Simulierte Mitbestimmung
Simulierte Mitbestimmung
Jahresbericht des Petitionsausschusses. Große Mehrheit der Eingaben verpufft wirkungslos
Von Ralf Wurzbacher, Junge Welt, 18. Juni 2015
![]() Wem etwas nicht passt in der Republik, der ist beim Petitionsausschuss des Bundestages an der richtigen Adresse.
Foto: Soeren Stache/dpa
|
Soviel Demokratie war nie. Wem etwas nicht passt in der Republik, der ist beim Petitionsausschuss des Bundestages an der richtigen Adresse. Ganz egal, ob man lieber »pinkfarbene Parkscheiben« hätte statt der öden blauen, sich gegen »störende Waschetiketten« auflehnt oder den »Einsatz für weltweit menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen« verlangt – hier ist jedes Anliegen wichtig und keine Petitesse nichtig. Günter Baumann, Vorsitzender der AG Petitionen der Unionsfraktion, macht das stolz: »Bei uns werden alle Bürger gleich behandelt – die Rentnerin genauso wie die gut vernetzte Community, die in wenigen Tagen 100.000 Unterschriften sammelt«, wurde er von Welt online zitiert.
In der Vorwoche hat der Ausschuss seinen Jahresbericht 2014 vorgelegt und für sein Schaffen allerhand Lob eingeheimst. Die Zeitung Die Welt hob das Gremium über die Konkurrenz privater Plattformen wie Open Petition oder Change.org. Diese erfreuten sich zwar großer Nutzerzahlen, könnten aber nicht sicherstellen, dass das fragliche Thema »auch wirklich vom Parlament« geprüft werde. Dagegen, so CDU-Politiker Baumann, biete der direkte Draht zum Bundestag »allen Petenten eine Dreifachgarantie: Jede Eingabe wird angenommen, geprüft und beschieden.« Und manchmal lässt sich sogar etwas bewirken. Beispielsweise verhalf der Ausschuss der Lebensgefährtin eines in Afghanistan getöteten Soldaten zu einer Entschädigung und sorgte außerdem dafür, dass Armeeangehörige im Auslandseinsatz künftig unbegrenzt surfen und telefonieren können.
Solche Siege sind freilich die Ausnahme. Von den knapp über 18.000 im Jahr 2014 behandelten Eingaben gelangten dem Bericht zufolge zwar rund 9.500 in die »parlamentarische Beratung« – was aber nicht mehr bedeuten muss, als dass irgendwer davon Notiz nimmt. In lediglich 1.743 Fällen wurde dem vorgebrachten Anliegen am Ende auch entsprochen, 6.618 Mal setzte es eine Abfuhr. Dazu kommen noch einmal 8.525 Vorstöße, die es gar nicht erst ins hohe Haus schafften, darunter »Spaßpetitionen« oder solche mit formalen Fehlern. Die insgesamt fast zehn Prozent erfolgreich verlaufenen Initiativen sind in der Mehrzahl sogenannte Einzelpetitionen mit spezifischer Bedeutung für den Petenten, aber keiner Relevanz für die Bevölkerung.
Wo es um allgemeinere Probleme und politische Missstände geht, die gegebenenfalls gesetzgeberisch zu beheben wären, sind die Erfolgsaussichten weitaus schlechter. Es gibt vier Wege, auf denen die Bundesregierung ins Spiel kommen kann: als »schlichte« Überweisung oder als Überweisung »als Material«, »zur Erwägung« oder »zur Berücksichtigung«. Die letzte ist die, wie es in den Statuten heißt, »eindringlichste Form« und kommt zur Anwendung, wenn das Parlament das fragliche Ansinnen »in vollem Umfang als derart stichhaltig an(sieht), dass es Abhilfe für unbedingt nötig hält«. Aber auch das ist bloß eine Empfehlung, über die sich die Exekutive getrost hinwegsetzen kann.
Dabei ist der Vorgang an sich schon eine große Seltenheit, genauer: eine Einzigartigkeit. Von besagten 18.000 Ersuchen wurde nur eines »zur Berücksichtigung« an die Bundesregierung weitergeleitet. Der Fall dreht sich um einen türkischen Schriftsteller, der im Dezember 2013 infolge eines Urteils des türkischen Verfassungsgerichts aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Ob dies mit Zutun des Auswärtigen Amtes geschah, geht aus dem Rapport nicht hervor. Weiterhin wurden 31 Petitionen »zur Erwägung« weitergereicht, wodurch die Regierung angehalten wird, die Sache zu prüfen. Von den sechs im Rapport aufgeführten Anliegen wurden vier negativ beschieden.
436 Petitionen wurden 2014 im Internet veröffentlicht, diskutiert und mitgezeichnet, das sind weniger als drei Prozent aller Eingaben. Dabei ist auch die große Bühne kein Garant dafür, sich durchzusetzen. Eine Massenpetition, die sich gegen die ambulanten Kodierrichtlinien zur Abrechnung von Patientendiagnosen richtet, brachte es im Berichtszeitraum auf über 457.000 Unterstützer. Trotzdem wird das zwischenzeitlich abgeschaffte Instrument ziemlich sicher wieder eingeführt. Bisweilen gehen die Wünsche aber einfach nur zu weit. Den »Einsatz für weltweit menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen« findet das Gremium zwar gut. Für die geforderten Importbeschränkungen habe Deutschland allerdings keine nationale Gesetzgebungskompetenz. Dafür bleiben wenigstens die Parkscheiben blau.