Sommeridyl (1971)
H. Spehl an Redaktion DIE ZEIT, Hamburg
Freiburg, 30. April 1971
Betrifft den Israel-Bericht von Theo Sommer in der ZEIT vom 30. April 1971.
"Augenschein im besetzten Gebiet" nennt Theo Sommer den zweiten Teil seines politischen Berichtes über eine Reise nach Israel. Ein Augenschein, der sich sehen lassen kann: Aufgeklärte Besatzungspolitik; mustergültige Sozial- und Gesundheitsfürsorge; Ausbau der Infrastruktur; in Gaza neue breite Straßen, die für Sonne und Wind durchlässiger sind; architektonische Aufmöbelung der Flüchtlingslager; verbesserte Wasserversorgung auf dem Westufer; Modernisierung der Landwirtschaft; offene Jordan-Brücken; größere Bewegungsfreiheit als je zuvor; arabische Arbeiter, die dreimal mehr verdienen als früher; ein israelischer Kleinunternehmer, der seine arabischen Arbeiter mit israelischer Schokolade beschenkt, weil sie schon am zweiten Tag lächeln; Araber, die gar keine Hemmungen mehr haben, Orangen sortieren, in Seidenpapier einwickeln und in Kartons zu je 18 Kilo verpacken; ein israelischer Offizier, dem Gaza als der interessanteste Flecken in ganz Nahost vorkommt, und der Herrn Sommer die aufregende Erkenntnis anvertraut: "Wenn wir hier in Gaza das Problem lösen können, dann können wir es überall lösen"; und schließlich Israelis, die Rat und Hilfe nicht aufdrängen, aber beides gewähren, so man sie darum bittet. Man beginnt die Palästinenser um solche Okkupanten zu beneiden, und bedauert, daß deren territorialer Wirkungsbereich umständehalber so eingeschränkt ist.
Aber vielleicht auch ist Herr Sommer ein Schelm. Der mörderische Nahost-Konflikt als Okkupanten-Idylle, das ist ja schließlich nicht vom gewöhnlichen Sommer-Niveau. "Israel ist knapp handtuchbreit, selbst in den Waffenstillstandsgrenzen von 1967", so beginnt sein Bericht vom Augenschein. Danach dürften selbst weniger ortskundige Leser auf den Gedanken kommen, daß die Besatzer-Romanze aus ‘Gullivers Reisen ins Land des David und Goliath" stammt.
Mit den besten Grüßen (gez. H. Spehl)
DIE ZEIT, Redaktion Leserbriefe, an H. Spehl
Hamburg, 13. Mai 1971
Sehr geehrter Herr Spehl: Verbindlichen Dank für Ihr Schreiben, das wir aufmerksam gelesen haben. Auf eine Veröffentlichung mußten wir leider verzichten. Der Nichtabdruck bedeutet keine Kritik an Ihrem Brief. Oft ist es uns lediglich aus Platzgründen nicht möglich, einen Beitrag aus der Leserschaft zu bringen. Aus personellen Gründen müssen wir uns mit einem Vordruck bedanken: Wir hoffen, daß Sie das verstehen. Wir freuen uns sehr über Ihr Interesse an unserer Arbeit und sind
mit freundlichen Grüßen Redaktion DIE ZEIT
(gez. Margot Schmeiß)