Traum und Deutung
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05.05.2011 / Feuilleton / Seite 13
Traum und Deutung
Von Wiglaf Droste
In der Nacht vom 3. auf den 4.Mai träumte ich, ein Spezialkommando, dem ich
angehörte, hätte den ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und den
ehemaligen Außenminister Joseph Fischer überfallen, erschossen und nach
christlicher Tradition auf See bestattet. Schröders Leichnam hatten wir mit
einem Marmorblock beschwert, in den wir zuvor die Inschriften »Gazprom«,
»Chefsache« und »Hol mir mal ‘ne Flasche Bier« graviert hatten. Fischer
hatten wir ein riesiges Herz aus Granit um den Hals gehängt, das jenen
Lebkuchenprodukten nachempfunden war, die man auf der Kirmes bekommt; die
Aufschrift lautete »Mutti’s Bester! Nie wieder Auschwitz! Bombardiert
Serbien!« Ein Hufeisen hatten wir ihm noch in die Hand gedrückt, dann hieß
es: Und Jimmy ging zum Meeresboden.
Schweißnaß und schwer durcheinander wachte ich auf und klamüserte erst mal
auseinander, was ich geträumt hatte. Man kann seinen Träumen ja nicht
reinreden – aber wieso denn Schröder und Fischer? Es waren doch Merkel und
Westerwelle, die mich mit ihrem bei Fuß stehenden, schweifwedelnden
»Gratuliere!« und »Eine gute Nachricht!« anwiderten, mit ihrem »Fuchs tot!
Fuchs tot!«-Halali. Osama bin Laden weine ich nicht nach, aber der
reflexhafte Anflanschjubel der kratzfüßigen Konfirmationsgratulanten war
abstoßend.
Dann fiel mir wieder ein, daß ich am 3. Mai auf Zeit online Jörg Lau gelesen
hatte. Mit den Fragen »Wie kann man darüber keine Freude empfinden? Wie kann
man darüber nicht jubeln?« hatte sich der Journalist über die wenigen
Kommentare empört, die nicht ins allgemeine Hurra!-Geschrei einstimmten. Lau
monierte den »eitlen Appell an die zivilisierten Gefühle« wie auch das
»Herunterreden des Erfolgs von fast einem Jahrzehnt Geheimdienstarbeit« und
behauptete: »Aus Guantánamo kamen offenbar wichtige Hinweise.« Das Wort
»offenbar« offenbart in diesem Fall nur, daß er es nicht weiß, impliziert
aber: Wenn Folter einem höheren Zweck dient, möge bitte niemand mehr
kleinkariert an zivilisatorische Standards erinnern, das ist dann nämlich
»eitel«.
Das Geschäft von Jörg Lau heißt freiwillig eingebetteter Journalismus. Er
beherrscht es schon lange. Als die rot-grüne Koalition unter Schröder und
Fischer an die Macht kam, schwärmte Lau, nun seien endlich die richtigen
Leute »am Drücker« – was ja bedeutet, den Finger am Abzug zu haben. Rot-Grün
schürte und führte den Krieg gegen Serbien, ohne die mediale Multiplizierung
der »Nie wieder Auschwitz!«-Erpressung und der »Hufeisenplan«-Erfindung wäre
das nicht möglich gewesen.
Soldaten sind bloß Mörder im Wartestand; erst eine gewisse Sorte
Journalisten aber schickt sie los.