Völkerrecht gilt auch für die Tamilen in Sri Lanka
Völkerrecht gilt auch für die Tamilen in Sri Lanka
Ein Aufruf an die All Party Parlamentary Group, Sri Lanka
von Dr. iur. Karen Parker, USA
http://www.zeit-fragen.ch/ausgaben/2007/nr34-vom-27-august-2007/voelkerrecht-gilt-auch-fuer-die-tamilen-in-sri-lanka/
zf. Die US-amerikanische Völkerrechtlerin Karen Parker erklärt im folgenden Aufruf an die «All Party Parlamentary Group» in Sri Lanka, warum es einen Verstoss gegen das Völkerrecht darstellt, die Befreiungsarmee der Tamilen (LTTE) auf die Terrorliste zu setzen, und dass durch diesen Schritt jegliche Friedensbemühungen zunichte gemacht wurden. Die Forderung, die sich daraus ergibt, ist klar: Die LTTE muss von der Terrorliste gestrichen werden.
Zusammenfassung der Aspekte
1. Die Etikettierung der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) als Terrororganisation ist sowohl auf Grund der Gesetze als auch der Tatsachen falsch. Vielmehr ist eine solche Stigmatisierung ein Schlag in das Gesicht des bestehenden humanitären Völkerrechts. Die Tatsache, dass Grossbritannien und die EU von den Regierungen der USA und Sri Lanka überzeugt worden sind, die LTTE auf die Terroristenliste zu nehmen, ist einer der Hauptgründe, dass der Friedensprozess abgebrochen wurde und das tamilische Volk derzeitig einer Strategie des Völkermordes gegenübersteht. Die Stigmatisierung hatte ausserdem zum Ziel, das tamilische Volk sowohl in Sri Lanka als auch in der Diaspora zu dämonisieren.
2. Während es aus praktischen Gründen nützlich wäre, die LTTE von der Liste zu streichen, weil damit die Verhandlungen erleichtert würden, könnte eine solche Streichung auch dazu führen, dass der Krieg unter den anwendbaren humanitären Völkerrechtsnormen untersucht wird.
3. Der Zugang zu humanitärer Hilfe muss für die vom bewaffneten Konflikt und vom Tsunami Betroffenen sofort gewährleistet werden.
Begründung
Der Krieg in Sri Lanka findet zwischen den Streitkräften der Regierung und denen der Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) statt. Die LTTE ist eine militärische Macht, mit einer identifizierbaren Kommandostruktur und einem Territorium unter ihrem Befehl. Die Soldaten der LTTE tragen Militäruniformen und führen militärische Operationen auf dem Land, zur See und in der Luft durch, welche gemäss internationaler Richtlinien zugelassene militärische Handlungen sind. Unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten hat die LTTE den Anspruch auf den Status als Kombattanten.
Der Krieg kann als Bürgerkrieg oder als Krieg der nationalen Befreiung zur Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung bezeichnet werden. Aus meiner Sicht hat das tamilische Volk ein weit grösseres Recht auf Selbstbestimmung als die Kosovaren ? die gemäss Grossbritannien ihre Unabhängigkeit von Serbien erhalten sollen. Die Kosovaren haben keine zweitausendjährige Geschichte in ihrer Region, wie es die Tamilen in ihren Gebieten auf der Insel Ceylon haben. Des weiteren haben die Kosovaren nicht so unter Grausamkeiten, Massaker und der Verweigerung der Rechte gelitten, wie es für das tamilische Volk seit seiner Unabhängigkeit von Grossbritannien jahrelang der Fall war.
Selbst wenn die Regierungen ? aus politischen oder anderen Überlegungen ? dieses klare Recht nicht zugestehen wollen, müssen diese Regierungen zumindest anerkennen, dass der bewaffnete Konflikt ein Bürgerkrieg ist. Dieser «Bürgerkrieg» zielt nicht darauf ab, die Regierung von Sri Lanka zu stürzen. Vielmehr geht es bei diesem «Bürgerkrieg» darum, die tamilischen Gebiete von der singhalesischen militärischen Besetzung zu befreien. In diesem Sinn ist der «Bürgerkrieg» nicht mit jenem in El Salvador oder Nicaragua vergleichbar, wo die Kriegsparteien die vollständige Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet erhalten wollten. Hingegen ist er vergleichbar mit dem Bürgerkrieg in Pakistan, der zur Gründung von Bangladesh als separatem Staat führte, oder mit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien, aus welchem eine Reihe unabhängiger Staaten hervorgingen.
Das unter LTTE-Kontrolle stehende Gebiet ist de jure ein Staat. Es ist de jure ein Staat, weil das tamilische Volk ein Recht auf Selbstbestimmung hat, jenes Gebiet tatsächlich auch bewohnt und in diesem Teil des Territoriums eine zivile Regierung besteht. Die Regierung von Sri Lanka hat de facto die Kontrolle über diese traditionell tamilischen Siedlungsgebiete, aber sie hat keinen Rechtsanspruch, diese Gebiete zu regieren; die de facto-Kontrolle berechtigt nicht zur Herrschaft.
Die Stigmatisierung der LTTE als Terrororganisation spottet jeder Vernunft und verhindert massgeblich die Möglichkeit einer friedlichen Lösung des langen Konfliktes. Damit erhält die Regierung auch freie Hand, was das Völkerrecht betrifft, weil diese Etikettierung die Analyse des Konfliktes vom Völkerrecht weg in ein «Niemandsland» von Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus verschiebt.
Die Stigmatisierung der LTTE als Terroristengruppe ist wider die Vernunft, weil Terroristengruppen nicht uniformiert sind, kein traditionelles Kriegsmaterial verwenden und keine traditionellen Kriegshandlungen ausführen, wie es die LTTE macht. «Terror»-Organisationen agieren im verborgenen und führen kriminelle Handlungen aus, weil sie nicht fähig sind, sich als militärische Kraft zu formieren.
Das will nicht heissen, dass es innerhalb von bewaffneten Konflikten keinen Terrorismus gibt. In den Genfer Konventionen wird dieser definiert als Handlungen, die bezwecken, Schrecken in der Zivilbevölkerung hervorzurufen. Während ein Krieg selbst «terrorisierend» ist, beschränkt sich Terrorismus in bewaffneten Konflikten normalerweise auf Handlungen wie «shock and awe» durch das US-Militär im Irak, das brutale Verstümmeln von Zivilisten, wie es in gewissen Konflikten in Afrika geschehen ist, und vorsätzliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung, um diese zur Flucht zu zwingen und ihnen dann aber den Zugang zur humanitären Hilfe zu versperren, wie das in Sri Lanka durch die Regierungskräfte geschieht. In Sri Lanka hat die Regierung den Hauptverkehrsweg in die tamilischen Gebiete, die A9, gesperrt. Damit blockiert sie den Zugang zu Nahrungsmitteln und Medikamenten, was unter dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC), Römer Statut, Part 2, Artikel 7 (1) (b) und 7(2) (b), als Bestandteil des Verbrechens der Ausrottung aufgeführt ist.
Die Aussage von Aussenminister Howell, Grossbritannien könnte in Betracht ziehen, die LTTE von der Terroristenliste zu streichen, wenn die LTTE auf «Gewalt» verzichten würde, ist absurd. Eine solche Verzichterklärung wäre gleichbedeutend mit einer Kapitulation. Ich stelle fest, dass der Aussenminister die Regierungskräfte nicht dazu drängte, die «Gewalt» zu stoppen. Das heisst, dass sich die Regierung von Grossbritannien in Wirklichkeit auf die Seite der Singhalesen stellt zum Nachteil der Tamilen. Natürlich ist ein Krieg gewalttätig, aber es handelt sich nicht um «Gewalt» im Sinne des Strafgesetzes, noch ist sie Terrorismus. Des weiteren haben der Aussenminister und andere Beamte von Grossbritannien gewisse Militäroperationen der LTTE als «Terror»-Akte eingestuft, während das Völkerrecht solche Militäroperationen zulässt. Ein Beispiel ist der Angriff der LTTE auf einen Luftwaffenstützpunkt der Regierung von Sri Lanka im Süden des Landes. Solche Militärhandlungen sind völkerrechtlich eindeutig legal.
Tatsache ist, dass Grossbritannien und die EU durch das Führen der LTTE als Terrororganisation die internationale Beobachtung des Konflikts ernsthaft eingeschränkt und die Regierung von Sri Lanka ermutigt haben, Militäroperationen durchzuführen, welche das Waffenstillstandsabkommen ignorieren und, wie sie selbst sagt, die LTTE in allen Gebieten besiegen sollten. Aus Sicht der USA ist dies positiv, da die USA die srilankische Beobachtermission (SLMM) ohnehin erheblich reduzieren wollten, indem nur ein verhältnismässig schwaches Norwegen und Island anstelle des gesamten nordischen Blockes übrig bleiben. Das Streichen von der Liste würde natürlich den Geltungsbereich des Krieges durch Drittstaaten erweitern ? Staaten, die alle unter den Genfer Konventionen verpflichtet sind, «unter allen Umständen Respekt (für die Konventionen) sicherzustellen». Der singhalesisch-tamilische Krieg ist einer dieser Umstände. Somit würde das Streichen von der Liste praktische Auswirkungen haben.
Ich bin jedoch der Ansicht, dass ein Streichen aus der Liste begleitet werden müsste von einem Widerruf, der bestätigt, dass die Aufnahme in die Liste tatsächlich ein Rechtsirrtum war, der das Völkerrecht verletzte. Dies würde die völkerrechtlichen Verpflichtungen Grossbritanniens bestärken und dessen Ablehnung geopolitischer Interessen, die zur totalen Missachtung des Völkerrechts geführt hatten, bekräftigen. Sicher möchte Grossbritannien nicht als Förderer der US-Interessen in Sri Lanka angesehen werden, insbesondere wenn sich das für Grossbritannien nicht auszahlen würde. Diesbezüglich könnte Grossbritannien der Mithilfe und Begünstigung des Genozids an den Tamilen bezichtigt werden, indem es die US-Interessen bei der Sicherstellung von «outbases» (Militärbasen) rund um die Welt fördert. Weil die Position von Diego Garcia derzeit schwach ist, stehen den USA nur Sri Lanka und leider die tamilischen Gebiete (Hafen von Trincomalee und Flughafen Palaly) für ihre Militärbasen für den ganzen Subkontinent bis hin nach Birma und die malaysische Halbinsel zur Verfügung.
Das wichtigste Resultat Ihrer Parlamentariergruppe ist selbstverständlich das Streichen der LTTE von der Liste. Dies könnte zum zweitwichtigsten Resultat führen, dem Öffnen der Landstrassen und Zugangswege für die Versorgung der tamilischen Gebiete mit humanitärer Hilfe. Es ist Ihnen sicher bekannt, dass sich das Welternährungsprogramm auf Grund der Schwierigkeiten und Restriktionen, die bei der Versorgung der tamilischen und moslemischen Bevölkerungen im Norden und Osten mit Grundnahrungsmitteln auferlegt werden, aus Sri Lanka zurückzieht. Damit bleibt nur das IKRK übrig, das wegen den Einschränkungen durch die Behörden von Sri Lanka und wegen der Ermordung von Mitarbeitern des Roten Kreuzes die Kerngebiete bereits verlassen hat.
Wir stehen kurz vor einer grösseren humanitären Katastrophe auf Grund der Tatsache, dass viele Tamilen wegen des Tsunami immer noch vertrieben sind, und weil ihnen jegliche angemessene Zuteilung von Tsunami-Hilfe verweigert wurde. Es ist Ihnen sicher bekannt, dass die US-Verwaltung das amerikanische Rote Kreuz angewiesen hat, in den tamilischen Gebieten keine Tsunami-Hilfsgüter zu verteilen, auch nicht in jenen, die unter singhalesischer Kontrolle stehen. Das ist eine krasse Verletzung der Regeln für humanitäre Hilfe und ist nicht nur rassistisch, sondern ein Akt des Genozids. Falls Ihre Gruppe nichts weiter unternimmt, so sollten Sie wenigstens offen und direkt die Öffnung der Landwege zur Lieferung von humanitärer Hilfe einfordern. Abgesehen davon, dass damit der Hungertod von tamilischen Zivilisten verhindert werden könnte, würde das auch dazu beitragen, Bedingungen zu schaffen, damit die Gespräche zwischen den Konfliktparteien betreffend die Umsetzung der Waffenstillstandsvereinbarung wieder aufgenommen werden, was dann zu Verhandlungen über die Lösung des Konfliktes führen könnte.
Die All Party-Parlamentariergruppe könnte eine wichtige Rolle dabei spielen sicherzustellen, dass dieser bewaffnete Konflikt unter dem Gesichtspunkt des Völkerrechts betrachtet wird und ein Genozid am tamilischen Volk verhindert wird. Ich werde Ihre Arbeit aufmerksam verfolgen. ?