Täuschung der Bevölkerung in Frage Bankenregulierung
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20.05.2010 / Kapital & Arbeit / Seite 2
»Spekulanten sind vom Prinzip her asozial«
Die Regierungsbeschlüsse zur Finanzmarktkontrolle sind ohne praktischen Wert. Ein Gespräch mit Rudolf Hickel
Interview: Ralf WurzbacherRudolf Hickel ist Professor für Finanzwirtschaft und Forschungsleiter Finanzpolitik am Institut für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen
Die Bundesregierung spielt sich neuerdings als »großer Finanzmarktregulierer« auf, bringt strengere Regeln für Hedgefonds auf den Weg, erwägt Steuern auf Finanzgeschäfte und läßt ab sofort ungedeckte Leerverkäufe im Inland verbieten. Wie ernst nehmen Sie das alles?
Die plötzlichen Reaktionen überraschen mich schon, gleichwohl habe ich größte Zweifel, daß sich damit eine grundlegende Wende hin zur ökonomischen Vernunft abzeichnet. Hintergrund dürfte vor allem die Abstimmung des Bundestages am Freitag über das Euro-Rettungspakt über 750 Milliarden Euro sein.
Man will also die Opposition ins Boot holen?
Eindeutig. Aber selbst innerhalb der CDU/CSU-Fraktion ist man inzwischen der Überzeugung, daß es der Bevölkerung nicht länger zu verkaufen ist, die Krisenfolgen nur auf die einfachen Bürger abzuwälzen, während die Verursacher weitermachen können wie bisher. Bleibt nur die Frage, wie weit die Regierung wirklich gehen will. Mit seinen Äußerungen, daß stärkere Regulierungen nur auf internationaler Ebene Sinn machten, weil andernfalls europäische Börsenplätze bedroht wären, hat der Finanzminister schon mal vorab sein Rückzugsgebiet abgesteckt. Im Moment jedenfalls sind die Ankündigungen noch ohne jeden praktischen Wert.
Alles nur Symbolpolitik?
Ich würde sagen, alles nur Taktik, zumindest solange noch gar nichts entschieden ist und dem Volk nur eine Beruhigungspille verabreicht wird. Herausnehmen will ich dabei allerdings das Verbot ungedeckter Leerverkäufe, das hat mich wirklich positiv überrascht. Man darf sich nicht der vielfach gehegten Illusion hingeben, daß eine Finanztransaktionssteuer das Allheilmittel wäre. So eine Abgabe macht nur Sinn, wenn zugleich die schlimmsten Spekulationsgeschäfte verboten oder mindestens eingeschränkt werden. Es wäre blanker Zynismus, die schäbigsten Instrumente wie etwa Kreditversicherungen zuzulassen, bloß um als Staat daran mitzuverdienen.
Gleichwohl heißen Sie die diskutierte Finanztransaktionssteuer gut?
Natürlich, sofern sie richtig ausgestaltet ist. Mich beschleicht aber das Gefühl, daß die Regierung diese gar nicht will und deshalb als Alternative die Finanzaktivitätssteuer ins Spiel bringt. Die hat der Internationale Währungsfonds vorgeschlagen, sie verspricht aber viel geringere Erträge. Wir brauchen in Deutschland einen Vorratsbeschluß des Bundestages – ähnlich dem in Österreich –, daß die Finanztransaktionssteuer notfalls auch im Alleingang durchzusetzen ist und zudem flankiert wird mit weitgehenden Regulierungsmaßnahmen.
Regt eine Finanztransaktionssteuer im Umfang der angedachten 0,01 bis 0,05 Prozent zu soliderem Wirtschaften an?
Der von der Regierung vorgeschlagene Mechanismus würde einzig die kurzfristigen, hochspekulativen krisentreibenden und nicht die längerfristigen Geschäfte betreffen. Das greift aber viel zu kurz, weil allein durch eine Besteuerung die zerstörerisch wirkenden Spekulationsgeschäfte nicht aufhören werden. Ordnungspolitisch kommt man nur weiter, wenn man Verbote ausspricht. Man kann nicht auf die rationale Einsicht von Spekulanten hoffen, die sind vom Prinzip her asozial.
Könnte der Aktionismus der Regierung auch damit zusammenhängen, daß sich neues ökonomisches Unheil zusammenbraut, von dem die Öffentlichkeit noch gar nichts weiß?
Zumindest verfügte die Regierung wohl über Informationen, daß die Hedgefonds massiv mit Leerverkäufen gegen den Euro spekulieren wollten, und deshalb hat sie präventiv die Reißleine gezogen. Die Reaktion war klar, der Euro wird massiv abgestraft und stürzt ab – aber das ist auszuhalten und wird nicht ewig so weitergehen.
Ist es richtig, daß sich in den USA bei den Büroimmobilien ein ähnlicher Crash wie beim Geschäft mit Eigenheimhypotheken anbahnt?
In den USA wurden Gewerbeimmobilien im großen Stil gebaut, die nicht annähernd ausgelastet sind. Das Hauptproblem ist dabei, daß diese mit denselben Schreckensinstrumenten finanziert wurden, die schon die Hypothekenkrise ausgelöst haben. Hier droht in der Tat eine zweite riesige Immobilienkrise, die auch wieder massiv auf Europa durchschlagen wird.