Systematisch vertuscht: CSU- Oktoberfestattentat
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10.11.2015 / Thema / Seite 12
Systematisch vertuscht
Der bayerische CSU-Staat sorgte in Kooperation mit dem BND dafür, dass mögliche Drahtzieher des Oktoberfestattentats nie behelligt wurden
Bernhard Schindlbeck und Reinhard Jellen
Der Bombenanschlag auf das Oktoberfest am 26. September 1980, bei dem 13 Menschen starben und über 200 zum Teil schwer verletzt wurden, ist das blutigste Attentat in der Geschichte der Bundesrepublik. Obwohl sich zahlreiche Zeugen gemeldet hatten, die neben dem rasch identifizierten Gundolf Köhler mehrere Mittäter beschreiben konnten, wurde das Verbrechen bald offiziell als das Werk eines Einzelnen dargestellt. Obgleich klar war, dass Köhler über zahlreiche und weitgehende Kontakte zu rechtsextremen Kreisen wie der »Wehrsportgruppe Hoffmann« (WSG) verfügte und es einen dezidierten Hinweis auf den Neonazi Heinz Lembke als möglichen Lieferanten des Sprengstoffs gab, wurde das Massaker als Verbrechen eines unpolitischen Geologiestudenten hingestellt. Indizien, die andere Schlüsse zuließen, wurden geflissentlich ignoriert, so dass man durchaus von einer systematischen Vertuschung sprechen kann, die noch immer betrieben wird. Dafür spricht die Weigerung der Bundesregierung vom Frühjahr dieses Jahres, Informationen über damalige V-Leute preiszugeben, die zur Aufklärung des Verbrechens beitragen oder womöglich sogar eine Verwicklung des Verfassungsschutzes mit den Ereignissen aufzeigen könnten. Das gilt auch nach Wiederaufnahme der Ermittlungen.
Seither hat sich die Aussage einer Zeugin als falsch erwiesen, darüber hinaus ist aber über den Stand der Ermittlung nichts bekannt. Der Journalist Ulrich Chaussy hat jedoch einen Polizisten ausfindig machen können, der am Tag des Anschlags ein Handfragment sicherstellte, das weder dem Täter noch einem der registrierten Opfer zugeordnet werden konnte. Dieses ist mitsamt den entsprechenden Akten aus der TU München verschwunden. Der Opferanwalt Werner Dietrich kämpft weiter darum, dass den neu ermittelnden Behörden auch alle Akten der bundesdeutschen Geheimdienste vollständig und ungeschwärzt zugänglich gemacht werden. Da die Bundesregierung dem bislang nicht entsprochen hat, bleibt die Frage offen, ob sie damit tatsächlich nur V-Leute schützen möchte, oder ob die Öffentlichkeit über weitergehende Kenntnisse der Geheimdienste im Vorfeld des Anschlags oder sogar eine mögliche Involvierung von Geheimdienstmitarbeitern in Unwissenheit gelassen werden soll.
Die Vertuschungen begannen bereits mit den Ermittlungen am Tag nach dem Anschlag, als der Name Köhlers, nachdem seine Täterschaft klar war, sofort der Öffentlichkeit bekanntgegeben wurde und dadurch mögliche Mittäter über den Stand der Ermittlungen informiert wurden. Der Hauptzeuge Frank Lauterjung, der mehrere junge Männer am Tatort beobachtet hatte, hatten vernehmende Beamten so lange bearbeitet, bis er diese Aussage revidierte. Der Frage, woher Köhler die 1,5 Kilogramm hochexplosives TNT und den Zündmechanismus hatte, ist nie ernsthaft nachgegangen worden, genauso wenig wie der möglichen Verbindung zum neonazistischen Waffenlagerverwalter Lembke. An möglichen Beziehungen des Täters zum Rechtsextremismus zeigten die ermittelnden Behörden ein denkbar geringes Interesse. Warum?
Keine Verbotsabsicht
Heute ist zumindest erwiesen, dass die CSU jahrelang ihre schützende Hand über die neofaschistische »Wehrsportgruppe Hoffmann« (WSG)gehalten hat, zu der Köhler intensive Kontakte hatte und die der Staat lange vor dem Anschlag problemlos hätte verbieten können. Der Nachweis findet sich in den Antworten der bayerischen Innenminister auf seit 1974 von Abgeordneten gestellte Anfragen zur WSG, die sich in den Landtagsprotokollen nachlesen lassen.
Die erste Stellungnahme von der bayerischen Landesregierung zu einem möglichen Verbot der WSG forderte am 14. März 1974 der SPD-Abgeordnete Alfred Sommer ein. In seiner Antwort verwies der damalige Innenminister Bruno Merk darauf, dass gemäß Vereinsrecht ein Verbot nur möglich sei, wenn festgestellt sei, dass sich ein Verein »gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet« oder wenn »seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen«.1 Dabei suggerierte Merk, dass beides bei der WSG nicht der Fall sei. In Wirklichkeit waren jedoch von Anfang an deren Antisemitismus und antidemokratische Gesinnung sowie die Hitlerverehrung nicht zu übersehen.
In einer Anfrage des SPD-Abgeordneten Helmut Geys vom 17. Mai 1977 ging es um die Waffen und die militärische Ausrüstung, die Zahl der Mitglieder, die Finanzierung und wieder um ein mögliches Verbot der Gruppe. Geys bezog sich auf Angaben der antifaschistischen Wochenzeitschrift Die Tat, in der es hieß, die Anschaffungs- und Unterhaltungskosten des Materials für die Wehrsportgruppe gingen in die Hunderttausende. Der seinerzeit amtierende Innenminister Alfred Seidl hielt in seiner Antwort2 diese Größenordnung für »weit überzogen«. Auf den in der Anfrage enthaltenen Hinweis auf die »weitverzweigten Verbindungen zum internationalen Faschismus« ging er überhaupt nicht ein. Allerdings zitierte er aus dem »Verfassungsschutzbericht Bayern 1976«, wo es heißt: »Karl-Heinz Hoffmann selbst bezeichnet sich als einen Gegner jeder Spielart demokratischer Ordnungen.« Überdies verwies Seidl auf zwei Verstöße Hoffmanns gegen das Uniformverbot (wobei in einem Fall schon eine rechtskräftige Verurteilung zu 100 Tagessätzen à 80 DM ergangen war) und auf eine Massenschlägerei in Tübingen im Dezember 1976, bei der Hoffmann und seine Leute sechs demonstrierende Studenten krankenhausreif geschlagen hatten. Außerdem gab er an, dass »Verfahren wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz eingeleitet worden« wären. Nichtsdestotrotz kam er anschließend zu dem überraschenden Fazit, »dass für ein Verbot noch keine ausreichenden Gründe vorhanden sind«.
Seidl hob in diesem Zusammenhang hervor, dass »besonders die geringe Zahl der Mitglieder von Bedeutung ist«, die auf 50 Personen geschätzt wurde. Zwei Jahre später, am 7. März 1979, wurde in der Antwort auf eine Anfrage von den SPD-Abgeordneten Günter Wirth und Rolf Langenberger nach den Finanzierungsquellen der WSG allerdings deren Unterstützerszene mit »etwa 400 Personen« angegeben, wobei der deutliche und schnelle Anstieg der Mitgliederzahl binnen 22 Monaten der CSU-Landesregierung offenkundig kein Anlass war, die WSG zu verbieten.
Polizei drückt beide Augen zu
Die in diesem Punkt aufschlussreichste Antwort gab am 12. März 1979 der damalige Innenminister Gerold Tandler3 auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Karl-Heinz Hiersemann, der sich konkret nach einer Geländeübung zwischen dem 12. und 14. Januar 1979 erkundigte. Tandler gab in dem Schreiben an, dass »die Sicherheitsbehörden (…) die ›Übung‹ in geeigneter Weise« überwachten. Der Innenminister führte weiter aus, dass das Kampftraining »überwiegend im Hof des Schlosses Ermreuth«, Wohnsitz des Wehrsportgruppenanführers Hoffmann, abgehalten wurde, fügte aber sogleich hinzu, »auch in der unmittelbaren Umgebung von Ermreuth fanden gelegentlich kleinere ›Übungen‹ statt. (…) Auch kleinere ›Orientierungsmärsche‹ wurden verzeichnet.« Im Klartext bedeutet das, dass außerhalb des privaten Geländes von Hoffmann gegen das Uniformverbot verstoßen wurde, die Polizei jedoch ein Auge zudrückte. Auf die Frage nach rechtlichen Möglichkeiten, um solcherlei Aktivitäten zu unterbinden, antwortete Tandler: »Wenn sich eine Vereinigung an die allgemeinen gesetzlichen Regelungen, wie zum Beispiel das Uniformverbot – wobei aber das Uniformverbot des Paragraphen 3 des Versammlungsgesetzes nur für das Tragen in der Öffentlichkeit oder in einer Versammlung gilt –, das Waffengesetz, das Naturschutzgesetz, die Straßenverkehrsordnung usw. hält, kann die Abhaltung zu ›Wehrsportübungen‹ nicht unterbunden werden. Der ›Wehrsport‹ selbst ist nicht strafbar.« Diese Replik spiegelt vor, dass Hoffmann aus rechtlicher Sicht nichts vorzuwerfen sei, obwohl Tandler einige Zeilen zuvor implizit genau das Gegenteil eingeräumt hatte. Bereits am 12. Juli 1977 hatte Alfred Seidl auf die Anfrage von Helmut Geys zugeben müssen, dass bei einem Vorfall auf der Autobahn Nürnberg–München im Februar 1977 Mitglieder der WSG »in voller Uniform und Ausrüstung auf dem Weg in ein ›Manöver‹ vorläufig festgenommen und verschiedene Waffen sowie sämtliche Uniformen beschlagnahmt wurden«.4
Im Verfassungsschutzbericht desselben Jahres, von dem Tandler als Landesinnenminister Kenntnis haben musste, hieß es: »Trotz einer rechtskräftigen Verurteilung zu DM 8.000 Geldstrafe wegen Verstoßes gegen das Uniformverbot übte Hoffmann auch 1977 wiederholt uniformiert im Gelände.«5 Ferner verschwieg Tandler die Tatsache, dass gegen den heute 78jährigen zum Zeitpunkt der Antwort bereits eine Reihe von Ermittlungsverfahren eingeleitet worden und einige rechtskräftige Verurteilungen ergangen waren. Hoffmanns Vorstrafenregister (Geld- und Haftstrafen auf Bewährung wegen unerlaubten Waffenbesitzes, Geldfälschung, Körperverletzung und Verstoß gegen das Uniformverbot) wurde von ihm einfach übergangen.
Auf die Frage, weshalb die CSU unter Franz Josef Strauß so lange nichts von einem Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann wissen wollte, sind nur Vermutungen möglich. Manchmal wird gemutmaßt, dass die WSG zu den »Stay-Behind-Strukturen« von BND und NATO, also zu Gladio gehörte, aber es gibt dafür bislang keine Belege. Gesichert ist jedoch die Strategie der CSU, den äußersten rechten Rand der Gesellschaft ideologisch zu bedienen, angeblich mit dem Ziel, dass rechts von CDU und CSU keine »demokratisch legitimierte« Partei entstehe, soll heißen, dass keine rechtsextreme Partei in die Landtage oder in den Bundestag gewählt werde. Gleichwohl existierten Verflechtungen der CSU und ihres Vorsitzenden Strauß mit rechtsextremen und faschistischen, auch terroristischen Gruppen in Europa: Am 25. Februar 1980 berichtete Der Spiegel über persönlich überbrachte finanzielle Zuwendungen von Strauß an spanische, portugiesische und türkische ultrarechte und faschistische Parteien oder Gruppen und deren Anführer; die Quittungen dafür wurden im Faksimile abgedruckt. Im Jahr 2000 berichteten Egmont Koch und Oliver Schröm in einem Beitrag für die ZDF-Sendung »Kennzeichen D«, wie Strauß mittels der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung rechte Terrorgruppen in Italien um den BND-Mitarbeiter Guido Giannettini, den Mussolini-Parteigänger Mario Tedeschi und den Terrordrahtzieher Stefano delle Chiaie finanziell unterstützte. Auf deren Konto gingen unter anderem die Anschläge in Mailand im Jahr 1969 und 1980 in Bologna, die in der Öffentlichkeit als Attentate linker Terroristen ausgegeben wurden. Diese »Strategie der Spannung« wurde von Strauß schon 1975 in seiner berüchtigten Sonthofen-Rede propagiert. Die Taktik, am rechten Rand durch ideologische Bedienung von Ressentiments bei Wahlen die Stimmen des ultrarechten und faschistoiden Potentials abzuschöpfen, um angeblich solche Parteien nicht in die Parlamente kommen zu lassen und gleichzeitig den rechten Terror zu finanzieren, der den Linken in die Schuhe geschoben werden sollte, wäre durchaus rational gewesen. Erst in der Woche nach dem Oktoberfestattentat wurde klar, dass diese Taktik so kurz vor der Bundestagswahl Strauß den Sieg kosten könnte.
Was wusste der BND?
Im Zusammenhang mit den Vertuschungen beim Oktoberfestattentat ist es weiterhin interessant, die Verbindungen der Strauß-CSU mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) zu untersuchen. Eine wichtige Scharnierfunktion innerhalb der CSU-BND-Seilschaft übte Hans Langemann aus. Dieser, seit 1957 beim BND, kam 1973 als Leiter der Staatsschutzabteilung in das Bayerische Innenministerium. Hier saß also ein Mann mit geheimdienstlichem Knowhow an einer wichtigen Schaltstelle des Freistaats, von dem angenommen werden darf, dass ihm mit Antritt seiner neuen Stelle nicht sämtliche BND-Kontakte verlustig gingen. Langemann versorgte während seiner Amtszeit je nach Interessenlage der Landesregierung Journalisten der Illustrierten Quick mit Informationen (bzw. mit gezielten Falschmeldungen). Dies tat er auch, als sich binnen kurzer Zeit herausstellte, dass es sich bei dem Attentäter Gundolf Köhler um einen Rechtsradikalen aus dem Umfeld Hoffmanns handelte. Anstatt sofort eine Nachrichtensperre zu verhängen, gab er diese Kenntnisse über den Attentäter an Quick-Autoren weiter, die unverzüglich nach Donaueschingen, den Heimatort Köhlers, fuhren und dort noch vor der Polizei recherchierten. Etwaige Mitattentäter waren also gewarnt und hatten somit Zeit, abzutauchen oder gegebenenfalls ihre Aussagen untereinander abzusprechen.
Warum ging Langemann für die ermittelnden Behörden so desaströs ungeschickt vor? Er erkannte vermutlich, dass das Attentat mit rechtsradikalen Drahtziehern nicht nur Strauß in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs 1980, sondern auch dem BND gehörig auf die Füße fallen und schweren Schaden anrichten könnte. Schließlich hatte Strauß den damaligen Bundesinnenminister Gerhart Baum wegen seines WSG-Verbots im Januar 1980 angegriffen und Hoffmann und seine Truppe verharmlost: »Mein Gott, wenn ein Mann sich vergnügen will, indem er am Sonntag auf dem Land mit einem mit Koppel geschlossenen Battle Dress spazierengeht, dann soll man ihn in Ruhe lassen.«6 Als der bayrische Ministerpräsident unmittelbar nach dem Attentat versuchte, Baum für den vermeintlich linksradikalen Anschlag verantwortlich zu machen, musste verhindert werden, dass Köhler der Öffentlichkeit als Mitglied eines neofaschistischen Netzwerks präsentiert wurde.
Dieses wäre vor allem auch für den Verfassungsschutz heikel geworden, weil es mit Axel Heinzmann, Odfried Hepp und Walter Ulrich Behle gleich mehrere Wehrsportgruppler gab, die als VS-Spitzel tätig waren. Wenn hier bekannt geworden wäre, dass ein WSG-Mitglied am Oktoberfestattentat beteiligt war, ohne dass der Verfassungsschutz den Anschlag zu verhindern versuchte, wäre das für die Behörde eine peinliche Angelegenheit geworden. Möglicherweise hätte die Öffentlichkeit am Ende sogar erfahren, dass der Verfassungsschutz Wind von der Sache bekommen hatte und nichts dagegen unternahm, weil ein den Linken in die Schuhe geschobenes Bombenattentat für Strauß eine wichtige Hilfe im Wahlkampf hätte werden können.
An diesem Punkt noch einmal O-Töne des bayerischen Innenministers auf Anfragen zur Wehrsportgruppe Hoffmann. Am 24. November 1981 entgegnete Gerold Tandler auf eine Nachfrage des CSU-Landtagsabgeordneten Adolf Beck, ob die Staatsregierung oder der BND Kenntnis davon hatten, dass die WSG zu ihrer Finanzierung Lastkraftwagen an die PLO im Libanon verkaufte: »Vor dem Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann sind keine Kenntnisse über die Kfz-Geschäfte (…) der Wehrsportgruppe angefallen. Ein Kfz-Transport in den Nahen Osten, den Angehörige der Wehrsportgruppe Hoffmann durchführten, wurde erstmals im Juli 1980 bekannt. Ein weiterer Transport wurde am 27. September 1980 von der Bayerischen Grenzpolizei vor der Ausreise nach Österreich festgehalten.«7
An dieser Aussage ist bemerkenswert, dass Tandler mit keinem Wort auf die Erkenntnisse des BND über diese KfZ-Geschäfte eingeht. Der Grund könnte durchaus darin zu suchen sein, dass der BND Karl-Heinz Hoffmann überhaupt erst auf die Idee gebracht haben könnte, ausgemusterte Bundeswehr-Fahrzeuge in den Nahen Osten zu überführen. Laut dem Buch »Mauss. Ein deutscher Agent« von Stefan Aust, damals Chef des Spiegel-TV-Magazins, über den Privatdetektiv und freien BND-Mitarbeiter Werner Mauss hatte dieser nämlich im August 1979 einen Werkvertrag mit dem BND abgeschlossen. Er wollte die nicht besonders umfangreichen Kenntnisse des BND über die Tätigkeiten der PLO im Nahen Osten dadurch auffrischen, dass er den Neonazi Udo Albrecht mit der Geschäftsidee, ausrangierte Armeefahrzeuge gewinnbringend in den Libanon zu verkaufen, zu WSG-Hoffmann schickte. Als Gegenleistung sollte Albrecht ihn mit politischen und wirtschaftlichen Informationen aus der Region versorgen. Für den Transport geeignete Mitarbeiter wurden in der Wehrsportgruppe Hoffmann gefunden: »Der Neonazi bot Albrecht junge Leute an, die für ihn Anfang 1980 die ersten Transporte durchführten.«8 Es waren also bereits im März und im Mai 1980 die ersten Transporte erfolgt, wie in Rainer Fromms Buch »Die ›Wehrsportgruppe Hoffmann‹« nachzulesen ist, und nicht erst, wie Innenminister Tandler ausführt, im Juli 1980. Dieser ging in seiner Antwort auf Becks Frage, ob die Bayerische Staatsregierung Erkenntnisse darüber habe, wohin das Bundeswehr-Gerät von der WSG »verkauft worden sind und ob der Bundesnachrichtendienst von solchen Geschäften Kenntnis hatte« mit keinem Wort ein.9 Ein solches Schweigen kann als ein Ja gewertet werden.
Es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass der BND durch die engen Kontakte mit der WSG möglicherweise Einsicht in andere Pläne der Gruppe gehabt haben könnte. Schließlich ist aus einem Bericht des Stern vom März 1984 bekannt, dass eine Woche vor dem Anschlag ein Treffen von Sicherheitskräften im Münchener Arabella-Hotel stattgefunden hat, bei dem ein bevorstehender Anschlag thematisiert wurde. Aus von dem Journalisten Tobias von Heymann ausgewerteten Akten des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit geht hervor, dass Verfassungsschützer aus verschiedenen Bundesländern in einer groß angelegten Aktion den Konvoi der Wehrsportgruppe Hoffmann ab dem Morgen des 26. September 1980, dem Tag des Oktoberfestattentats, intensiv beobachteten.10 Eine Antwort, warum der Verfassungsschutz ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt die WSG aufwendig observierte, steht noch aus.
Es gibt es noch einen weiteren BND-Zusammenhang: Die Ermittlungen zum Oktoberfestattentat wurden von der Bundesanwaltschaft im Oktober 1982 eingestellt. Zu dem Zeitpunkt wurde Klaus Kinkel – der ehemalige Chef des BND, in dessen Amtszeit Werner Mauss für den Nachrichtendienst gearbeitet und die Verbindung zur WSG und deren Kontakte zur PLO eingefädelt hatte – Staatssekretär im Justizministerium. Und der Justizminister ist der Vorgesetzte des Generalbundesanwalts.
Anmerkungen
1 Bayerischer Landtag, Drucksache 7/6634
2 Bayerischer Landtag, Drucksache 8/5905
3 Bayerischer Landtag, Drucksache 9/1051
4 Bayerischer Landtag, Drucksache 8/5905
5 Verfassungsschutzbericht 1977, hg. vom Bundesminister des Innern. Bonn 1978, S. 44
6 Der Spiegel, Nr. 30/1982, S. 34
7 Bayerischer Landtag, Drucksache 9/10349
8 Stefan Aust: Mauss. Ein deutscher Agent. München 1998, S. 279
9 Rainer Fromm: Die »Wehrsportgruppe Hoffmann«. Frankfurt am Main 1998, S. 444
10 Tobias von Heymann: Die Oktoberfestbombe. Berlin 2010, S. 133–136
Bernhard Schindlbeck ist Lehrer an einem Münchner Gymnasium, Reinhard Jellen freier Journalist.