Stettin: erneut im Epizentrum – im Visier der NATO
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Pjotr Iskenderow
Stettin: erneut im Epizentrum
Die Nato beeilt sich, die Ukraine-Krise auszunutzen, um ihre Strukturen möglichst näher an die russischen Grenzen vorrücken zu lassen. Wie der Oberkommandierende der Vereinigten Streitkräfte der Nato in Europa, der US-amerikanische General Philip Breedlove, erklärte, erörtert die Nordatlantikallianz die Verwandlung des polnischen Stettin in den größten Stützpunkt in Osteuropa.
„Es werden eventuelle Stationierungspunkte erörtert, als Favorit für die Errichtung des Stützpunktes gilt jedoch die an der Ostseeküste gelegene Hafenstadt Stettin“, zitiert den General die Londoner Zeitung “The Times”. Endgültig kann die Frage bei dem bevorstehenden Gipfeltreffen der Nato in Wales im September entschieden werden.
Um das im äußersten Westen der Ostseeküste Polens liegende Stettin haben sich in der Geschichte ernsthafte Leidenschaften abgespielt. Stettin brachte es fertig, die Hauptstadt des Herzogtums Pommern zu sein, war eine Zeitlang Hansestadt und gehörte vom 17. bis zum 20. Jahrhundert zum Bestand Preußens. Gerade die Hafeninfrastruktur Stettins trat als „Seetor“ des auf dem flachen Land gelegenen Berlins auf.
Der Zweite Weltkrieg änderte erneut jäh das Schicksal der Stadt. Gemäß den Beschlüssen der Potsdamer Friedenskonferenz ist Stettin Teil von Polen, wobei die Mächte der Anti-Hitler-Koalition, darunter auch die UdSSR, auf eine Verletzung des zuvor vereinbarten Grundsatzes für den Verlauf der deutsch-polnischen Grenze an der Oder eingegangen sind, denn Stettin liegt etwas westlich dieses Flusses.
Im Nachkriegspolen entwickelte sich Stettin zu einer typischen friedlichen Hafenstadt, zu einem überaus wichtigen Zentrum der petrolchemischen Industrie und des Maschinenbaus. Aber es stellte sich heraus, dass sich die militärischen Leidenschaften um die Stadt noch nicht gelegt haben. Das hartnäckige Streben der USA und der Nato, die militärischen Strukturen der Nordatlantischen Allianz an Russlands Grenzen vorzurücken, droht erneut, die Einwohner dieser polnischen Stadt zu Geiseln von geopolitischen Spielen werden zu lassen.
General Breedlove verspricht ihnen die Stationierung neuer Arten von Rüstungen und Kampftechnik, Munitionslagern, Treibstoffvorräten und sonstigen Objekten, welche den einfachen Bürgern keineswegs zur größeren Sicherheit verhelfen, dafür aber die leidgeprüfte Umwelt der Ostsee sowie des in der Nähe gelegenen Sees Dombe real gefährden. In der Auslegung von General Breedlove bedeutet dies „Ressourcen der Nato nach Osten zu verlegen“, jedoch schaffen solche Handlungen in der Praxis traditionsgemäß die Gefahr einer Destabilisierung der ganzen Region, sagte Andrej Areschew, Experte des russischen analytischen Zentrums „Fonds der strategischen Kultur“, gegenüber der STIMME RUSSLANDS:
„Solche Handlungen beeinträchtigen die Situation in der Region. Wir kennen von ähnlichen Fällen, dass das Vorrücken amerikanischer Formationen an wichtige Transit- und Kommunikationswege widerspruchsvolle Auswirkungen für die Sicherheit in der jeweiligen Region aufzuweisen hat.“
Man muss den Strategen der Nato Tribut zollen: Sie versuchen, das stabile „Deja vu“ ihrer Politik in der polnischen Richtung durch neue Argumente zu verschönern. Man sollte meinen, dass es erst vor kurzen gewesen ist: Diskussionen wegen der Stationierung von Batterien des amerikanischen Raketenabwehrsystems in Polen, der Errichtung der entsprechenden Infrastruktur und im gleichen Atemzug wegen des Herausnehmens des Stützpunktes aus der Kontrolle durch die polnischen Behörden. Damals beriefen sich die USA und die Nato auf mythische iranische Raketen, dazu noch mit Nukleargefechtsköpfen, und nutzten das als Argument aus.
Es leuchtet ein, dass solche Argumente heute, ganz besonders unter den Bedingungen, da die Verhandlungen der internationalen Gemeinschaft mit Teheran aktiviert werden, bereits nicht mehr gelten. Auch Moskaus Drohung, die Stationierung amerikanischer Batterien in Polen adäquat zu erwidern, wird wohl gewirkt haben. Aber das strategische Ziel der militärischen Umfassung der westlichen Grenzen Russlands ist von der Tagesordnung der Allianz nicht gestrichen worden. Und nunmehr wird für seine Begründung die Lage in der Ukraine genutzt, in einem Land, das kein Nato-Mitgliedsstaat ist, auf den sich die Gültigkeit des Artikels fünf der Nordatlantischen Charta über die kollektive Verteidigung beziehen würde.
Zu alledem braucht man wohl kaum daran zu zweifeln, dass gerade die künftige militärische Infrastruktur in Stettin zu einem Bestandteil des schiffgestützten Raketenabwehrsystem Aegis werden kann, das die USA entlang der Seegrenzen Russlands zu entfalten gedenken. Von diesem Standpunkt aus betrachtet schaffen die Handlungen Washingtons objektiv einen gefährlichen Herd militärischer Spannung. Darauf verwies Wladimir Jewsejew, Direktor des Zentrums für gesellschaftspolitische Studien, in einem Gespräch mit der STIMME RUSSLANDS:
„In der Situation, die sich nun herausgebildet hat, muss Russland die Frage danach aufwerfen, dass der Wirkungsbereich der Schiffe, welche mit dem Aegis-System ausgestattet worden sind, eingeschränkt wird. Daher kann die Präsenz von Schiffen mit diesem System in nördlichen Meeren keinesfalls erklärt werden.“
Man sollte auch daran erinnern, dass sich Polen in den letzten Jahren bereits im Epizentrum eines internationalen Skandals sah, der durch sein Streben danach ausgelöst worden war, die Interessen der USA maximal zu „bedienen“. Kurz davor hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Polen im Fall „Geheimgefängnis der CIA“ auf seinem Territorium für schuldig befunden. Das Gericht stellte fest, dass Polens Behörden die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt haben.