Von der Oktoberfestbombe zur NSU-Mordserie
Kontinuitäten über Jahrzehnte
Von der Oktoberfestbombe zur NSU-Mordserie: Opferanwälte, Journalisten und Politiker diskutierten in München über die Rolle staatlicher Akteure
Von Reinhard Jellen, Junge Welt, 13/14 Mai 2015
![]() Mahnmal für die Opfer des Attentats auf das Oktoberfest am Eingang der Festwiese in München
Foto: Andreas Gebert/dpa
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Zur Podiumsdiskussion »Der NSU-Komplex und das Oktoberfest-Attentat« haben sich am Montag abend im Münchner Gewerkschaftshaus Opferanwälte, Journalisten und Politiker getroffen. Sie konnten aus eigener Erfahrung über die Grenzen der Aufklärung neonazistischen Terrors und das seit Jahrzehnten übliche Verhalten der Geheimdienste berichten. Die Parallelen zwischen den Verbrechen sind offenkundig: Mörder und Attentäter aus der rechtsradikalen Szene werden vom Verfassungsschutz gedeckt. Ermittlungen werden systematisch behindert, um den Radius möglichst gering zu halten, die Verbrecher von ihrem politischen Umfeld zu isolieren und eine über die Rolle der Geheimdienste mögliche, mittelbare staatliche Beteiligung gar nicht erst in den Fokus geraten zu lassen. Dabei schreckt man weder vor grotesk unsinnigen Schlussfolgerungen, noch vor Spurenvernichtung zurück.
Vor rund 200 Zuhörern schilderte in München zunächst Rechtsanwalt Werner Dietrich, der seit mehr als 30 Jahren Opfer des Oktoberfest-Attentats vom 26. September 1980 vertritt, die neue Situation: Seit Dezember 2014 hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen wieder aufgenommen. Außerdem hat Dietrich erneut Einsicht in die knapp 900 Spurenakten beantragt, die seit 30 Jahren beim Bayerischen Landeskriminalamt schlummern und bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens nicht den Hauptakten beigezogen wurden. Jetzt untersuche die Generalbundesanwaltschaft diese rund 10.000 Seiten umfassenden Akten. Dietrich hält sie für außerordentlich wichtig, weil darin zum Beispiel Protokolle von Besprechungen enthalten sind, in denen hohe LKA-Beamte im Oktober 1980 den damals aktuellen Stand referierten. Im Anschluss wurde offiziell von einem Einzeltäter ausgegangen, obwohl klar geworden war, dass der mutmaßliche Bombenleger Gundolf Köhler Mittäter gehabt haben muss. Der 21jährige war bei dem Anschlag mit zwölf weiteren Toten und mehr als 200 Verletzten selbst ums Leben gekommen. Von den Akten über Heinz Lembke, der nach bisheriger Lesart der Staatsanwaltschaft ganz allein Waffenlager in der Größenordnung von 125 Fußballfeldern angelegt hatte, tatsächlich aber Kontakt zu dem damaligen Neonaziterroristen Odfried Hepp gehabt haben soll, selbst vermutlich als V-Mann arbeitete und womöglich den Sprengstoff für den Anschlag geliefert hat, verspricht sich Rechtsanwalt Dietrich neue Erkenntnisse. Allerdings sei mit den neuen Ermittlungen genau die Behörde beauftragt, die sich damals auf die Alleintäterschaft Köhlers versteift hatte.
Sebastian Scharmer sieht Parallelen: Auch ihm wird im aktuellen Prozess um die 2000 begonnene Mord- und Anschlagsserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) die Einsicht in wichtige Akten verweigert. Scharmer, der vor dem Oberlandesgericht München die Tochter des ermordeten Mehmet Kubasik als Nebenklägerin vertritt, entdeckte somit Ähnlichkeiten zum Verhalten der Behörden beim Oktoberfestattentat. Dubios erscheint ihm, dass die Geheimdienste Sachsens, Thüringens und Brandenburgs sehr genaue Kenntnisse über das mutmaßliche NSU-Kerntrio hatten, sich nach dessen Untertauchen auch zu einer Krisensitzung trafen und daraufhin nichts geschah.
Der Journalist Ulrich Chaussy stellte dar, wie die Ermittlungstätigkeiten beim Anschlag auf das Oktoberfest von Hans Langemann, der seinerzeit für das Bayerische Innenministerium tätig und für den Verfassungsschutz zuständig war, boykottiert wurden und der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann auch offenkundigen Verbindungen zwischen Heinz Lembke und dem Attentat nicht nachging. Die Thüringer Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Martina Renner betonte, aus dem Zusammenspiel der journalistischen Recherche, der Arbeit der NSU-Untersuchungsausschüsse in den Landtagen müsse Druck auf die Behörden erzeugt werden, um die Kontinuitäten staatlicher Machenschaften im Umfeld rechten Terrors aufzudecken.