Was interessiert die Generalbundesanwaltschaft am NSU-Skandal?
13.07.2012 / Feuilleton / Seite 12
Keine Spur
Was interessiert die Generalbundesanwaltschaft am NSU-Skandal?
Von Markus Mohr
Nachdem im November 2011 die Mordserie der Gruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) bekanntgeworden war, gab es in den großen Feuilletons ein kurzes politisches Wetterleuchten. Von verschiedenen Journalisten wurde die dubiose NSU mit den Sicherheitsbehörden in engen Zusammenhang gebracht. In der Zeit fragte Heinrich Wefing, ob es in der Bundesrepublik »so etwas wie einen ›Tiefen Staat‹» gebe, »eine Verflechtung zwischen Sicherheitsbehörden und Rechtsextremisten oder gar Rechtsterroristen?« (17.11.2011) In der FAZ forderte Nils Minkmar die Abschaffung der Ämter für Verfassungsschutz, denn die Naziterroristen seien doch »unter deren Augen« verschwunden und dabei nicht »besonders tief« abgetaucht: »Es war mehr so ein Schnorcheln, ein Untertauchen in der Badewanne«. Letztlich, so Minkmar lakonisch, sei es doch immer wieder »die gleiche Geschichte: Verfolgt man die Spur des Terrors nur lange genug, endet man vor einem geheimen Dienstgebäude.« (20.11.2011) In der Frankfurter Rundschau schrieb Christian Schlüter dann auch von »staatlich kontrolliertem und finanziertem Terrorismus« (22.11.2011).
Zeitlich fast parallel zu diesen Überlegungen trat Harald Range das Amt des Generalbundesanwaltes an. Er wurde Chef einer Behörde, die (wie auch alle anderen Sicherheitsbehörden) nicht müde wird zu behaupten, zehn Jahre von den NSU-Aktivitäten nicht das geringste mitbekommen zu haben. Was Range aber gleich in seiner Antrittsrede zu wissen meinte, natürlich ohne die Akten in diesem Fall bereits zu kennen, war, daß selbstverständlich »keine Spur von der Zwickauer Zelle zum Verfassungsschutz« führe (Hamburger Abendblatt, 17.11.2011).
Seit dem November ist Ranges Behörde damit beschäftigt, zwischen den Mordtaten des NSU und den Verfassungsschutzämtern eine Brandmauer zu errichten – nach dem Motto: Von der NPD reden, um vom Verfassungsschutz zu schweigen. Nach der Ende November 2011 erfolgten Inhaftierung des hochrangigen Thüringer NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben rechnete die Generalbundesanwaltschaft »mit weiteren Belegen für die Nähe der Neonazi-Terrorzelle zur NPD« (Focus, 1.12.2011). Der Thüringer Verfassungsschutz blieb außen vor und auch die von ihm mit aufgebaute und umfänglich materiell unterstützte neofaschistische Gruppe »Thüringer Heimatschutz« (THS), in der die NSU-Mitglieder Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt politisch sozialisiert wurden. Ende der 1990er Jahre zählte der THS 170 Aktivisten. Deren Chef war der V-Mann Tino Brandt, der bis zu seinem Auffliegen im Mai 2001 mindestens 200000 D-Mark vom Verfassungschutz erhalten hatte und darüber hinaus von diesem auch vor mehr als 30 polizeilichen Hausdurchsuchungen gewarnt worden war. Nachdem Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt im Januar 1998 abgetaucht waren, zeigte sich der THS mit ihnen unmittelbar solidarisch. Auf Konzerten wurde öffentlich für sie Geld gesammelt, einige der THS-Leute besorgten den Flüchtigen zunächst Wohnungen und Papiere, später Waffen. Im Zeitraum zwischen 1997 und 2003 sollen beim THS mindestens weitere 13 V-Leute des Verfassungsschutzes aktiv gewesen sein.
Obwohl dieses außerordentlich hohe Spitzelaufkommen der Generalbundesanwaltschaft spätestens seit Dezember 2011 durch einen speziell für sie verfaßten Geheimbericht bekannt war (vgl. Andreas Förster in der Frankfurter Rundschau, 16.6.2012) hielt sich Behördenchef Range im Laufe der Ermittlungen in seinen öffentlichen Verlautbarungen weiterhin an die NPD, bekanntlich eine Partei, deren Verbotsverfahren durch das Bundesverfassungsgericht 2003 mit der Begründung eingestellt wurde, daß in ihrer Führung zu viele V-Leute des Verfassungschutzes anzutreffen wären. Und Mitte Februar gab Range dann Entwarnung, als er in einem Interview erklärte: »Es ist also nach heutigem Erkenntnisstand nicht so, daß der NSU eine Armee der NPD war«. Mit der NPD existiere »lediglich eine gemeinsame ideologische Basis, aber keine organisatorische Verbindung« (Süddeutsche Zeitung, 18.2.2012).
In den acht Pressemitteilungen, die die Generalbundesanwaltschaft 2011 zum Fall NSU veröffentlichte, taucht der THS nicht ein einziges Mal auf. Erst im Februar 2012 bei der Festnahme von Carsten S. findet diese Gruppierung in einer Presseinformation überhaupt Erwähnung: »Nach den bisherigen Erkenntnissen war der Beschuldigte in den Jahren 1999 und 2000 im rechtsextremistischen ›Thüringer Heimatschutz‹ aktiv. (…) Er stand in enger Verbindung zu den drei im Jahr 1998 abgetauchten Mitgliedern des ›NSU‹ und soll diese finanziell unterstützt haben. Zeitweilig soll er der einzige aus dem rechtsextremistischen Umfeld des ›NSU‹ gewesen sein, der unmittelbaren Kontakt zur sogenannten Zwickauer Zelle hatte« (PM vom 1.2.2012 – 3/2012). Dessen Freilassung knapp vier Monate später teilt die Generalbundesanwaltschaft dann ohne Erwähnung seines Engagements im THS mit. Da sich S. umfänglich zum Tatvorwurf eingelassen habe, sei der Fluchtgrund der Verdunkelung entfallen (PM vom 29.5.2012 – 13 /2012).
Für das ARD-Magazin »Panorama« unterhielt sich der Journalist Toben Börgers mit dem stellvertretenden Generalbundesanwalt Rainer Griesbaum über die ideologische Motivation der NSU-Mitglieder. »Offensichtlich« hätten diese, so Griesbaum, ihre Taten »schwerpunktmäßig gegen den Staat« orientiert, was der »Mordanschlag in Heilbronn auf die beiden Polizeibeamten« aus dem Jahr 2007 beweise. Lediglich »zu Beginn« habe sich der Terror des NSU gegen »Personen mit Migrationshintergrund« gerichtet. Allerdings dauerte dieser »Beginn« fast sechs Jahre – von der Ermordung des Blumenhändlers Enver Simsek am 9. September 2000 in Nürnberg bis zur Ermordung des Internetcafé-Betreibers Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel. Neun ermordete Migranten interessieren Griesbaum weniger als »die Gemeinsamkeiten zwischen RAF und dem NSU«. Beide Gruppen hätten das Ziel verfolgt, »durch schwerste Straftaten den Staat zu verunsichern, die Bevölkerung zu verunsichern und bestimmte Zielgruppen zu ermorden«. (»Panorama« vom 19.4.2012). Nicht nur der Spiegel betitelte den NSU als »Braune Armee-Fraktion« (14.11.2011), auch die Generalbundesanwaltschaft spricht vom »Rechtsterrorismus«, ein Begriff, der ohne dessen Gegenstück, sprich »Linksterrorismus«, nicht zu haben ist – die offizielle Extremismusdoktrin. Bezeichnenderweise ist in dem »Panorama«-Interview nicht ein einziges Mal von den Verfassungsschutzbehörden die Rede, ja noch nicht einmal vom »Thüringer Heimatschutz«. Und den hat nicht die RAF unterstützt, sondern der Verfassungsschutz in Thüringen.