Warum Aktenvernichter und Saboteure belohnt werden
Warum Aktenvernichter und Saboteure belohnt werden
Wolf Wetzel, Junge Welt, 13. März 2015
Durch den Komplex „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) und die Verwicklung der Geheimdienste zieht sich wie ein roter Faden eine Art Belohnungssystem. Alle, die an führender Stelle Ermittlungen unterbunden und Aufklärung sabotiert haben, wurden für dieses Verhalten belohnt.
Das wird zum Beispiel an der folgende Karriere deutlich: Klaus-Dieter Fritsche war von Oktober 1996 bis November 2005 Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Von Dezember 2005 bis Dezember 2009 arbeitete der Mann als Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt. Während der Mordserie der rechten Terrorgruppe NSU hatte er also leitende Funktionen inne. Spätestens seit 2006 wusste Fritsche nicht nur, was im Bundesamt für Verfassungsschutz gemacht bzw. unterlassen wurde, sondern auch was der Militärische Abschirmdienst (MAD) beigetraten hatte.
Nachdem die Existenz des NSU im November 2011 bekanntgeworden war, versprach Bundeskanzlerin Angela Merkel der Öffentlichkeit und den Angehörigen der Terroropfer lückenlose Aufklärung. Wie das gemeint war, bewies das Bundesamt für Verfassungsschutz zeitnah: Es wurde eine umfangreiche Vernichtung von Akten über V-Männer angeordnet, die im Nahbereich des NSU operiert hatten.
Um zu klären, wie aus „Versehen“ derlei wichtige Unterlagen beseitigt werden konnten, wurde Klaus-Dieter Fritsche am 18. Oktober 2012 als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in Berlin gefragt. Im Gegensatz zu vielen anderen Bediensteten dieser Behörde gab er sich mit Bedauern und Erinnerungslücken nicht ab. Er machte klar und deutlich, worum es hier geht, warum seine Behörde so gehandelt hat und warum das auch alles richtig war und ist:
„Es dürfen keine Staatsgeheimnisse bekannt werden, die in Regierungshandeln unterminieren. Es darf auch nicht so weit kommen, dass jeder Verfassungsfeind und Straftäter am Ende genau weiß, wie Sicherheitsbehörden operativ arbeiten und welche V-Leute und verdeckten Ermittler im Auftrag des Staates eingesetzt sind. Es gilt der Grundsatz „Kenntnis nur wenn nötig“. Das gilt sogar innerhalb der Exekutive. Wenn die Bundesregierung daher in den von mir genannten Fallkonstellationen entscheidet, dass eine Unterlage nicht oder nur geschwärzt diesen Ausschuss vorgelegt werden kann, dann ist das kein Mangel an Kooperation, sondern entspricht den Vorgaben unserer Verfassung. Das muss in unser aller Interesse sein“
Damit war die Frage beantwortet warum über 300 Akten vernichtet worden sind, warum zahlreiche V-Mann Akten nur geschwärzt weitergeben werden, warum der Tatanteil von V-Leuten am Zustandekommen des NSU bis heute gedeckt wird. Und sicherlich kann man auch sagen: Fritsche hatte für diesen Affront Rückendeckung.
Die offene und unmissverständliche Ankündigung und Rechtfertigung, die juristische und politische Aufklärung zu sabotieren, hat diesem Mann nicht geschadet. Im Gegenteil: er wurde dafür fürstlich belohnt. Seit Januar 2014 ist er Staatssekretär für die Belange der Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt. Diesen Posten wurde von Kanzlerin Merkel neu geschaffen.