Tricks der Geheimdienste, schwarze Propaganda, Militärhellseherei, den NSA-Skandal und den Fall Uwe Barschel
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Junge Welt, 08.03.2014
»Internet kann Deutungshoheit von Regierungen relativieren«
Gespräch mit Markus Kompa. Über die Tricks der Geheimdienste, schwarze Propaganda, Militärhellseherei, den NSA-Skandal und den Fall Uwe Barschel
Reinhard Jellen
Der Rechtsanwalt und Journalist Markus Kompa hat das Buch »Cold War Leaks. Geheimnisvolles und Geheimdienstliches aus dem Kalten Krieg« (Telepolis/Heise Zeitschriften Verlag, Hannover 2013, 388 Seiten, 4,99 Euro, E-Book) publiziert. Bei den Bundestagswahlen 2013 kandidierte er auf einem aussichtsreichen Listenplatz für die Piratenpartei in Nordrhein-Westfalen
Kritiker der Geheimdienstkritik denunzieren diese häufig als »Verschwörungstheorie«. Sie hingegen blicken in die Geschichte der CIA und bringen sie gar mit den Illusionskünsten von Zauberern des Varieté in Verbindung. Weshalb?
Ausgangspunkt meines Interesses an Geheimdiensten war vor einem Jahrzehnt die mir damals zufällig bekannt gewordene bizarre Geschichte des Zauberkünstlers John Mulholland, der 1954 im Auftrag der CIA Tricks unter anderem zum unauffälligen Vergiften entwickelte. Ich wollte wissen, was Geheimdienste wirklich tun, vor allem unter dem Aspekt der Täuschung, wobei ich noch auf einige weitere Geschichten mit Zaubererbezug gestoßen bin. Die trickreichen Techniken sind aber nur Kuriositäten am Rand, die im Geheimdienstalltag kaum eine Rolle spielen. Als Jurist irritierte mich, daß die eigentlich dem Recht verpflichteten Staaten rechtsbrechende Organisationen unterhalten und bisweilen sogar politischen Mord als Option ansehen. Mich faszinierte vor allem die Mentalität von Mulhollands Auftraggeber, dem CIA-Chef Allen W. Dulles, der sich für schmutzige Tricks und politische Täuschung begeisterte.
Da es in deutscher Sprache praktisch nichts zu Dulles gab, habe ich versucht, diese Lücke zu schließen. Bevor ich dieses Thema für mich entdeckte, hatte ich für eine Zauberkünstler-Fachzeitschrift biographische Artikel über kriminelle Trickser wie Falschspieler, scheinbare Hellseher und Taschendiebe geschrieben. Auf diesem skurrilen Weg bin ich überhaupt zum journalistischen Recherchieren und Schreiben gekommen.
Wie wichtig war und ist das Instrument der »schwarzen Propaganda« – also die Praxis, durch gezielte Fehlmeldungen in der Presse die öffentliche Meinung zu beeinflussen – für die Legitimation von Kriegen in der US-Außenpolitik?
Die eigentliche Kunst von Geheimdiensten besteht darin, zutreffende Informationen strategisch sinnvoll zu plazieren. Falschmünzerei birgt immer das Risiko, langfristig aufzufliegen und als Verursacher selbst politischen Schaden zu nehmen. Die Fälschungen etwa der Abteilung X des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) erfuhren zudem nur eine eher geringe Resonanz. Schwarze Propaganda spielt weniger bei der Irreführung von professionellen Gegnern als vielmehr gegenüber der eigenen Bevölkerung eine Rolle. Wenn man Kriege gegenüber den eigenen Leuten verkaufen will, muß man zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung Informationen selektiv präsentieren und den Gegner dämonisieren. Wie in Phillip Knightleys viel zu unbekanntem Buch »The First Casualty« (Das erste Opfer) nachzulesen ist, steht am Beginn praktisch jeden Kriegs eine faustdicke Lüge, zu der nicht selten auch Geheimdienste Inszenierungen beisteuern.
Der BND etwa lieferte für den Irak-Krieg jenen Asylbewerber »Curveball«, dessen Märchen von rollenden Labors genauso funktionierte wie ein Jahrzehnt zuvor die Brutkastenlüge von Kuwait. Die krassesten bekannt gewordenen Pläne zur Legitimation von Kriegen finden sich im Northwoods-Dokument von 1962. Die damals ultrarechten US-Generäle hatten zur Legitimation einer offiziellen militärischen Invasion auf Kuba vorgeschlagen, Attentate gegen US-Schiffe, -Flugzeuge oder -Städte vorzutäuschen oder unter falscher Flagge zu begehen, wobei man den Tod der eigenen Staatsangehörigen in Kauf nahm. Speziell dem kriegsunwilligen deutschen Publikum wurde 1999 die Beteiligung am Jugoslawien-Krieg mit dem angeblich drohenden »Hufeisenplan« schmackhaft gemacht, den Scharping entgegen der tatsächlichen Kenntnislage zu enthüllen vorgab. Der angebliche Plan Belgrads zur systematischen Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo entpuppte sich später als Propagandalüge. Kriege werden weniger wegen Menschenrechten als wegen Schürfrechten geführt. Ich habe hier die Hoffnung, daß das Internet die Deutungshoheit von Regierungen und unkritischen Medien relativiert.
Esoterik, Theosophie und Anthroposophie haben mit der Zeit Einzug in den US-amerikanischen Geheimdienst gehalten. Die CIA hat in den 80er Jahren sogar mit Telekinese und Hellseherei experimentiert. Mit welchem Resultat?
Das war eine tragikomische Lachnummer. Eine Handvoll »New Age«-begeisterter Soldaten hatte im Auftrag diverser US-Geheimdienste und Militärs eine Einheit zur Erforschung und zum Training von »Scientology«-ähnlichen Techniken gebildet. Man wollte durch Meditation Vorgänge an entfernten Orten herausfinden (»Remote Viewing«) und durch Konzentration das Herz von Gegnern zum Stillstand bringen. Das telekinetische Töten wurde am NSA-Standort Fort Meade im inzwischen berühmten »Ziegenlabor« getestet, wo angehende Militärärzte seit langem an Tieren trainieren. Sofern bei diesen parapsychologischen Experimenten tatsächlich Ziegen nach stundenlangem Anstarren gestorben sein sollten, hat vermutlich der Klügere nachgegeben. Die »Psychic Spies« wurden tatsächlich z.B. im Golfkrieg der 1990er Jahre eingesetzt, Präsident George Bush senior soll sich interessiert gezeigt haben.
Die Leistungen der Militärhellseher wurden allerdings erstmals nach zwei Jahrzehnten mit statistischen Methoden evaluiert. Da die Spökenkiekerei nicht erfolgreicher war, als man es bei Zufallstreffern erwartet hätte, wurde das »Stargate«-Programm beendet. Die abstrusen Vorgänge dienten als Vorlage für den Spielfilm »Männer, die auf Ziegen starren«, dessen erste Hälfte tatsächlich authentisch ist. Die Esoterik-Intelligence birgt allerdings gewisse Risiken durch Erzeugen von Desinformation, die wie alle Verschwörungstheorien eine Eigendynamik entfalten kann. So versuchten die Militärhellseher einmal, einen Alarm wegen eines vermuteten Atomangriffs auszulösen. Wäre derartiges etwa zum falschen Zeitpunkt unkritisch weitergeleitet worden, will man sich besser nicht ausmalen, was reaktionäre Entscheidungsträger aus dieser Information hätten machen können.
Wie war zu Zeiten des Faschismus die Verbindung zwischen dem US-Geheimdienst und den Nazis? Haben von diesen Erfahrungen später Stay-behind-Organisationen wie »Gladio« profitiert?
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es eine Verquickung von Nazis und Wallstreet-Industriellen, die mit Nazideutschland noch während des begonnenen Kriegs Geschäfte machten. Der neben Henry Ford bekannteste war der deswegen sogar verurteilte Prescott Bush, dessen Nachkommen später in die US-Politik gingen. Diese Industriellen waren am Aufbau des cowboyhaften Kriegsgeheimdienstes Office of Strategic Services (OSS) beteiligt, aus dessen Trümmern später die CIA aufgebaut wurde. Die Washingtoner OSS/CIA-Elite um den Wallstreet-Anwalt Allen Dulles legte später größten Wert darauf, daß ihre Naziverbindungen nicht untersucht würden.
Wie viele im US-Militär waren auch etliche OSS-Leute bereits während des Kriegs der Meinung, daß statt der Deutschen die Kommunisten der eigentliche Feind seien. In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs verhandelte OSS-Mann Dulles mit hohen Nazis über ein gemeinsames Vorgehen gegen Stalin, was manche als Keimzelle des Kalten Kriegs bewerten. Später kamen etliche hochbelastete Nazis in den westlichen Diensten unter.
Weil nach dem Krieg der Wiederaufbau einer deutschen Armee verboten war, warben alliierte Militärgeheimdienste durch heimlich gesteuerte Altnazis rechts eingestellte Personen an, um paramilitärische Strukturen zu schaffen. Das Ergebnis war neben offen auftretenden Neonazis auch das Stay-behind-Netzwerk, das im Falle einer sowjetischen Invasion den paramilitärischen Widerstand hätte organisieren sollen. Auch hierfür sprach man vorzugsweise ultrarechte Personen an. Deren Betreuung wurde später an den BND übergeben. Einschätzungen, inwiefern Stay behind auch während des Friedens etwa gegen Linksregierungen zum Einsatz kommen sollte, gehen auseinander. Vor allem in Italien waren an der dort »Gladio« genannten Stay-behind-Organisation bekannte Faschisten beteiligt, die etwa wegen Behinderung bei den Ermittlungen zum Bologna-Attentat von 1980 verurteilt wurden, das ursprünglich Linksterroristen zugeschrieben wurde.
Unklar ist nach wie vor, was die Dienste über das Münchner Oktoberfestattentat wissen. Der im Dunstkreis der Verdächtigten agierende Förster Heinz Lembke, der für Stay behind Waffenverstecke gewartet hatte und offenbar auspacken wollte, wurde im November 1981, einen Tag vor seiner Vernehmung, erhängt in seiner Gefängniszelle gefunden.
Auch während der griechischen Militärdiktatur scheinen die dortigen Stay-behind-Einheiten eine Rolle gespielt zu haben. Wie sieht es ansonsten mit Stay-behind-Organisationen in Europa aus?
Stay-behind-Einheiten wurden offenbar in allen NATO-Ländern aufgebaut. Mir wurde letztes Jahr ein Dokument geleakt, das sogar länderübergreifende Übungen belegt. Nach wie vor beobachte ich in Luxemburg den dort seit einem Jahr andauernden »Bombenleger«-Geheimdienstprozeß, bei dem eine offensichtlich mit Insiderwissen durchgeführte Anschlagsserie in den 1980er Jahren untersucht wird. Dabei kam unter anderem heraus, daß gesuchte Gladio-Faschisten offenbar unter CIA-Protektion in Luxemburg untertauchen konnten, inklusive Sozialversicherungsnummer. Prominenteste »Italo-Luxemburger« waren der Schattenmann Licio Gelli und der Rechtsterrorist Stefano Delle Chiaie. Wenn man nun hört, das letzterer von Franz Josef Strauß finanziert worden sein soll, hat man schon Mühe, den inneren Verschwörungstheoretiker im Zaum zu halten.
Wie haben die US- und britischen Geheimdienste im Zweiten Weltkrieg mit den Sowjets kooperiert?
Nicht sehr eng. Die angloamerikanischen Dienste haben ihrem zärtlich »Onkel Joe« genannten neuen Waffenbruder Stalin ihre wohl wichtigste Quelle verschwiegen, nämlich den Einbruch in die Nazichiffriermaschine »Enigma«. Hätten die Westalliierten ihr Wissen mit den Sowjets geteilt, wären diesen unnötige Verluste erspart geblieben. Statt dessen überließen sie den Russen die Hauptlast des Krieges im Osten, was nach Kriegsende zwei geschwächte Parteien zur Folge hatte. Die Erfolge beim Knacken der »Enigma« hielten die USA und die Krone auch Jahrzehnte später vor den Sowjets geheim, aber auch vor ihren deutschen Partnern. Unter sich gründeten sie mit Kanada, Australien und Neuseeland den heute noch bestehenden »Club der Five Eyes«, welcher die elektronische Aufklärung in engster Partnerschaft betreibt.
Wie im Zuge des NSA-Skandals offenbar wurde, hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg der US-Geheimdienst bei der Bespitzelung der deutschen Bevölkerung nicht um die Verfassung geschert. Wie souverän ist Deutschland?
Juristisch ist Deutschland seit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag souverän, was aber durch das NATO-Truppenstatut und die US-Lobby unterlaufen wird. Wenn Deutschland sich weigert, im eigenen Land »Freunde« zu überwachen, sich aber umgekehrt die Spionage der »Freunde« gegen die eigene Bevölkerung bieten läßt, ist das mit einem souveränen Staat im Grunde nicht zu vereinbaren. Nachdem im Sommer 2013 die »Verwaltungsvereinbarungen« von 1968 zum NATO-Truppenstatut, die der Historiker Josef Foschepoth erstmals einsehen durfte, aufgekündigt wurden, fehlen zwar die genaueren rechtlichen Bestimmungen zu demselben. Dennoch dürfen die vormaligen Westalliierten, soweit sie den Schutz ihrer Truppen in Deutschland reklamieren, geheimdienstlich nach wie vor tun und beanspruchen, was sie für erforderlich halten. Damit nicht genug: Das NATO-Truppenstatut, das den hiesigen Steuerzahlern die finanziellen Lasten für Militär auflädt, zwingt Deutschland, die US-Überwachung nicht nur zu dulden, sondern obendrein mit dreistelligen Millionenbeträgen zu finanzieren, wie etwa den Bau des neuen Schnüffelcenters in Wiesbaden. Ob die US-Regierung umgekehrt wohl bereit wäre, Deutschland ein derartiges Abhörcenter in Washington zu finanzieren?
Welchen Einfluß hatte die CIA auf die deutsche Politik und die Medien?
Egon Bahr hat einmal gesagt, jeder Kanzler sei ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der USA gewesen. In den Nachkriegsjahren förderte die CIA im ihr genehmen Spektrum befindliche Parteien und Organisationen auch finanziell, sogar linke Künstler, solange diese sich nicht zum Kommunismus bekannten. Bei jeder Parteineugründung inklusive der Grünen hatten sie Zuträger. Ich glaube aber, daß der eigentliche Einfluß weniger durch Geld als vielmehr dadurch erfolgte, daß karrierebewußte Politiker und Redaktionen ahnten, was die USA erwarteten. Politiker des bürgerlichen Lagers inklusive der Grünen pflegen ihre Karrieren durch Mitgliedschaft etwa im »Atlantik-Brücke e.V.«.
Auch der amerikanisch geprägte BND und seine Vorläuferorganisation Gehlen nahmen im Adenauer-Deutschland auf Redaktionen und Verlage Einfluß, bis hin zur Finanzierung von Heimatfilmen, um den Patriotismus zu stärken. In den 1950er Jahren galt bei westdeutschen Journalisten die Nähe zu Geheimdiensten sogar als schick, weil man auf diese Weise Zugang zu politischen Informationen hatte. Das erzeugte natürlich Abhängigkeiten und Interessenkonflikte. In der Praxis hatte man es im großen und ganzen auch geschafft, selbst die verfassungsrechtlich austarierte Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu unterlaufen. Wer Karriere machen wollte oder seine Familie zu ernähren hatte, wußte halt, wem man gefällig sein mußte.
Jüngst war zu erfahren, daß der deutsche Geheimdienst gleichfalls die deutsche Bevölkerung bespitzelt hat. In welchem Umfang? Was hat sich seit dem Bekanntwerden des NSA-Spähprogramms PRISM politisch geändert?
Seit Beginn des NSA-Skandals scheint sich bislang nichts geändert zu haben, lediglich die Spionage innerhalb der USA erfährt nennenswerte Kritik. Kein deutscher Politiker läßt sich am »Dagger Complex« in Griesheim sehen. Man versucht derzeit, den Ist-Zustand etwa bei der Vorratsdatenspeicherung zu legalisieren. Darüber, in welchem Ausmaß der BND selbst abhört, gibt es keine verläßlichen Angaben. Man darf aber davon ausgehen, daß er noch immer ein Kostgänger der NSA ist, auch bei aus Deutschland abgehörten Informationen. Jegliche Entrüstung über die NSA ist Staatstheater.
Andererseits hat die Staatssicherheit der DDR erfolgreich deutsche Spitzenpolitiker ausgehorcht und muß dabei auf recht viel schmutzige Wäsche gestoßen sein. Warum hat man davon bisher sowenig gehört?
Nach der sogenannten Wende liefen schon sehr früh Leute wie Generalmajor Horst Männchen über, der einen gewaltigen Schatz an Abhörmaterial offerierte. Offenbar arrangierten sich manche Geheimdienstler, die etwas anzubieten hatten. Westliche Dienste behaupten, das ekelhafte Männchen-Material aus Prinzip vernichtet zu haben. Möglich ist auch, daß es erfolgreich zur Erpressung genutzt wurde. Allerdings hätte ich etwa nach dem Tod von Markus Wolf und anderen sehr informierten Geheimdienstlern schon erwartet, daß irgendwo einmal etwas auftaucht. Ein Großteil des kompromittierenden Materials dürfte sich inzwischen erledigt haben. Fast alle Straftaten etwa sind mittlerweile verjährt, viele Betroffene leben nicht mehr. Bettgeschichten von Politikern und Spitzenbeamten druckt ohnehin niemand. Neuere Geschichtsschreibung ist in Deutschland zudem auch aufgrund von Persönlichkeitsrechten sehr riskant. Als Rechtsanwalt auf dem Gebiet des Presserechts bin ich damit vertraut. Zudem hätte außer den Historikern kaum jemand einen Vorteil, wenn man an die alten Geschichten rührt.
Uwe Barschel ist seinerzeit in einem Genfer Nobelhotel unter rätselhaften Umständen zu Tode gekommen. Diverse Geheimdienste waren nachweislich vor Ort. Der ermittelnde deutsche Oberstaatsanwalt hat sogar ein Buch darüber geschrieben. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Die Ermittlungen waren politisch unerwünscht, denn Barschel wußte um viele Geheimnisse der korrupten Bonner Republik und war in den internationalen Waffenhandel verstrickt. So war Barschel offenbar an windigen U-Boot-Deals mit Südafrika beteiligt. Er scheint auch im Iran-Contra-Skandal, der übrigens in Hamburg seinen Ausgang nahm, eine Rolle gespielt zu haben. Die Iraner hatten damals etliche Personen in Europa getötet, auch der südafrikanische Geheimdienst war nicht zimperlich, die CIA schon gar nicht.
Als Barschel nach beendeter Karriere mit einem politischen Amoklauf drohte, machte er sich alle zum Feind. Von der Rüstungsindustrie leben hierzulande etwa 300000 Menschen, Barschel hingegen bot nur noch Ärger. Das Spurenbild und die Einschätzung eines renommierten Toxikologen lassen keinen vernünftigen Zweifel daran zu, daß er ermordet worden ist. Wer konkret ihm das Gift auf so ungewöhnliche Weise eingeflößt hat, ist unklar, am Schweigen und Vertuschen hatten jedenfalls alle Parteien ein Interesse.
Sehr spannend ist der Umgang der deutschen Behörden mit dem Thema. Dem seinerzeit ermittelnden Oberstaatsanwalt Heinrich Wille wurden politisch etliche Knüppel zwischen die Beine geworfen, auch die Gauck-Behörde, deren Chef inzwischen Staatsoberhaupt ist, und dessen damaliger Stellvertreter, der spätere BND-Chef Hans-Jörg Geiger, zeigten sich unkooperativ. Das Bundeskriminalamt erklärte einen aufgetauchten »Barschel-Brief«, in dem der gestrauchelte Politiker finanzielle Forderungen stellte, zur Fälschung, obwohl ein bekannter Sprachforensiker diesem Schritt nicht folgen kann und dafür vergeblich eine wissenschaftliche Begründung verlangt. MfS-Leute bestätigten die Fälschungsbehauptung, lieferten allerdings keine Details etwa über den angeblichen Urheber, der Barschel perfekt gekannt haben müßte. Der BND hatte sogar über Jahrzehnte hinweg bestritten, überhaupt eine Akte zu Barschel angelegt zu haben.
Inzwischen allerdings behauptet der BND, die dann doch aufgetauchte Akte sei so umfangreich, daß für eine Freigabe das erforderliche Schwärzen zu aufwendig sei. Vermutlich wäre der innen- und außenpolitische Schaden, den Deutschland bei Aktenfreigabe erleiden würde, so groß, daß man die Akte lieber versehentlich schreddern, bei einem Wasserschaden verlieren oder verschlampen wird. Der Umzug des BND-Archivs nach Berlin wäre eine schöne Gelegenheit dafür.