Stimmungsmache gegen Muslime
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19.01.2015 / Ansichten / Seite 8Inhalt
Stimmungsmache gegen Muslime
Ganz dünner Lack
Von Knut Mellenthin
Nicht alle Medien des deutschen Mainstream, nicht alle deutschen Journalisten, aber doch sehr viele haben jahrelang Vorurteile gegen den Islam und gläubige Muslime verbreitet und bedient. Aber seit Beginn der Dresdner Pegida-Aufmärsche im Oktober bilden sie zusammen mit den Politikern der staatstragenden Parteien eine fast komplett geschlossene Empörungsfront. Wie dünn der frisch aufgetragene Lack ist, zeigt sich dennoch immer wieder.
Spiegel online zum Beispiel brachte es am Freitag abend fertig, unter der Überschrift »In der islamischen Welt entlädt sich die Wut über Charlie Hebdo« in einem einzigen Artikel drei Themen, die genau betrachtet wenig miteinander zu tun haben, zu einem muslimfeindlichen Brei zusammenzurühren. Da waren erstens die größenmäßig marginalen Proteste in einigen Ländern gegen die neuen Mohammed-Karikaturen des französischen Satiremagazins, zweitens koordinierte Festnahmen mutmaßlich islamischer Fundamentalisten in mehreren europäischen Staaten und schließlich, drittens, die Koordinierung der »Antiterrorstrategie« zwischen den USA und Großbritannien. Gemeint war die militärische Bekämpfung des im Irak und in Syrien aktiven »Islamischen Staats«.
Während einiger der Proteste, so in Pakistan und in Niger, war es zu Gewalttätigkeiten gekommen, die von Spiegel online und den meisten anderen deutschen Medien mit spektakulären Fotos in den Vordergrund geschoben wurden. Dagegen verblasste, dass sich an den Krawallen nur wenige hundert Menschen beteiligt hatten. So zum Beispiel gerade mal 200 in der pakistanischen Hafenstadt Karatschi, die mehr als 20 Millionen Einwohner hat. In der nordafrikanischen Hauptstadt Algier – ungefähr 2,2 Millionen Einwohner allein im Kerngebiet – zogen maximal 3.000 Demonstranten durch die Straßen. Im jordanischen Amman, das ähnlich viele Einwohner hat, beteiligten sich 2.000 Menschen an den Protesten. Die riesige Mehrheit der mehr als 1,5 Milliarden Muslime ist weit davon entfernt, bei jedem Ärger über eine Beleidigung ihres Propheten »unvorhersehbare Reaktionen« an den Tag zu legen, wie es der chronische Aufhetzer Henryk Broder schon 2006 in seinem Buch »Hurra, wir kapitulieren« behauptete.
Auch die Verhaftungswelle in Frankreich, Deutschland, Belgien und anderen Ländern diente hauptsächlich der Propaganda. Festgenommen wurden fast ausschließlich alte Bekannte der Polizei und der Geheimdienste, gegen die außer radikalen Äußerungen im Internet nichts Konkretes vorliegt. Zu den staatlichen Methoden gehört es, diese Kreise immer wieder durch Polizeiaktionen »aufzumischen« und zu verunsichern. Nur geschieht das in der Regel nicht in so vielen Ländern gleichzeitig und mit einem so enormen PR-Aufwand. Zur Verbesserung der Statistik wurde in Österreich sogar ein Vierzehnjähriger festgenommen, der wiederholt durch starke Sprüche auffiel und im Oktober schon einmal in Haft war.