Warum ich Antizionist bin
Warum ich Antizionist bin
Israelitisches Wochenblatt Nr. 34 – 22. August 1997 (Zürich)Ich bin im Jahre 1941 in Palästina geboren. Meine Eltern mussten ihre Heimat, Deutschland, wegen der Naziverfolgungen verlassen und auf Grund einer besonderen Vereinbarung zwischen der zionistischen Bewegung, Hitlers Regierung und den britischen Behörden nach Palästina emigrieren.
In meiner frühen Kindheit lebten wir in Jerusalem. Wir hatten enge Beziehungen zu unseren arabischen Nachbarn, die uns auch während der Unruhen in 1947 in Schutz nahmen. Obwohl mein Vater ein ausgeprochen religiöser Mensch war und ich deshalb in der jüdischen Traditione aufgewachsen bin, waren meine beiden Eltern gegenüber Nichtjuden sehr aufgeschlossen.
Damals wusste ich noch nicht, dass die meisten eingewanderten Juden in Palästina weder Beziehungen zu Arabern hatten noch sich solche wünschten. Mir wurde durch die selbstverständliche, aber aussergewöhnliche Freundschaft meiner Eltern zu unseren arabischen Nachbarn erspart, Araber als Feinde zu betrachten oder zu fürchten.
Ideologische Auseinandersetzung mit dem Zionismus
Die Umstände haben dazu geführt, dass ich als Jugendlicher in Frankreich lebte. Damals wurde ich Mitglied einer linksradikalen zionistischen Bewegung (Haschomer Hatzair). Als wir zur Emigration nach Israel “präpariert” wurden, mussten wir uns mit dem Zionismus ideologisch auseinandersetzen. Ich entdeckte dabei unerwartet, dass der Zionismus eine symbiotische Beziehung zum Antisemitismus unterhielt. In unseren Diskussionen über den Zionismus wies der Gesandte der Jewish Agency aus Israel auch immer darauf hin, dass Juden, wegen einer angeblich angeborenen antisemitischen Einstellung der Gojim (Nichtjuden), sich nicht innerhalb nichtjüdischer Gesellschaften integrieren könnten und dass alle Versuche in dieser Richtung vergeblich seien.
Langsam wurde mir klar – wie übrigens vielen anderen Juden vor mir – dass der Zionismus mit einer humanistischen, universellen Einstellung unvereinbar ist. Im Gegensatz zu den Befreiungszielen der Französischen Revolution von 1789 betrachtet es der Zionismus als wünschenswert, Menschen nach völkischen, religiösen oder ethnischen Merkmalen abzusondern.
Immanenter Zug der nichtjüdischen Mentalität
Antisemitismus wird von Zionisten als ein immanenter Zug der nichtjüdischen Mentalität, Persönlichkeit oder Tradition erklärt. Pseudo-Marxisten wie Borochov erklärten Antisemitismus als ein selbstverständliche Reaktion gegen die “parasitäre” Gesellschaftsstellung der europäischen Juden (Handel, Freiberufe, Künstler, usw.), die nur durch physische Arbeit auf dem Feld und auf dem Bau in einem eigenen Staat ihre Normalität herstellen könnten. Die antisemitische Literatur der Nazis bezeichnete Juden ähnlich als “Schmarotzer und Ausbeuter”. Die Verbindung zwischen Antisemitismus und Zionismus ist aber nicht zufällig, wie das folgende Zitat zeigt: “Wenn die Bundesrepublik heute…eine Mehrheit von Deutschen viel mehr als ihr eigenes Heim gilt, als die Weimarer Republik es je tat, so liegt das zweillos zu einem guten Teil daran, dass es in der Bundesrepublik praktisch keine Juden mehr gibt. Was ich hier sage, klingt zynisch und ist in der Tat eine gefährliche, bedenkliche Beobachtung. Aber sie muss gemacht werden…Mit uns allen steht es aber so, dass es unsere Pflicht und Schuldigkeit ist, unsere antisemitischen Gefühle strenger zu kontrollieren als vor der jüdischen Katastrophe. Das ist vor allem eine Frage der Selbstzucht und des Willens. Wer nicht erzogen werden will, wer nicht aufgeklärt werden will, der kann es gerade in dieser Sache von aussen her nicht. Hier haben wir etwa den Staat Israel. Er ist, man kann das wohl sagen, das arbeitssamste, tapferste, opferwilligste, am stärksten idealistische Gemeinwesen, das es heute auf Erden überhaupt gibt. Nichts von ”jüdisch-zersetzend” hier, nichts von jüdischer Drückebergerei oder jüdischer Körperschwäche und was noch. Hier sind die Juden Soldaten, und gute Soldaten, das haben sie gezeigt, und sie sind Arbeiter, und gute Arbeiter, das haben sie gezeigt und blühende Gärten aus der Wüste gemacht…” (Golo Mann am Rhein-Ruhr-Klub, 14. Juni 1960).
Die Notwendigkeit des Antisemitismus
Diese Einstellung zum europäischen Judentum, zur Diaspora, war von den zionistischen Führung im Zweiten Weltkrieg und in Israel verbreitet. Das hat u.a. dazu beigetragen, dass die zionistische Führung sich nicht für Rettungsaktionen von Juden im Krieg interessierte und sogar in einzelnen Fällen mit den Nazis kooperierte (Beispiel Kastner).
Die Notwendigkeit des Antisemitismus für die Zionisten ist auch heute augenfällig: Zionisten dramatisieren jede Erscheinung von Antisemitismus, egal, wie harmlos, als Beweis, dass Juden ständig vor einem neuen Holocaust stehen und nur im jüdischen Staat sicher leben können. Dabei besassen nie so viele Juden Machtstellungen in der Weltpolitik, in den Medien und in der internationalen Finanz wie heute. Die meisten Juden leben heute in grosser materieller und physischer Sicherheit in Amerika, Frankreich, England, in der Schweiz un in anderen demokratischen Ländern, während ihre Existenz im “eigenen” Staat immer wieder in Frage gestellt wird. Und die grösste israelische Siedlung ist nun nicht mehr Tel Aviv, sondern New York, wo mehr ehemalige israelische Staatsbürger leben als in der grössten Stadt Israels. Es wird oft vergessen, dass die ruhmhaften Zeiten der jüdischen Geschichte nicht in Zion abspielten, sondern in Babylon, Spanien (unter dem Islam) und heute im Westen. Das Judentum brauchte nie einen Staat, eine Armee, eine Fahne oder eine Nationalhymne. Die beachtenswerten Beiträge von jüdischen Philosophen, Künstlern und Wissenschaftlern in der modernen Zeit sind nicht aus dem reaktionären Humus einer völkischer Ideologie gewachsen, sondern aus der Dynamik der bürgerlichen Emanzipation.
Jeder Jude sollte aber die tragischen Folgen von 100 Jahren Zionismus kennen, denn die Zionisten sprechen und handeln, als wären sie die Vertreter des Weltjudentums. Schon die ersten Zionisten, darunter Herzl und Weismann, wussten, dass die Errichtung eines jüdischen Staats in einem von Nichtjuden mehrheitlich besiedelten Land ohne Gewalt und Unterdrückung nicht auszuführen sei. Nur durch die Vertreibung von über 700 000 Nichtjuden aus ihrer Heimat, Palästina, in den Jahren 1947 bis 1948, konnte der Zionismus sein Ziel erreichen. Diese Menschen, darunter meine guten Nachbarn aus Jerusalem, mussten für den Zionismus geopfert werden.
Vertreibung ist nicht gleich Vertreibung
Meine Mutter wurde aus Nazi-Deutschland vertrieben. Nach der Niederlage der Nazis wurde sie eingeladen, nach Deutschland zurückzukehren. Die Entscheidung über Rückkehr war ihr selbst überlassen. Nicht so in Palästina. Die Zionisten, die immer noch im Staat Israel, mit der Unterestützung der USA, die Macht ausüben, verweigern den Vertriebenen grundsätzlich die Rückkehr, weil sie keine Juden sind. Diese unmenschliche Haltung, begründet durch das Dogma des Zionismus, verletzt das Völkerrecht, alle Menschenrechtsvereinbarungen und unzählige Uno-Resolutionen.
Die rassistische Grundhaltung des zionistischen Staates Israel widerspiegelt sich nicht nur gegenüber den palästinensischen Flüchtlingen, sondern auch gegenüber der nichtjüdischen Bevölkerung im Staat Israel. Als Beispiel sei erwähnt, dass nichtjüdische israelische Staatsbürger (etwa 18 Prozent der Bevölkerung) auf 92 Prozen der Fläche des Staates Israel ihr Haus nicht bauen, siedeln oder das Land bearbeiten dürfen. Dieses Land ist “nur für Juden” bestimmt. Aus diesem Grund verweigern israelische Kibbutzim die Mitgliedschaft von arabischen Bürgern des Staates Israel.
Warum ich als Jude den Zionismus ablehne? Meine eigentlich Ablehnung des Zionismus ist nicht von meinem Wesen als Jude abgeleitet, sondern beruht auf universalen Prinzipien der Menschenwürde und des Respekts vor Menschenrechten, die hoffentlich von allen Leserinnen und Lesern dieses Aufsatzes, Juden und Nichtjuden, gleichfalls bejaht werden.