wird mit großer Gewalt aus dem Holster gerissen und geraubt.
Drei dringend Tatverdächtige fliehen zu Fuß in nördlicher Richtung über die Bahngleise in Richtung eines Bordells. Gleichzeitig entfernt sich ein blauer Audi A4 von der Theresienwiese in südlicher Richtung. Ein blaues Fahrzeug nimmt einen blutverschmierten, osteuropäisch wirkenden Mann südlich der Theresienwiese auf.
• 9. Hielten sich Polizisten zur Tatzeit in Tatortnähe auf?
Laut der Soko hätten sich keine (anderen) Polizisten oder Streifenwagen in der Theresienwiese befunden. Alle dementsprechende Sichtungen von Zeugen begründen sich darin, dass MK auf der Suche nach einem schattigen Parkplatz herumfuhr, an unterschiedlichen Stellen kurz anhielt.
Aussagen von Polizisten und Zeugen legen jedoch nahe, dass zeitnah, innerhalb von Minuten, Zivilbeamte und uniformierte Beamte am Tatort eintrafen. Es könnte sich folgendermaßen zugetragen haben: Kiesewetter wird aus dem Auto gehoben und auf den Boden gelegt. Die Beamten hinterlassen dabei ihre DNA an der Opfer-Bekleidung, Fingerabdruck am Opfer-Fahrzeug. Es wird ein Notarzt, Rettungssanitäter und eine Ringfahndung angefordert, bevor überhaupt gegen 14:22 die ersten „offiziellen“ Polizisten den Tatort betreten.
Der Zeuge Anton M. beobachtete gegen 14:30 südlich der Theresienwiese am Neckarufer zwei Männer und eine Frau. Sie befanden sich auf halben Weg von der Theresienwiese zum Wertwiesenpark. Einer der Männer hätte sich die blutverschmierten Hände im Neckar abgewaschen. Genau in dieser Zeit hielt sich dort eine Zivilstreife der Bereitschaftspolizei Böblingen auf. Darunter war Janette R. – sie erwiderte auf Vorhalt der Zeugenaussage von Anton M.:
„Wir waren zu dem Zeitpunkt zu dritt. Zwei Frauen und ein Mann. Wir haben damals nicht russisch miteinander gesprochen und von uns hat sich auch keiner die Hände im Fluß gewaschen.“
Ihre Einheit, die TEZ 514, führte auch am 24.04. in Heilbronn Kontrollen durch, darunter war die Thüringerin Elke S., die am 24.04. in der Theresienwiese am Trafohaus Pause machte. Die Gruppe bestand aus sieben Beamten, darunter waren auch der bereits oben genannte Jochen S. und ausgerechnet Janette R.
• 10. Befand sich auf der Theresienwiese das Einsatzziel?
Dafür gibt es keine belastbaren Hinweise! Laut des Soko-Chefs Frank Huber wäre die Theresienwiese ein „Rückzugsraum“ für müde Bereitschaftspolizisten gewesen, wo sie Pause machen könnten. Die Ermittlungsakten widersprechen jedoch dem Eindruck eines friedlichen Ortes:
Es gab seit 2009 zwei große Ermittlungsrichtungen, die sich auf konkrete Indizien stützten: Zum einen hätten zur Tatzeit Landfahrer („chico“-Spur) auf der Theresienwiese ihre Einnahmen aus Betrügereien verteilt. Zum anderen hätte die Russen-Mafia den Ort als Umschlagsort für einen Drogentransport genutzt. Des Weiteren lag direkt am Tatort eine dritte Hülse am Boden, die jedoch keinen Bezug zum Überfall hätte. Erwähnenswert sind außerdem der Vertreter der libanesischen Amal-Miliz, der Zeuge Chehade, ein Handy der Sauerländer Terrorgruppe, welches sich in einer Funkzelle an der Theresienwiese einloggte, und der (angebliche) Aufenthalt des NSU, der ausgerechnet dort einen rechtsterroristischen Anschlag verübt hätte.
Es gab jedoch noch eine weitere Spur, der ungenügend nachgegangen wurde:
Der Pressesprecher des Landeskriminalamtes Ulrich Heffner informierte am 18.11.2011 falsch, dass die Soko „keine Hinweise auf ein Wohnmobil“ gehabt hätte! Es gab jedoch sehr wohl Hinweise auf verdächtige Wohnmobile:
Um 13:15 sah der Zeuge Heinz H. zwei geparkte Wohnmobile in Tatortnähe, die er in Luftbildern, die um 15:00 gemacht wurden, nicht mehr finden konnte. An den Wohnmobilen beobachtete er osteuropäisch wirkende Männer. Ihm fiel ein blonder Mann auf. Sein Phantombild hat Ähnlichkeit mit Dusan L., der als „blonder Landfahrer“ bezeichnet wird. Er hätte die Theresienwiese kurz vor dem Überfall verlassen. Die Zeugin Lieselotte W. sah um 14:00 einen blonden osteuropäisch wirkenden, blutverschmierten Mann in ein blaues Fahrzeug springen, südlich der Theresienwiese. Es gibt drei Übereinstimmungen der beiden Zeugenaussagen: Mann, blond und osteuropäisch wirkend. Dem wurde nicht nachgegangen!
• 11. Ließ Heilbronner Polizei zwei Wohnmobile vom Tatort entwischen?
Die Heilbronner Kriminalpolizei sagte, dass sie ab 14:30 die Schausteller und Landfahrer auf der Theresienwiese mehrfach mit Kontrollen förmlich „überzogen„ hätte. Tatsächlich wurde bereits um 14:18 eine Gruppe Landfahrer südlich der Theresienwiese kontrolliert, die zu Dusan L. gehörte. Sie hätten nichts gesehen und gehört.
Die Heilbronner Polizei schickte am Tatort eintreffende „ortsfremde“ Polizisten zur Heilbronner Polizeidirektion, wo sie stundenlang untätig verbleiben mussten. Laut des Ludwigsburger Beamten Benyamin G., der um 14:45 am Tatort eintraf, hätte er dort „1,5 Stunden auf weitere Aufträge gewartet (…). Ich meine, dass zu diesem Zeitpunkt ca. 80 Kräfte dort waren“.
Dass am Tatort eintreffende Fahrzeug Böblinger Bereitschaftspolizisten wurde von einem osteuropäisch aussehenden Mann gestoppt und an der Weiterfahrt gehindert! Laut Uwe G. hätte der Mann zuvor sein Gefährt direkt neben dem Tatort geparkt. Luftaufnahmen zeigen jedoch, dass am Trafohaus um 15:00 keine Wohnmobile (mehr) stehen.
Der Schausteller Josef L. bemerkte beim Wasserlassen „am Dienstag, 24.4.07“, „dass dort auf der anderen Seite des späteren Tatorts ein Wohnmobil stand.“
• 12. Entwendete Kiesewetters Chef Thomas B. ihr Sony-Handy?
Der Einheitsführer von MK und Arnold war Thomas B. Nachdem er vom Überfall erfuhr, kam er zum Tatort. Während er neben der Leiche Kiesewetters stand, rief er ihre Handynummer an. Er hätte in diesem Moment nur noch „funktioniert“ und herumtelefoniert, es könnte sein, dass er auch MK anrief.
In Filmaufnahmen machte er jedoch keinen verwirrten Eindruck, er handelte scheinbar konzentriert und zielgerichtet. Telefonierend bückte er sich neben der Leiche Kiesewetters und nahm scheinbar etwas vom Boden auf und entfernte sich.
Sein Anruf ist als „entgangener Anruf“ um 15:34 in Kieswetters Nokia-Handy abgespeichert. Dort steckte in dem Moment die O2 SIM-Karte, also hatte Thomas B. ihre O2-Nummer angerufen. O2 schickte daraufhin eine SMS an das t-mobile Sony-Handy, um über den entgangenen Anruf zu informieren. Laut des Verbindungsnachweis von „t-mobile“ sendet O2 diese Service-SMS um 15:36. Seine Nummer taucht nicht im Verbindungsnachweis auf.
Thomas B. kann keine Begründung für seinen Anruf geben. Eine sinnvolle Erklärung wäre jedoch, dass sein Anruf der Lokalisierung ihres Handy gedient haben könnte, durch den Klingelton könnte der Standort festgestellt worden sein. Laut des Heilbronner Kriminalpolizisten Jörg T. ging man anfangs davon aus, dass „mehrere Mobiltelefone zusammen mit den Dienstwaffen entwendet wurden“.
Das Sony-Handy von MK bleibt bis heute spurlos verschwunden.
• 13. Erdichtete Sonderkommission SMS-Nachrichten?
Laut der Soko hätte MK nur ein einziges Handy benutzt: Ein Nokia mit t-mobile SIM-Karte. Aber wie konnte die Soko dann in den Akten SMS-Nachrichten von MK zitieren, obwohl im Handy keinerlei SMS abgespeichert waren? Außerdem stehen die SMS zum Teil konträr zu den Verbindungsnachweisen, die der Provider, „t-online“ übermittelte. Manche SMS stimmen zeitlich nicht mit den Verbindungsnachweis überein bzw. tauchen erst gar nicht auf.
Eine sinnvolle Erklärung wäre, dass beide private Handys der Soko vorlagen und ausgewertet wurden. Die SMS-Daten zweier Handys flossen zusammen. Warum könnte dies passiert sein? Unbekannte wollten SMS mit den Einsatzbefehlen löschen.
Wie könnte dies konkret passiert sein?
Das Sony-Handy verschwand vom Tatort, darin befand sich die t-mobile SIM-Karte. Das Nokia-Handy wurde am 29.05 in Kiesewetters Wohnung gefunden. Die sich darin befindende O2-SIM-Karte wurde entnommen und ist bis heute verschwunden. In das Nokia-Handy wurde die t-mobile Karte gesteckt. Anschließend tauchte das Nokia mit t-mobile SIM-Karte in der Spurenauswertung auf und wird tatsächlich erst am 30.05 ausgelesen.
Obwohl ihr privates Nokia-Handy laut Soko direkt neben ihrer Hand am Tatort gefunden wurde, wurde es offenbar weder nach nach DNA noch nach Fingerabdrücken untersucht. In den Akten fehlen die Untersuchungsergebnisse.
• 14. Kiesewetters Taschenmesser – geraubt, zurückgeben und in die NSU-Wohnung verbracht?
Das polizeiliche Taschenmesser von MK, welches eine eingravierte Polizeinummer hatte, galt ebenfalls als geraubt und war zur Fahndung ausgeschrieben. Am 22.05.07 wurde es jedoch von Unbekannten „zurückgegeben“ und befand sich seitdem im Besitz der Polizei. Polizeihauptmeister Frank Lenk fand am 06.11.11 im Brandschutt der zwickauer NSU-Wohnung ein baugleiches Taschenmesser, das er dem Überfall zuordnete. Im Abschlussbericht des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags steht, dass es Michele Kiesewetter gehörte.
Auch wenn es sich um eine Falschdarstellung der Abgeordneten handeln würde, eines fällt auf: Die derzeitige Ermittlungsrichtung „NSU“ gründet sich maßgeblich auf den Funden in Wohnmobil und Wohnung, sowie auf den sogenannte „Bekennerfilm“, wo sich die Comicfigur Paulchen Panther als NSU-Vertreter zu den Verbrechen bekennt. Seit 2015 kommt das „Geständnis“ von Beate Zschäpe dazu – Mundlos/Böhnhardt hätten die Polizisten überfallen, um an brauchbare Schusswaffen zu gelangen. Erwähnt wird ebenfalls, dass das Kennzeichen des NSU-Wohnmobils an einem Kontrollpunkt notiert worden wäre. Es wäre dann jedoch ins Computersystem falsch abgespeichert worden. Dieser Fehler kam erst Mitte November 2011 zum Vorschein, weshalb das Kennzeichen in den Akten bis dato nicht auftauchte.
Seit November 2011 steht daher fest, dass es sich beim Überfall um einen rechtsterroristischen Anschlag des national-sozialistischen Untergrunds „NSU“ gehandelt hätte. Fakt ist jedoch, dass es keinerlei Anhaltspunkte in den Ermittlungsakten für diese Behauptung gibt.
• 15. Wer glaubt an „Pleiten, Pech und Pannen“?
Hinter diversen Ermittlungsfehlern und technischen Pannen könnte nicht Kommissar Zufall und Unvermögen stecken, sondern gezielte Sabotage der Ermittlungen.
Zum Beispiel könnte gezielt eine Trugspur zum „Heilbronner DNA-Phantom“ gelegt worden sein. Bis 2009 konzentrierten sich die Ermittlungen hauptsächlich auf diese „unbekannte weibliche Person“. Waren die Videokameras am heilbronner Bahnhof wirklich „defekt“, genauso wie das GPS-Gerät in Kiesewetters Polizeiauto? Wie konnten die Handy-Daten ihres Diensthandys verloren gehen? Auszug Polizeiakte: „(…) Verbindungsdaten gingen auf elektronischen Postweg verschollen oder wurden möglicherweise versehentlich gelöscht.“ Es muss auch hinterfragt werden, warum in Kiesewetters privaten Nokia-Handy keinerlei SMS gespeichert waren, weder auf der SIM-Karte, noch im Gerätespeicher. In den Akten wird angedeutet, dass das Ausleseprogramm irgendwie nicht richtig funktioniert hätte, Zitat: „Das Auslesen der gespeicherten SMS scheiterte mit dieser Software.“
In Tatortnähe beobachteten Zeugen über einen längeren Zeitraum einen blauen Audi mit Moosacher Kennzeichen. Am 26.04. ging eine Suchanfrage zum Kraftfahrbundesamt in Flensburg, um die Halter zu erfahren. Jedoch spezifizierte die Soko noch am gleichen Tag die Recherche („Eilt“) und schränkte die Anfrage nur auf Dieselfahrzeuge ein! Polizeiintern wurde dies kritisch hinterfragt, da keiner der Zeugen von einem Dieselfahrzeug sprach. Auszug Polizeiakte: „Warum wurde beim KBA auf Dieselfahrzeuge begrenzt? Der Zeuge macht hierzu keine Angaben.“
Die Bereitschaftspolizei Böblingen setzte am Tattag einen Audi A4 als Zivilfahrzeug in Neckarsulm ein. Laut des Böblinger Bereitschaftspolizisten Patrick S. könnte ihr Audi dunkelblau gewesen sein, aber richtig erinnern könne er sich nicht.
Fazit
Der Heilbronner Polizistenüberfall kann nicht als „ausermittelt“ bezeichnet werden. Vielmehr werden die Ungereimtheiten einfach „gedeckelt“, indem als Täter der NSU festgesetzt wird. Erschreckend ist die Harmlosigkeit des Baden-Württemberger Untersuchungsausschusses, der bisher keine der Ungereimtheiten aufklärte. Dabei könnte sich aus dem Heilbronner Polzistenüberfall ein Polizeiskandal ergeben, der das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttern würde.