Wie aus dem Antidiskriminierungsgesetz das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wurde. Ein Blick in die Geschichte zum zehnten Jahrestag
Ein stumpfes Schwert
Wie aus dem Antidiskriminierungsgesetz das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wurde. Ein Blick in die Geschichte zum zehnten Jahrestag
Von Hanne Schweitzer
Hanne Schweitzer ist Journalistin und leitet das Kölner Büro gegen Altersdiskriminierung.
Am 18. August 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft. Ursprünglich als umfassendes Gesetz zum Schutz vor Diskriminierung in allen Lebensbereichen geplant, wurde es nach scharfer Kritik von Wirtschafts- und Kirchenvertretern im Laufe des Gesetzgebungsprozesses nach und nach abgeschwächt. (jW)
Mit der Unabwendbarkeit einer Lawine donnert das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, vormals Antidiskriminierungsgesetz genannt, zu Tal. Aufgebaut hat sich dieses Ungetüm in luftigen, dem bloßen Auge entzogenen Höhen der Brüsseler Bürokratie.« Was die FAZ ihren Lesern am 6. Juni 2006 als monströse Naturgewalt suggeriert, ist ein Gesetzentwurf, der dringend im Bundestag verabschiedet werden muss. Denn die »Brüsseler Bürokratie« will nicht länger hinnehmen, dass hierzulande noch immer keine Rechtsvorschriften zum Schutz vor Diskriminierung existieren.
Wie das »Ungetüm« in die Welt kam
Die Geschichte des Antidiskriminierungsgesetzes beginnt in Amsterdam. Dort trafen sich 1997 die Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaft, um den Maastrichter Einigungsvertrag in den Amsterdamer Vertrag umzuschreiben. In Artikel 13 des neuen EG-Vertrags etablierten sie unter anderem die Bestimmung, dass der Rat Vorkehrungen treffen kann, um in allen EU-Staaten »Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen«.
Im Sommer 2000 ist aus dem Kann ein Muss geworden, die sogenannte Antirassismusrichtlinie (RL 2000/43/EG) »zur Bekämpfung von Diskriminierung aufgrund der ›Rasse‹ oder der ethnischen Herkunft«. Sie enthält den Rechtsanspruch auf gleichberechtigten Zugang zu Arbeit und Beschäftigung, Sozialschutz, sozialen Vergünstigungen, Bildung sowie zur Versorgung mit öffentlichen Waren und Dienstleistungen.
Ein halbes Jahr später folgt die Rahmenrichtlinie (RL 2000/78/EG), auch Arbeitsrichtlinie genannt. Sie dient der »Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung« am Arbeitsplatz. Das Recht auf gleiche Behandlung ist festgelegt für den Zugang zu selbständiger wie unselbständiger Erwerbstätigkeit, für die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen, für die Berufsberatung, die berufliche Aus- und Weiterbildung, die Beförderung, die Entlassungsbedingungen, die Umschulung und für das Arbeitsentgelt. Allerdings steht der Schutz vor Altersdiskriminierung auf wackeligen Füßen. Zum einen, weil mit dem Merkmal »Alter« nicht »die« Alten gemeint sind, sondern das Lebensalter. Zum anderen, weil unter der Überschrift »Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters« gleich fünf erlaubte Ungleichbehandlungen aufgezählt werden, darunter: die Beschäftigungspolitik, der Arbeitsmarkt und die berufliche Bildung.
Im Dezember 2001 präsentiert das Bundesjustizministerium unter Hertha Däubler-Gmelin (SPD) den »Diskussionsentwurf eines Gesetzes zur Verhinderung von Diskriminierungen im Zivilrecht«. Der Entwurf sei, wettert der Chef des Arbeitgeberverbands, Dieter Hundt, »ein Projekt von weltfremden, missionarischen und ideologischen Bürokraten«. Sollte er umgesetzt werden, würde »der freie Geschäftsverkehr stranguliert« (Die Welt, 19.3.2002). Anlass für Hundts Zorn ist die simple Tatsache, dass der Schutz vor Diskriminierung im Entwurf umfassender ist, als ihn die Richtlinien vorsehen. Dazu muss man wissen, was die Gegner des Gesetzes bis heute gerne verschweigen: Richtlinien sind Mindestanforderungen. Jedem EU-Staat bleibt es unbenommen, weitergehende Regeln einzuführen. Davon hatten die Autoren Gebrauch gemacht. Für sie war es sachlich nicht zu vertreten, dass z. B. die Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft durch eine Versicherung laut Richtlinie 43 verboten ist, eine Benachteiligung aus Altersgründen aber legitim. Folglich hatten sie das Recht auf Gleichbehandlung beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen um die Merkmale Alter, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Ausrichtung erweitert. Gelten soll das im allgemeinen Vertragsrecht, bei medizinischer Versorgung und bei Bildung. Für Unternehmer, die trotz eines Urteils mit vollstreckbarer Anordnung weiter diskriminieren, ist eine »Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr« vorgesehen.
»Überschießende Regulierungswut«
Das geht dem Arbeitgeberverband natürlich zu weit. Freiheitsstrafen für Unternehmer? Die Freiheit, Verträge abzuschließen, egal mit wem und zu welchen Bedingungen, abgeschafft? Das ist keine Diskussionsgrundlage, das ist ein Affront. Auch die Vertreter der Kirchen sind empört. Gleichbehandlung von Religionen? Unmöglich. Religion ist schließlich nicht gleich Religion! Die Kirchen und ihre Verbände wollen nicht verpflichtet werden, Anders- oder Ungläubige zu beschäftigen. Ebenfalls alarmiert ist die Versicherungswirtschaft. Sie fürchtet den Zwang zu Einheitstarifen. Und die Wohnungswirtschaft schäumt, weil sie nicht zum Vertragsabschluss mit unerwünschten Mietern verpflichtet werden will. Professor Johann Braun, Rechtsphilosoph an der Universität Passau, springt ihnen allen bei. In einem Beitrag der Fachzeitschrift Juristische Schulung schreibt er, der Entwurf ziele darauf ab, »die prinzipielle Trennung von Recht und Moral, die für den modernen Rechtsstaat grundlegend ist, gesetzlich aufzuheben«.1 Der »Beleg für überschießende Regulierungswut« (FAZ, 7.6.2004) verschwindet auf Nimmerwiedersehen in der ministeriellen Ablage. Im Justizministerium folgt im Oktober 2002 auf Hertha Däubler-Gmelin eine andere Sozialdemokratin, Brigitte Zypries – und jetzt wird es zäh.
Es dauert bis Mai 2004, bis Brigitte Zypries die längst überfällige Konkretisierung des Gleichheitsprinzips im nächsten Gesetzentwurf versucht. Erarbeitet hat ihn das Bundesfamilienministerium. Teil des Entwurfs ist das »Gesetz über die Stelle des Bundes zum Schutz vor Diskriminierungen«. Es besteht aus fünf Paragraphen mit 13 Unterpunkten. Darin ist u. a. von der »notwendigen Personal- und Sachausstattung« die Rede, welche »im Einzelplan« des, man ahnt es schon, Bundesfamilienministeriums »in einem eigenen Kapitel auszuweisen« ist.2 Als Aufgaben der Stelle, die in den Richtlinien nicht gefordert wird, werden beschrieben: Betroffene über Ansprüche und Möglichkeiten des rechtlichen Vorgehens informieren, Beratung durch andere Stellen vermitteln, eine gütliche Beilegung zwischen den Beteiligten anstreben, Öffentlichkeitsarbeit, Maßnahmen zur Verhinderung von Diskriminierungen, wissenschaftliche Untersuchungen, Berichte und Empfehlungen an den Bundestag. Ein eigenes Klagerecht hat die Stelle nicht.
In Artikel 1 werden die EU-Vorgaben erneut übertroffen. Falls »Beschäftigte oder Dritte«, wie Kunden oder Lieferanten, einen Mitarbeiter diskriminieren, muss diesem vom Unternehmer eine Entschädigung gezahlt werden. Leitmedien, Verbände und Staatsfunk sind schockiert. Sie verharren schweigend. Eine öffentliche Diskussion des Entwurfs findet nicht statt.
Im November 2004 gibt der Vizefraktionschef der SPD, Hans-Joachim Hacker, bekannt, ein neuer Gesetzentwurf, der im Dezember vorgestellt werden soll, enthalte für alle Diskriminierungsmerkmale den gleichberechtigten Zugang zu Massengeschäften (FAZ, 12.11.2004). Hacker erläutert nicht, was Massengeschäfte sind. Das sind solche, die ohne Ansehen der Person zu vergleichbaren Bedingungen in einer Vielzahl von Fällen zustande kommen. Wer also auf dem Markt eine Gurke kaufen oder im Gasthaus eine Brause trinken möchte und diese nicht bekommt, weil er entweder alt, schwul, behindert, katholisch, männlich oder Marxist ist, kann wegen Diskriminierung klagen. Die Schaumschlägerei der Koalition aus SPD und Grünen soll kaschieren, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz im allgemeinen Vertragsrecht nur noch für die Merkmale »Rasse« und Ethnie gelten soll – so wie es die Richtlinie 43 vorsieht. Neu im Entwurf ist ein Klagerecht für Betriebsräte und Gewerkschaften, dazu das Recht von Antidiskriminierungsverbänden, vor Gericht als Bevollmächtigte und Beistände aufzutreten.
»Anschlag auf die Republik«
Wirtschaft, Kirchen und Parteien sind außer sich. Der Katholische Nachrichtendienst kritisiert: »Ein Vermieter wird zu beweisen haben, dass er einen Sinti oder Muslim nicht benachteiligt hat, weil er seine Wohnung lieber einem deutschen Normalbürger vermieten will. Ein Arbeitgeber ebenso, wenn er einen Deutschen einstellt und keinen Türken, der ähnliche oder gleiche Qualifikationen aufweist. Besonders hart trifft es die Kirchen: Sie müssen womöglich bei Einstellungen auf die geistliche und konfessionelle Qualifikation verzichten.«3 Die FAZ versteigt sich zu der Behauptung: »Es geht der Regierungskoalition um eine Kulturrevolution. Der Gesetzentwurf kann der Ausgangspunkt für eine Umwälzung der Rechtsordnung und der Anfang vom Ende der Vertragsfreiheit sein«. Sie warnt vor der »Illusion, durch eine umfassende Verrechtlichung könnten die Unterschiede zwischen den Menschen eingeebnet werden« (15.12.2004). CDU-Generalsekretär Volker Kauder fordert: »Schluss mit grünen Luxusgesetzen« (Frankfurter Rundschau, 4.3.2005). Auf einer Sitzung des Bundesausschusses der CDU unterstellt Oppositionsführerin Angela Merkel, der Entwurf sei »ein Anschlag auf die Grundzüge der Republik« (Frankfurter Rundschau, 25.1.2005).
Als es am 21. Januar 2005 zur ersten Lesung des dritten Gesetzentwurfs im Bundestag kommt, ist von den Ministern niemand da, Kanzler Gerhard Schröder auch nicht. Für die Aussprache4 sind achtzig Minuten angesetzt. Es beginnt die Abgeordnete Maria Eichhorn (CSU). Sie warnt vor einer »überzogenen Antidiskriminierungspolitik« und zitiert einen Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung: »Das gut Gemeinte richtet sich in der Überdosis gegen das eigentlich verfolgte Ziel. Nicht der Erfolg der potentiell Diskriminierten ist das Ergebnis, sondern die ökonomische und gesellschaftliche Lähmung.« Volker Beck (Grüne) gibt sich neoliberal-pragmatisch: »Wer heute keinen gleichberechtigten Zugang zu Waren und Dienstleistungen und zum Arbeitsmarkt hat, hat keine Chance, sich in dieser Gesellschaft frei zu entfalten und sich selbstverantwortlich zu engagieren, wie wir es aber bei der Agenda 2010 von den Menschen erwarten.« Norbert Röttgen (CDU) trägt seine Lieblingspassagen aus einem Interview vor, das die Süddeutsche Zeitung mit Ministerin Zypries geführt hatte und argumentiert, ihre eigene Position, dass man durch Rechtspolitik eine Gesellschaft nicht gestalten könne, werde vom rot-grünen Kabinett unterdrückt. Auf dem aktuellen Stand der Pro-Antidiskriminierungsdebatte zeigt sich einzig Sebastian Edathy (SPD): »Durch die Beschränkung auf den Aspekt Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft und Zugehörigkeit und durch die Ausblendung anderer Diskriminierungsmerkmale schaffen wir eine Hierarchisierung von Diskriminierungsopfern. Das wollen wir nicht.« Der Abgeordnete Karl-Josef Laumann (CDU) ruft: »Wer sich an die zehn Gebote hält, braucht auch keine Gesetze!«
Einmischung des Bundesrats
Kurz nach der Bundestagsdebatte stoppen die CDU-regierten Bundesländer im Februar 2005 den Gesetzentwurf im Bundesrat. Per Entschluss fordert die Landeskammer den Bundesstag auf, »die Freiheit des einzelnen mit den berechtigten Anliegen von Wirtschaft und Gesellschaft zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen«. Der Entwurf ließe »Zweifel an der Überzeugungskraft aufgeklärten Gedankenguts erkennen«. Er schaffe »Hemmnisse für die Vertragsfreiheit, bringe Misstrauen zum Ausdruck«. Jede Regelung sei zu unterlassen, die »zu unangemessenen Benachteiligungen für die deutsche Wirtschaft im internationalen Rahmen führt.«5
2005 hatten die von der Union regierten Bundesländer keine Mehrheit im Bundesrat. Der Beschluss wurde dennoch verabschiedet. Wieso? Das Land NRW unter Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) hatte sich der Stimme enthalten, und das zählt im Bundesrat als »Ja«.
Die Unionsfraktion bringt im März 2005 schließlich einen eigenen Antrag zum Antidiskriminierungsgesetzentwurf ein. Überschrift: »Kein weiterer Arbeitsplatzabbau – Antidiskriminierungsgesetz zurückziehen«. Der von Rot-Grün vorgelegte Entwurf wolle, »statt (…) auf den Menschen zu vertrauen und staatliche Eingriffe auf das Nötigste zu beschränken, (…) eine Art ›Sittenpolizei‹ installieren«.6 Acht Tage später legen Sozialdemokraten und Grüne einen geänderten Entwurf vor. Vom ursprünglichen Regierungsvorhaben bleibt kaum etwas über: Die Haftung des Unternehmers für Diskriminierungen durch Dritte, die Beschwerdestelle in den Betrieben und das Gebot der Gleichbehandlung für Kirchen und ihre Einrichtungen sind gestrichen. Benachteiligungen aus ethnischen Gründen sollen jetzt legal sein, wenn z. B. Vermieter und Mieter auf einem Grundstück wohnen. Versicherungen ist es auf der Basis von statistisch gesicherten Grundlagen erlaubt, bei Geschlecht und Alter unterschiedliche Risiken zu berücksichtigen. Am gleichen Tag klärt Christian Wulff (CDU) seine Kollegen im Bundesrat auf: »Wenn man geschlechtliche oder religiöse Neigungen hat, ist man in diesem Land durch Klagerechte in der Lage, ganze Systeme lahmzulegen.«7
Im April 2005 wird die Bundesrepublik Deutschland vom Europäischen Gerichtshof wegen Vertragsverletzung verurteilt. Die Frist zur Umsetzung der Antirassismusrichtlinie war 2003 abgelaufen. Am 17. Juni verabschiedet der Bundestag in zweiter und dritter Lesung das Antidiskriminierungsgesetz. Wieder mischt sich der Bundesrat ein, obwohl das Gesetz nicht zustimmungspflichtig ist. Der Vermittlungsausschuss wird angerufen. Er terminiert seine Sitzung auf die Zeit nach den Bundestagswahlen im September 2005. Deren Ergebnis ist die große Koalition aus Christ- und Sozialdemokraten. So muss das gesamte Verfahren der Gesetzgebung neu beginnen.
Begriffsentleerung
Im November wird Angela Merkel Bundeskanzlerin, Peer Steinbrück Finanzminister, Renate Zypries bleibt Justizministerin. Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD kommt das Wort Diskriminierung sechsmal vor. So soll »die Diskriminierung durch die Eigenheimzulage gegenüber anderen Formen der Altersvorsorge« beseitigt werden. »Um die Potentiale älterer Menschen für die Gesellschaft besser nutzen zu können«, sollen »altersdiskriminierende Vorschriften aufgehoben werden.8 Die »Diskriminierung von Public Private Partnerships« soll sogar »vordringlich« beseitigt werden. Auch das Straßengüterverkehrsgewerbe will die große Koalition »diskriminierungsfrei bei der LKW-Maut entlasten«. Sie will sich »für einen diskriminierungsfreien europäischen Markt für Verkehrsmittel und deren Komponenten einsetzen« und »den Wettbewerbern der Bahn einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Verkehrsmitteln und ihren Komponenten gewährleisten«. Union und SPD haben den Begriff Diskriminierung usurpiert. Sie haben ihn seines eigentlichen Gehalts entleert und seinen ursprünglichen Sinn pervertiert.
Im Februar 2006 verurteilt der Europäische Gerichtshof die Bundesrepublik zum zweiten Mal wegen Vertragsverletzung. Die Arbeitsrichtlinie ist auch noch nicht umgesetzt. Drei Monate später stellt Zypries den »Gesetzentwurf zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung« vor. Das Wort Diskriminierung ist aus der Überschrift verschwunden. Die Frist, um Schadensersatzansprüche geltend zu machen, gilt nicht mehr für sechs, sondern nur noch für drei Monate. Gleichbehandlung für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch ist nur noch bei den Merkmalen »Rasse«, ethnische Herkunft und Behinderung nötig. Auf die Antidiskriminierungsstelle entfallen inzwischen sechs Paragraphen mit 18 Unterpunkten. Ein eigenes Klagerecht hat sie noch immer nicht. Weil tägliche Strafzahlungen der EU im sechsstelligen Bereich drohen, wird das Gesetz dem Bundesrat als «besonders eilbedürftig» zugeleitet. Aber der nörgelt wieder und fordert erfolgreich, das Klagerecht von Gewerkschaften und Betriebsräten zu streichen.
Am 29. Juni 2006 wird das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verabschiedet. 111 Abgeordnete stimmen mit Nein, 17 enthalten sich, 443 stimmen mit Ja. Voller Häme hatte Die Welt zuvor kommentiert: »Das Leben der Unterdrückten dieses Landes soll sich nach dem Willen der Gleichmacher fundamental zum Guten wenden« (24.6.2006). Aber noch ist es nicht so weit. Schnell wird das Recht von Antidiskriminierungsverbänden auf Gerichtsbeistand gestrichen und die Frist für die Anmeldung von Schadensersatz auf zwei Monate verkürzt. Wegen schwerwiegender juristischer Fehler muss das, laut Spiegel, »bizarre Werk« (15.5.2006) zurückgerufen werden. Am 18. August 2006 tritt das Gesetz schließlich in Kraft. Ein gerupftes Huhn. Das soll so bleiben. Forderungen wie die Verlängerung der Klagefrist auf sechs Monate, Verbandsklagerecht, mehr Schutz bei sexueller Belästigung, mehr Barrierefreiheit und Diskriminierungsschutz für Leiharbeiter, die aus Anlass des zehnten Geburtstags des Gesetzes von der Antidiskriminierungsstelle erhoben wurden, kommentiert Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände in der FAZ mit den Worten: »In den Papierkorb« (9.8.2016).
Anmerkungen
1 JuS 2002, S. 424 ff.
2 Bundesfamilienministerium, Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor Diskriminierungen, 6.5.2004
3 Kath.net, 5.12.2004, http://www.kath.net/news/9090
4 Bundestag, Plenarprotokoll 15/152, 21.1.2005
5 Bundesrat, Drucksache 103/05, 18.2.2005
6 Bundesstags-Drucksache 15/5019, 8.3.2005
7 Bundesrat, Stenografischer Bericht 809. Sitzung, 18.3.2005
8 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, http://kas.de/upload/ACDP/CDU/Koalitionsvertraege/Koalitionsvertrag2005. pdf