»Sanktionen eingeschnorrt und eingeschnöselt«
»Sanktionen eingeschnorrt und eingeschnöselt«
Erst Hungerstreik, jetzt Deutschland-Tournee: Einzelkämpfer gegen Hartz IV will Behörden weiter nerven. Ein Gespräch mit Ralph Boes
Interview: Peter WolterDer Berliner Ralph Boes wurde durch einen Hungerstreik bekannt, mit dem er die Verfassungswidrigkeit der Hartz-IV-Gesetze anprangerte
Sie haben Ihr zuständiges Jobcenter zu allerlei Sanktionen provoziert und dann mit einem über 50tägigen Hungerstreik gegen genau diese Sanktionen protestiert. Jetzt planen Sie als Einzelkämpfer in Sachen Hartz-IV-Protest eine Deutschlandtournee, am Montag soll es losgehen. Wie wollen Sie die Behörden dieses Mal nerven?
Das ist richtig, diese Sanktionen hatte ich bewußt provoziert, um zu zeigen, das das System so nicht funktioniert. Mein Grundgedanke ist, daß Arbeit nicht unbedingt an Gelderwerb gebunden sein muß – jeder Mensch sollte die Arbeit verrichten, die er für sich für angemessen hält. Das nämlich hat gesellschaftlichen Rang, nicht aber, wenn ich mich bei einem Zwei-Euro-Job in einem Callcenter ausnutzen lasse.
Ich habe meine Proteste so lange durchgezogen, bis mir alles Geld genommen wurde. Für Essen, Miete, Krankenkasse – seit August.Sie bekommen überhaupt nichts mehr?
Gar nichts. Als Hartz-IV-Kunde bin ich aber in der ungewöhnlichen Lage, daß viele Menschen meine Proteste für so wichtig halten, daß sie mir Spenden oder Darlehen überweisen, damit komme ich einigermaßen über die Runden.
Vorgesehen sind Vorträge, Treffen, Gespräche mit wichtigen Initiativen. Ganz besonders will ich die Leute ansprechen, die ebenso wie ich unter den Sanktionen des jeweiligen Jobcenters zu leiden haben. Deren Erfahrungen will ich dann auch im Internet publizieren. Ich möchte, daß die Öffentlichkeit mal einen Blick auf die »Innenseite« der Sanktionen wirft.
Wie ich die Jobcenter nerven will? Zum einen habe ich jede Menge Fälle gesammelt, um sie als Material für eine Verfassungsklage vorlegen zu können. Ich behaupte, daß die Hartz-IV-Sanktionen verfassungs- und menschenrechtswidrig sind. Und mit meiner Deutschlandtournee will ich dazu beitragen, daß sich die Haltung der Gesellschaft zu diesem Komplex so ändert, daß Richter irgendwann in diesem Sinne entscheiden. Das ist das eigentliche Ziel meiner Reise – wenn alles gut geht und meine Klage in Karlsruhe verhandelt wird, hoffe ich darauf, einen »Marsch der Entrechteten« zum Gericht organisieren zu können.
Mein Motto heißt ganz lakonisch: »Ich steh dann mal auf!« Das Wort »Aufstand« steckt da mit drin. Der zweite Satz »Und ich gehe schon mal los«, soll andere animieren, mit mir zu kommen.Haben Sie jetzt alle Brücken nach Berlin abgebrochen?
Meine Wohnung werde ich behalten, sie wird weiter als Rückzugsraum zur Verfügung stehen. Ich bin also nicht ganz obdachlos – wie das letztlich ausgeht, muß ich von den Spenden abhängig machen.Sie haben Unterstützer in mehreren Orten. Muß man sich das als lockeres Netzwerk oder vereinsähnliche Struktur vorstellen?
Es gibt in Berlin eine Gruppe »Wir sind Boes«, sie hatte sich damals während meines Hungerstreiks für den Fall gebildet, daß ich nicht mehr aktionsfähig bin. Daß ich ihn dann abgebrochen hatte, verband sich mit der Überlegung, daß ich nur dann in Karlsruhe klagen kann, wenn ich erst einmal überlebe. In Hamburg hat sich übrigens eine ähnliche Gruppe gebildet, ich denke mal, daß es während meiner Tournee noch die einen oder anderen Nachahmer gibt.Sie hatten ja auch mehr oder weniger gelungene Auftritte in TV-Talkshows. Bild nannte Sie daraufhin »Hartz-IV-Schnösel« und »frechster Schnorrer« Deutschlands. Trifft Sie diese Beschimpfung nicht?
Also gut, ich gebe zu: Ich selbst habe alle Sanktionen eingeschnorrt und eingeschnöselt. Aber mal im Ernst: Wer so etwas von mir behauptet, weiß nicht, wovon er redet. Es geht letztlich darum, ein menschenrechtswidriges System aufzudecken – das kann man besser von innen her als von außen.