Zionismus und Rassismus
http://www.jungewelt.de/2010/11-17/026.php
17.11.2010 / Thema / Seite 10
Zionismus und Rassismus
Vor 35 Jahren verurteilte die Vollversammlung der Vereinten Nationen Israels
Staatsdoktrin
Von Moshe Zuckermann
Ankunft jüdischer Immigranten an Bord der »Theodor Herzl« in Haifa (14.
April 1947). »Das Postulat landnehmender Expansion eignete dem Zionismus von
seiner Frühzeit an.« (Zuckermann)
Foto: AP
Am 10. November 1975 geschah etwas, das man für entweder gravierend oder –
gemessen daran, daß dies Gravierende späterhin annulliert wurde – für
nichtig erachten kann. Die UN-Vollversammlung entschied: » (…) der
Zionismus ist eine Form des Rassismus und der rassischen Diskriminierung«.
Die Stimmverteilung für und wider das Verdikt darf sowohl beim Beschluß als
auch bei dessen nachmaliger Annullierung außer acht gelassen werden; sie
verdankte sich der jeweiligen, deutlich zeitgeistgeschwängerten politischen
Konstellation der UN-Vollversammlung. Da aber der an den Zionismus ergehende
Vorwurf des Rassismus durch die Aufhebung der institutionellen Entscheidung
mitnichten aus der Welt geräumt ist, lohnt es sich, das Problem besagter
Zuschreibung grundsätzlich zu reflektieren.
Man kann es sich dabei leicht machen, indem man den Begriff des Rassismus
auf seine ursprüngliche, namentlich biologistische Grundbedeutung
zurückführt und nachweist, daß sich der historische Zionismus nicht durch
ein ideologisches Postulat der Rassenreinheit auszeichnete. Zwar weist die
jüdische Halacha in ihrer Definition des Juden eine biologische Komponente
auf – Jude ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde -, aber zum
einen gründet diese Doktrin nicht im Zionismus, sondern im religiösen
Judentum; zum anderen ist selbst sie prinzipiell »überwindbar«: Denn Jude
ist auch der, der eine orthodox anerkannte Konversion zum Judentum begangen
hat. Es stimmt zwar, daß das religiöse Judentum (in striktem Gegensatz zu
Christentum und Islam) nicht missionarisch ausgerichtet ist, traditionell
mithin einer Abgrenzung gegenüber Nichtjuden das Wort redet, aber dies hat
nichts mit der Ideologie einer modernen Rassenbiologie zu tun, sondern, wenn
überhaupt, mit dem religiös-archaischen Auserwähltheitsgedanken sowie mit
der historisch begründeten Ambition, als Religionsgemeinschaft im
Diasporischen und im Kontext einer langen Verfolgungsgeschichte zu
überdauern.
Ein Blick auf Israels Straßen genügt zudem, um sich davon zu überzeugen, wie
»rassisch« und ethnisch durchmischt das aus aller Herren Länder im
Einwanderungsland Israel zusammengekommene jüdische Kollektiv selbst ist.
Selbst wenn man in Anschlag bringt, daß ein Theodor Herzl seinerzeit sich
nur schwerlich hätte vorstellen können, daß der von ihm antizipierte
Judenstaat dereinst auch dunkelhäutige äthiopische und »nichtweiße«
orientalische Juden zu seinen Bürgern zählen würde – und in der Tat verstand
sich das zionistische Projekt ursprünglich primär als ein europäisches,
mithin aschkenasisches Unterfangen -, so kann ihm nicht im nachhinein
unterstellt werden, rassistischem Gedankengut aufgesessen zu sein.
Die nationale Lösung
Nun ist aber auch kaum anzunehmen, daß der gegen den Zionismus erhobene
Vorwurf des Rassismus biologistisch gedacht war. Gemeint war vielmehr, daß
der Zionismus das proklamierte Objekt seiner Emanzipationsbestrebung so eng
faßt, daß sich diese Bestrebung mit Postulaten westlicher
Emanzipationsvorstellungen als letztlich unvereinbar erweist. Denn der nicht
von ungefähr abstrakt konzipierte, spätestens seit der Französischen
Revolution zum politischen Maßstab geadelte Bürgerbegriff wollte sich gerade
solcher Partikulareinschränkungen wie Religion, Rasse, Ethnie und
(späterhin) Geschlecht entledigen, was zwangsläufig mit der Kategorie des
Juden als ausschließlichem Kriterium der Zugehörigkeit zum sich als Nation
konstituierenden (zionistischen) Kollektiv und des damit einhergehenden
Anspruchs auf automatische Staatsbürgerschaft kollidieren mußte. Wenn nur
Juden (und zwar jeder Jude, wo immer er lebt) einen unhinterfragbaren
Anspruch auf die israelische Staatsbügerschaft erheben dürfen, dann findet
sich darin in der Tat ein Element diskriminierender Ausschließlichkeit. Was
dabei dieses spezifische Moment der Diskriminierung von anderen
vergleichbaren Exklusionspostulaten, wie sie sich heutzutage zunehmend in
Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit europäischer Länder manifestiert,
unterscheidet, ist der schiere Umstand, daß im Falle des Zionismus das
Kriterium der Ausschließlichkeit von Anbeginn zur staatsoffiziellen Doktrin,
ja zur raison d’être des zionistischen Staates erhoben wurde.
Zu fragen ist freilich, ob dies für sich genommen angreifbar ist. Denn nicht
die Tatsache, daß der Zionismus sich von vornherein als nationale
Befreiungsbewegung der Juden definierte, wäre in diesem Zusammenhang zu
hinterfragen, sondern die historischen Vorbedingungen der schieren
Notwendigkeit, die Juden separat emanzipieren zu sollen. Es gibt zwar
Strömungen im heutigen Zionismus, die behaupten, der Zionismus hätte sich
auf jeden Fall von sich aus als Bewegung der kulturellen wie nationalen
Erneuerung des diasporisch degenerierenden Judentums konstituiert, aber man
geht wohl kaum fehl, wenn man dem entgegenhält, daß die Schlagkraft dieser
(national-kulturellen) Erneuerung sich aus einem reaktiven Moment des
Zionismus speiste, namentlich aus dem für das europäische Judentum im
ausgehenden 19. Jahrhundert zur nicht ignorierbaren Bedrohung gewachsenen
Antisemitismus. Nicht Juden, sondern Nichtjuden schufen das sogenannte
»jüdische Problem«; als es sich aber als solches formuliert und
gesellschaftlich-politisch etabliert hatte, mußten sich Juden, die es
verinnerlicht hatten, mit ihm nolens volens auseinandersetzen.
Dabei boten sich ihnen drei säkulare Lösungswege: der (vor allem von
deutschen Juden angestrebte) Weg der Assimilation; der (von kosmopolitisch
ausgerichteten Juden erwählte) des Sozialismus; und eben der des auf die
Errichtung einer nationalen Heimstätte für die Juden zielenden politischen
Zionismus. Letzterer kann nicht einfach als partikulare, daher unzureichende
Lösung wegdiskutiert werden. Denn nicht nur erwuchs der politische Zionismus
aus dem Geiste nationaler Emanzipationsbestrebungen des europäischen 19.
Jahrhunderts und verstand sich darin eben als partikulare Bestrebung, wie
sie allen nationalen Aspirationen jener Zeit zu eigen war; sondern man muß
auch bedenken, daß selbst ein Mann vom Schlage Moses Hess, immerhin dem
Kreise von Marx und Engels verbunden und zunächst dezidiert
universalistischen Erlösungsvorstellungen verpflichtet, sich angesichts der
Nationalkonflikte Europas und des anwachsenden Antisemitismus letztlich doch
der Idee eines sozialistisch beseelten Zionismus verschrieb, mithin
postulierte, »das jüdische Problem« bedürfe der nationalen Lösung.
Nimmt man noch hinzu, daß sich mit dem Holocaust die vom Zionismus
angetriebene nationale Lösung des »jüdischen Problems« als akute
Notwendigkeit der Schaffung einer Zufluchtsstätte für die Überlebenden der
welthistorischen Monstrosität ausnahm, dann relativiert sich das
Partikularitätsproblem der den Juden unmittelbar nach der Katastrophe real
angebotenen »Lösung« ihres »Problems« zumindest in der Logik jenes
historischen Ausnahmezustands und des ihm verschwisterten Gefühls gebotener
Dringlichkeit.
Perpetuiertes Unrecht
Nun hat sich aber das, was sich damals als reale historische Notwendigkeit
ausnahm und alsbald verobjektivieren sollte, nicht im luftleeren Raum,
sondern in einem neuralgischen Kontext zugetragen. Die Gründung des
zionistischen Staates ging bekanntlich mit der kollektiven Katastrophe der
palästinensischen Bevölkerung im Territorium dieses Staates und einem
gewaltigen, von Juden am palästinensischen Kollektiv verübten historischen
Unrecht einher. Ob sich dieses Unrecht aus dem Wesen des Zionismus (also als
etwas von vornherein im Zionismus Angelegtes) ableitete oder sich als
tragische Konstellation im zeitgenössischen Zusammenhang deutet, spielt im
hier erörterten Kontext eine eher geringe Rolle. Dieses Unrecht besteht und
ist mit der israelischen Okkupationpraxis seit 1967 intensiviert, mithin
immer wirkmächtiger geworden, ungeachtet der Apostrophierung des Zionismus
als »eine Form des Rassismus«. Zu fragen bleibt freilich, ob die realen
geschichtlichen Voraussetzungen für den Zustand des perpetuierten Unrechts
in sich schon die strukturelle Tendenz zu dem bargen, was sich nachmalig als
Rassismus ausnehmen mochte. Die Antwort darauf könnte positiv, mit nicht
minderem Recht jedoch auch negativ ausfallen. Denn würde es beispielsweise
zu einer Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts im Sinne der
Zwei-Staaten-Lösung kommen (von der binationalen Lösung ganz zu schweigen,
aber die würde ja auch das Ende des historischen zionistischen Projekts
bedeuten), würde sich kaum jemand noch einfallen lassen, den befriedeten
Zionismus als rassistisch zu bezeichnen. Man würde sich in diesem Falle
einer ohnehin prekären Wesensbestimmung des Zionismus enthalten und sich den
auch in ihm angelegten Potential historischen Wandels verschreiben wollen.
Strukturelle Exklusion
»Rassistischer Terrorist nicht willkommen« – Demonstration gegen den
Staatsbesuch des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman in London
(13. Mai 2009)
Foto: AP
Zu eilig darf man freilich nicht zu diesem (eh noch visionären) Urteil
gelangen. Denn der israelische Alltag wie auch die gegenwärtig vorwaltende
hohe Politik Israels setzen offenbar alles daran, dem UNO-Verdikt von 1975
noch im nachhinein Geltung zu verschaffen. Viel ließe sich dazu anführen;
dies würde aber den hier gebotenen Rahmen sprengen. Wenige ausgesuchte
Beispiele seien statt dessen exemplarisch dargelegt.
»Das Eindringen des Faschismus aus den Straßenrändern in die Korridore der
Herrschaft«, schreibt der israelische Historiker Danny Gottwein (Haaretz,
9.11.2010), »ist einer der Wege, deren sich die israelische Rechte bedient,
um sich mit dem Wandel der gesellschaftlichen Funktion der Okkupation
auseinanderzusetzen. Die Modifikation des Staatsbürgerschaftsgesetzes, die
darauf aus ist, einen Treueeid auf Israel als einen jüdischen und
demokratischen Staat einzubeziehen, ist ein Ausdruck davon.«
Gottwein verweist in diesen wenigen Sätzen auf die strukturelle Diskrepanz
zwischen dem Selbstbild Israels als einem demokratischen Staat, der sogar
vorgibt, die einzige Demokratie im Nahen Osten zu sein, und seiner
politischen Realität, die sich gesetzlicher Mittel bedient, welche bei jedem
Demokraten berechtigtes Entsetzen hervorrufen dürften. Denn nicht nur ist
das Kriterium des Jüdischen unter Juden selbst mitnichten konsensuell
geklärt (das Gegenteil ist der Fall) – Israel ist darüber hinaus nun einmal
ein Staat, in welchem (staatsoffiziell anerkannt) mindestens 1,3 Millionen
Nichtjuden, arabische Bürger, leben. Die irreale, dafür mit um so größerer
Emphase ausgesprochene Erwartung, daß diese nichtjüdischen Bürger Israel als
einen jüdischen Staat anerkennen (und nicht etwa als den Staat all seiner
Bürger, in welchem sie als gleichberechtigte Bürger einbezogen wären), läuft
auf nichts anderes hinaus als auf ihre strukturelle Exklusion aus der
bürgerlichen Gemeinschaft des Landes. Dies ist freilich schon seit Gründung
des Staates das etablierte Grundmuster. Offiziell sind Israels Araber
gleichberechtigte Bürger des Staates; de facto leben sie aber seit
Jahrzehnten (in nahezu allen Lebensbereichen) als Bürger zweiter Klasse. Neu
ist die nunmehr gesetzlich vorangetriebene Identitätsfarce, die – aus der
politischen Ecke Avigdor Liebermans kommend – der bewußten Diskriminierung
der arabischen Bevölkerung des Landes eine legale Grundlage zu verschaffen
trachtet. Das hat mit biologistischem Rassismus nichts zu tun, sehr wohl
aber mit einem ethnisch beseelten politischen Rassismus, der sich mit der
faschistischen Brachialität Liebermans nur zu gut in Einklang weiß.
Nachbarn nach Wunsch
Danny Gottwein indiziert, daß die faschistische Tendenz sich von den Rändern
der Straße in die Mitte der politischen Herrschaft bewegt. Zu denken ist
eher eine dialektische Wechselwirkung: Die politische Klasse nimmt auf, was
ihr »die Straße« zufaucht, formt aber zugleich das Fauchen, facht es an und
legitimiert es. So eröffnet etwa die Publizistin Avirama Golan eine mit der
Drohung »Du bist der nächste Araber« betitelte Kolumne (Haaretz, 3.11.2010)
mit den Worten: »Was ist so schlimm daran – sagte mir G. -, daß Menschen in
Gemeinden sich ihre Nachbarn aussuchen wollen? Ich rede von der Bestrebung,
in einem schönen, sauberen Ort zu leben, den Kindern eine hochwertige
Erziehung in einer qualitativ hochstehenden Gemeinde angedeihen zu lassen;
was ist also so schlimm daran, daß man keine Araber haben möchte? Sie passen
doch wirklich nicht zu einer Ortsgemeinde mit jüdisch-zionistischer
Couleur.« Golan klärt G., einen orientalischen Juden mit einer Frau aus der
ehemaligen Sowjetunion, auf, macht ihm plausibel, warum er selbst kaum eine
Chance hätte, in der von ihm idealisierten Gemeinde aufgenommen zu werden,
und beendet ihre Kolumne wie folgt: »G. ist in eine faschistische Falle
hineingetappt, die ihn mit dem hohlen Titel >Jude< entschädigt, während sie
seine staatsbürgerliche israelische Identität ausradiert, damit er nicht
merkt, wie sehr seine Selbstsicherheit bereits erschüttert worden ist. Aber
wieso siehst du das nicht, G.? Weißt du denn nicht, daß in den
Aufnahmekomittees [besagter Gemeinden] und in allen künftig kommenden du der
nächste Araber sein wirst?«
Was sich bei Avirama Golan wie eine anekdotische Fiktion des Feuilletons
ausnimmt, ist krude israelische Realität, dezidierte Praxis der
parlamentarischen Legislative. In der Tat hat der Verfassungsausschuß der
Knesset Ende Oktober dieses Jahres einen Gesetzesentwurf verhandelt, der die
Aufnahmekomittees von Gemeinden gesetzlich ermächtigen soll, Anwärter auf
Aufnahme in die Ortsgemeinden nach Kriterien »der Anpassung an die
Grundanschauung der Gemeinde« und »der sozialen Anpassung an den Geist der
Gemeinde, ihre Lebensweise und ihre soziale Zusammensetzung« anzunehmen oder
abzuweisen. Nicht von ungefähr heißt es im Leitartikel der Haaretz vom
27.10.2010: »Das ist ein empörender Entwurf, der einen Beschluß des Obersten
Gerichtshofes (…) skrupellos umgeht. Die Ortsgemeinden werden auf
öffentlichem Boden errichtet und bieten den Anwärtern eine hohe
Lebensqualität zu relativ niedrigem Preis an, um das kontroverse Ziel einer
Judaisierung< ganzer Landstriche zu verwirklichen«. Soziale »Anpassung« ans
»Jüdische« des Ortes also zwecks prästabilisierter Ausgrenzung von Arabern
(oder auch anderen unliebsamen Nichtjuden), welche ihrerseits in einer von
oben generierten Politik der »Judaisierung« arabisch bevölkerter Landstriche
Israels gründet. Dieses Postulat landnehmender Expansion eignete freilich
dem Zionismus von seiner Frühzeit an.
Politik und Religion
Die Konstellation wechselseitiger Wirkung von diskriminatorischer hoher
Politik und alltagsrassistischem Ressentiment verbandelt sich in Israel auch
zunehmend mit der Religion. Das letzte eklatante Beispiel für diese unselige
Verschwisterung war in der nordisraelischen Stadt Safed zu verzeichnen. Auch
dieses Falls nahm sich ein Leitartikel der Haaretz an (8.11.2010): »500
arabische Studenten, die im College der Stadt lernen, waren Opfer einer
häßlichen öffentlichen Attacke, die in Gewalt gegen drei von ihnen gipfelte.
Der oberste Rabbiner der Stadt, Shmuel Eliyahu, veröffentlichte letztens ein
halachisches Verdikt, welches Juden verbietet, Arabern in der Stadt
Wohnungen zu vermieten; von einer Notversammlung, an der 18 Rabbiner und
rund 400 Anhänger teilnahmen, ging ein ähnlicher Aufruf aus. Der
Vizebürgermeister der Stadt unterstützte die Versammlung. Ein 89jähriger
Bürger der Stadt (…) wurde in seinem Leben bedroht, nachdem er seine
Wohnung an beduinische Studenten vermietete.« Shmuel Eliyahu ist kein Kind
von traurigen Eltern: In der Vergangenheit rief er bereits dazu auf, Araber
aus dem College der Stadt Safed zu verjagen, und ging gar soweit, die
Ermordung Unschuldiger zu befürworten, wenn sie Palästinenser sind. Daß
Regierungangehörige und die Munizipalobrigkeit diesen blanken Rassismus
durch Schweigen legitimieren, darf nicht verwundern. Auch nicht, daß der
Rabbiner seine rassistischen Auslassungen damit begründet, daß es »so in der
Thora geschrieben steht«. Denn was ist schon von einer Regierungsmannschaft
zu erwarten, die einen Avigdor Lieberman, den Initiator des
Treueeid-Gesetzes, zum Außenminister und die rechtsradikalsten Elemente der
israelischen Parteienlandschaft zu Koalitionspartnern erkoren hat? Auch die
bigotte Bibeltreue des Stadtrabbinners birgt einen realen Wahrheitskern –
denn in der Tat läßt sich manches der Thora entnehmen, das mit den Rassismen
des Rabbiners vollauf kompatibel wäre. Ein orthodoxer Rabbiner ist seinem
Beruf nach nun einmal ein Vermittler der Thora, Werber halachischer
Lebensweise und Bekämpfer all dessen, was seinen religiösen Wahrheiten
entgegensteht.
Von Verfolgten zu Verfolgern
Nur stellt sich dann halt die Frage aufs neue, ob somit der Zionismus
vielleicht doch für rassistisch zu erachten sei. Die Antwort lautet
weiterhin: nein – jedenfalls insofern der Zionismus als prononciertes
Erzeugnis des europäischen Nationalismus begriffen wird. Was Rassismus,
Fremden- und Ausländerhaß anbelangt, hat er keinem anderen Nationalstaat des
Westens etwas voraus. Die Spezifität der ihm nachweisbaren rassistischen
Elemente (die hier nur lapidar skizziert werden konnten) erklärt sich aus
seinem Entstehungszusammenhang und seiner präzedenzlosen historischen
Genese, mithin aus seinem wesentlich reaktiven Charakter: Der zionistische
Rassismus »verdankt« sich in vielem dem europäischen Antisemitismus, nicht
zuletzt in seiner ideologischen Selbstgewißheit und seinem selbstgerechten
Hang zur (geschichtlichen) Verdrängung. Am Rande bemerkt sei hier nur, daß
er darin auch im innerjüdischen Diskurs (etwa zwischen aschkenasischen und
orientalischen Juden) nicht haltmacht.
Eine ganz andere Frage ist freilich, ob sich Israels Staats- und
Gesellschaftsrealität (ungeachtet essentialistischer Wesensbestimmungen des
Zionismus als solchen) durch Rassismus auszeichnet. Und diese Frage muß –
zumindest im Hinblick auf die immer beredter sich manifestierende
Gesamttendenz – entschieden bejaht werden. Die unselige Konstellation von
geschichtlicher Verfolgungsneurose, politischer Ideologie der Expansion,
religiös-messianischem Wahn und realer (selbstgewollter?) Sackgasse in der
Handhabung des Nahostkonflikts hat inzwischen die ursprüngliche Idee
emanzipierter nationaler Souveränität in eine regressiv-repressive
»Rückbesinnung auf sich selbst« umkippen lassen, bei der die historische
Angst vorm Verfolgtsein in eine brachiale Ideologie der Verfolgung,
»Judentum« zur reaktionären Kampfparole gegen Fremde und das Gedenken an
historischen Rassenwahn in eigenen Rassismus umgeschlagen sind. Das hat
nicht unbedingt etwas mit Zionismus, viel aber mit der Art und Weise zu tun,
wie sich seine Träger in den »Straßenrändern« und den »Korridoren der
Herrschaft« gegenwärtig meinen, setzen zu sollen.
Der Soziologe Moshe Zuckermann lehrt seit 1990 am Cohn Institute for the
History and Philosophy of Science and Ideas (Universität Tel Aviv) und war
von 2000 bis 2005 Direktor des Instituts für Deutsche Geschichte in Tel
Aviv.
Zuletzt erschien von Moshe Zuckermann: »Antisemit!« Ein Vorwurf als
Herrschaftsinstrument. Wien, Promedia Verlag, 208 Seiten, brosch., 15,90
Euro. Auch im jW-Shop erhältlich. Buchvorstellungen mit dem Autor am
Freitag, 19.11., in Kiel (19 Uhr, Kieler Landeshaus,
Schleswig-Holstein-Saal, Düsternbrooker Weg 70, 24105 Kiel) und am Samstag,
20.11., in Hamburg (19 Uhr, Heinrich-Wolgast-Schule, Greifswalderstr. 40,
20099 Hamburg – eine Veranstaltung von ver.di)